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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 28.11.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-11-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19071128013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907112801
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907112801
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-11
- Tag1907-11-28
- Monat1907-11
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BezugS-Pre» Ar Lrtp-io und vor«« durch uut« Lrt-er mid Spediteure tu« Hau« gebracht: tlurgab« t ^a»r «or^eu«^ vierteljthrlich ilulaibe U (morgen« abend«) viertel» jährlich «ijü M. mouailich l.sv M. Durch dir Poft bezogen (2 mal tLglich) innerhalb Dentschland« and der deutschen Kolonien vierteljährlich >>,25 M-, monatlich 1,75 M au-Ichl. Pop- deitellgeld iür Oesterreich 9 L66 v. Ungarn ö L vierteljährlich. Lbovnemeist-Lnnabm«. VuguftuBvlatz 8^ bei unjere» Lrüaern, Filialen, Spediteuren und tlnnahmestellen^ öwie Postämtern und Die einzeln« «mnmer kostet 1V Pfg. vedakttou und ArpedUton: Johannirgalse 8. relevdon «r. 14M2 Nr. I««» Nr. ItSSt. Berlin« Nedaktivn« Buren«: Perliu dUV. 7 Prinz stoui« Ferdinarld» Straße 1. räephon 1, Nr. 9275. Nr. M. Ausgabe L. UriMM TliAtblM Handelszeitung. Nmkvkatt des Rates nnd des Nolizeiamtes der LLadt Leipzig. Donnevstag 28. November 1907. Luzei-eu-Pret» Br Inserat« au« Leipzig und Umgebung di« Vaejpalten« Vetitzrtl« 25 Pi., stnanziell« Lnzeigen M Pi., Reklamen 1 M.; von aurwLrt« W Pf., Reklamen 1.29 M vomSutlandbOPi., finau».Anzeigen75P> Reklamen 1.50 M. Inserate v. vchbrden im amtlichen LcU 40P' Berlagegebühr 5 M. p. Lausend exkl. Post aedühr. »eichästtanzeigen an bevorzugt-- Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Lau- Hestert eilte «ufrröae können nicht zurütl gezogen werden. FSr da» Erscheinen a> vestünmlen Lagen und Plötzen wird keine -araati« übernommen. «-zeigen-Annahme, Luzufturplatz 8 vei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen. Expeditionen de« In- and auslante« Hanpt Filiale Berlin karl Lunck, Hcrzogl. Baur. Hvsbuch- handlung Lützowstraße 19. tLelephon VI. Nr. «S03-. 101. Zabrqang. Da» N)ichtrgst- vonH Tage. * Die Weihnachtsferien des sächsischen Landtages oeginnen am 18. Dezember und dauern bis zum 7. Januar. * Die preußische Wahlrechtsvorlage ist auf die nach st e Legislaturperiode vertagt. lS. Dtschs. Ri * Der neue Präsident der badischen Kammer gehör! dem Zentrum an. (S. Dtschs. R.j * Im Wahlkreise Labiau siegte der Agrarier über den (Gemäßigt-Konservative u. lS. Dtschs. R.) * Der Postscheckverkchr wird 1909 cingeführt werden. * Bei der gestern abend im Leipziger Stadtverordneten kollegium vorgenommenen Stadtratswahl wurden die Stadträte Hecker, Listing,' Meyer und Ramdohr wiedergewählt, Kauf mann Hugo Seifert neugewählt. * Der Generalgouverneur von Odessa. Kowitzki, ist „plötzlich gestorben". Die neue Oolenvorlage. Die politische Schätzung der bülowianischen Wirksamkeit ist viel» umstritten. In einer Be-iebung aber kann es unter Narivnalgesiunten keinen Streit geben, daß nämlich der heutige Reichskanzler von Anfang in der Polcnirage denselben stet'gen Kurs gehalten und damit endlich den Schwankungen und Wirrungen in der Behandlung der Ostmark und ihrer Probleme ein Ziel gesetzt hat. Gewiß wurve die AnsiedelungSpoUtik nicht von ihm eingeleitet. Wer aber glaubt, daß damit schcn die nationale Renaissance garantiert gewesen sei, der ist im Irrtum. Neben der germanisierenden Ansiekelungskouimilsion mit dem Zeutralsitz in Posen gab eS nämlich, um nur eine der vielen Seltsamkeiten zu erwädnen, eine paritätische Generaltommission. die von Bromberg aus gelei'et wurde und den klaren Tendenzen der Ansiedelungspolitik entgegen arbeitete. Beide staatlichen