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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 28.11.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-11-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19071128024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907112802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907112802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-11
- Tag1907-11-28
- Monat1907-11
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Abend-Ausgabe v. Bezug»-PrrtS Dr Let-jia nnd «orvrt» durch «ntz« Lrt-er und Lpedttru« ins Hau» gebracht: Lusgabr L (»ur mnrarnsi vtrrätjthrlich 3 M., mommick I V.- Ausgabe S (morgens und abend») viertel» jährlich 4.50 M., monatlich 1.50 A. Durch dir Prft b«»vaen (2 mal täglich) innerhalb Deutjchlards und der deuljchen Kolonien vierteljLbriich 5,25 M., monatlich 1,75 M. ausschl. Post- destellgeld, jür Oesterreich S u 86 d. Ungar» 8 L vierteljährlich. Abonnement-Annahme: Lnguitusvlatz 8, bet unsere« Lrigern, Mialen, Spediteuren und Lnnahiuestellen^wtt Postämtern und Die einzelne Nummer kostet Nt Psg. Nedaktion und Expedition: JohamtiSgasie 8. Delevhou Nr. 14602, Nr. 14683, Nr. 14634. »erliner Nedasttons Eureau: Berlin UNV 7. Prin» Louis Ferdinand. Strafe 1. Düephon I, Nr. 9275. Nr. 330. MMerTUMM Handelszeitung. HmLsvlatk des Rates und des Rottzeiainles der Stadt Leipzig. Donnerstag 28. November 1907. Anzeigen Prei- sdr Inserate au» Leipzig und Umgebung di, «gespaltene Petit,eile 25 Pi., finanzielle Anzeigen 30 Ps., Reklamen 1 M.; von auswärts 30 Ps., Reklamen 1.20 M. vom Ausland 5OPf., finanz. Anzeigen 75 Ps., Reklamen 1.50 M. Inserate ». BehSrden im amtlichen Deil 40 Ps. Beilagegebübr 5 M. p. Lausend exkl. Post gebühr. Selchäftsan,eigen an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Taris. Feftcrteilte Austrägc können nicht zurück gezogen werden. Für das Erscheinen an bestimmten Lagen und Platzen wird keine Garantie übernommen. Anzeigen-Annahme, Auguftutplatz 8, bet sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- Lrpeditionen des In» und Auslandes. Haupt Filiale verltn Kari Dunck: Herzogs. Bayr. Hofbuch Handlung Lützowstraße 10. (Lelephvn VI. Nr. 4803). 101. Jahrgang. Da» wichtigste vom Tag«. * Bei der Landtagswahl im Kreise Eckernförde wurde Graf Reventlow-Altenhof, Provinzial-Vorsitzender des Bundes der Landwirte für Schleswig-Holstein, mit 9l Stim men gewählt. Der freisinnige Kandidat Prof. Leu- Eckernförde, erhielt 53 Stimmen. * Die preußische Generalsynode (für die altenPro vinzen) ist zur Beratung einer Besoldung Lreform einberufen. sS. Dtschs. R.) * In Baden ist die Sozialdemokratie aus dem Kam merpräsidium verdrängt. (S. Dtschs. R.) * Wie verlautet, wird Frankreich Einspruch dagegen er heben, daß Spanien den Tag von Bailen festlich begeht. lS. Ausl.) * Die mar-okkanische Armee dringt auf französischem Boden vor. lS. Tgssch.) * Der Negus von Abessinien hat die Einrichtung des Ministeriums in sein Land eingeführt. * Der Rat der Stadt Leipzig beschloß den Bau eines neuen Verwaltungsgebäudes mit 2 763 874 .ll Kosten. Tagesschau. Zum Fall Günter. Aus Stuttgart wird uns geschrieben: Als Dr. Paul Wilhelm von Keppler, der Verfasser feinsinniger kunstgeschichtlicher Abhandlungen und fesselnder Reiseschilderungen, vor einigen Jahren zum Bischof der Diözese Rottenburg bestellt wurde, glaubte man allgemein, er werde sein hohes Amt nach der Art seiner Vorgänger mild und versöhnlich sichren. Diese Meinung hat sich nicht bestätigt. Die letzten zwei Jahre brachten schon manche Anzeichen, daß der Bischof der jesuitischen Rich tung zuneige und zum erbitterten Gegner aller fortschrittlichen Be strebungen katholischer Forscher und Lehrer geworden sei. Am deut- lichsten ist seine