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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 09.06.1907
- Erscheinungsdatum
- 1907-06-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190706092
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19070609
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19070609
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-06
- Tag1907-06-09
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R.) * In Berlin sind dänische Bevollmächtigte zum Abschluß des Handelsvertrags angekommen. (S. Dtschs.R.) * Die gegen die SchisfabrtSabgaben gerichteten An träge im württembergischeu Landtag wurden an die Finanzkommission verwiesen. (S. Dtschs. N.) * In Neuruppin fand gestern die Enthüllung des Denkmals für Theodor Fonhave statt. (S. Feuill.) *Znder HauptversammlungderDeutschen Land wirtschaftsgesellschaft wurde Herzog Albrecht zu Württemberg, einstimmig zum Präsidenten für 1907/1908 gewählt. Als Aufstellungsorte wurden festgesetzt für 1908 Stuttgart, für 1909 Leipzig und für 1910 Hamburg. * Der freisinnige preußische Landtagsabgeordnete Lehrer Friedrich Wolgast ist in Kiel gestorben. (S. Dtschs. R.) * DaS dänische KoaigSpaar ist zu einem Besuch in London eingetroffen. * Im Anschluß an die vierte Etappe der Herkomer- sahrt fanden gestern im Forstenrieder Park bei München die Schnelligleitsprüf ungen der Wagen statt. (S. Art. 3. Seite.) Um Oie Usitrlerrchsll. Es kann heute nicht mehr zweifelhaft sein, daß dem Fürsten Bülow aus dem Verlauf der Eulenburg-Moltke-An- gelegenheit ein Strick gedreht werden soll, und daß der Kanzler selbst diese Gefahr erkannt hat und nicht gering achtet. DaS ist auch erklärlich, denn es ist nun einmal eine nicht sehr erfreuliche, aber unumstößliche und leicht zu be legende Tatsache, daß im neudeutschen Reiche Minister nur in ganz vereinzelten Fällen sich wegen sachpolitischer, sach licher Differenzen mit der Krone, den Parlamenten oder der öffentlichen Meinung zur Demission genötigt sehen, daß viel mehr fast immer persönliches Mißgeschick, Stimmungen oder irgendwelche unpolitische Bagatellen die Ursache ihre« Rück trittes abgeben. Graf Zedlitz ist am Schulgesetz gescheitert. Aber selbst Bötticher ist nicht eigentlich der bekannten Richterschcn Rede, sondern seinem Schweigen zum Opfer gefallen. Und Herr v. Podbielski wäre heute noch Minister trotz seiner falschen PreiSprophezeiungen, wenn nicht noch einiges per sönliches Malheur dazu gekommen wäre. Ueber diese Ver hältnisse ist sich der Kanzler natürlich durchaus klar. Und daher die Betriebsamkeit, mit der er jener perfiden Deutung entgegen treten läßt, die Kamarilla-Notiz der „Norddeutschen All gemeinen Zeitung" habe eine antikaiserliche Spitze gehabt. Hier fallen die Widersacher deS Fürsten Bülow ein, und es ist sehr erbaulich zu sehen, wie Sozialdemokraten, Klerikale und Hospolitiker im trauten Verein eS als Gipfel Les Ungeschicks oder der Sünde hinstellen, daß der Kanzler nicht die Existenz einer Kamqrilla glatt geleugnet hat. Er soll sich „übernommen" und nach deS „Vorwärts" Ansicht „Täppigkeit" bewiese» haben. Und zugleich wird die Gelegen heit benutzt, um die Auffassung der Vorgänge bei der letzten Reichstagsauflösung wegen der schmerzlichen Wahlniederlagen zu revidieren. Die ganze Auflösung sei vom Kanzler nur provoziert worden, um sich im Amte zu halten, weil gerade damals die Eulenburgsche Tafelrunde seine Ersetzung durch eine ihr genehme Persönlichkeit betrieben habe. Daß damals tatsächlich die Stellung des Kanzlers un sicher gewesen ist, kann man ruhig zugeben. Sie war es aber ganz gewiß ebenso sehr wegen der völlig versaHnen Lage der Regierung, wie wegen mutmaßlicher politischer Intrigen. Damals lag einmal der Fall vor, daß die Politik den leitenden Minister umgebracht hätte, wenn keine Neu orientierung erfolgt