Institute, sogar Institute desselben preußi'ckcn Staates, beide ausgerüstet mit reichen Mitteln. Man denke ferner an die Periode Kosc>elski-Admiralski. Dann wird man erst den Wert der heutigen Klarheit in der Polensrage erkennen. Einigermaßen erichwert ist dieieS große nationale Sanerungswerk worden durch die enge Verbindung, die jahrzehntelang zwischen der Regierung und dem Zentrum bestand. Das Zenirum hat von seiner Polen- treundschait nie gelassen, auch dann nicht, als eS von den radikalisierten Polen in Schlesien eine Wahlschlappe nacd der andern erhielt. ES wird von dieser Freundschaft auch nie lasten, eS sei renn, es höre auf, eine lonse'sionelle, eine uliramontane Partei zu sein. Aus diesem Grunde konnte die Regierung bisher nie den letzten Schritt wagen, der zur Bändigung deS preußischen Polentums sich allmählich als unumgänglich notwendig erwiesen hat. Die Regierung konnte bisher keine Ent eignungsvorlage einbrmgen, weil sie keine Mehrheit für solche Zwecke bekommen hätte. Auch heute noch ist die Annahme der neuen Ostmarkensorde- rung durchaus nicht gesichert. Allein die Nationalliberalen werden von vornherein sür sie emtreten. Aber selbst die Kons rvativen haben schwere Bedenken. Was von der Rechten an verfassungs mäßigen Skrupeln vorgebracht wird, ist wirklich nicht allzu ernst zu nehmen. Aber für die konservativen Agrarier stehen sebr große materielle Interessen auf dem Spiele. Durch die Ankäufe der Ansiedelungskommission in Konkurrenz mit den polnischen SievelungSgefellschaften ist in den Ostmarken eine BodenpreiStreiberei entstanden, die ebenio ungesund und unvorteilhaft sür die seßhaften Landwirte, wie nutzbringend für die Spekulanten und Gelegen- hrttS ucher ist. Aber selbst die seßbaiteu Gutsbesitzer sehen natürlich die ständige Möglichkeit, zu hohem Preise zu verkaufen und hoch zu be- leiben, nicht ungern, wobei sie freilich die drückenden Nebenerscheinungen dieser Zustände, die hohen Zinsen zum Beispiel, leicht zu gering achten. Aus dielen Gründen können die Konservativen sich nur schwer ent schließen, dem Enteignungsparagraphen der neuen Vorlage zuzustimmen, lind die Freisinnigen haben noch immer ihrer alten konstitutionellen Doktrin nicht abgeschworen, nach der die Verfassung sozusagen ein Ding sür sich und vollkommen unabhängig von den nationalen Bedürfnissen ist. Eine gewisse Nachsicht gegenüber den Pol- nikche» Bestrebungen ist dem Freisinn lange eigentümlich ge wesen. Und erst in jüngster Zeit haben sich die Anzeichen einer Wandlung leise bemerkbar gemacht. Doch sind die Reste der alten Polenschwärmerei immer noch lebendig. In der Reichspolitik ist das erst wieder in diesen Tagen erkennbar geworden, als die freisinnige Presie heftig demonstrierte gegen die Bestimmung der VereioSgesetznovelle, die bei aller an erkennenswerten Freiheitlichkeit die ebenso löbliche Bestimmung trifft, daß di« Versammln» gssprache deutsch zu sein hat. So wird sich die Parteilradilion der Freisinnigen auch nicht leicht im Punkte deS EnteignungSrecht» der neuen Polenvorlage preiSgeben lassen. Wenn da» aber nicht gelingen sollte, so kaua die Vorlage fallen, denn Nationalliberale und Konservative können da» Schicksal de» Geletzt» im Abgeordnetenhause nicht stcherstelle», wenn bei der Abstimmung viele Konservative gegen die Vorlage votieren oder doch sich der Stimme enthalten werden. Die Vorlage, der eine sehr eingehende, inhaltlich der Kanzlerrede oom Dienstag entsprechende Begründung beigegeben ist, fordert im ganzen 400 Millionen Mark. Und zwar 300 Millionen zur Neuaosschüttung deS fast erschöpften AnsiedüungSfoudS, KO Millionen zur Ei Werbung größerer Güter, die .im ganzen al« Renteugüter gegen vollständige Schadloshaltung de« Staates" veräußert werden sollen, und schließlich SO Millionen zur Erhöhung