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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 26.11.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-11-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19071126021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907112602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907112602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-11
- Tag1907-11-26
- Monat1907-11
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Anzeige«-Preis sür Inserat« au« Leipzig und Umgebung di« 6gespaltene Pelitzeil« 25 Ps , ftnanzirlle Anzeigen 38 Ps., NeNamen 1 M.; von autwLrli 30 Ps, Reklamen 1.20 M vom Ausland 50 Ps., finanz. Anzeigen 75 Ps. Reklamen 1.50 M. Inserate v. Behörden im amtlichen Dell 40 P« Beilagegebübr 5 M. p. Tausend exkl. Pos, gebühr. a>eschüst»anzeigen an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabat» nach Tai>> Festertellt« Austräge könnrn nicht zurück gezogen werden. Für da« Erscheinen an bestimmt«» Lagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen. Anzeigen-Annahme: LugustuSplatz 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- Expeditionen de« In- und Aurlande«. Haupt Stllale Berlin. Earl Luncki , Herzogs. Bayr. Hofbuch- handlung, Lützowstraße 10t <D«lephon VI. Nr. 4603). Nr. 328. Dienstag 26. November 1907. Das Wichtigste vom Tage. * Der preußische Landtag ist vom Fürsten Bülow heute mit einer Thronrede eröffnet. (S. Art.) * Der badische Landtag ist gestern zusammengetrcten. (S- Dtfchs. R.) * Der Prozeß Peters gegen die „Kölnische Zeitung" findet am 7. Ianuar statt. * Nach holländischen Blättern wird der englische Friedensapostel William Stead den nächsten Nobelfricdenspreis er halten. * Nach den letzten Meldungen, die aus den portugiesischen Grenzorten nach Madrid gelangten, spitzt sich die Lage immer mehr in Lissabon zu. Die Polizei fand dort ein neues Bomben lager. In Op.orto wurden mehr als 300 Personen der- haftet unter der Anschuldigung revolutionärer Umtriebe. lVgl. Ausl.) Die preußische Thronrede. Die Thronrede zur Eröffnung des preußischen Landtages, welche vom Fürsten Bülow verlesen wurde, hat folgenden Wortlaut: Erlauchte, edle und geehrte Herren von beiden Häusern des Land tages! Seine Majestät der Kaiser und König haben mich mit der Er öffnung des Landtages der Monarchie zu beauftragen geruht. Die Finanzlage des Staates hat sich seit dem vorigen Jahre weniger günstig gestaltet. Der Ueberschuß des Rechnungsjahres 1906 genügte nicht, um den Dispositionsfonds der Eisenbahnverwaltung für notwendige Bauten und Beschaffungen auf die gesetzliche Höhe von 30 Millionen Mark auszufüllen, vielmehr mußte hierzu ein erheblicher Betrag dem Bestände des Ausgleichsfonds entnommen werden. Im laufenden Rechnungsjahre ist, namentlich infolge der starken Steigerung der Ausgaben bei der Eisenbahnvcrwaltung, ein Fehlbetrag zu erwarten. Gleichwohl hält die S^oatsregieruvg es für notwendig, in der gern betätigten Fürsorge für ihre Beamten die durch den Staats haushaltetat für 1907 begonnene Aufbesserung der Beamten gehälter durchzuführen und Ihnen zugleich eine Neuregelung der Vorschriften über den Wohnungsgeldzuschuß vorzuschlagen. Behufs angemessener Erhöhung der vielfach unzureichen- den Gehälter der Volksschullehrer wird eine Novelle zum Lehrerbesoldungsgesetz vorgelegt werden. Auf kirchlichem Gebiete sind gesetzgeberische Vorlagen zur Verbesserung der wirtschaft lichen Lage