fortschrlttseindliche und streitbare Gesinnung nun im Fall Günter hervorgctreten. Es handelt sich in diesem Falle be kanntlich darum, daß der Bischof durch Vermittelung des Tübinger Konviktdirektors den Historiker Prof. Dr. Günter zum Verzicht auf gewisse, dem Bischof unbequeme Vorlesungen bestimmen wollte, unter Androhung, daß sonst den katholischen Studenten der Besuch der Günterschen Vorträge untersagt werde. Ter akademische Senat der Universität Tübingen Hal sich jetzt, wie schon kurz telegraphisch mitge- teilt, der von der philosophischen Fakultät beim Kultusministerium er- hobcnen Beschwerde wider den Bifchof vollinhaltlich angeschlossen. Der Senat protestiert gegen das formell und sachlich unzulässige Eingreifen in die Verwaltung der Universität und in die an ihr herrschende Lehr freiheit. Der Bischof habe kein Recht, einem Professor der Landes- universitär in irgendeiner Form Vorschriften über Gegenstand und Verhalten seiner Vorlesungen zu machen und noch weniger, ihm mit einem Verbot des Vorlesungsbesuches zu drohen. Aus dem Charakter der Professur könne ein Recht zur Einwirkung des bischöflichen Ordi nariats oder des Äonviktdirektors nicht hergeleitet werden, wie aus der Geschichte der Professur zur Genüge hervorgehe. Der Inhaber habe keine anderen Verpflichtungen, als die allen Hochschullehrern obliegen den, nach bestem Können das von ihm als wahr Erkannte zu lehren. Zur Verwahrung gegen das Verfahren der geistlichen Behörde habe der Senat um so mehr Anlaß, als die Annahme nahe liege, daß der be dauerliche Vorfall im Zusammenhang mit der neuerlich so scharf her vortretenden Tendenz der römischen Kirche stehe der Lehrfreiheit der Hochschulen Fesseln anzulegen. — Sicherem Vernehmen nach wird der Fall Günter alsbald nach dem Zusammentritt der Stände in der Ab geordnetenkammer zur Sprache kommen. Vom Ministerium Weizsäcker darf man überzeugt sein, daß es die Lehrfreiheit auf unserer Universität energisch wahren wird. — Ueber die Ursache des Vorgehens des Bischofs erfährt der „Schwäbische Merkur": Der Grund ist in Günters Forschungen über Legendenbildung zu suchen, die er auch in dem Buch „Leaenden-Studium" (Köln, 1906) niedergelegt hat. Er ist neben dem gelehrten Bollandisten Delehaye derjenige, der zum erstenmal fachmäßig der Psychologie und dem historischen Werden der Heiligenleben nachgegangen ist und ganz merkwürdige, in ihrem Zu- sammenhang bisher unbekannte Ergebnisse erzielt hat. Er sagt, viele der Legenden, die im Volksglauben und in der katholischen Kirche be stehen, sind gar nicht christlich, sondern Gemeingut aller Völker; manches ist einfach von heidnischen Helden herübergenommen und ins Christliche übersetzt und ausgeschmückt worden. Das Einfache und Alte sei meist das Gute und geschichtlich Wahre und nicht die wuchernde, phantafisoolle, oft auch phantasielose Ausschmückung. Bei diesen Er weiterungen des alten Historischen, weist G. nach, herrsche oft reine Schablone: Schon bei und vor der Geburt des Heiligen geschehen außer ordentliche Dinge, in der Kindheit und im späteren Leben kommen unter gleichen Voraussetzungen immer wieder die gleichen Wunder. Wie die Fragen der „Chrie" im Aufsatz, so werde diese Schablone von den späte ren Schriftstellern harmlos auf eine ganze Reihe von Heiligen ange wendet, sie sehen die Heiligen nur durch die „ererbte Brille der Legende" an. Das könne man schon bei den Märtyrern nachweisen, im Orient sei die Märtyrerlegende im 6. Jahrhundert abgeschlossen gewesen, dafür haben im Abendland die Erfindungen um diese Zeit unter dem Einfluß des Orients erst recht begonnen. Es gab da besondere Typen und Legendenkreise, Rom tritt in den Vordergrund, dann sind wieder Jn- ventions-, Translation^, und Reliquienwunder beliebt, später gilt der