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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 29.11.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-11-29
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19071129015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907112901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907112901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-11
- Tag1907-11-29
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Ausgabe L. Bezug--Preis iür Leiv^g und Vorort« durch miftr« LrSgee und Spediteur« in« Hau» gebracht: Au»gab« a (nur morgen») dierteljthrltch 3 LL monatlich 1 M. '.'iurgade k (morgen» und abend») viertel jährlich 4.56 M. monailtch 1.50 M. Durch di« »oft begoaeu 2 mal täglich) innerhalb Deutschland« und der deutschen Kolonien vierteljährlich 5,25 M. monatlich 1.75 M. autschl. Post- Bestellgeld >ür Oesterreich 0 L 66 tu Ungar» 8 L vierteljährlich. Abonnement-Annahm« Vugustulplatz h, bei unseren Drägern. Filialen. Spediteure» und Annahme stellen, ww>e Postämtern uud Briefträgern. Die einzelne Nummer rostet tO Psg. sttedakttvn uud «rvedUtou: Iohanntlgaste 8. Delevkwn Nr. I4SS2 Nr. 14«k Nr. I4LS4. Berliner Nedakttou» Bureau: Berlin 7 Prinz Loui» Ferdinand Straste 1. Telephon I, Nr 6275 WpWtrTaAtblM Handelszeitung. Amtevsatt des Nates und -es Nalizeiamles dek Lta-t Leipzig. 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Bericht.) * Als Nachfolger des Kultusministers v. Sch lieben wird durch unverbürgte Gerüchte Herr Geh. Rat Professor Dr. Wach bezeichnet. lS. Dtschs. R.) * In der gestrigen Sitzung des Bundesrates wurde dem Entwurf eines Gesetzes über die Handelsbeziehungen zum britischen Reiche zugestimmt. * Die „Erhebung" des Landbundsührers Dr. Roes icke in den Adelsstand wird als bevorstehend bezeichnet. lS. Dtschs. R I * Sämtliche marokkanische Stämme haben sich an der algerischen Grenze vereinigt, um energisch gegen die Franzosen vorzugehen. lS. Ausl.s * Im österreichischen Abgeordnetenbanse haben sich gestern Lärmszencn ereignet. lS- Ausl.s Der erste Tag -er Ltatsberatunaen. Die erste Debatte großen Stils. Daß es sich am Donnerstag im Reichstage um wichtige Dinge handeln werde, wurde sehr bald durch den Anblick des Hauses klar. Stark besetzte Bänke im Saal, die Bundcsrals- lridünen uber'uitt. Nur die öffentlichen Tribünen ze.grcn nicht die Be setzung, die man nach den Ereignissen des Tages haue erwarten können. Man halte nämlich allgemein das Eingrciscu des Kanzlers erst für den zweiten Tag der Beratungen erwartet. Die Bundesratssessel reichten nicht aus, um die Menge der Sitzberechtigten aufzunehmcn. Nur der Platz des Kanzlers blieb zunächst noch frei. Sonst aber waren alle Sterne der amtlichen Berliner Politik rechtzeitig aufgegangen. Auch der neue Staatssekretär des Acußern Herr v. Schoen war erschienen. Ein weißhaariger Herr mit gesunder Röte des Gesichts; der straffe weiße Schnurrbart gibt ihm das tyvifcyc Anssevcn eines älteren Offiziers in Zimt. Tie Gelehrtensigur B e t h m a n n - H o l l w e g s sitzt nzb.n dem ;ugendlichen in vollem Schwärzen Haarschmuck prangenden preußischen Finanzminister Frhrn. v. Rheinbabcn. Dernburg taucht aus. Nur der K r i e g s m i n i st e r, den die Sache doch eigentlich auch angeht, iehlt. Während der einleitenden Rede