de» Fonds für «Maß nahmen rur Stärkung des Deutschtums in den Provinzen Westpreußen und Posen" (Gesetz vom l. Juli l902). Daß die Mittel der Ansiedelungspolitik ausgebrauchl sind, ist leider Tatsache. Daß die vielen Millionen eine wirkliche Wandlung noch nicht bewirkt haben, desgleichen. Aber cs ist zu fragen: Wie läh« es heute in der Ostmark aus, wenn der preußische Staat sich seiner nationalen Pflicht nicht bewußt geworden wäre, wenn man dem Ansturm der Polen mit verschränkten Armen zugejehen hätte? Die Antwort lautet: trostlos. Wir hätten in diesen Jahren eine Landflucht der Deutschen aus der Ostmark erlebt, die das ganze große Gebiet rettungslos den Polen überantwortet hätte. Für Spottpreise hätten die Polen sich in den Besitz dcö Landes gesetzt und eine polnische Herrschaft etabliert, die durch Aechtung aus wirt chastlichem und gesellschaftlichem Gebiete jedem Deutschen das Leben im Osten unleidlich gemacht hätten. Daß dies nicht geschehen konnte, ist schon ein Erfolg. Aber noch mehr ist geschehen. Der polnische Ansturm ist zwar nicht völlig abgeschlagen, doch ist er wenigstens zum Stehen gebracht worden. Die Wucht der gewaltigen polnischen Woge ist gebrochen. Neue Hoffnung ist den Deutschen zurückg'kehrt. Und zum ersten Male zeigt die Statistik ein prozentuales Wachstum des deutschen Elements, das dem Vordringen der Polen an die Seite gestellt werden kann. In einzelnen Bezirken haben sich die Deutschen sogar absolut starker vermehrt als die Polen. Also gerade jetzt ist die entscheidende Periode. Und deshalb hat die Regierung rech', wenn sie gerade jetzt den entscheidenden Schlag führen und sich bas Enteiguungsrecht ge'ctzlich erteilen lasten will. „Barbaren über uns", schreien die Polen in allen drei Kaiserreichen. Ach, was sind wir sür gesittete Barbaren. Wir wollen uns nicht gefallen lassen, daß eine unü feindliche Nationalität systematitch unsere Landsleute aus dem Osten vertreibt, mit allen Mitteln, mit Geldlockungen, mit wirtschaftlicher und moraliicher Bedrückung. Aber wir nehmen den Leuten nicht etwa ihren Besitz fort, sondern wir lausen ihn dort, wo es unbedingt nötig ist, den Besitz rn ab. Und nicht nach selbstgefixten Preisen, sondern nach Taxe eines Beirates, dessen Mitglieder deutsche Binger der Ostprovinzen sein wüst n. In der Praxis wird vieler Beirat aus deutschen Gutsbesitzern der Ostmark zusammengesetzt sein. Und von diesen Leuten ist vielleicht eher zu befürchten, daß sic zu bohe, als raß sie zu niedrige Piene zahlen werb-», aus leicht begreiflichen Gründen. DaS ist unsere Barbarei. Wenn wegen eines EijenbahnbaueS Grundstücke enteignet werden, regt sich kein Mensch auf. Man w-iß, daß es sein muß. Und wenn eö sich -i»m eie Erhaltung nrsc-Z: Nalwncklität, wenn es sich um staatliche Garantien handelt, sollten wir dasselbe Mittel nicht anwenden dürfe»? Hoffentlich überwinden die Koniervaiiven ihre Bedenken materieller Färbung und die Freisinnigen ihre sentimentalen Anwandlungen. Dann Werben die Polen cntlich erkennen, daß ihre leparatistischen Bcllettälen an dem mächtigen Willen Deutschlands scheitern müssen. Sachsen un- -ns Reichsversinrgesetz. Gegenüber den Vorschriften des sächsischen Vcreinsgesetzes vom 22. November 1850 enthält der Reichsentwurf nur unwefentlichc Er leichterungen. Seit der Reaktionszeit haben sich also die Anschauungen in den Regierunaslrcisen nnr unbedeutend gewandelt. Geblieben ist die Anzcigepsllcht. Ein kleiner Fortschritt ist die Verkürzung der Frist sür Wahlversammlungen von 24 aus 12 Stunden. Man kann also die An zeige noch rechtzeitig tags zuvor erstatten. Während der Wahlbcwegungen tollte ober die Anzeigcpslicht überhaupt nicht bestehen. Die Wahl geschäfte erfordern soviel Arbeit, daß die Vereinfachung, die im Wegfall dieser höchst überflüssigen Anzeige