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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 27.10.1907
- Erscheinungsdatum
- 1907-10-27
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190710272
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19071027
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19071027
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-10
- Tag1907-10-27
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Be-ugS-Prri» Mr r«ch»ta «» P»r»rt» d«ch «P« Le«« «d Vp«dtt«« t» -«» ,«0r»chtr «utgob« L t«ur >»or»e»«) vtertrljthrltch Llltaab« I (»ora«I -2 «dr-dy vtrrttl. M-ltch 4. S0 « «onarltch I.« «. varch dP Post dq»»«» <2 «l ttgltch) Morrhölt Drölschland» und der druttche» stoloni« otrrtrttihrttch bLS Vl., »»aatltch 1.7S vi. autschl. Poü- bestellgeld Mr Orti erreich SL So d. Ungarn 8 L vierteljährlich. «donneniant-Pnnadin,: Lngnstnstplatz 8^ bat untere« Lrtaer», FUialen, Spediteure» nad «ouahmeftellen^ towte Boüümtrru nnd Dir etngelne Mnnonrr kostet Ist Pfg. «rdaktta» nnd «xpedUionr Jabannitgalle 8 Lrlevbo» «r. I4WL «r. 1«»» Mr. 14SV4. varltnar Nedaktton» lv«rra»: vrrlin biV. Prinz Lost« Ferdinand» Strobe 1. Lelephon I, Nr. S27S. Morgen-Ausgabe v. WMtrTagMM Anzeigen-Prei» Mr -»irrste au« Letprio »»d Umgebn», iiäSaespaltenc BekitpeileS Vi., itnanMl« Injetge» 30 Pt., Mello »es l vt » »an anowttrt« 30 Pt., Mrvamrn 1.L>vt. oom Auglasb^o^M., fi«n«. >n»eMe»7S W. Jnterntro. vastbrda» t»amütch«a staUstoPi. veilogegebübr Svi. p. Lausend er«. Post- gedsthr- »eichLstga»»eigen an bevor»»gler Stelle im Preise erhitzt, viabatt »ach Laris. Fefterteilte «usträae kbnnen nicht zurück, aeasgea «erden. Für da« Erscheinen an drfttüuntrn Lage» und Plttzen wird kein« Handelszeitnng. Amtsvsatt ves Rates und des Ralizeiamtes der Ltadt Leipzig. »zeigen»«n»ah»e > stdtgnstngplotz 8, bei sämtlichen Filiale» ». alle» «nnoucrn- Expeditionen de« Jo. nad Lu«laade«. Panpt Niltal« verlwi Tarl Dunckr , tzerzogl. Vahr. Hofbllch- tzandlnng, Lützowftrab« IL cLelrphon VI, Mr. 4M8> Nr. 288. Sonntag 27. Oktober 1907. 181. Jahrgang. Da» wichtigste vorn Sage. * Staatssekretär Dernburg ist riestern abend von Port Said nach Neapel weitergereist, nachdem er einen Ausflug nach Kairo unternommen hatte. * Im Prozeß Moltke-Harden wurde die Verkündigung des Urteils auf Dienstag vormittag 1M/r Uhr angeseht. Der gestrige Tag wurde ganz und gar von Plädoyers in Anspruch genommen. (S. Art. und Ber.) * Die dringend notwendige Erhöhung des Rekrutenkon tingents wird voraussichtlich «inen neuen Konflikt zwischen Oesterreich und Ungarn Hervorrufen. (S. Ausl.) * Im Landsthing erklärte die dänische Regierung, daß die nordschleswigsche Frage als internationale seit 1879 nicht mehr existiere. lS. Ausl.) «. Moltke an- Harden, zwei Porträts. Das Urteil im Prozeß des früheren Kommandanten von Berlin und Heneraladjutanten Grafen v. Moltke gegen Maximilian Harden, wie es auch ausfallen möge, vermag an den Feststellungen der Beweisauf nahme nichts mehr zu ändern. Und man kann jetzt schon in die Be trachtung dieser Dinge eintreten. Zunächst sei versucht, mit möglichster Objektivität ein Bild der Prozeßgegner zu geben, wie es sich dem Augen zeugen dieser viertägigen Verhandlungen zeigte. Da ist dieser Kuno Graf v. Moltke, den Harden als anormal empfindenden Menschen bezeichnet und den der Sachverständige Dr. Magnus Hirschfeld direkt homosexuell veranlagt genannt hat. Das Bild dieses Mannes hat im Laufe des Prozesses sich gewandelt, und erst jetzt, am Schlüsse des Prozesses, kann man sich eine klare Vorstellung vom Wesen des Grafen machen. Die unsichere, nach Ausdrücken suchende, unpräzise Sprechweise in den ersten Tagen, dann die unleugbar schwer gravierenden und schließlich gar mcht mehr objektiv