des Reichsschaysckrctärs Frhrn. o. Stengel, der noch undeutlicher spricht, als man cs an dem alten Herrn schon gewöhnt ist, erscheint auch der Kanzler. Er sieht ciwaS schlanker aus. Tie Gesichtsfarbe ist von gesünderem Not. Nur auf dem Haupt lichtet sich der Schmuck der gescheitelten Haare. Auch hält sich der Fürst neuerdings nicht mehr so gerade. Leicht sinkt der Kopf nach vorn. Die Rede des Reichsfinanzverwalters klang recht elegisch, überall Defizit, lieber die neuen Steuerpläne wurde noch keine endgültige Klarheit geschaffen. Nur so viel glaubte Jrhr. v. Stenael sagen zu oü'fen, daß das indirekte Steuersystem ausgebaut werden foll. Direkte Reichssteuern werden wegen des angeblichen Eingriffs in die Rechte der Einzelsiaatcn abgelehnt. Dann kommt der Marinestaatssekrctär von Trrpltz. der sich kurz faßte mit seiner Begründung der neuen Marrne- vorlage. Die Hauptaufmerksamkeit konzentrierte sich vorläufig noch nicht auf die Marinevläne Mit dem Auftreten des Zentrumsredners Spahn begann die Stellungnahme der Parteien. Wer nicht nur Worte, sondern zu den Worten auch Plan und Ziel zu hören versteht, wird sehr bald einen leitenden Faden in der Spuhnschen Rede erkennen: das Zentrum will seine alte Stellung zurückgewinncn; aber es setzt leine Hoffnung nicht auf den Kanzler, sondern auf einen Höheren, den es für sich und gegen den Kanzler einnehmen möchte. Darauf ist alles zugeschnitten: es gibt keine Kamarilla, ausgeschlossen bei Seiner Majestät, dem man dankbar zu sein hat für seine Gleichstellung der Konfessionen. Und so weiter. Die Rede ist in dieser Be ziehung ein Meisterstück parlamentarischer Diplomatie. Aber was in pontiver Beziehung gutgemacht wurde, bekam ein Loch durch die Kritlk anläßlich des Moltke-Harden-Prozcsses. Herr Spahn vergröberte und verallgemeinerte denn doch die unleugbare Bloßstellung einzelner Militärs zu stark und bot damit dem Fürsten Bülow den sicher nicht unerwünschten Anlaß zum Eingreifen. Fürst Bülow wartete nur noch die kurze Erklärung des konservativen Sprechers Freiherrn von Richthosen ab. Dieser lehnte, wie die Regierung, direkte Reichs steuern ab. Bemerkenswert war für einen Konservativen immerhin die Forderung, Bloßstellungen, wie sie im Moltke-Harden-Prozeß vorge- »ommen seien, müsse entgegengetreten werden, obne Ansehen der Person Dieser Hieb bestätigte unsere bei früherer Gelegenheit ausgesprochene Ansicht, es könne sich keine Fraktion im Parlament finden, die eine Rücksichtnahme auf die Abstammung und Stellung der belasteten Pots damer Offiziere billigen werde. Für st Bülow antwortete dem Ab geordneten Spahn in einer Weise, die deutlich das Verständnis für die Zentrumspläne verriet. Und mit geschickter Hand griff der Kanzler die markierten schwachen Stellen der Spahnschen Rede heraus. Leider bot die Rede, was positive Aufklärung anlangt, nur recht dürftiges Material. Der Kanzler wollte in dieser Beziehung dem leider fehlenden Kriegs minister nicht vorgreifen. Man wird also abzuwarten haben, was Herr o. Einem zu sagen hat. Daß er einen schweren Stand haben wird, haben wir schon ausgesprochen. Auch Herr Basser mann, um das hier oorwegzunehmen, ließ darüber kein Hehl in seiner glänzenden Rede. Er betonte genau, in Uebereinstimmung mit uns, daß zum mindesten der Fall des Majors Grasen Lynar, dessen Bursche um