wäre. Man muß sich nur erinnern, in welch peinlicher Lage der Kanzler und Ministerpräsident sich befand. ES war die Zeit, da der polnische Schulstreik seinen Höhepunkt erreicht hatte und daS Zentrum als getreue Poleoschutztruppe von der Regierung Nachgiebigkeit forderte. Und eS batte die Macht dazu, wenn nicht im Landtage so im Reichstage. Und daß das Zentrum seine Machtstellung auSzunützen verstand, dafür braucht man ja wohl heute keine Beweise mehr zu liefern. I» der Polenfrage aber konnte der Ministerpräsident nicht nachgeben, auch wenn der Kanzler dazu geneigt gewesen wäre. DaS hätte jeden leitenden Minister unmöglich gemacht. Der Konflikt war also auf die Dauer unvermeidlich und kam eben bei dem kolonialen Nachtragsetat zum Ausbruch. Wir halten es für »»gezeigt, die- sestzustelleu gegenüber den Versuchen, die ganze Wahl als ausschließlich im persönlichen Bülowschen Interesse unternommen zu diskreditieren. So lagen die Dinge denn doch nicht. Dabei ist es ja immer noch möglich, daß es dem Kanzler auch noch aus anderen Gründen nütz lich schien, den entscheidenden Schritt zur Auflösung zu tun. Aber daß die ganze Situation auf eine Neuorientieluug hin- dränate, muß von jedem Politiker zugestandcn werden, der die Entwickelung der Dinge im Herbst vorigen Jahres aus der Nähe beobachten konnte. Schon vor dem Zusammen tritt Les alten Reichstags im November machien wir auf diese ganz unhaltbare Lage der Regierung ausnierlsam und gehörten deshalb auch durchaus nicht zu den Ueber- raschten, als die ersten Anzeichen der Krise sich bemerkbar machten und vielfach nicht verstanden oder mit großem Er staunen betrachtet wurden. Es gehörte tatsächlich die ganze Ungeschicklichkeit utld die bis zum Uebermaß gesteigerte Anmaßung der Zentrumspolitik dazu, um die Lage nicht zu begreifen, und um mit ihrer unmotivierten Abstreicherei in einer natio nalen Angelegenheit der Regierung das Schwert in die Hand zu drücken, mit dem der unlösbare Knoten durchhauen werden konnte. Wenn also die hineingesallenen Zentrumspolitiker und entihrontcn Nebenregenten der Aera Noeren-Erzberger heute die Sache so darzustcllen belieben, als bedeuteten die Kamarilla-Enthüllungen eine glänzende Rechtfertigung ihrer Haltung und eine Blamage der Regierung und der heutigen MehrheitSparteien, so tönnen sie das nur sehr unkundige» Leuten erzählen. Ob der Kanzler des Hardenschen Siege» froh werden wird? Prophezeihen ist niemals eine so brotlose Kunst ge wesen wie gerade jetzt. Aber wir fürchten fast für den Triumphator. Es muß sich allmählich eine erkleckliche Portion von ehrlicher Abneigung gegen den vierten Kanzler am Berliner Hofe angesammelt haben. Da sind die Affären Erni von Hohenlohe-Langenburg und PodbielSli, die trotz aller nachträglichen Applauierungsversuche, trotz der „lieben Freundschaft" bei der agrarischen Kanzler-Grab steinrede ihr Gilt zurückgelassen haben. Dazu jetzt der große Kreis der Eulenburgsche» Freundschaft in Empörung und schließlich *>ie sehr schwerwiegend^ Summc.ag von dem« Throne sehr nahestehenden Personen, die man bisher nicht ganz mit Recht für völlig desinteressiert in politischer Be ziehung gehalten hat. Wir haben schcn einmal bei einer früheren Gelegenheit darauf hiygewiesen, daß es falsch ist, als den Grundzug im Wesen des Kanzlers die Liebens würdigkeit anzusehen. Nebenbei soll das nicht etwa ein Borwurf sein, den» die Liebenswürdigkeit in Permanenz be dingt kaum die Qualifikation zum Staatsmann unv hinter läßt meistens einen üblen Nachgeschmack. Es soll hier nur erklärt werden, in welchem Milieu und unter welchen Ver hältnissen der Kampf sich abspielt, der um die Leitung der Reichsgeschäfte geht. Bis in die letzten Sitzungstage des vertagten Reichstages hinein tönten die Beschwerden, daß der Kanzler sich nicht sehen lasse. Nicht einmal seinen eigenen Etat hat er