der evangelischen und katholischen Geistlichen im Ein vernehmen mit den zuständigen kirchlichen Körperschaften in Aussicht genommen. Diese Maßnahmen werden eine dauernde Mehrbelastung des Staats haushalts um einen Betrag von mehr als 100 Millionen Mark zur Folge gaben, dessen Bereitstellung nicht unerhebliche Schwierigkeiten bietet. Die königliche Staatsrcgierung wird Ihnen deshalb entsprechende Vor schläge zur Beschaffung der erforderlichen Deckungsmittel machen. Zugleich ist es aber auch geboten, bei der Ausstellung des Etatsentwurfes sür 1908 größte Sparsamkeit in allen Verwaltungszweigen walten zu lassen, indem alle nicht durchaus erforderlichen Mehrausgaben zurück- zustellen und auf die Erträge der vorhandenen Einnahmequellen in den nächsten Jahren zu verweisen sein werden. Auch soll zur Entlastung des Etats im Anschluß an den Vorgang des Jahres 1906 zur Beschaffung von Betriebsmitteln und zur Ausstattung der Eisenbahnen mit weiteren Geleisen der Anleiheweg beschritten werden, um die Eisen bahnanlagen wieder auf eine der stattgehabten außergewöhnlichen Steigerung des Verkehrs entsprechende Höhe zu bringen. Im übrigen wird wiederum zur Erweiterung und besseren Ausrüstung des Staats eisenbahnnetzes sowie zur Unterstützung von Kleinbahnunternehmungen die Bewilligung erheblicher Mittel nachgesucht werden. Der in der vorigen Session unerledigt gebliebene Entwurf eines Gesetzes zum Schutze gemeinnütziger Mineral- und Thermal quellen wird Ihnen nochmals vorgelegt werden. Neben einigen kleineren, die Umgestaltung der polizeilichen Organisationen in einzelnen Bezirken bezweckenden Vorlagen wird Ihnen der Entwurf eines Ge setzes über die anderweitige Verteilung der P o l i z e i k o st e n zwischen Staat und Gemeinde in den Gemeinden mit königlicher Polizeiver waltung zur Beschlußfassung zugehen. Wie die Entwickelung der Verhältnisse in den östlichen Pro vinzen der Monarchie zeigt, sind die gesetzlichen Befugnisse der Re gierung nicht ausreichend, um die deutsche Bevölkerung in diesen Landesteilen wirksam zu schützen und zu stärken. Die Negierung ist deshalb gezwungen, eine Erweiterung ihrer Vollmachten in Anspruch zu nehmen und wird die entsprechenden, bereits in Ihrer vorigen Tagung angekündigten Gesetzesvorschläge alsbald Ihrer Be schlußfassung unterbreiten. Sie ist überzeugt, daß sie in dieser so ernsten nationalen Frage die tatkräftige Mitwirkung beider Häuser des Land tages finden wird. Auf Befehl Seiner Majestät des Kaisers und Koni--- -rklärc ich den Landtag der Monarchie für eröffnet. ZUIN Reichsverernsgefetz. Wir haben bereits heute morgen in einem Aesamturteil unsere sympathische Auffassung des Gesetzentwurfes ausgesprochen. Allein das Erfordernis der polizeilichen Genehmigung für Versammlungen unter freiem Himmel erschien uns bedenklich und nur deswegen nicht lebens gefährlich, weil das deutsche Volk von diesem Naturrechte freier Völker Loch so gut wie gar keinen Gebrauch macht, und selbst bei Kundgebungen kür Freiheitsrrchtc lieber i'.n^er der Tyrann«' der Besitzer schlecht ge lüfteter Säle tagt und sich von zudringlichen Ganymeden zum Trinken „animieren" läßt. Um uns gegen den Vorwurf eines vorschnellen Panegyrikus auf die Vorlage zu decken, welche immerhin noch nicht das Ideal der Vereinssreiheit erreicht, müssen wir wenigstens einige der Fortschritte nachweisen, welche sie gegenüber den geltenden Vereinsoesetzen bringt. Eine erschöpfende Darstellung ist in unserem