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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 17.03.1907
- Erscheinungsdatum
- 1907-03-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190703170
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19070317
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19070317
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-03
- Tag1907-03-17
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BezuqS-PreiS für Leipzig »»» «orome: Z» der Hanvt- ExprdUi»» »der der,» Än»gadesirÜen ab- gehoU «o»atUch: A»dgabe (» mal tügltch) 70 M., «»«gäbe ü mal «»glich) 80 Ps^ bei Zustellung in» Haas Ausgabe 80 Pf., Ausgabe 8 1 Mark. Durch unser« au»« wSrltgeu Ausgabestellen und durch die Post bezogen (1 mal taglich)innerbalb Deutschlands monatlich 1 Mark a>r»schl. Bestellgebühren, für Oesterreich-Ungarn KL Süd viertrljädrlich, die übrigen Länder laut ZritungSpreiSlist«. Diese Rümmer kotzet auf Sd Sd^L alle» vahudäfeu »ud bet III 71^1 de» Zeitung». Verkäufern «teSttMeu uuv Expedtttua: JohanutSgaff« 8. Telephon Nr. 1Ü3; Nr. LL2, Nr. 1173. Berliner LrdattionS-Vureau: Berlin HAk. 7, Prinz Laut» Ferdüuuch- Straßr 1. Telephon I. Nr. W75. Morgen-Ausgabe 8. und Handelszeitung. Amtsblatt -es Mates UN- -es Natizeiamtes -er Lta-t Leipzig. UtWiger Anzetgen-PreiS die «gespaltene PetitzeU« für Geschäft«- inserate au» Leipzig und Umgebnng 2ü Pf, FamUien^ Wohnung«- ». Etelleu-Anzetgra, sowie An- und Verkäufe L0 Pf, finanziell« Anzeige« 30 Pf, für Inserate von ouSwärt« SO Pf. Reklamen 7ü Ps, auSwärt» 1 Nturk. Beilage gebühr 4 Mark p. Tausend exkl. Postgebühr. Gejchästsanzeigen an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Tarif. Für Inserate vom Au»Iand« besonderer Tarif. Aizeigen-Annadme: Au»utz»»platz 8, bei lämtltch«, Filiale» ». allen Annonce». Expeditionen de» Ja- »nd A»»lande«. Für da» Ericheiue» an bestimmt«» Tugra u. Plätzen wird kein« Garantie übernommen. Fejiertetlt« Aufträge können nicht znriick- gezoge» werd«. HauZt-Ftliale verttu: LorlDnu cker.Herzgl-kayrDosbmhhandlg» Lützowslraße 10 (Tel. VI, 4603). Fiiial-trrpedt1tamTnwSdeu.Marieaitr.3l. Nr. 76. Sonntag 17. März 1907. Var WMigrte vom rage. * König Friedrich August traf gestern vormittag in OPorto ein »nd besichtigte im Laufe des Tages die Stadt und ihre Umgebung. Der König besuchte dann in Be gleitung de- deutschen Konsuls den Hafen von Leixoes. * Im preußischen Abgeordnetenhaus wurde gestern die Beratung über den Antrag zugunsten der fachmännischen Schulaufsicht sortgejührt. Die Br- ratuuz endete, wie «in Telegramm meldet, mit der Ab- lehnuug de» ÄutrageS. (S. d. des. Art. u. Dtschs. R.) * lieber die Aussichten der Einführung von Flußschiffahrts- abzaben liegen neue Angaben vor. (S. d. bes. Art.) * In der Affäre der gestohlenen Briefe des Generals Seim ist ein Haftbefehl gegen den Registrator Janke erlassen worden, weil er dringend verdächtig ist, sich einen Teil der Briefe im Original durch Erbrechen des Ver schlüsse» angeeignet zu haben. * Die Konservativen intervenierten im Abgeord neten Hause, wie die Regierung die andauernde Steigerung der Kohlenpreise verhindern könne und verlangen, daß die Regierung die Beibehaltung er» mäßigter Eisenbabntarife sür den Export von Stein kohlen und Koks nach dem Ausland prüfen solle. * Auf der Grube Klein-Rosseln in Lothringen und auf dem Mathildeuschacht der Gerharvgrube bei Saarlouis haben sich zwei furchtbare Gruben katastrophen ereignet, die insgesamt etwa 100 Berg leuten den Tod bereitet haben. (S. d. bes. Art.) * In Toulon fand gestern die feierliche Beer digung der Opfer der „Jsna"-Katastrophe statt. (S, Neue- a. a. Welt.) Vie MzzrciMadrtradgaden. Die