Enthebung von leinem Posten nachgesucht hatte, nicht verjährt sein könne. Aber warten wir auf Herrn v. Einem. Die Rede Basser man ns war von einer Irische und Unbefangenheit, daß die ganze Linke, selbst manchmal die So- zialdemokraten mitgerissen wurden. Sehr eindrucksvoll war die Erklärung BassermannS, über die Reform der Spiritus besteuerung ließe sich reden. Aber die Zigarrenbanderolcsteuer werde seine Fraktion ablehnen. Er sage daS so frühzeitig, damit die Ne gierung Bescheid wisse. Basiermann ließ sich auch nicht durch die Er klärung v. Stengels abschrecken, von neuem sehr energisch direkte Reichs steuern, im besonderen eine Reichsvermögenssteuer zu fordern. Seine Beurteilung der Aussichten einer Ausdehnung der Neichserbschaftssteuer auf Deszendenten und Ehegatten war Wohl etwas zu pessimistisch. Denn das Zentrum ist in dieser Frage bereit, mitzugehen, weshalb es doch wohl angebracht sein dürfte, in eine Erwägung dieser Angelegenheit ernst haft einzutreten. Der Redner kennzeichnete auch sehr glücklich die Wort- sechterei, ob die Neichserbschaftssteuer eine direkte oder indirekt« Steuer sei. bestritt entschieden, daß der föderative Charakter des Reiches unter der Einführung direkter Reichssteuern litte, und stellte fest, daß das Reich «rotz der Einführung der Erbschaftssteuer immer noch nicht zugrunde gegangen sei. Die Erklärungen des nationaliberalen Führers zum Moltke-Harden-Prozeß ließen an Entschiedenheit nichts zu wünschen übrig. Er räumte auch endlich mit der Ansicht aus, als halte sich die nationalliberale Fraktion für verpflichtet, die ganze Vertuschungs- und Verzerrungspolitik mitzumachcn. Es war ausgezeichnet, daß Herr Bassermann feststellte, die Staatsraison verlange in solchen Fällen ein öffentliches Gerichtsverfahren, womit im übrigen nicht gesagt sein solle, daß nicht einzelne Partien des Prozesses hätten unter Ausschluß der Oesfentlichkeit verhandelt werden können. Auch mißbilligte Herr Basier- mann aufs schärfste das nachrägliche Eingreifen der Staatsanwaltschaft in den Prozeß. Man müsse einmal von den agierenden Personen qanz absehen, um sofort das Unhaltbare des Vorgehens zu begreifen. Sehr scharf klang, was Herr Bassermann über die Behandlung der Fälle Hohenau und Lynar sagte. Das Geld der Etatssorderungen wird doch im Parlamente nicht bewilligt, um so belasteten Personen Pensionen zu zahlen. Herr Bassermann kritisierte auch das Verhalten des Militär kabinetts, das den Ausschluß bürgerlicher Elemente aus manchen Offi zierkorps zulasse oder fördere, in diesen Fällen aber völlig versagt habe. Sollte der Kanzler und der Kriegsminister in diesen Fällen Schonung, etwa aus Blockrücksichten, erwartet haben, so haben sie sich getäuscht. Darüber ließen die drei Reden gar keinen Zweifel, und die Reden der noch ausstehenden Parteien der Freisinnigen und Sozialdemokraten werden wohl nicht sanfter klingen. Es ist Zeit, den Militärmantel der christlichen Liebe aufzuheben. Der Schluß brachte noch eine gereizte Erklärung Spahns gegen den Kanzler und damit noch einmal eines der wichtigsten politischen Er gebnisse dieses hochpolitischen Tages zum Ausdruck: Der Riß zwischen dem Zentrum und der Regierung ist eher weiter als enger geworden. Was uns außerordentlich er freulich dünkt. Der Fall Aatho. Zwei Jahre bewegt jetzt der Fall Jaiho das