engen Rahmen um so weniger möglich, als im Deutschen Reiche bisher 26 verschiedene Ver einsrechte existierten, von der mecklenburgischen Rechtlosigkeit biS zu den besonnen liberalen Gesetzen der süddeutschen Bundesstaaten. Zunächst ist das Vereins- und Versammlungsrecht ein wirklich allgemeines geworden. Tie Frauenrechtlerinnen werden befrie digt schmunzeln, daß das famose „Segment" im Zirkus Busch wieder verschwindet, und „bunte Reihe" in Preußen gemacht werden darf. Ob allen agrarischen Herren der Schöpfung mit ^em neuen reichsgesetz lichen Rechtsanspruch ihrer besseren Hälften auf die Reisebegleitung nach Berlin, also mit der Abschaffung der Strohwitwerschaft in der landwirtschaftlichen Woche, gerade gedient ist, bleibt eine andere Frage! Gegen alle Erwartung ist aber auch die Altersgrenze vollständig aufgehoben. In Sachsen war ja bislang den Minderjährigen der 101. Zabrqang. Vevsammlungsbesuch verboten. Diese Altersnorm war zweifellos zu hoch gegriffen, aber sie hatte wenigstens Sinn. Dagegen in Preußen hieß es: Schüler und Lehrlinge. Der 22jährige Primaner war damit von dem staatsbürgerlichen Rechte ausgeschlossen, welches dem 14jähri- gen Laufburschen zustand — wvblgemerkt: Preußen besitzt bekanntlich keine obligatorische Fortbildungsschule. Wenn in der Ausdehnung des Umfanges der Versammlungsberech- tigten Preußen die größten Fortschritte deswegen macht, weil es am weitesten zurückgeblieben war, so schlug dagegen Sachsen wahrscheinlich den Rekord der polizeilichen Bevormundung der Beriammlungen. So gar in geschlossene Vereinssitzungen drängte sich die wohlweise Polizei hinein und verhielt sich äußerst harthörig gegen alle Anzapfun- gen, daß rein interne, vertrauliche Angelegenheiten des betreffenden Vereins, Fragen der politischen Taktik usw. besprochen werden sollten. Fast ebenso schlimm war das erwachsene Männer geradezu entwürdi gende Recht des überwachenden Beamten, einem Redner das Wort zu entziehen. Jetzt bleibt ihm bloß das Recht, den Vorsitzenden zur Wortentziehung zu veranlassen. Erst wenn dieses nicht geschieht, darf zur Auflösung der Versammlung geschritten werden, und auch die steht zunächst dem Vorsitzenden zu, der Polizei erst dann, wenn dieser den Gehorsam versagt. Fügen wir noch hinzu, daß die Einreichung der Mitgliederverzeich, nisse dort, wo sie bestand, abgeschafft, daß sogar das Verbot des bewaff neten Erscheinens eingeschränkt ist. Es wird also nicht mehr vorkom- men, daß in studentischen Versammlungen Einjährige zu dem eigentlich instruktionswidrigen Ablegen des Seitengewehrs veranlaßt werden, wie wir es erlebt haben. Weshalb die Ziffer der Vereinsmitqlieder dem Amtsgericht mitgeteilt werden muß (8 14), ist völlig unerfindlich. Wir lassen an dieser Stelle noch die dem Gesetze beigegebene Be- gründung folgen: Da die Vereinsgesetze der Bundesstaaten in der Ausge staltung gleicher Grundgedanken im einzelnen oft erhebliche Ver- schiedenheit erkennen lassen, und dadurch die Vergleichung er schwert wird, so bedarf es der besonderen Betonung, daß der vor- liegende Entwurf als Ganzes zweifellos gegenüber sämtlichen einzel staatlichen Vereinsgesetzen wesentliche Erleichterungen darbietet. Dem mehrfach geäußerten Gedanken, eines der bundesstaatlichen Vereins gesetze unverändert dem Entwürfe des Rcichsgesetzes zugrunde zu legen, konnte in diesem Umfange nicht Rechnung getragen werden, da keines den hierfür maßgebenden Bedürfnissen völlig entspricht. Der