Entscheidung über das Schicksal dcrJnterpellation wegen der Flußschifsahrtsabgaben steht noch nicht fest. Doch wird sie noch in dieser Woche erwartet. Es scheint bei dieser Sachlage fraglich, ob die Materie noch vor der Osterpause auf die Tagesordnung gesetzt werden kann. Inzwischen sind die politisch rrnd wirtschaftlich an der Sache interessierten Kreise nicht untätig geblieben. So hat in vergangener Woche bekanntlich auf Veranlassung des Dresdner Oberbürger meisters Dr. Beutler in Berlin eine Besprechung der bürger lichen sächsischen Parlamentarier stottgesundcn, bei der sich übrigens herausgestellt hat, daß mit Ausnahme des frei konservativen Abgeordneten v. Liebert die Migtlieder der Rechten doch zum mindesten in ihrer wirtschaftlichen Auf fassung, ihrer ganzen politischen Richtung entsprechend, einer Abgabenerhobung nicht abgeneigt „U sein scheinen. Man hat ja überhaupt in Lieier Frage die wirtschaftlich« von der ver fassungsrechtlichen Seite scharf zu trennen. Soweit die Ver hältnisse im Reichstage sich heut« überblicken lassen, darf man wenigstens annehmcn, daß eine Mehrheit für die Er hebung von Abgaben durch die Cinzelftaaten ohne Ver fassungsänderung nicht zu haben sein wird. Man würde vielmehr in einem selbständigen Vorgehen der Einzel- staaten, in diesem Falle also Preußens, eine Verletzung der Verfassung erblicken, lieber diese Stimmung scheint auch di« preußische Negierung unterrichtet zu sein. Und Fürst Bülow dürfte es nicht auf einen Konflikt ankommen lassen, vielmehr die rechtliche Auffassung der Mehrheit respektieren und im Namen Preußens einen Antrag auf Nenderung der Ver fassung stellen. Wirtscha'Ojch betrachtet, nimmt sich das Bild wesentlich anders aus. Man muß sich mit der Gefahr vertraut machen, daß bei den heutigen Mehrhejtsverhält- nissen im Reichstage für die Flußschifsahrtsabgaben sehr starke Sympathien vorhanden sind. Auch in der national liberalen Fraktion, die verfassungsrechtlich geschlossen stim men wird, sind die Ansichten wirtschaftlich geteilt. Bedenkt man dazu, daß Konservative und Zentrum zweifellos für die Abgabenpolitik sind, so wird man sich eine Vorstellung da von machen können, einen wie schweren Stand die Abgaben gegner im Reichstage haben werden. Bei dieser Erkenntnis, ie nicht etwa den Kampf als aussichtslos auszugeben nötigt, ist e« aber doch geboten, auch di« schlimmen Möglichkeiten zu "rwägen und sich über die dann gebotenen eventuellen Ziele klar zu werden. Kommt cs wirklich zur Erhebung von Flußschifsahrtsabgaben, so haben insbesondere die ualionalliberalen Politiker gemäß der Tradition ihrer Partei und der höheren nationalen Zweckmäßigkeit mit allen Kräften dahin zu wirken, daß die Erhebung dem Reich übertragen wird. Am zweckdienlichsten wäre wohl die Errichtung einer reichsamtlichen Stelle, der die Erhebung und die Verwendung der Abgaben Zufällen würde. Damit wäre wenigstens einer landesgesetzlichen Zer fahrenheit vorgebeugt und ein bestimmender Einfluß deS Neichsparlaments auf die Gestaltung der Abgaben garan tiert, während sonst die Cinzelftaaten doch zueinander in eine recht unbehagliche Abhängigkeit geraten können. Man denke an die schier unüberwindlichen Schwierigkeiten, beute zu einer Eisenbahngemeinschast zu gelangen und an di« bösen Folge» dieses Zustandes. Dann wird man begreifen, wes halb wir beizeiten auk diese Möglichkeiten aufmerksam machen. _ Aber vorläufig ist eS ja noch nicht so weit. Und daS nächste Ziel muß die Vereitelung der Abgabenpläne bleiben. ES ist nun doch recht auffällig, daß bei der unzweifelhaft bedrohten Position der Abgabengegner die sächsische Regie rung sich einer so zartäühligen Zurückhaltung befleißigt. Nicht einnml