Interesse der evange lischen Kirche im Rheinland, und auch über die Grenzen dieser Pro- vinzialkirchc hinaus hat er während dieses Zeitraumes wiederholt be rechtigtes Aufsehen gemocht. Ist er doch geradezu typisch dafür, wie man von orthodox-kirchlicher Teile aus verfährt, um ba!s auf diese, bald aus jene Weise einen dogmatisch freier stehenden Geistlichen, der eine überaus segensreiche Tätigkeit entfaltet, in seiner Wirksamkeit zu hemmen und, wenn möglich, ihn um Amt und Brot zu bringen. Die jetzt zum Fall Jatho, wie wir schon kurz meldeten, von dem Verein für evangelische Freiheit veröffentlichten Aktenstücke legen dafür ein bereutes Zeugnis ab. Es verlohnt sich, auf sie einzuachen. Schon der erste Akt dieses kirchlichen Dramas ist überaus charakte- ristisch für das geistige Niveau von dem aus der Kampf Hegen Jatho eröffnet wurde. Zwölf Jakre hatte er unangefochten zum ^egen keiner Gemeinde wirken können. Man tonnte dem in seinem Amt treuen Mann nicht beikommen. Ta gab sich eine Gelegenheit, die durch die auf orthodoxer Seite so beliebte Vermischung politischer und kirchlicher -Fragen zum Angriff passend schien. Eine beifällige Besprechung, welche die >chon IM und 1901 im Druck erschienenen Predigten Jathos im Sommer IM in der sozialdemokratischen „Rheinischen Zeitung" landen, wurde zum Vorstoß gegen den freimütigen Pfarrer benutzt. Man denke sich auch das furchtbare „Zeichen der Zeit" — ein sozialdemokratisches Blatt lobt einen Pastor! Das muß ja der reine Antichrist sein! Die orthodoxe „Reformation" bezeichnete venu auch Jatho alsbald als den „Jrrgeist am Rhein" und rief, zwar nicht die Polizei, aber dafür — das Kirchenreaiment zum Einschreiten auf. Ihr sekundierte das in Siegen erscheinende „Kirchliche Monatsblatt" mit einem effektvoll „Jatho, Wcinel und die Sozialdemokratie" überschriebenen Aufsatz. Nun war das Feuer angczündet, auf dem der Ketzer verbrannt werden sollte. Aber das Kirchenregiment verfuhr zunächst rein seclsorgerlich. Ter Generalsuperintendent hatte mit Pfr. Jatho eine längere Besprechung über seine dogmatische Stellung, ohne daß Weiteres gegen Jatho erfolgte. Das veranlaßte das Stöckerschc „Volk" zu der Legendenbildung, Jatho habe die in seinen Predigten vertretenen Anschauungen widerrufen, und als dies nichts fruchtete, brachte einige Zeit darauf die „Reformation" die dann durch eine Untersuchung als „verleumderische Erfindung" nach gewiesene Nachricht, Jatho verändere willkürlich die Taufformel, er wage schon zu taufen im Namen der Wahrheit, anstatt nach der trini- terischen Vorschrift. Aber das alles blieben Anschläge, die nur so viel erreichten, daß dos Kirchenregiment, ohne indes Jatho zu einer Antwort aufzufordern, ihn ermahnte, sich ernstlich zu prüfen, ob er durch seine Stellung zu dem kirchlichen Bekenntnis die ihm obliegenden Pflichten eines Geistlichen der Landeskirche nicht verletze. Im übrigen schien Ruhe einzutreten. Aber sie währte kaum ein halbes Jahr. Der Umstand, daß Pfarrer Jatho am 5. Oktober IM im Rahmen der seit mehreren Jahren in Köln stattfindcnden religionswissenschast- lichen Zyklen einen Vortrag über die Bedeutung des Abendmahls hielt und in diesem Vortrag im Anschluß an modern rheologische An schauungen sich auf einen radikalen Standpunkt stellte, veranlaßte ein wahres Kesseltreiben gegen