bei der entscheidenden dritten Lesung vertreten, Hal auch nicht auf geklärt, weshalb Herr v. Tlchirschky die feierlich annoncierte Rede über den diplomatischen Dienst nicht gehalten hat. Jetzt hallen die gleichen Beschwerden im preußischen Abge ordnetenhaus wieder. (Und das Haus muß sich von Herrn v. Rheinbaben sagen lassen, man dürfe dem Reichskanzler keinen Vorwurf daraus machen, daß er sich des Vergnügens beraube, Herrn Gyßling, den Bolksparteiler, zn hören.) Hier bat man die Antwort auf jene Fragen unv Beschwerden. Die Ruhetage auf Norderney stehen bevor, und der Kanzler wird ihrer dringend bedürfen zur Erholung von dem, was man Politik zu nennen pflegt, unv zur Stärkung für künftige Kämpfe. Var engliscbekegieruiMprogramnr. sVon unserem Londoner ^.-Korrespondenten.) Das große Ereignis ist vorüber. Mr. Eampbell-Banner- man hat die seit der Dubliner Konvention vom ganzen Lande mit Spannung erwartete Programmerklärung ab gegeben. Die Enttäuschung ist allgemein. Man hatte sen sationelle Ankündigungen erwartet. Die ganze Sensation besteht aber nur in einer gesucht spießbürgerlichen Nüchtern heit. Nach dem Kabinettsrat vom vorigen Mittwoch hatte man irgend eine Entscheidung über die Umformung des Ka binetts erwartet. Angesichts der Tatsache, daß die Regierung so tief in der Scssionsperiode nicht mehr hoffen konnte, das gewaltige in der Thronrede angckündigtc Programm auch nur zur Hälfte durchzuberaten, hatte man sich auf irgend einen heroischen Akt, eine Durchhanung des gordischen Knotens gespitzt. Statt dessen erfahren wir, daß Mr. Birrel im Besitze des irischen Staatssekretariats verbleibt, wenn auch aus guter Quelle verlautet, daß im Herbst Mr. Mac Donnel, der eigentliche Träger der irischen Devolution, wieder nach Indien zurückkehren wird, womit die Devolution endgültig begraben ist. Statt dessen reduziert der Premier nur wie ein drastischer Buchhalter die Kosten des liberalen Regierungskonzerns um 50 Prozent, indem er die Hälfte, und zwar die parteipolitisch wichtigste Hälfte des Thron redenprogramms, unter den Tisch wirft. Ernstlich durchzu bringen hofft die Regierung offenbar nur noch das Budget und die Armcereform. Sie wird zwar noch von politischen Maßregeln ersten Ranges einbringen die englische Landbill, die schottische Landbill, das schottische Grundkatastergesetz, das Gesetz über die Berufung in Strafsachen, die Patentreform und das Gesetz über die passive Wahlberechtigung der Frauen zu den Lokalbehörden. Das Frauenwahlrecht und der Kri minalappell werden wohl angenommen werden, die Land gesetze werden im Oberhaus scheitern. Weitere Gesetze über Arbeiterwohnuugen und den englischen Grundkataster sollen überhaupt nur vorgelegt, aber nicht mehr beraten werden. Das gleiche gilt von der gesetzlichen Einführung des Acht stundentages für Grubenarbeiter. Glatt aufgegeben hat das Kabinett die vom radikalen Flügel der liberalen Partei so dringend geforderten Gesetze über die Wirtshausreform und die Schnlabgaben. Zwei große Wahlversprechungcn, die zum Wahlsiege der Liberalen w wesentlich beigetragen hatten, in dem das eine die Unterstützung der Temperenzler, das andere die Stimmen der Nonkonformisten für den Liberalismus in die Wagschale warfen, bleiben dadurch in dieser Session un erfüllt. Die Opposition behauptet natürlich, die Programm erklärung Campbcll-Bannermans sei die Vankerotterklärung des Kabinetts. Tie kann auf mancherlei Aeußerungen der Ungeduld seitens der Temperenzler und der nonkonformisti schen Führer Hinweisen und fußt darauf die Prophezeiung, daß die bunt zusammengesetzte Mehrheit der Regierung in der Auflösung begriffen sei. Das ist aber eine Uebertreibung. Alle Acußerunqen der Ungeduld in dem liberalen Block enden doch mit der Erklärung, daß die Parteien sich eben in Ge duld fassen müssen. Selbst die Arbeiterpartei, in ihrer Sprache