in ihren eigenen Blättern hat sie mit Ent- schiedeuheir gv di» «bgobenpolttlk Vroußen» Stellung genommen, sondern immer nur die Interessenten sprechen lassen. Das Land erkennt es zwar dankbar an, daß die Regierung im Bundesrat sich gegen die Abgaben einsetzt. Aber es kommt doch auch auf den Ton an. Und da meinen wir, könnte von Dresden aus doch wohl mit sehr viel mehr Nachdruck gearbeitet werden. Es würde z. B. in Berlin auch ganz anderen Eindruck machen, wenn der sächsische Ressortminister selbst im Bundesrat mit aller Energie für die stark bedrohte sächsische Industrie und den Handel auf treten würde. Es wird bei jeder Gelegenheit von preußischer Seite betont, «ine wie prekäre Situation ein Majorisieren Preußens im Bundesrat schaffen würde. In dieser Frage soll doch aber auch über die Stimmen Sachsens, Badens und verfassungsrechtlich auch Württembergs wegqesehen werden. Daß diese Situation in den überstimmten Ländern weniger prekär empfunden werden würde, darf man wohl bezweifeln. Alle diese Gesichtspunkte einmal von autoritativer Stelle mit allem durch die Sache gebotenen Ernst zur Geltung zu bringen, würden wir für überaus nützlich, ja für geboten halten. fachmännische Zchulsatticht. Wie wir schon früher meldeten, war zur zweiten Lesung des Unterrichtsetats im preußischen Abgeordnetenhaus der An trag eingebracht worden: Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen, die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, im Volksschul- wcsen auf die allgemeine Einführung der fachmännischen Schulaufsicht Bedacht zu nehmen. Damit wurde nichts Neues gefordert. Eine alte liberale Forderung kehrte hier wieoer. Der Weg zu ihrer Verwirk lichung ist seit der Annahme des preußischen Schulaufsichts gesetzes vom 11. Mai 1872, einer Frucht der liberalen Gesetz gebungsperiode frei. Es sprach dem Staat das alleinige Recht zu. Lokal- und Kreisschulinspektoren zu ernennen, ihre Aufsichtsbezirke abzugrenzeu und den erteilten Auftrag, so weit es sich um ein Neben- oder Ehrenamt handelt, jederzeit zu widerrufen. Damit hatte die Regierung tatsächlich die Macht in die Hände bekommen, jeden Einfluß des Klerus auf die Schule zu beseitigen. Aber sie hat davon in sehr wechsel voller Weise Gebrauch gemacht. Wie schon Bismarck wegen dieses Gesetzes von ultramontaner und auch konservativer Seite die schwersten Angriffe zu erd:.Iden hatte, als brächte er mit diesem Gesetz die Religion »n Gefahr, so haben die verschiedenen Kultusminister, die seit jenem Gesetz an der Spitze des preußischen Volksschulwesens standen, sich nur in sehr bescheidener Weise von den klerikalen Einflüssen frei zu machen gewußt, die daraus bestanden, Geistliche d«r beiden großen Konfessionen mit der — namentlich lokalen — Schuck aufsicht zu betrauen. Ja — man kann sagen, daß cs mit der Befreiung der VolksschZ? von der geistlichen Schulaufsicht eher rückwärts als vorwärts gegangen ist. Wir geben ein Beispiel für viele, das um so drastischer ist, als es nicht auS dem ostelbischen Teile Preußens genommen ist, sondern aus einer seiner westlichen Provinzen. Wir entnehmen dem „Zeutralblatt für die gesamt« Unterrichtsverwaltung :n Preußen", Jahrgang 1887 und Jahrgang 1907, folgende An gaben über die Besetzung einiger Krei sschu-linjpaktiouen in Hessen-Naussau: 1LS7 1907 Fritzlar-Wolshagea Melsungen, Stadt Schlüchtern'Niedrrzrll Pockenheim Hachenburg Herborn Langenschwalbach Nassau Rektor Pyroth Rektor Becker Sem.