Aszet als das wahre Heiligenideal. In diese Schemata werden nun fast alle Heiligen gezwängt mit einer Beharrlichkeit, die mit Kritik- und Gedankenlosigkeit gleichen Schritt hält. Günter sucht nun diese Schemata? zu entdecken und Legende und Leben — zwei oft ganz ver- schiedene Dinge — zu scheiden. Die Dinge in Marokko nehmen eine sehr sensationelle Wendung. Nach den letzten Depeschen stehen marokkanische Truppen bereits aus französischem Boden! Wir haben schon die Nachrichten gedrachl, daß eine französische Abteilung amKiß auf das andere Ufer des Flusses zurückgeworfen wurde, und daß eine starke Mahalla auf Ne mours marschiert. Eine heutige Depesche aus Lalla Marnia besagt: „Vor der Ankunft der dsm Leutnant Maicesebille gesandten Verstär kungen machten dieselben tzj, vorgestern angegriffen batten, gestern früh einen neuen Einfall, überschritten dcnKiß und griffen den Posten Bab-el-Asiah an. Leutnant Maicesebille leistete ihnen mit 40 Goumiers und 60 Schützen Widerstand. Ueber den AuFgang des Gefechtes sind noch keine Nachrichten cingegangen. Es wird versichert, daß alle Vorsichtsmaßregeln ge troffen seien und daß nichts zu befürchten stehe." „Ueber den Ausgang des Gefechtes sind noch keine Nachrichten ein gegangen'': mit solchen Nachrichten pflegen die Regierungen das Publi kum auf Niederlagen vorzubcreiten! Auch die folgende Beschwich- tigung: „Es wird versichert, daß alle Vorsichtsmaßregeln getroffen seien ufw." ist förmlich stereotyp für solche kritischen Tage, an denen Hiobsposten in den Bureaus der Kriegsministerien angelangt sind, die man bekanntzugeben zögert. Die zweite Veröffentlichung pslegt dann zu lauten: „Se. Majestät haben eine Bataille verloren; Ruhe ist die erste Vürgerpflicht." Denn, wenn's nicht so wäre, wenn nicht die Nachricht von einer ernstlicheren Schlappe zurückgehalten würde, dann stände es im gründe weit schlimmer mit der Verantwortlichkeit der französischen Be hörden an den Dingen, die jetzt im Muluyagebiet vorgehen! Einen Mißerfolg kann die bestgeführte Truppe einmal erleiden. Wenn aber seit einem vollen Jahre immer wieder versichert wird, daß alles an der Grenze aufs beste organisiert sei, nicht allein für die Verteidigung, son- dern sogar für einen Angriffskrieg, für eine fortschreitende Besetzung des marokkanischen Gebietes, die nur aus dem Grunde noch nicht ge- fchehe, weil die raauckits Uinissisns noch nicht kirre seien, und wenn dann trotzdem dsm Gegner es gelingt, die angeblich sorgfältig gedeckte Grenze zu überschreiten: dann wird das „arcbipret" wieder einmal in eine selt same Beleuchtung gerückt. Möglich freilich auch, daß wir doch noch recht behalten mit unserem vor einiger Zeit geäußerten Verdachte, der französische Kater spiele förmlich mit der maurischen Maus; Frankreich liege geradezu daran, die Dinge in Marokko schlimmer werden zu lassen, um sich Gründe für eine Intervention in höherem Stil zu beschaffen. Die Politik wäre lehr sein, aber auch vielleicht etwas zu fein für ein demokratisches Volk, dessen Ministerstühle so wenig seststehen! Unter einem wenigstens der Sache nach autokratischen Regiment kann man sich eine derart weit ausgesponnenc Politik leisten, welche auf das „Matt" des Gegners erst bei einem späte ren Zuge, dann aber um io sicherer, hinarbcitet. Wo aoer lozusagen unter freiem Himmel regiert werden muß, da verlangt Pudlikus ein fortgesetztes Schachbieten, um darüber beruhigt zu sein, daß der Spieler nicht selber bedroht ist. Schon ist aus dem algerischen Boden schwerer Sachschaden von den eingedrungenen Marokkanern angerichtet. Eine weitere Depesche mel det: „Ter Generalgouverneur von Algerien hat den Kabinettschef in formiert, daß im Laufe des gestrigen Tages 2000 Marokkaner die Grenze bei Manasseb-Kaiß überschritten