am ungezügeltsten, denkt nicht daran, die Chancen sozialer Gesetzgebung in der nächsten Session durch Unbot mäßigkeit auf das Spiel zu setzen. Man spricht nur zum Fenster hinaus. Die besser informierten liberalen Organe machen vielmehr zutreffend schon darauf aufmerksam, daß das Programm der Thronrede gar nicht für e i n e S e s s i o n gemeint war, sondern in der großen Budgeirede vom Schatz kanzler Asguith als die Skizze der gesamten liberalen Re formarbeit für das Triennium bezeichnet wurde, wäh renddessen dos Kabinett ohne Appell an das Land aus kommen zu können glaubte. Es fehlt nicht an Anzeichen, daß die Warnung der „Westminster", dem Kabinett ohne über mäßiges Drängen die Wahl des geigneten Zeitpunktes für einen solchen Appell, nämlich nach Vollendung der großen Reformen im Unterhause, nach dessen freier Wahl zu über lassen, auf fruchtbaren Boden fällt. Dieses Drängen hat bisher zur Ucberladung des Re gierungsprogramms mit aussichtslosen Gesetzentwürfen ge führt, welche die Ungeduld der liberalen Gefolgschaft während der Verzögerung beschwichtigen sollte, welche mit der Politik des „killing tbo aup" notwendig verbunden ist. Eine Session, welche das große Budget des Liberalismus gebracht hat und die Armeereform sowie die Justizreform verabschie det stben wird, kann yicht als unfruchtbar bezeichnet werden. Hinter allen übrige» Plänen des Kabinetts steht aber die Oberhausfrage. Der „Standard" meint jetzt, nach der vorigen Session habe man in Bannerman den bedeurendsten Führer des Unter hauses seit Gladstone sehen müssen; man komme aber jetzt auf das frühere ungünstige Urteil über den Premier zurück. Diese Auffassung ist doch sehr einseitig und kurzsichtig. Campbell-Bannerman hat in derselben Programmrede, welche diese Kritik des „Standard" heroorruft, seine Unab hängigkeit von den Iren bekundet, indem er die von Redmond und Bryce früher vereinbarte irische UniversitätSbill unter den Tisch warf; erst während der Herbstferien soll Mr. Birrel mit den Iren über eine Unioersitätsvorlage ver handeln, die wesentlich weniger entgegenkommend ausfallen dürfte, als das frühere Projekt. Diese Bill hatte Redmond aber auf der „Verrats-Konvention" in Dublin seinem katho lischen Klerus noch für diesen Sommer versprochen; seine ohnehin recht wankende Stellung wird durch diesen Nasen stüber also nicht verbessert werden. Gladstone wagte den Iren nicht so kurz angebunden gegcnüberzutrctcn. Neben diesem Peitschenhieb stellt die in das Sessionsprogramm auf genommene Vorlage zugunsten der exmittierten irischen Farmer nur das übliche Zuckerbrötchen dar. Bannerman erklärte aber, daß er mit einem reformierten Oberhause seine kleine Home Nule-Vorlage den Iren auch gegen deren Willen aiffgcnötigt haben werde. Und er ist steifnackig ge nug, um späterhin mit dieser Drohung Ernst zu machen, das heißt also von dem Glaubenssatz abzuweichen, daß man die irische Frage nicht ohne die Iren lösen könne. An Charakterstärke fehlt es ihm daher nicht. Noch weniger an Mut. Den hat der Premier gerade dadurch bewiesen, daß er den ganzen mehr oder minder sentimentalen Ballast, den ihm Parteirücksichten aufgenötigt hatten, beiseite wirft, nm zu der Kernfrage zn dem Kampf mit der Obstruktion deS Oberhauses zn gelangen, die der fruchtbaren Gesetzgebung den Weg versperrt. Am 24. Juni wird das Unterhaus mit einer Resolution in dieser Frage be'aßt werden. Tie Konservativen spotten einstweilen, daß man diese Frage mit einer Resolution abtuu wolle. In diese'' Reso lution wird jedoch gutem Vernehmen nach das Veto der Peers in seiner Wirksamkeit aus die Tauer einer Session beschränkt werden. Und diese Resolution bat eine ganz an dere staatsrechtliche Bedeutung, als andere Resolutionen. Ein zweites Mal wiederholt, genügt sie, die Verfassung im Sinne ihres Inhalts zu ändern. Es ist der einzige konsti