Entwurf folgt den Arbeiten des Reichstages aus dem Jahre 1873 und 1896 darin, daß er ausschließlich die öffentlich-rechtliche Seite des Ver einsrechts regelt. Eine Einwirkung auf die privairechtlichen Normen für Vereine ist nicht beabsichtigt. Der Anregung, bei dieser Gelegenheit eine Regelung des sogenannten Kvalitionsrechts vorzunehmen, ist der Entwurf nicht gefolgt, da er hiermit ein dem eigentlichen Vereins- und Versammlungsrechte formell und materiell ungleichartiges Rechtsgebiet betreten würde. Ebensowenig gehören Bestimmungen üher die Ver letzungen der Dienstpflichten des Gesindes und der ländlichen Arbei ter usw. in das Vereinsgesetz. Vielfach ist auch der Wunsch zutage ge treten, es möchten im Rahmen dieses Vereinsgesetzes gleichzeitig auch die Rechtsverhältnisse der Berufsvereine ihre reichsgesetzliche Regelung finden. Tatsächlich werden diese in einer Reihe ihrer wichtigsten Be ziehungen — nach der öffentlich-rechtlichen Seite hin — durch den Ent wurf bereits miterfaßt, dagegen ist dies nicht der Fall hinsichtlich ihrer privatrechtlichen Verhältnisse, insbesondere der Frage nach Erlangung der Rechtsfähigkeit. Bei den Beratungen in der letzten Tagung des Reichstages über den Entwurf ist die Bedeutung dieser Frage stark in den Hintergrund getreten gegenüber der Stellung, welche die Be rufsvereine innerhalb des Vereinswesens einzunehmen haben. Soweit ein Bedürfnis für eine Neuordnung des Berufsvereinswesens auch aui dem Gebiete des Privatrechtes anzuerkennen sein wird, bieter daher dieser Entwurf, dessen Bestimmungen der Sphäre des öffentlichen Rech- tes angehören, nicht die geeignete Stelle. Vielmehr würde gegebenenfalls jenem Bedürfnisse durch eine besondere Vorlage Rechnung zu trogen sein Feuilleton. Allzuviel wissen heißt mit Worten kramen. » Shakespeare. * Joseph Freiherr von Eichendorfs. lZu seinem bOjährigen Todestage, 26. November 1907.) Bon Dr. Julius Wentzel (Leipzig). „Wer einen Dichter recht verstehen will, muß seine Heimat kennen; auf ihre stillen Plätze ist der Grundton gebaut, der dann durch alle seine Bücher wie ein unaussprechliches Heimweh hindurchklingt." Ost saß der Knabe auf dem Wipfel eines hohen Baumes im Garren des väter lichen Schlosses zu Lubowitz nud schaute traumverloren in das Schlesier land- Dem Nußbaumwäldchen, das sich vom Berghang zur Oder dehnte, ist das schöne Gedicht gewidmet: „O Täler weil, o Höhen, O schöner grüner Wald, Du meiner Lust und Wehen Andächt'ger Aufenthalt! Da draußen stets betrogen, Rauscht die geschäft'ge Welt; Schlag' noch einmal die Bogen Um mich, du grünes Zelt." In vielen lyrischen Gerichten Eichendorffs läßt sich die anmutige Oderlandschaft erkennen. Sein Bestes gab er in der Lyrik. „Er zeigt sich in ihr als echter Romantiker. Er sieht die Natur immer in roman- tischer Beleuchtung: im Mondenglanz, in Dust und Dämmerung gehüllt. Was Wilhelm Schlegel von Ariost getagt hat, gilt umgekehrt von Eichen dorfs: es ist immer bei ihm Morgen, niemals Mittag; und unter den Jahreszeiten bevorzugt er gleichfalls die ahnungsvolle Werdezeit des Frühlings. Immer wie in Tiecks Naturgedichteü erscheint auch bei ihm die Natur geheimnisvoll bewegt: tausend Stimmen durchkreuzen sich, es ist ein ewiges Singen und KliWen, ein Plaudern und «paschen, die Klänge des Waldhorns üder des Posthorns durchziehen die Luft oder das Waldrauschen ertönt wie ein feierlicher Orgelklang. Von der Romantik der Ruine samt den Geistern der verstorbenen