haben. Sie äscherten aus fran zösischem Gebiet einige Häuser ein, verwüsteten Gärten und vernichteten Getreideoorräte, worauf sie nach Aghbal zurückkehrten." Nehmen wir noch hinzu, daß Buchda ben Bagdadi eine schwere Niederlage erlitten hat, daß Muley Hafid auf der ganzen Linie siegreich gegen den Sultan vordringl und bereits in Mogador eingezogen ist, so wird man sich nicht verhehlen dürfen, daß die Lage in Nordwestafrika heute ein äußerst bedenkliches Gesicht zeigt! O Ueber die letzten Kämpfe der beiden Sultane wird noch ge meldet: Nach einer „Temps -Privatmeldung aus Moaador ist der Er folg, den der Vertrauensmann des Sultans Abdul Asis Kaid Anflus jüngst gegen die hasidischen Truppen erstritt, stark überschätzt worden. Schon spüre Anflus die Nachwirkung ver von B uchta Ben Bagdadi bei Rabat erlittenen schweren Niederlage. Tie dem Anflus entgegengesandten neuen hasidischen Abteilungen stehen jetzt unter einem lehr begabten jungen Führer, welcher den Fehler seines von Anflus geschlagenen Vor gängers, und zwar die Vernachlässigung des Kundschafter- und Vor- postcnwesens, möglichst gutzumachen bestrebt sei. Die Mahalla des An- slus habe durch den in Mord und Totschlag ausartenden Bruderzwist seiner bisherigen Anhänger, der beiden Söhne des Kaid Abdi, empfind liche Einbuße erlitten. Man befürchte weitere Desertionen und infolge dessen eine Verstärkung der hasidischen Wehrkraft. Deutscher Reich. Leipzig, 28. November. * Verteuerung Ser Lchiffsbaukoften. Wie vas.Berliner Tageblatt" erfährt, wird sich in den Anschaffungskosten der neuprojektierien Schlachi- schiffe eine Preissteigerung bemerkbar machen, da die bisherige An schlagssumme von je 36 Millionen Mark sich als zu klein erwiesen bat. Die Bauausführung ver neuen Schiffe wirb sich auf runv 40 Millionen Mark stellen. Die Verteuerung wird mit der Erhöhung der Material preise und durch die Verstärkung ver allgemeinen Gefechtseigenschasten begründet. * Tie Preußische General-Synode ist vom König auf Dezember oder Januar einberusen zur Beraiung eines Pfarrerbefoldungs- gesetzes, einer Rubegehalisordnung unv eines Gesetzes zur Regelung ver Hinterbliebenen-Fürsorbe. Zur Festsetzung des Einberufungslaaes ist der Oberkirchenrat ermächtigt. * Sicherung der Vauforderungeu. Nachdem der Gesetzentwurf über die Sicherung der Bauforderungen dem neuen ReichSiage in un veränderter Gestalt vorzelegt ist, hat der Verein Ostdeutscher Holz händler und Holzindustrieller sich in einer Relolution an den Reichstag gewandt, in welcher um die Ablehnung des Entwurfes gebeten wird. Der Verein weist unter anderem darauf hin, raß der vorliegende Ent wurf auch in der neuesten Fassung nur als ein minlungener Versuch gellen kann, an Stelle kaufmännischer Sorgfalt und Berechnung gesetz liche Fürsorge zu letzen. Das Gesetz werde nach der Natur des Bau geschäftes seine Absicht nicht erreichen, dagegen aber das Bauen Feuilleton. Es ist nicht genug, zu wissen, man muß auch an wenden; es ist nicht genug zu wollen, man muß auch tun. Goethe. Scheherezade. Von Karl Fr. Nowak (Berlin). Kein Name, der verführerischer lockte, kein Klang, der verschollene, schlummernde Zeiten so mit einem Schlage zu wecken vermöchte. Scheherezade . . . Und all die Erinnerungen steigen empor. Einmal war ein Kalif, der hieß Harun al Raschid. Nachts ging er durch die schlafen- e.i <iru»cn 'oagoaos, trug Kausmannskleidcr oder ging als Knecht, nur der Wesir, der treue, war bei ihm. Und manchmal traf er einen, der wirklich ein Kaufmann war und nicht wußte, daß der Kalif vor ihm stand, manchmal traf er einen groben Schiffer. Die wunderlichsten Aben teuer begaben sich dann, wenn der Kalis sich enthüllte, die Märchen der Klugheit und der Gerechtigkeit wurden wahr und wanderten in Bagdad uniher. Scheherezade . . . Und Aladins Wunderlampe beginnt zu leuchten, der falsche, böse Obeim läßt den Jungen in die Grotte steigen, der Geist des Ringes befreit ihn wieder und der Kleine trägt die Lampe heim. Und der Geist der Lampe kommt und Aladin wird stark, mächtig und groß. Die schönste Prinzessin führt er beim. Und tausend andere Dinge werden wach. Wir wissen nicht mehr, wie all dies einmal war, doch all das war einmal. Verflatterte Reminiszenzen nur geben lose Zusammenhänge: bald ist's romantisch wild, eine dunkle Räuberaeschichte, Ali Baba öffnet den Felsen, aber das Ende wissen wir nicht mehr. Ver steinerte Prinzen kommen, arme Fischer ziehen vorbei, die die mächtigsten Geister in einer Flasche aus den Tiefen des Meeres beben und sie wieder überlisten, wenn sie die erst Befreiten, die mit schnödem Undank lohnen wollen, aufs neue in die Flasche sperren. Weit dehnt sich das Sandmeer der Wüste, langsam ziehen die Karawanen vorbei, reichbeladene Kamele, bunte Zelte, kriegerische braune Araber mit flatternden weißen Ge- wändern. Alles ist hier von heißer, berauschender Farbenglut, alles abenteuerlich, seltsam, kühn und absonderlich, — Zn ungeheurer Reigen erschließt sich, wie Scheherezade Nackt um Nacht, tausendundeine Nacht lang zu erzählen beginnt . . . Die Tore des Orients sind wieder aus- getan. Was dunkel in uns von all dem blieb, was wir phantastisch un gehemmt in Kindertagen fiebernd aus hundert Bilderbüchern lasen, wird man jetzt, wenn eine stille Stunde es gestattet, wiederum suchen, wiederum finden, aufs neue erhellen dürfen. Vielleicht wird man all die Märchen nicht mehr so heiß, nicht mehr so fiebernd lesen. Das Lächeln, das heute Scheherezadcns tausend Geschichten folgt, mag bei uns, den Erwachsenen, halbe Hermatscrinnerung, das Lächeln mag kühler sein, aber eins ist hcf- tiger, ist eindringlicher geworden, als es damals war, damals in den Bubenjahren: der Orient, sein Mythos, seine Sagenphantastik, seine irdische Welt, seine Stämme, seine Kunst, Form und Kultur, (eine Farben sind leuchtend, lebendig und wahr geworden. Und wir vergessen heute das Deutsche Reich, Europa, die Maschinen und den Luftballon, der selbst kein Märchen mehr ist, und wandern zurück. Ins neunte Jahr hundert, irgend wohin zwischen Euphrat und Tigris, nach Arabien, nach Bagdad, wo wir das Kalifat begründen. Dann ist's auch eine Kleinig keit, in Persien zu sein, Erlebnisse in Indien zu haben und die Chinesen auszusuchen. Wunderbar verfließt plötzlich alles, ganz Asien wird wach, der Orient ist eine Perlenkette, in jeder Perle blitzt eine Geschichte. Wieviel wird hier geplaudert, wieviel verraten. Alle Städte, die Straßen, die Plätze, die Märkte, die Basare stehen in deutlicher Zeich nung. Und wir wissen genau, um welche Abendstunde der Jüngling oen Basar betritt, um seine Tücher, Spangen, Ringe heimzubringcn. Man kann die Karawanen zählen, kennt ihre Wege, weiß die Oase, wo sie rasten werden, man weiß ihre Ziele, ihre Absichten, weiß, wie all diese Kaufleute rechnen, rechnet selbst mit und erwägt mit gerunzelter Slirn, daß diese Räuberbande oder jene die schöne Rechnung vielleicht durchstreichen könnte. Das Haus des Orients ist offen, man darf in den Harem, die Frauen sind entschleiert und ihre Erotik blüht. Ter Kadi spricht, die Dichter singen, Soldaten lehren den Krieg, die Höfe werden gezeigt und ihre Intrigen sind da. Tausend Nuancen der Liebe sind ver- raten, tausend Nuancen, naiv, verlockend, schalkhaft, sentimental, reizend und heroisch: das ganze Volk lebt heiß sein Leben aus, lebt wie im Märchen, lebt cs als Märchen. Ueber dem Ganzen endlich die Historie, befreit, mit auseinandergerückten Grenzen, Historie, die mit knanpeu Zahlen nicht bestimmt werden kann, aber dennoch unsichtbar vorhanden