ihn. Zunächst protestierte gegen Jathos Vortrag ein orthodoxes Mitglied des Presbyteriums. Dann wandten sich die sechs orthodoxen Amts genossen Jathos mit einer Erklärung an die Oefsentlichkeit, in der sie behaupteten, Jatho habe in seinem Vortrag „dem Sakrament des Abend mahls das Herz herausgebrochen und dadurch großes Acrgernis er regt". Dieser Erklärung schlossen sich gutwillig alle orrhodoxen Laien- Presbyter in besonderer Erklärung an, während die liberal gerichteten Mitglieder des Presbyteriums in einer Gegenerklärung den Pfarrer Jatho auf das entschiedenste gegen diese Vorwurfe in Schutz nahmen und für ihn beanspruchten, daß er seine religiösen und wissenschaftlichen Ueberzeugungen ebenso vorbehaltlos verfechten dürfe, wie das seitens seiner gegnerischen Amtsgenosien in Köln geschehe. Aber bei diesem lokalen Streit blieb es nicht. Drei Mitglieder der evangelischen Kirchengemeindc verklagten Jatho jetzt, am 13. Dezember IM, beim Evangelischen Oberkirchenrat zu Berlin, und ein viertes Gemeinde- glied machte diese Kirchenbchörde in einer weiteren Eingabe auf einen neuen Vortrag aufmerksam, den Jatho am 19. Dezember 1906 über die Wundererzählungen der Bibel gehalten hatte. Nun endlich war man am Ziel! Die kirchliche Untersuchung begann und ihr Resultat war ein gegen Jatho am 8. August 1907 erlassener Konsistorialentscheid, der sich scharf gegen Jatho wendet. Der Entscheid anerkennt nicht den wissen» schriftlichen Charakter des Vortrages. Er behauptet, Jatho habe wissen müssen, daß der Vortrag Anstoß erregen werde, und habe den Schein hervorgerufen, als sei es ihm darum zu tun gewesen, vor allem „den gegen die kirchliche Ueberlieferung und Ordnung gerichteten Instinkten seiner Zuhörer Befriedigung zu verschaffen". Dann droht der Entscheid für den Wiederholungsfall mit einem Disziplinarverfahren aus Ent fernung auS dem Amt und schiebt Jatho von vornherein alle Schuld zu, wenn Gemeindeglieder um seinetwillen dann die Kirche verlassen sollten und „bei haltlosem Freidenkertum anlangen" werden. — Natürlich ist dieser überaus scharf gehaltene und nach keiner Seite hin gerecht abwägende Bescheid nicht ohne Antwort geblieben. Vielmehr haben die liberalen Mitglieder des Presbyteriums nachdrücklich gegen ihn protestiert. Und dieser Protest verdient, Widerhall in allen liberalen Kreisen zu finden. Denn hier wird nicht nur der Versuch gemacht, die freie theologische Aussprache des Geistlichen bei seiner Amtstätigkeit zu unter- binden, sondern auch dort, wo er wissenschaftlicher Arbeit dienen will. Jatho hat seine Anschauungen über das Abendmahl nicht etwa von derKanzel auS verkündet, oder im Unterricht — wo er der Gemeinde und damit allen Gliedern der evangelischen Kirche zu dienen hat, — sondern im Rahmen eines Vortrags, der religionsgeschichtlichen Aufgaben gewidmet war. Hier bei aljo, wo es sich nur um Erläuterung wissenschaftlicher Fragen, wenn auch in mehr populärer Form, handelte, hat er einen Ueberolick über den gegenwärtigen Stand der historischen und exegetischen Forschung in der Abendmahlsfrage gegeben und am Schluß seine eigene positive Auffassung entwickelt, nach der er der Feier des Abendmahls nicht seinen religiösen und ethischen, Wohl aber den sakramentalen Charakter nehmen möchte, den er nur noch für einen Teil der Gemeinde- glicder