Helden wird ausgiebiger Gebrauch gemacht. . . Ebenso sind die Empfindungen, welche Eichendorff zu erregen sucht, echt romantische: die unendliche Sehnsucht, welche nach Schiller und Friü>rich Schlegel den modernen Menschen erfüllt, wenn er der Natur gegenübertritt; die geheimnisvollen Schauer in der Brust des Menschen, das Unbewußte in seinem Innern, di« Vor liebe für das Traumhafte und Visionäre in dem Empsindunasleben. . . Zugleich aber ist Eichendorff in dieser Hinsicht der unmittelbare Vor läufer Heines. Manches Heinische Lied beginnt ganz in der Tonart Eichendorsss und schlagt dann plötzlich mit einer ironischen Schluß Wendung in die entgegengesetzte um; wie umgekehrt auch Eichendorfs wiederholt damit schlickt, daß er die vorgeführten Personen und Szenen wie einen Spuk verschwinden läßt. Die Lieblingswendungen Heines: „weiß nicht, wie mir geschah", „mir ist, als ob", „ich wollt' als Reiter fliegen", „ich möcht'" . . . „ in denen sich das Sehnende, Unbeständige ausspricht, finden wir unzählige Male bei Eichendorff." („Minor , Zeitschr. f. deutsche Philologie, S- 226 ff.) Als Lyriker ließ sich der schlesische Dichter von „Des Knaben Wun- dcrhorn" anregen, von Claudius, dem Wandsbeker Boten, und von Goethe. Des Dichters eigenartige lyrische Kunst offenbart vielleicht am besten: „Schöne Fremde." „Es rauschen die Wipfel und schauern, Als machten zu dieser Stund' Um die halbversunkenen Mauern Die alten Götter die Rund'. Hier hinter den Myrtcnbäumen In heimlich dämmernder Pracht, Was sprichst du wirr wie in Träumen Zu mir, phantastische Nacht? Es funkeln auf mich alle Sterne Mit glühendem Liebesblick, Es redet trunken die Ferne Wie von künftigem, großem Glück." — Wenn wir nichts besäßen, als dies eine Gedicht, dem der Kom ponist so wundervolle Töne geliehen hat, so müßten wir froh und stolz sein! Sorgsam wird die Stimmung vorbereitet. Rhythmus und Reim juchen und finden einander. Ein Heineton klingt in der letzten Strophe, aber ein Heineton im besten Sinne: unermeßliche Sehnsucht nach Liebe und unfaßbare Hoffnung auf Erfüllung. Am liebsten und glücklichsten erhebt Eichendorff in seinen Liedern die Hingabe an die Natur, das ziellose und angenehme Wandern in die Ferne, durch rauschende Wälder und zu Bergeshöhen, wo Burgruinen von verschwundener Herrlichkeit reden; dann taucht der Mond auf, den alle Romantiker lieben, und sein silbernes Licht spielt in Büschen und Bäumen. Da nimmt der Liebhaber seine Laute zur Hand und gesteht der Geliebten in Tönen, was er in Worten nicht wagte. Viele Lieder, wie: „In einem kühlen Grunde", „Wem Gott will rechte Gunst erweisen", „Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben?" leben im Volksmunde. Der Name des Dichters ward vergessen, die größte Ehre, die ihm widerfahren konnte! Auch seine berühmteste Novelle: „Aus dem Leben eines Taugenichts" wirkt wie ein Volkslied. Köstlich und unbefangen ward hier -em Müßig gang ein Loblied gesungen, so daß es fast dem Leser eine Sünde scheint, wenn er sich sehen soll und ernsthaft arbeiten. In leichter ironischer Färbung werden die Irrfahrten des Helden erzählt, ohne Ziel und Zweck zieht er bis nach Rom, nur eines weiß er genau: er liebt seine schöne Frau Gräfin. Und als die schöne Frau Gräfin sich zum Schluß als eine Kammerzofe entpuppt, da fällt er nicht aus allen Himmeln, sondern ein Stein fällt ihm vom Herzen, ja er liebt seine einstige Gräfin nur noch mehr, „und von fern schallte immerfort die