-Dtr. Wicacker D. Stadtschuldeput. Rektor Dr. Kiejerling Rektor Büren Rektor Ernst Rektor Dr. Buddeberg Pfarrer Facobt Pfarrer Fuldner SuperinteNden Ort Pfarrer Enders Dekan Naumann Pfarrer Gail Pfarrer.Michel Pfarrer Martin. Also in einem Bezirke sind acht fachmännische Kreis- schulinspektoren durch Geistliche ersetzt worden. Ganz merk würdige Verhältnisse scheinen auch in Kätscher in Schlesien, wo der „Päd. Ztg." zufolge ein Apotheker Ortsschulinspektoc kür 20 Lohrer ist, und ebenso aut der Hallig Pellworm zu herrschen, wo ein Landmann zum Ortsschulinspektor ernannt worden ist. Diese beiden Beispiele sind natürlich nur Aus nahmen, die gegenüber dem Druck der geistlichen Schul aufsicht nichts sind. Im ganzen verwalten in Preußen mehr als 900 s!) Geistliche das Amt des Kreis schulinspektors, und die Lokalschulinspektion liegt über wiegend in den Händen Geistlicher. Kehrte jetzt aber d«r oben abgedruckt- Antrag wieder im preußischen Abgeordnetenhause ein, so hatte er nach mehr als einer Seite seine besondere Bedeutung. Zunächst parteipolitisch. Er wurde gemeinsam eingebracht von den liberalen Parteien des Hbgeordnetenl>auses, der nationalliberalen und der beiden freisinnigen Fraktionen. Ja — es haben sich ihm auch die Freikonservativen ange schlossen, die in kirchlichen und in Schulfragen in Preußen erfreulicherweise immer ein Stück Liberalismus mit ver- treten. Das ist schon eine ganz stattliche Phalanx, denn das sind zusammen sfreikons-rvative 64, nationalliberale 76, frei sinnig« Volkspartei 23, freisinnige Vereinigung 8) 171 Stimmen. Das ist zwar bei dem 433 Sitze zählenden Ab geordnetenhause noch nicht die Mehrheit, aber es war nicht ausgeschlossen, daß in dieser Frage sich auch Stimmen von der deutsch-konservativen Fraktion zu dem Antrag bekennen. Sein schärfster Gegner bleibt jedenfalls das Zentrum. Und das ist der zweite wichtige Punkt bei diesem ganzen Kampf gegen die geistliche Schulaufsicht. Gewiß soll der ausschlaggebende Gesichtspunkt im Kampf gegen di« geistliche Schulaufsicht nicht der sein, den Zen- trumSeinfluß zu vermindern, der durch die Schulaufsicht ultramontaner Kleriker vermittelt wird. Wir wenigstens wenden uns auch gegen protestantische Geistlich« als Schul inspektoren, weil die Lehrerschaft mit vollem Recht verlangen kann, pur von Fachleuten beaufsichtigt zu werden und weil es für die Schule besser ist, nur unter technisch geschulte» Schulmännern zu stehen. Es ist und bleibt ein« Herabsetzung i der Lehrerbildung, wenn man geistliche Schulinspektoren zn- I läßt. Aber neben diesem grundsätzlich ausschlaggebenden I GesichtSpuuckl besteht namentlich »ur,nt der ander« zu Recht, daß der Kampf gegen die geistliche Schulaufsicht eines der wichtigsten Mittel im Kampf gegen das Zentrum ist. Die geistliche Schulaufsicht ist eine der wichtigsten Kanäle für den geistigen Einfluß der ultramontanen Geistlichen auf die Schule, auf die Lehrer, auf die Kinder. Daher die Nervosttät von Zentrumslcuten, wenn man wagt, an die geistliche Schul aufsicht zu rühren. Die levtverftvssenen Wochen und Moncue haben uns aber deutlicher als seit Jahren gezeigt, wie wichtig, wie notwendig es ist, den geistigen Zontrumseinfluß auf unser Volk zu brechen. Die Neichsreglerung hat dies aner kannt. Der ganze Wahlkampf zeugt davon. Aus ihm gilt es jetzt die praktischen Lehren auch in den Einzelheiten zu ziehen. Es ist unverständlich, wenn die Staatslenke: sich über di« Wirkungen des klerikalen Einslusses nicht nur auf die he:an wachsende Jugend, sondern auch auf die Lehrer täuschen lasjen. Mit Recht hat ein rheinisches Blatt dieser Tage hervorgehoben, daß dem Geistlichen gegenüber, der seinen Beichtkindern einredet, es sei ein Gebot der Religion, sür den Zentrumskandidatcn zu stimmen, der berufene Vertreter der Aufklärung namentlich auf dsm Lande der Lehrer wär«, daß aber der Lehrer diese Aufklärungsarbeit nur besorgen könnte, wenn man ihn aus dem