besitzt. Ja — wenn eine derartige Erörterung im wissenschaftlichen Rahmen und im Kreise von Männern, die zu religionsgeschichtlichen Er örterungen zusammengekommen sind, dem evangelischen Pfarrer nlch mehr gestattet sein darf, wenn es vielmehr geschehen kann, daß au> Grund deS Anstoßes, den an solchem Vortrag einige wissenschaftlich anders gerichtete Theologen oder wissenschaftlich gar nicht vorgebildete Laien angeblich genvmmen haben, ein Konsistorium mit der Drohung der Amts entsetzung einschreiten darf, wohin ist es dannmitder freien Forschung in der evangelischen Kirche gekommen! Dann sehen wir keinen Unterschied mehr gegen die Gewlsiensknechtuug in der Kirche Roms! Waren schon die früheren „Fälle" schlimm genug, die in der evan gelischen Kirche für das bedrohliche Wachstum einer unduldsamen ortho doxen Macht sprechen, so handelt es sich bei ihnen doch noch um Aeußc- rungen der Klrchenregierungen gegen das Austreten von angeblichen Irrlehren auf der Kanzel oder im kirchlichen Amt. Und so wenig man in der Sache mit dem Verfahren der Kirchenbebörden einverstanden sein konnte, sie konnten immer noch formell Entschuldigungen vorbringen. Hier aber liegt es ganz offen zutage, daß man auch schon die wissenschaft lichen Vorträge evangelischer Pfarrer vor einem wissenschaftlich inter essierten Kreis unter kirchliche Polizeiaufsicht zu stellen sucht und gegen sie vorgeht, wenn ihr Inhalt dem Stand theologischer Erkenntnis nicht entspricht, der vor Hunderten von Jahren obwaltete, als man die Kirchenlebre schuf! ' Will man nicht, daß dieses völlig unprotestantischc Ber- fahren des rheinischen Konsistoriums und sein dem Geist des Evange liums widersprechendes Verhalten der Anfang einer für den Bestand der evangelischen Kirche höchst gefährlichen Praxis wird — so muß man in einmütiger Weise gegen diese vorläufige Erledigung des Falles Jatho protestieren. Deutsch«- Reich. Leipzig, 29. November. * TuS Fiasko der Paasche-Patzigsche» Lteuer-Retar« wird immer ärger. Im Finanzausschuß der bayrischen Abgeordnetenkammer gab der Finanzminister zu, daß sich aus der Ortsportoerhöhung nickt die erwartete Üinnahmeerhöhung ergeben hat. Ferner verbreitete sich der Minister über daS Tinten der Teiepkonrente und betonte, daß eine Reform des Telephontariss unabweislich fei. Die bayiiscken Vorschläge seien von den anderen Verwaltungen im wesent lichen angenommen worden. Die Prüfunasorduung für die mittleren und unteren Beamten der preußisch-hessischen Eisenbahnverwaltung ist dahin abgeändert wor den, daß zunächst die Zivlisupernumerare mit dem Reifezeugnis für die Oberprima einer neunstufigen höheren Lehranstalt in der Reihenfolge der Aufzeichnung zur Einberufung gelangen. Die andern Bewerber ge langen mit ihnen zur Einberufung, sobald ihre Wartezeit drei Jahre beträgt. Für die bis Ablam dieses Jahres vorgemerkten Bewerber gelten die bisherigen Prüfungsbestimmungen. * Ter Nachfolger Herrn v. «chliebens. Als Nachfolger des Kultus ministers v. Schlicken wird u. a. auch Herr Geb. Rat Professor Dr. Wach genannt. Die Meldung ist vorläufig noch nicht zu kontrolliereu, gewinnt aber dadurch nickt an Wahrscheinlichkeit, daß Wach bereits vor etwa 18 Jahren als Kandidat für den Posten des sächsischen Kultus ministers genannt wurde. Man erwartete vielsacb seine Ernennung ebenso nach