tutionelle Weg, den es überhaupt für die Verfassungsände rung gibt. Durch eine ganz gleichartige Resolution hat das Oberhaus sein früheres Recht, 'n Finanzfragen mitzurcdcn, verloren. Es verlautet überdies, daß der König seine Zustimmung zu einem Pairsschub im liberalen Sinne gegeben hat, der vor genommen werden soll, sobald die Reform durchgeführt ist, und der eine glatte Mehrheit ohne Veto für die Schul- und Landreform sichern soll, welche die Negierung in der nächsten Session auf wesentlich radikalerer Basis wieder einbringen will. Von diesen ist vorauszusehen, daß sic das Oberhaus in seiner jetzigen Zusammensetzung nicht passieren werden. Ueber diese Reformen und vielleicht noch über die Wirtshausresorm und ein neues Home Ruleprogramm, was aber fraglich ist, dürfte es dann im nächsten Winter zu Neuwahlen kommen, da der König das „Mandat" des Liberalismus zu so durch greifenden Äendcrungen in der gesellschaftlichen Struktur Englands durch die Stimme des Volkes bestätigt zu sehen wünscht, bevor er durch den erwähnten Pairsschub dem Libe ralismus volle Kontrolle des Parlaments gibt und damit unbeschränkte Aktionsfreiheit. Es ist natürlich fraglich, ob auch dieses noch recht schwie rige und komplizierte Programm, daS überdies eine während der Herbstserien vorzunehmende Radikalisierung des Kabi netts einschließt, in der skizzierten Form durchzusühren sein wird. Der inneren Widerstände im Kabinett und >n der Partei ist Bannerman bis jetzt Herr geworden. Es ist abec nicht zu verkennen, daß nüchterne Liberale nicht sehr für den Gedanken schwärmen, mit der Schulreform als Parole in den Wahlkampf zu ziehen. Anderseits besteht bei einem großen Teile der Unionisten der feste Glaube, mit einem schutzzöllnerischen Wahlschrei siegen zu können. Campbell- Bannerman hat selbst kürzlich in Manchester anerkannt, daß das Ringen um Free Trade oder Protektion ernst zu werden beginne. Viele Liberale sind ebenfalls für diesen Wahlschrei. Zwei Sessionen sind eine lange Zeit. Und das parlamenta rische Leben Englands ist an solchen abrupten Frontändernn- gcn so reich, daß das Ausland darin die Hauptschwierigteit findet, einen Einblick in die innerpolitischen Geschehnisse des Jnselreiches zu gewinnen. Man wird daher diese Möglich keit nicht aus dem Auge verlieren dürfen. Die Konservativen behaupten, England „treibt in den Schutzzoll". Hier plötzlich Halt zu gebieten, könnte in einem vorteilhaften Augenblick für den leitenden Staatsmann eine Diversion bedeuten, welche ihn und seine Partei von großen Schwierigkeiten und von der Notwendigkeit befreit, unter ungünstigeren Umständen das unsichere Wahlglück zu versuchen. Vie viu. Internationale flonkerenr vom Voten vrenr. I. Vom 10. bis 15. Juni tagt in London die 8. Internatio nale Konferenz vom Roten Kreuz, und diese Versammlung wird ohcke Zweifel in der Entwicklung des großen humanen Werkes einen Meilenstein bedeuten, an dem kommende Jahr« zehnte nicht ohne dankbares Gedenken vorüberschreiten werde». Als Henry Dunant die Grundlage des Noten Kreuzes zu Genf legte, ahnte er kaum, daß in wenigen Jahr« zehnten die ganze Welt, soweit sie auf Gesittung und M^n;ch- lichkeit Anspruch erhebt, rm Zeichen des Symbols barm herziger Liebe stehen würde, das heute nicht nur dem Euro- -äer, sondern auch dem Asiaten und Afrikaner nicht mehr fremd ist. Der Anteil Deutschlands an der Wettertnwung des Roten Kreuz-Gedankens ist kein geringer, und wenn arch heute beionders die Franzosen sich stellen, als sei bei ihnen de: größte Teil der Arbeit und Les Jntereffes vertreten, wenn selbst die Japaner auf Grund chrer großen Er« sahrungen im russischen Kriege heute in London bei Ken Verhandlungen eine große Rolle spielen werden, so da?! man nicht vergessen, daß es deutsche Namen sind, die unver gänglich in die Annalen der Noten Kreuz-Arbeit eingetragen