Hörigkeitsverhältnisse be freite, in dem er heute zum Geistlichen steht. Und darum gehört der Kampf gegen die geistliche Schulaufsicht ganz eigentlich mit hinein in die Forderungen, in die Pflichten des Tages, die nationale Männer zu erfüllen haben. Die preußische Negierung aber denkt anders. Ihr Ministerpräsident Fürst Bülow hat -war als Reichskanzler die Gefahr des Zentrums auf nationalpolitischem Gebiete anerkannt, und darum ihm mit der Neichstagsauflösung einen Fehdehandschuh hingeworfen. Aber sobald es gelten konnte, diesen Kampf mit voller Energie zu führen, mit ihm dort einzusetzen, wo — wie in der Schule — der verhäng nisvolle Zentrumseinfluß wurzelt, da versagt die preußische Negierung. Da denkt sie auch nicht daran, so bescheidenen liberalen Forderungen, wie sie in der fachmännischen Schulaufsicht liegen, entgegenzukommen. Kultusminister Studt hat es bewiesen, daß es so ist. Als in den beiden letzten Tagen der oben angeführte Antrag nun wirklich im Abgeordnetenhaus zur Beratung kam, da ver sagte dieser Vertreter der Ministerien des »Geistes" voll kommen. Er will nicht der Schule geben, was der Schule g^öri. Er denkt nicht daran, die berechtigt« Forderung der Lehrer nach einer fachmännischen Aufsicht zu erfüllen. Päda gogische Erkenntnisse, wie sie seit Pestalozzi allen gebildeten Schulleuten in Fleisch und Blut übergegangen sind, sind dem höchsten Schulbeamten des größten deutschen Bund.'s- staates fremd. Für ihn soll die Schule immer noch nicht ein wirklich selbständiger Organismus werden, wie die Päda gogik eine selbständige Wissenschaft ist. Es soll alles beim alten bleiben. Auch die unwürdige Unterordnung der Lehrer unter die Geistlichkeit, gegen die sich selbst weite Kreise wenigstens der protestantischen Geistlichen sträuben, weil sie im Nebenamt nicht ein Amt verwalten wollen, das eine volle Kraft und eine volle pädagogische Vorbildung fordert. Studt aber meint, die tatsächlich überaus »ürstige praktische Ausbildung der Theolooie-Siudierenden in pädago gischen Kursen aus der Universität genüg« dem Pastor zur Ausübung der Schulaufsicht. Und es genügt dem Kultus minister, konstatieren zu können, daß die unter geistlicher Schulaufsicht stehenden Schulen nicht erheblich minderwertiger gegenüber anderen Schulen seien!!! Da hört allerdings die Diskussion auf! Aber der Kampf muß um so energischer fortgesührt werden. — Für die fachmännische Schulaufsicht und gegen die Reaktion mit ihrem Vertreter, dem Mi nister Studt. Der Ausgang der diesmaligen Verhand lungen im preußischen Landtage kann darum nur der Anfang einer neuen Epoche sein im Kampf um die Freiheit der Schule. Scheinbar handelt es sich zunächst nur um eine preußische Angelegenheit. Bei dem vorbildlichen Einfluß des größten deutschen Bundesstaates ist damit aber auch gegeben, day dieser Kampf für die anderen Bundesstaaten, in denen noch die geistliche Schulaufsicht besteht, von Bedeutung ist. Wir denken hier vor allem an Sachsen. Auch hier ruft man mit Recht nach voller Abschaffung der geistlichen Schul aufsicht. Die Landessunode hat sich dabei nicht auf der Höhe gezeigt, die wir ihr gewünscht hätten. Um so notwendiger ist es, daß im Volk das Verständnis dafür erwacht, welche Kulturaufgaben hier noch zugunsten einer von geistlich-m Einfluß freien Volksschule zu lösen sind. Mögen in dieser Richtung die liberalen Parteien des Landes mit der Lehrer schaft den Kampf um die rein fachmännische Schulaufsicht durchführen. sUeber den Verlauf der gestrigen Verhand lungen im preußischen Abgeordnetenhaus s. Dtschs. R.) Httt arm sieicdrtag. Der Sonnabend ist ein parlamentarischer Stiefbruder der anderen Wochentage und wird selbst vom Montage, der