dem Rücktritt des Kultusministers v. Gorber 1895. * Jur badischen Präsidentenwahl gebt uns die interessante Mit- teilung zu, daß vor der Wahl die sozialdemokratische Fraktion und ins- besondere Herr Geck selber sich bereit erklärt batten, die verfassungs mäßigen, zeschästsordnungsmäßigen und gesellschaftlichen Pflichten des Präsidiums in vollem Umfange auf sich zu nehmen, vor allem auch sich an einer Deputation zur Begrüßung des neuen Großberr ogs zu beteiligen. Zu selbst jeder künftigen Erweiterung dieser Amts pflichten wollten die Sozialdemokraten sich im voraus unterwerien. Aber alle Zugeständnisse kamen zu spät, und der Ehrgeiz der roten Partei bleibt für diese Session unbefriedigt. Weder Herr Geck, noch ein anderer seiner Parteifreunde wird daS Angesicht seines Monarchen zu sehen bekommen. * Badischer Landtag. Zu Benin» der gestrigen Sitzung der Zweiten Kammer widmete Präsident Fehrenbach dem velstorbenen Gcoßderzog einen lies empsundenen Nachruf und drückte dem neuen (Äroßherzog daS Gelübde der Treue aus. Sodann entwickelte der Finanzminister die Lage der barücken Finanzen und führte aus: Die Finanzlage befindet sich seit dem Jahre IM i,n aussteigender Linie. Im Jahre 1906 betrug der Einnahmeüderschuß im ordentlichen Etat 5 900 000 und reichie zur Benreilung der außerordentlichen Ausgaben nicht nur völlig aus, sondern »S sind davon nock 900000 zur Vermehrung des Betriebsfonds verwendet worden. BerschlecktertwtrddasBild durch die finanzielle Notlage des Reiches, und eS ist notwendig, das Reich endlich finanziell auf die eigenen Füße zu stellen. Baden ist dnick das Reich infolge der gestundeten Matrilularbeiträge, durch die Erhöhung des Biersteuerau-gleicheS und durch die Einführung der ReichSerbschaits- steuer ohnedies betastet. Durch die beiden letzten Tatsachen wird der badische Haushalt dauernd vom Jahre 1910 ab mit etwa 2 Millionen Mark jährlich mehr belastet. Die Ausgaben deS EilenbahnbetriebeS sind zu 78,52 Millionen, die Einnahmen zu 106,16 Millionen Mark veranschtagt, so daß ein Ueberschuß von 27,61 Millionen Mark verbleibt. Die ordentlichen Ausgaben sind im Budget für 1908/09 mit jähilich 85 853 193 vorgesede», die Ein nahmen mit 87 877 71 l .^l: somit beträgt der ordentliche Etnnahmeübrrschuß ür die beide» Jahre zusammen 4 019 036 .41 Die außerordentlichen Ausgaben für 1908/09 betragen 11763 555^1, die außerordentlichen Einnahmen 1 602 320.^1, somit der Ueberschuß der außerordentlichen Ausgaben 10 161 235 Für die Budgrtperiod« ergibt sich also rin Fehlbetrag von 6112199 * Bus dem -rentzischen Adgeorduetenhause. Die Konservativen interpellierten die Regierung wegen deS Bankdiskonts und verlangen Einschreiten gegen Rechtsverletzungen auswärtiger landwirtschaftlicher Arbeiter uud die Vorlegung eine- KontraklbruchgesetzeS für inländisches Gesinde. * LecomteS Nachfolger. Als Nachfolger des Raymond Lecomte wurde der BotschaltSsekretär Theodor Berckheim zum französischen Botschaftsrat in Berlin ernannt. E- ist eia «östlicher Ulk deS SaiirilerS Clemenceau, daß er Herrn Lecomte ausgerechnet in die für ihn doppelt Nässliche Stadt deS AlcibiadeS versetzt hat. * Freiherr ». Nösicke. UnS geht folgende Nachricht zu: Der Vor sitzende des Bundes der Landwirt« und NeichStagSabgeordnete Dr.
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