bestrittenen Be kundungen der Frau v. Elbe, der geschiedenen früheren Gattin des Klägers, mußten eine begründete Abneigung gegen ihn erwecken. Ein preußischer General mit solchen Anschauungen über die Ehe, über die Frauen, mit solchem süßlichen Wesen und solcher Backfischseutimentolität Männern gegenüber ist ja an sich schon ein Unding, eine Possenfigur, und nichr einmal eine harmlose. Man würde ihn auf der Bühne für unmög lich halten, und das Leben zeigt uns ihn lebendig. Zu dieser Figur nun hat doch eigentlich erst das Gutachten des Sachverständigen den Kommentar geliefert. Er erst klärt den Widerspruch zwischen der Bru talität gegenüber den Frauen, und sogar seiner eigenen Frau, und zwischen dem das normale Empfinden direkt abstoßenden Schmachten mit dem Freunde auf. Der Mann mußte so empfinden, mußte so handeln, eben weil er anormal veranlagt ist. Wie der normale Mensch die Betätigung homosexueller Neigungen als widerwärtig ansieht und sie gelegentlich gern derb bezeichnet, so empfand auch der homosexuell veranlagte Kläger die Betätigung heterosexueller Neigungen als wider wärtig, und bezeichnete sie als — Schweinerei. Das war von ihm keine Brutalität, sondern der Ausdruck seines Empfindens. Erst jetzt sieht man auch, daß sich dies sehr wohl mit dem sonst so empfindsamen Gemüte, mit den aufs Künstlerische gerichteten Neigungkn verträgt. Der Mann konnte gar nicht anders denken und sprechen. Und unter der Ehe mit der Liebe verlangenden jungen Frau muß der fünfzigjährige Aesthci mit seinen besonderen Neigungen mindestens ebenso gelitten haben wie die Frau. Tas ist eben die Tragik dieser Ehen, daß sie unglücklich werden müssen, ohne daß von einer persönlichen Schuld die Rede sein kann, außer von der, die Ehe überhaupt geschloffen zu haben. Das sieht wie eine Entschuldigung und Verteidigung des Grafen aus. soll es auch bis zu einem bestimmten Grade sein. Aber es ist keine Belastung Hardens, denn tatsächlich zeigen sich auch in diesem, vielleicht ohne sein Wissen homosexuell veranlagten Menschen alle besonderen Merkmale und Qualitäten seiner Art, di« ihn eben für gewisse Posten und Aufgaben absolut untauglich macht. Die Unsicherheit, die Weich lichkeit, die Unentschiedenheit. Wir wollen den Hardenschen Vor wurf der bewußten Unwahrhaftigkeit nicht bis in alle Konsequenzen übernehmen und als erwiesen unterstellen, obwohl er, in objektiver Hin sicht, so gut wie begründet erscheint. Noch am Sonnabend morgen hat Graf Moltke selbst das Wort des Freiherrn v. Berger, er habe schon im November 1906 mit dem Fürsten Eulenburg wie mit dem Kläger über die homosexuelle Bedeutung der Hardenschen Angriffe gesprochen, als objektiv wahr zugegeben. Aber wir halten den ganzen Charakter des Grafen nicht für geeignet, aus klaren Situationen klare Konsequenzen zu ziehen. Dieser schwankende Mensch machte sich vielleicht selbst etwas vor. Und sein Mangel an Entschiedenheit ist jedenfalls die Haupt ursache aller seiner Leiden und auch seines vielleicht sich selbst nicht ein gestandenen Mangels an Zuverlässigkeit in seinen Angaben. Aber nun kommt die Frage: Ist dieser Mana ein Kommandant von Berlin? Ist dieser Mann ein geeigneter militärischer Ratgeber des Kaisers? Die Antwort hierauf gibt Harden recht. Es war ein Verdienst, diesen Mann und noch weit mehr den viel schwerer belasteten Fürsten Eulenburg, dessen Werkzeug er war, zu stürzen und den sauberen Herrn Lecombe unmöglich zu machen. Ob auch die Mittel einwandfrei waren? Tas wäre zu untersuchen. Eins ist jetzt klar geworden: Harden wußte tatsächlich mehr, als er gesagt hat. Man darf ihm ferner glauben, daß ihn wirklich nur lautere politische Motive zu seinem Vorgehen bestimmt hoben. Es gibt da «inen psychologisch durchschlagenden Beweis. Es ist nämlich