insbesondere für Wahlkomiteesitzungen liegt, dringend zu wünschen ist. Ueber die Zulässigkeit von Geld- sammlungcn schweigt sich der Entwurf aus. In Sachsen steht es im Belieben der Polizei, ob sie eine Geldsammlnng zulasten will oder nicht. Zu jeder Wahlbewegung gehört aber Geld. Ein Wahlrecht ist wertlos ohne freies Versammlüngsrecht und ein freies Geldiammlungsrecht. Eins bedingt das andere. Warum die Genehmigung für Versammlungen im Freien fortbestehen soll, ist nicht recht einzuscben. Wer je in England die Versammlungen in den öffentlichen Parks iah. begreift diesen alten Zopf nicht. An Wochentagen des Abends^ wird sich insbesondere im Herbst und Winter von selbst niemand ein Schnuvsenficber holen wollen. Aber Sonntags, des Nachmittags, ist die Teilnahme an einer Ver sammlung unter freiem Himmel weit besser als Bierbankhockerei. Im Hvdepark in London siebt man Dutzende solcher Versammlungen. Be- sonders die Frauenrechtlerinnen machten sich bemerkbar. Von dem Dache eines Omnibusses hielten sie mit schriller Stimme ihre Ansprachen. Das Volk lauschte, spottete und spendete Beifall. Als es einmal ein kleines Gedränge gab, waren unbemerkt vier Policemen da, sagten nichts-, aber die Ordnung blieb aufrecht. So gebildet wie die Bevölkerung von Ostlvndon ist der deutsche Arbeiter zum mindesten. Er ist auch politifch an Zucht und Ordnung ganz gewöhnt: also besteht kein Grund, die Versamm lungen im Freien genehmigungspflichtig zu machen. Ter Entwurf will auch die Umzüge nicht erleichtern; darüber ließe sich reden. Auch die Uebcrwachung und das Anflösungsrecht bedarf der Milderung. Man weiß, wie leicht in politisch regen Zeiten eine Verächtlichmachung von Staatseinricbtungcn, eine Beschimpfung von Gebräuchen der katholischen Kirche von einem eifrigen Beamten aufgespürt wird. Ein freimütiges Wort gibt den Vorwand zur Auflösung, auch wenn sich hinterdrein herausstellt, daß es kein strafbares Vergehen ist. Nun wird alles auf die Handhabung des Gesetzes ankommen. Es sragt sich, welche Behörden entscheiden. In Sachsen sind das die ort- lichen Polizeibehörden, die Kreishauptmannschaften und der Minister des Innern. Wir haben ja auch ein Öberverwaltungsgericht, um dessen Schaffung der Abgeordnete Schill sich große Verdienste erwarb. Ihm ist ober nicht vergönnt, sich in Vereins- und Vcrsammlunassachcn zu be tätigen. Durch H 76 Ziffer 5 des Verwaltungsrcchtspflegegesetzes vom 19. Juli 1900 ist das ausdrücklich ausgeschlossen. Warum, ist leicht zu sagen. Der Graf Beust sagt in seinen Lebenserinnerungen, daß er die Trennung von Justiz und Verwaltung nicht liebe, weil dir Gerichte leicht „zu abstrakt" entscheiden. Diese Umschreibung von „objektiv" ist sicherlich sehr fein und des Diplomaten würdig. Die sächsische Regierung und die konservative Kammermehrheit befürchteten offenbar auch eine „zu abstrakte" Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts in Vereins und Versammlungssachen. Deshalb schlossen sie die Zuständigkeit des OberverwaltungSgerichteS auS und überließen die letztinstanzliche Ent scheidung dem — Polizeiminister. Wir können aus der Hand des Reichs gern jedes Berrinsrecht annehmen, wenn es nur mit dem K 76 Ziffer 5 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes aufräumt. Ohne Eröffnung eines vernünftigen Instanzenweges nutzt uns das beste Gesetzt nichts Portugal. Dom Carlos I. und sein Minister Joao Franco versuchen gegen- wärtig, ohne Budget und Kammer das Königreich Portugal und Algarve zu regieren. Es ist für einen Minister ein sehr bequemes Ding, nichi erst die beiden Kammern um jeden Posten befragen zu müssen, und Joao Franco hat seinen Souverän von der Bequemlichkeit dieses Regimes anscheinend vollkommen überzeugt, denn Dom Carlos, dem außer einigen Amours sonst nicht gerade große Züge