sind Die erste Internationale Konferenz, 1867 in Paris ab gehalten, batte noch mit Fragen zu tun, die heute als selbst verständlich gelten. In erster Linie wurde auf ihr die Neu- tralität der Verwundeten beschlossen. Die zweite Versamm- lnng, 1869 in Berlin abgehalten, sah Teilnehmer in ihrer Mitte, die für die Friedenstätigkeit des Roten Kreuzes weit- ausschauende Gesichtspunkte in die Diskussion stellten. Besonders Professor Virchow tat sich damals in bahn- brechender Weise hervor. Eine feste Gestaltung der Arbeit wurde indes erst 1884 in Genf erreicht. Hier waren auch überseeische Länder, wie Argentinien, Japan und Peru, ver treten. Auch die kleineren europäischen Staaten, wie Bul garien, Dänemark, Griechenland und Serbien, entsandten zum ersten Male Delegierte, und das Internationale Komitee, das bisher ohne Mandat gewesen war. wurde in seiner Funktion bestätigt und die Notwendigkeit der Kriegs vorbereitungen anerkannt. Damals war es, daß die hoch- selige Kaiserin Augusta einen Preis für die beste transpor- table Krankenbarackc stiftete. Es ist überhaupt das größte Verdienst dieser viel verkannten Frau gewesen, daß sie allein von den maßgeben den hohen Persönlichkeiten die gewaltige Wichtigkeit er kannte, welche das Rote Kreuz und seine Arbeit im sozialen Leben der Völker gewinnen mußte, sobald es seine eigentliche Arbeit im Kriege nach eingetrctcnem Jriedensscbluß nicht erlahmen ließ, sondern seine Organisation, seine Leistungs fähigkeit auch in Friedenszeiten dem Wvblc der Völk-'r dienstbar machen würde. Neben der Kaiserin Augusta wo, es dos großherzoglichc Paar von Baden, das besonders i.-.k der Versammlung in Karlsruhe 1887 sein Augenmerk e n Arbeiten des Roten Kreuzes widmete. Als die Konferenz 1892 in Nom tagte, stand das schwierige Thema der Aroeit deS Roten Kreuzes im Seekriege, die Ausbildung von frei willigen Krankenpflegern und Krankenträgern am der Tagesordnung, und B. von dem Knesebeck machte im Namen des dcutfchcn Roten Kreuzes damals Vorschläge, welche in zwischen maßgebend geworden sind. Auf dieser römischen Tagung war auck der Kongostaat bereits vertreten. — 1897. auf der sechsten Konferenz in Wien, sah man auch die "Ab geordneten Siams. Hier war cs wieder die Hilfeleistung im Seekrieg und die Gewährung internationaler Hilfe, welche die Beratungen nm meisten fesselte, während der jetzige Generalsekretär der deutschen Vereine vom Roten Kreuz, Professor Dr. Pannwitz, die Herstellung von Verbands mitteln und Desinfektion im Kriege, die Er weiterung der kricgvorbereitcnden Tätigkeit im Roten Kreuz und die Friedenstätigkeit überhaupt behandelte. — Auf der letzten Tagung zu Peters- bürg im Jahre 1902 war die Reihe der Beratungs gegenstände und der Teilnehmer bedeutend gewachsen. Die Frage der Erweiterung der Grundsätze der Genfer Konven- tion auf den Seekrieg wurde erledigt, die Bildung neuer Ge sellschaften, wie sie auf der Haager Friedenskonferenz zur Unterstützung der Kriegsgefangenen angeregt worden war, wurde in die Tätigkeit des Roten Kreuzes cinacschlossen und mit Rücksicht auf gewisse Erfahrungen im Südafrikanischen Kriege wurde eingehend die Frage der internationalen Hilsc- lcistungen neutraler Gesellschaften im Falle deS Krieges er örtert. Solche Hiliscrpeditionen sind bekanntlich deutscher seits für den griechisch-türkischen, den südafrikanischen und den japanisch-russischen Krieg ausgesandt worden. In Petersburg war es, wo die Kaiserin Maria Feodorowna einen 100 000 - Nubelfonds für Fortschritte auf dem Gebiete der ersten Hilfeleistung im Kriege stistete. Die Zinsen dieses Fonds kommen bei der diesjährigen Tagung in London zum ersten Male zur Verteilung. Ein zweiter Artikel, der sich vornehmlich mit den siir London angemeldeten Arbeitsplänen beschäftigen wird, folgt moroen.
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