unzweifelhaft, daß Harden mit seinem Werke seinem eigenen schärfsten Gegner, dem über di« Kamarilla stöhnenden Fürsten Bülow, den größten Gefallen getan hat. DaS tut man nicht, wenn man sich von persönlichen Motiven leiten läßt. Trotzdem kommen wir heute nicht ganz darüber hinweg, daß dieser Kampf mit halben Andeutungen, die schließlich doch immer mehr vermuten lassen, als sie wirklich und faß lich sagen, nicht nach jedermann- Geschmack ist. O« ot^Iv o'oot l'bomrns. Vielleicht kann auch Harden nicht anders. Es ist sein Wesen, das sich so äußert, so äußern muß. Doch gibt e» auch eine objektive Erklärung dafür, die oine Rechtfertigung sein kann. Harden führt sie selber an. Er wollte den Skandal vermeiden. Wir glauben ihm daS, müssen verstanden werde«. Wenn eS nur wirkte, dann wollte er zufrieden sein. Er woll te den Skandal vermeiden. Wir glauben ihm das, müssen aber doch darauf Hinweise«, daß gerade diese Superdelikatess« danu zu dem größten Skandalprozeß geführt hat, den die moderne Historie kennt. Den Erfolg der Skandalvermeidung hat Harden jedenfalls bei seiner Taktik nicht erreicht. Aber das bleibt jedenfalls bestehen, daß er skandalöse Zustände beseitigt, die höchste Stelle des Reichs, wie das ganze Volk von unmög lichen Elementen mit großem Einfluß befreit und damit den Anspruch auf ehrlichen Dank verdient hat. » - O Der vierte Verhandlungstag. .. (Eigener Drahtbericht.) s. Berlin, 26. Oktober. Der Vormittag brachte die Plädoyers der beiden Verteidige^ und eine Rede des Grafen Moltke. Der Nachmittag war für die mehr als zweistündige Rede Hardens reserviert. In den Reden wurde von allen Seiten reichlich mit dem Gefühl operiert und auf das Gefühl zu wirken versucht. Der Geburtstag des Grafen Moltke, der 26. Oktober, spielte eine große Rolle dabei. Zuerst kam Herr v. Gordon dran, der in zusammenhängender Rede immerhin wirkungsvoller spricht, als dies bisher zutage getreten war. Trotzdem ist nicht viel Neues von seiner Rede zu berichten, die im wesentlichen eine Rekapitulation der schon bekannten Argumente der Moltkeschcn Partei war. Gordon verlangte eine ernste Strafe für Harden zur Sühne für die in den Schmutz getretene Ehre seines Mandanten. Interessanter war schon Bernstein, der übrigens mit schwerer stimmlicher Indisposi tion zu kämpfen hatte. Es ist eine Eigentümlichkeit dieses Sprechers, auch in den Momenten höchster Erregung den Literaten nicht verleugnen zu können. Mitten im höchsten Pathos bringt er plötzlich einen witzigen Einfall an, spricht davon, daß die Behauptungen des Gegners nur ein Dienstmann glauben könne, notabene wenn er dafür bezahlt werde. Er zitiert Schiller, der gesagt hat: „Es soll der Sänger mit dem König gehen", aber nicht: „Es soll der Homosexuelle mit dem König gehen". Seinen Trumpf aber spielt er aus, als er auf den Kanzler Bezug nimmt. Auch dieser sei derselben Dinge beschuldigt worden, hat aber nicht sein Amt niedergelegt, sondern geklagt, wie ein deutscher Edelmann und Soldat. Das Ereignis des Vormittags aber war doch die mit Hilfe eines Konzepts gehaltene Rede des Grafen Moltke, die Eindruck machte und der Gegenpartei offenbar ganz überraschend kam. Gras Moltke be hauptete, es sei einfach nicht möglich, noch in Uniform über die Straße zu gehen, auch wenn man unschuldig ist, nachdem man so mit Schmutz beworfen worden sei, wie dies hier durch die Hardenschen Verleumdun gen geschehen ist. Er danle desholb dem Kaiser dafür, daß er ihn ent- lcksscn und ihm die Mögl>' kei. gehoben hole, sich zu verteioigen. „Ich lege meine Ehre in Ihre Händr." Bern st ei n sucht sofort den Eindruck der Rede abzuschwächen. Er operiert mit dem nicht vernommenen Zeugen Freiherrn v. Berger und bittet nochmals, in die Beweisaufnahme cinzutreten und diesen Zeugen zu vernehmen, der