der Leidenschaftlichkeit nach gerühmt werden, ist von einer sehr großen .Heftigkeit und Zähigkeit in 'einen absolutistischen Neigungen be'allc» worden, die kein Mensch in ihm luchte. Gegenwärtig scheint das Zerwürfnis zwischen dem Kabinett Franco und den konstitutionellen Parteien des Landes den Siedegrad erreicht zu haben, denn trotz aller offiziellen Beschwichtiaungsnachrichten weiß die Welt, daß Portugal am Vorabend der Revolution steht. Herr Franco spielt ein gefährliches Spiel, und wer die politischen Zustände Portugals kennt, zweifelt nicht daran, daß man im Volke auf einen Schelmen anderthalben setzen und Herrn Franco in noch schärferer Tonart die Antwort geben wird, als er sie durch den Mund des Königs anschlagen läßt. Die politischen Reibereien haben ein pikantes Zwischenspiel auf- zuwcisen. wenn die Nachrichten von der Verbannung des Kronprinzen Ludwig Philipp sich als wahr erweisen. Der junge Thronerbe ist mütterlicherseits ein Orleans, und man weiß, daß ^ie Orleans es von scher geliebt haben, mit der Popularität im Volke stark zu" kokettieren. Ter junge Herr hat cs versucht, den Anwalt des Volkes an den Stufen des Thrones zu spielen, leider nicht mit dem Erfolge, den er und seine Ratgeber gewünscht haben. Der König geriet in Zorn und hat an scheinend den Sohn Amelias böse angelasten. Das hat indes wenig zu sagen, wenn es auch bester gewesen wäre, Dom Carlos hätte seinem Sohn nicht die Gelegenheit gegeben, sich als Mär- ihrer des Konstitutionalismus nun in allen Höhenlagen feiern zu lasten. Donha Amelia ist viel zu klug, um eine dauernde Verstimmung zwischen Gatten und Sohn bestehen zu lassen, und der Dynastie dadurch das Fundament unnötig zu erschüttern. Sie hat um des lieben Friedens im Hause und des Ansehens der königlichen Familie willen selbst schon Opfer gebracht, die ihr als Frau vielleicht nicht ganz leicht geworden sind. Man erzählt sich davon in Lissabon allerlei Historien, die nicht nach Erfindung schmecken. Tom Carlos I. hatte bisher nur mit den Sorgen zu tun, welche die Finanzen Portugals seit Jahren den Staatsmännern am Tejo brach ten. Es ist merkwürdig, aber eine Tatsache, daß das portugiesische Volk, das im privaten Leben und Handel fleißig und sparsam ist und in dem der Drang, ein Vermögen zu erwerben, auch im letzten Hafenarbeiter unwiderstehlich herrscht, in seinen öffentlichen Finanzen keine Ordnung ,u schaffen weiß Der Portugiese hört es zwar nicht gern, wenn man teinc Staatsanleihen im Werte mit den Serben und Griechen auf einer Linie marschieren läßt, aber wir Deutsche wissen ein Lied davon zu singen, was portugiesische Staatspapiere vertrauensseligen Kapitalisten kosten. Diese ewige Finanznot herrscht aber schon so lange im Staate, daß sic als etwas Natürliches und Selbstverständliches empfunden wird. Sic ist es jedenfalls nicht, welche das Volk in die leidenschaftliche Er regung gegen die Krone getrieben hat. Tie ganze Richtung in der Poli tik, welche Dom Carlos cinschlug, paßte der großen Mehrzahl der Por tugiesen nicht, denn ihr Kennzeichen ist die unverhüllte Abhängigkeit von England, und da König Eduard auf die intimsten Beziehungen mit dem spanischen Nachbarland«: Wert legt, so ist die Alliance zwischen Dom Carlos und König Eduard so unpopulär wie möglich, weil feit Jahrhunderten der Portugiese den Spanier leidenschaftlich haßt und alles in der Politik verwirft, was auf einen Gleichklang mit spanischen Wünschen hinzielt. In keinem Lande Europas nimmt aber das Volk so leidenschaftlich in der Politik Partei, wie in Portugal. Es gibt dort politische Gruppierungen, die in jedem anderen Lande undenkbar wären, und die Tradition hat diele Parteiungen so geheiligt, daß jeder Por tugiese schon in einem Alter Stellung zu ihnen nimmt, in dem die Jugend anderswo andere Ziele