ist. Und just um dieser Historie willen wird man die Märchen heute, morgen, immer lesen. Man tat cs freilich auch gestern schon. Kein Volk, keine Ltteratur ist an all den Wundern achtlos vorbeigeschrttten. Und alle fast babcn hier gelcrnr. Das Großwesirstöchterlein Scheherezade, das den Tod nicht fürchtet — Schahrazad nennt neuere Forschung ihren Namen —, Schahrazad also beginnt die Erzählung der ersten Nackt. Der König wird sie am nächsten Morgen nickt töten, denn Sckahrazad ist klug, spannt ihres Gebieters Neugier und verheißt ihm ine Erzählung für die kommende Nacht. Ter arme, betrogene König, der sein Weib einst mit einem Mohren überraschte, dann eine Jungfrau immer nur eine Nacht besitzen will, worauf sie bei Tagesanbruch sterben muß, der arme, gute König Schcchryar versinkt in Träumerei und will auch noch die Geschichte der nächsten Nacht erfahren. Dann verspricht Schahrazad ilim bei klug eingefchobencm Satz, in einer Reminiszenz an irgendein Ge schehnis, das drollig oder furchtbar oder ernsthaft ist, die dritte Ge schichte. Die vierte, fünfte, sechste folgt: in tausendundeiner Nacht er zählt die Unerschöpfliche Geschichten, leiht ihr der Orient bunte Fabeln aus undenklicher Zeit, die alle um ihr Leben, um Schahrazads Befreiung kämpfen. So klug ist Schahrazad, die märchenschöne, wunderbare, dag sie sogar literarisch wird. Sie hat uns die Rahmenerzählung gebracht. Und nicht gering ist die Zahl auch abendländischer Dichter, die — fern dem Orient — den Einfall glücklich priesen. Von Boccaccio, dem leichten, kecken, der das Gespenst der Pest durch seinen Novcllenreigen bannen wollte, bis zn den orientalischen Spaziergängen Thomas Moores haben wir die Rahmenerzählung unzählige Male erlebt. Die Fassung der Märchen, wie wir sie in den Grundzügen meist beute haben, stammt aus dem 15. Jahrhundert. Tie Ueberlieferung gab uns Aegypten. Erst Galland hat im Eingänge des 18. Jahrhunderts eine größere Zahl der Märchen nach Frankreich gebracht. Die großen vollständigen Ausgaben indes vermittelte erst das 19. Jahrhundert. Macnaghtcn besorgte die „.Kalkuttaer Ausgabe", nach ihr gab Richard F. Burton seine große Ausgabe den Engländern. Für die Deutschen sammelten Habicht und Fleischer die „Breslauer Ausgabe". Und noch viele andere haben sich um die Bergung des Märchemchatzes gemüht: die Engländer Lane und Paync übersetzten einzelne Gruppen der orienta lischen Erzählungen, dann hatten die Franzosen nock die große Ausgabe vou I. C. Mardriis. Jetzt wird man in Deutschland vor allem die neue Ausgabe des Insel-Verlages lesen, die Feli; Paul Greve in den Hauptzügen »ach Richard Burton ordnete. Burton war strenaer Wissen- schaftler. Er hat die einzelnen Versionen, die von einzelnen Märchen erzählt wurden, alle in sein Gclehrtenwcrk mit au'qenomme.n. Tie Vollständigkeit war ihm wichtig. Tie neue deutsche Ausgabe, die sür den Leser von Geschmack gesichtet ist, um eine Kultur auszurollen, läßt als überflüssigen „Ballasr' fort, was bei dem Engländer drei- oder viermal, nur wenig verändert, zur Untersuchung für den Forscher wicderkchrr. Aber man wird aucv in der Insel-Ausgabe das gleiche Märchen mitunter zweimal finden können. Dann war der doppelten Wiedergabe Grund, . daß die Abweichungen beider Ueberliefcrungcn bedeutend, beide Formen aber künstlerisch wertvoll waren. Man bat dann bald auf den einen, bald aus den andern früheren Sammler und Ucbersetzer zurückgegrlssen. Selbst solche Märcken sind mitunter ausgenommen, die dem Krene von „Tausendundeine Nackt" eigentlich nickt zugcbören. So „Aladni unk die Wunderlampe". TaS Märcken irrte im Orient umber. selbständig, verlassen, immerhin schön genug und wert, um auch von Schahrazad er- zählt zu werden.
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