doch auch nicht recht für voll gilt, über die Achseln angesehen. Die Herren Volksvertreter bekommen zum großen Teil scku>n am Areitag in Berlin kalte Füße, die nur zu Hause wieder gewärmt werden können. Es sieht daher am Samstag in dem Niesengebäude am Köuigsplatz gewöhnlich recht trübselig auS. Schon bei nachtschlafender Zeit, um 11 Uhr vormittags, be sinnen jetzt die Sitzungen Sonnabends, und daS 'Nebelwetter heitert die Gemüter der eifrig auf das Wohl deS Vaterland«» im allgemeinen und ihrer Wähler im besonderen bedachten Erwählten auch nicht aus. Dazu «in« große Enttäuschung für die nickst eben zahlreichen Tribünenbefucher: der Streit >.m die WayUuNden der anderen wird nicht fortgesetzt werden. Er steht zwar auf der Tagesordnung an letzter Stelle, aber vor ihm stehen drei andere Punkte: der Gesetzentwurf, wegen des Hintervlie-cnen-Versicherunasfonds und deS Reickis- invalldenfondS fman genehmigt ihn definitiv ohne Debatte), die 2. Beratung der Berufs- und BetriebA-LhlungSvorlage. bei der man sich besonders darüber streitet, ob di« Religion auch mit »gezählt" werden soll, und schließlich zwei Maisch- bottichstruergesetz«. Damit ist das Schicksal der Wahl- LeeeafUtssungSinterpellatw» Albrecht für diesmal besiegelt. 101. Jahrgang. Sie wird wohl überhaupt nicht wieder die Tagesordnung zreren. Und die Erwartungen aus ein« Auseinander-etzung mit dem Zentrum müssen sich bis -nm Toleranzantrage ver trösten. Dann wird wohl auch der Direktor des Evan gelischen Bundes Eoerling vom 10. sächsischen Wahlkreise zu Wort« kommen, der am Freitag zugunsten des schwer an gegriffenen Generals v. Lieberi sich hatte streichen lassen. Also im Plenarsitzungssaale machte sich das Gespenst einer gelinden Langeweile breit, wie fast immer, wenn die Tech niker auf die Tribüne steigen. Das ist recht undankbar von dem Auditorium, denn ichließlich leisten sie ooch die nützlichste Arbeit. Indessen ist einer Stimmung nicht mit Gründen bei- zukommen. Auch der Stimmungsbüdmaler kann die betrüb- liche Tatsache nicht aus der Welt schaffen und verläßt daher den Saal mit Wehmut, um in der Wandelhalle Anregung zu suchen. Dort ist es immer noch amüsanter. Paarweise vertreten sich da aus dem bordeauxroten Riesenteppich des Kuppelbaues Abgeordnete, Journalisten und eingesuhrte Gäste die Füße. Auch Damen sieht man, Gattinnen und Töchter von Parlamentariern, oder Honoratioren aus den heimischen Wahlkreisen. Ein ganz klein wenig Flirr wird nicht ungern en passant getrieben. Doch will er nicht recht gedeihen. Der Raum ist zu gewaltig und drückt die Neulinge, die wohl v"ch der Ernst der parlamentarischen Arbeit zu ihrer etwas -u gravitätischen Haltung und zu beson derer Gemessenheit bringt. Dort macht ei» vielgeplagier Ab geordneter den Bärenführer und bemüht sich nach Kräften, leinen zwei einflußreichsten Urwählern mit ihren Damen die Herrlichkeiten und Berühmtheiten vorzuführen. Da kommt die gräflicl-e Präsidialexzellenz Stolberg hergeschritten, dort promenieren Bassermann und Junck, auf der anderen Seite gehen starkgebaute Herren im langen, zugeknöpften, schwarzen Rock mit gesunden Gesichtern und streitbare» Mienen weit ausschreitend auf und ab. Es sind Zentrums- kapläuc, di« Oppositionellen neuesten Datums Und an beiden Enden der Halle, durch ein gespanntes Tau und die Amtsmienen der Diener mit ocn Generalsraupen im Ban« gehalten, stehen die nicht privilegierten Reichstaasbesucher. und lassen gegen einen metallenen Händedruck ihre Wiss begierde von dem wohlinsormierten, befrackten und orden geschmückten Hanspersonol befriedigen. Doch ieht töul ein besonders abgestimmtes anhaltendes Klingol-erche». Di« Sitzung ist aus. > kia Ungliictrrtag. - Das