Musik herüber, und Leuchtkugeln flogen vom Schloß durch die stille Nacht über die Gärten, und die Donau rauschte dazwischen herauf — und es war alles, alles gut!" Von den kleineren Erzählungen verdient „Das Schloß Dürande" besondere Erwähnung. Der Handlung liegt ein Gedanke zugrunde, der an Kleists „Michael Kohlhaas erinnert: Ein Fanatiker, der sein gutes Recht gegen alle Welt durchsetzen will und sich und rudern dadurch das größte Unrecht zufügt. Kraftvoll, mit festen Strichen, sind die handeln den Personen gezeichnet, Leidenschaft lebt in dem Buche. Gegen diese beiden Novellen treten die anderen Novellen und vor allem die großen Romane: „Ahnung und Gegenwart" und „Dichter und ihre Gesellen" zurück. Die Art der Darstellung wirkt in den Romanen durchaus lyrisch, und was in dem Meisterwerke: „Aus dem Leben eines Taugenichts" so reizvoll schien, wird hier zum Nachteil. Die Personen handeln nicht, sondern träumen, und die Orte der Handlung werden nicht genannt, sondern alles erscheint unbestimmt und verschwommen. Auch die episch-lyrischen Dichtungen: Julian, Robert und Guiscord. Lucius, die „nichts von romantischer Jrrlichterei" haben sollen, sind, als Kunstwerke betrachtet, doch nicht lebensfrisch genug. „Krieg den Philistern" und „Meierbeths Glück und Ende", zwei Parodien in der Art Tiecks — leider fehlt aber das genial (Inge- zwungene Tiecks — und die beiden Schauspiele „Ezelin von Romano" und „Der letzte Held von Marienburg" zeigen Eichendorfs von keiner eigentlich bedeutenden neuen Seit«. In der letzten Zeit seines Lebens verfaßte Eichendorff zahlreiche Schriften literaturgejchichtlichen Inhalts. „Die religiöse und ethische Bedeutung der neueren romantischen Poesie -'n Deutschland", „Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands", „Der deutsche Roman des 18. Jahrhunderts in seinem Verhältnis zum Christentum" dienen zur Charakteristik des Dichters. Auf ein kleines Werk sei aber noch besonders hingewiesen: Die Wiederherstellung des Schlosses der deutlichen Ordensritter zu Marien burg." Es erschien zuerst 1866 in „Aus dem literari^ en Nachlaße Joseph Freiherr von Eichendorffs", und ist wiederabgedruckt in der gegenwärtig immer noch brauchbarsten Eichendorssausgabe, die R. v. Gottschall besorgt hat. (Bei Max Hesse. Eine Gesamtausgabe kün digt für die nächsten Jahre der Verlag von I. Habbel in Regensburg an.) Als Regicrungsrat in Danzig bemühte sich Eichendorfs im Ver ein mit dem damaligen Oberpräsidenten der Provinz, Heinrich Theodor von Schön, die durch allerlei Gebäude verunstaltete Marienbura in ihrer mittelalterlichen reinen Form wiederherzustellen. Schon 1823 dielt der spätere König Friedrich Wilhelm IV beim Festmahl i.n großen Remter eine begeisternde Rede. Eichendorfs hat die Lieder für das Fest gedichtet. Die kleine Schrift, aus Befehl des Königs geschrieben, schildert in vier Kapiteln: 1) Größe, Schuld und Buße, 2) Die polnische Wirtschaft, 3) Die Zopfzeit, 4) Die Wiederherstellung, die Besiedelung des Landes durch die deutschen Ordensritter, deren Blütezeit und Ver fall. Außerordentlich charakteristisch ist der Schluß, wo das Festmahl zu Ehren des Kronprinzen am 20 Juni 1822 geschildert wird. „Da weckte Trompetenklang von der Empore manche große Erinnerung, die hier verkannt und verichüttet, seit Jahrhunderten geschlummert, da leuch tete ringsumher die sonnenhelle Landschaft durch die hoben, wieder frei
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