ihrer Leidenschaften kennt. Nun ist Dom Carlos die Marschroute genau porgeschriebcn durch den Willen des Königs Eduard. Er ist nur eine Größe iu den Rechnungen des Britenkönigs, und wenn auch die Freund- ichait mit England feit den Zeiten oes gemeinsamen Kampfes gegen Napoleon I. geheiligte Tradition ist, so ist den Portugiesen unserer Tage doch die Abhängigkeit vom englischen Willen ein wenig zu reich lich ausgefallen. England hat von jeder in Portugal nur eine Pforte zu militärischem oder diplomatischem Einfall in Spanien erblickt, nnd wird sich auch in Zukunft unter keinen Umständen dieses bequeme Tor versperren lassen. Es ist geradezu englisches Interesse, die Portugiesen nie zur Ruhe kom men zu lasten, um sie in der Abhängigkeit zn erhalten, welcke den eng lischen Diplomaten dienlich erscheint. Die Portugiesen haben sich im Andenken an die Zeiten stolzer Unabhängigkeit oft genug gegen dieses Vasallenverhältnis zu England gesträubt, und die Wortführer dieser Bewegung waren großen Beifalls stets gewiß. Die nüchterne Wirk lichkeit aber zwang die Regierung Portugals, doch immer wieder neue Flicken sür das alte Gewand in England zu borgen, denn England ist der einzige Geldmarkt, auf dem die portugiesische Regierung Deckung für ihren Bedarf ausgiebig findet. Freilich, sie trauen dem guten Freunde an der Themse alles Gute zu. Sie wissen, daß England keinen Augenblick zaudern würde, wenn e? ihm gut dünkt, die Häfen Portugals zu Stützpunkten seiner kriegerischen Operation zu machen und zu besetzen. Dieses Mißtrauen gegen England war bis heute stark genug, das Anerbieten englischer Kapitalisten, die qe^äbr. lichen Klippen und Sandbänke vor dem Hafen Oportos zu beseitigen und dadurch alljährlich der Schiffahrt Gefahren und Opfer zu ersparen, glatt abzulcbnen. Man füblt sich in Oporto gerade wegen der schwierigen Einfahrt sicherer vor einer englischen Okkupation. Eine Zeitlang, als die Welt auf den Ausbruch des offenen Konfliktes zwischen Berlin und London wartete, wurde daher 'Deutschland sehr populär bei den Por tugiesen. Aber trotz des Kaiserbesuches in Lissabon wußte man in Berlin genau, was man von der portugiesischen Freundfchast zu halten habe. Portugal ist nnd bleibt die Domäne Englands, und wenn Toni Carlos ein absolutistisches Regime eingeführt hat, um seinem Willen Geltung zu verschaffen, so hat er es sicherlich nicht getan, ohne sür den äußersten Fall sich die englische Unterstützung zu sichern. Er weiß ganz genau, daß seine Politik im Volke höchst unpopulär ist Kein Wunder bei einem Volke, in dem noch heute die Erinnerung an die 60 Jahre spanischer Herrschaft zu den größten Schrecken gehört, in dem alles, vom Bettler bis zum Granden, von einer tiefen Abneigung, ja, einem fanatischen Haß gegen den Nachbarn auf der iberischen Halbinsel erfüllt ist. Wenn König Eduard mit Spanien auf schlechtem Fuße stände, so wäre zwischen Tejo und Minlw keine Politik populärer, als die der engsten Annäherung an das Londoner Kabinett. Nun herrscht aber die blonde Ena von Battenberg als Königin von Spanien und kann bei der notorischen Erkrankung des jungen Königs, der an Tuberkulose leidet, sehr bald die Herrschaft tatsächlich übernehmen müssen. König Eduard hat diele Ehe zwi'chen dem jungen Bourbon und seiner Nichte nicht ohne gute Gründe gestiftet. So sehen sich die Portugiesen, wenn sie dem Willen Eduards von England folgen wollen, genötigt, ihre Jahr hunderte alte Abneigung gegen Spanien in die Rum- pelkammer zu werfen, und da der König von Portugal selbst diese Wünlihe seines englischen Freundes unterstützt, so darf er sich nicht wun dern, wenn sein getreues Volk ihm sehr offen seine Gefühle verrat Und den Portugiesen ist der Bürgerkrieg nichts so sebr Ungewohntes.
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