vergangene Jahr war ein Jahr deS Unheils «nd der Erregung. In Italien schlugen die Flammen deS Vesuvs gen Himmel, glühende Lavamasscn ergossen sich zerstörend über Stätten des Lebens und der Freude. Bald darauf er eigneten sich die furchtbaren Erdbeben von Sa» Francisco, Valparaiso und Kingston, deren Folgen alle Welt in Schrecken setzten. In Frankreich folgte das Grubenuuglück von Courrieres und in Deutschland verbluteten bei dem Redcner Unglück über Hundert tapfere Männer tief »»ter der Erde. Auch die Ouvertüre des neuen JahreS setzt mit grauen haften Klängen ein. Noch stehen wir unter dem Eindruck der Schiffskatastrophen von Hoek van Holland und der Toulon, deren Opfer soeben erst bestattet wurden, da übermittelt unS der Draht auch schon die Nachricht von zwei neuen Schreckensereignisse». Wie wir bereits durch Extrablatt und in einem Teil un serer Auflage meldeten, haben sich vorgestern zwei neue Grubenkataftrophen ereignet. Tie eine, ver der etwa 78 Bergleute ihr Leben einbüßten, erfolgte als Schlag wetterexplosion in der Grube »Klein-Rosseln" in Lothringen, die andere au^ dem „Mathilden- schach t" der Gerbardgrubc bei Saarlouis, wo ein Förder seil riß. Auf der Jörderschale befanden sich 22 Bergleute, die sämtlich umgekommen sind. Uebcr das Unglück auf der Grube „Klein-Rosseln" wird uns jetzt aus St. Johann weiter mitgeteilt: Die Explo sion auf der Grube „Klein-Rosseln" ereignete sich vorgestern abend einige Minuten nach 10 Uhr. Es ist noch nicht fest gestellt. ob eine Explosion schlagender Wetter, oder eine Kohlenstaubexplosion vorliegt. Am Aus gange des Schachtes merkte man nicht das geringste von den Vorgängen in der Tiefe. Erst als zum ersten Male die Fördcrschale mit einer An zahl Geretteter hcrauskam, wurde bekannt, was sich drunlen ereignet hatte. Im ganzen waren 240 b i s 245 Mann eingefahren und zwar im sogenannten Vuillenin- Sch achte, der 417 Meter tief ist. Sofort eilte Direktor Siemon mit einer Anzahl seiner Beamten herbei und fuhr in den Schacht ein. Auch traten bald die Rettungs mannschaften mit Draeger-Apparaten in Tätigkeit. Auf der Grubemoble stieß man zunächst auf den Körper des Wettermannes Hayou, der alsbald herausgeschasft wurde. Hayou gab schon nach wenigen Minuten, ohne das Bewußt sein wieder erlangt zu haben, den Geist auf; die giftigen Nachschwaden hatten ibn getötet. Die ganze Nacht wurde an der Bergung der Leichen fieberhaft gearbeitet. Bis gestern mittag l2 Uhr waren 67 Tote. 12 Schwerletzte und ein Leichtverletzter geborgen, vermißt werden noch 40 Leute, die zweifellos ebenfalls tot sind und unter dem Gestein und Geröll begraben liegen. Von den Schwerverletzten sind im Lause des Tages be- reits zwei gestorben; von den übrigen dürste nach An sicht des Arztes nur einer mit dem Leben davonkommen. — Von den preußischen StaatSgruben waren ebenfalls Rettungsmannschaften unter Führung mehrerer Bergbcamten erschienen; diese fuhren wfort ein, doch gab es nichts mehr zu retten. Unter den T o t e n befinden sich zwei Beamte, und zwar der Steiger Waldschmid aus Klein-Rosseln und der Steiger Conrad aus Naßweiler. Der erstere hinter läßt Frau und ein Kind, der letztere Frau und fünf Kinder. Die Leiche Conrads konnte noch nicht geborgen werden. Von den toten Bergleuten waren über die Hälfte verheiratet. In Mftleidensckmft gezogen sind vornehmlich die umliegenden lothringischen Dörfer. Aber auch aus dem benachbarte» preußischen Gebiet stammt eine ganze Anzahl der Umae- kommenen. Aus daS lothringisch« Dorf Groß-Rossel» entfallen 9: davon waren 8 verheiratet: au- Lndwerler ist ein Vater mit seine» Sohn« »«gekommen. Di« Leiche»
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