die Unwahrhaftigkeit des Grafen Moltke bestätigen werde. Da Harden eine längere Rede in Aussicht stellt, wurde die Sitzung auf nachmittag 5 Uhr vertagt. Inzwischen haben sich Tausende von Menschen angesammelt. Ein Schutzmannsausgebot in Stärke einer Kompanie hält die Passage frei. Im Gerichrsgebäude selbst ist noch eine große Schutzmannsreserve aufgestellt, um einen eventuellen Tumult zu verhüten. Die zweistündige Rede Hardens war in der Disposition musterhaft durchsichtig und in jedem einzelnen Absatz überaus geschickt. Rhetorisch hatte sie nur den Fehler, daß die einzelnen Abschnitte zu sehr mit Ab schweifungen durchsetzt waren. Doch bot sie tatsächlich ein neues farben sattes Gemälde der sämtlichen Vorgänge und ihrer Motive, soweit sie bei Harden lagen. Zu Anfang gleich eine c-LptLtüo denc-volsntias: Ich bin manchmal über Gebühr hitzig gewesen und bitte den hohen Gerichts hof um Entschuldigung. Als Präludium die Tatsache, daß Graf Moltke seinerzeit zwei Häuser von der Adlervilla in Potsdam gewohnt, dies im Prozeß aber nicht gesagt habe. Die Adlervilla ist das Lokal, in dem die fürchterlichen Orgien vor sich gingen. Dann kommt die ganze Historie dieses Prozesses. Bismarck wird zitiert der schlechte Menschenkenner, dessen Sturz mit auf Eulenburg zurückzuführen sei. Diese Eulenburg, gruppe umgab den Kaiser mit Mystizismus, flüsterte ihm zu, er sei der von Gott gesandte Herrscher und nur dem Himmel verantwortlich. Alle vier deutschen Kanzler hätten unter dem Eulenburgschen Einfluß zu leiden gehabt. Caprivi sei in Liebenberg gestürzt worden, Hohenlohe habe Nervenzucken bekommen, sobald er nur den Namen Liebenberg ge hört habe, und Bülow sei auf den Tod mit dem Fürsten Eulenburg ver feindet, obwohl er selbst von ihm zum Kanzler ausersehen worden sei. Nicht zum Kaiser und nicht zum Kanzler sei die Frau von Bülow ge fahren, als ihr Mann Botschafter in Rom bleiben und das Staats sekretariat des Auswärtigen nicht übernehmen wollte, sondern nach Wien zum Grafen Eulenburg, dem Botschafter. Sind das Zustände? Dann kommt die Affäre Lecomte, von dessen Tätigkeit ihm ein Ritter des Schwarzen Adlerordens erzählt habe, den der Kläger wohl kennen werde. Der Krieg stand auf des Messers Schneide, und an allem war Le- eomte schuld mit seinen Treibereien, die von der Eulenburger Clique unterstützt wurden. Aus Lecomte ist die Ansicht zurückzuführen, in Frankreich sei man zur Versöhnung mit Deutschland reif. Als sich das später als unrichtig herausstellte, war man echauffiert und es wurde die gereizte Marokkoaffäre daraus. Ich habe mitgewirkt, den Einfluß zu brechen, die Hauptaktion aber haben Se. Majestät und der Kronprinz unternommen und wenn beute in Taktlosigkeit gerufen wurde, als der Kronprinz durch Berlin ritt: „Hoch der Kronprinz!", „Hoch Harden!", so empfinde ich doch eine kleine Genugtuung, daß ich cs getan habe. Auch in dieser Rede freilich kam ein kleiner niedlicher Schnitzer vor, indem Harden von dem Frhrn. v. Berger sagte, der Mann sei wohl Theater- direktor, aber nicht so einer, wie die übrigen, sondern ein intimer Freund deS Fürsten Eulenburg und von Leuten gleichen Ranger. Eine Rede, in der alle Register gezogen wurden, stellenweise bis zur höchsten Höhe rednerischer Kunst gesteigert, auch dadurch ausgezeichnet, daß Harden nicht in die bei ihm leicht eintretende Exaltation geriet, sondern sich trotz aller Verve menagierte. Es wirkte fast komisch ernüchternd, als der Gerichtshof nach dieser stundenlangen Spannung in tiefster Freundlichkeit lächelnd verkündigte, daS Gericht habe beschlossen, das Urteil Dienstag vormittag um 10^- Uhr zu verkünden. Die neuen sächsischen Ttirchen- und Schulsteuevgesetze. Wie schon telegraphisch mitgeteilt, ist dem Landtage mit königlichem Dekret Nr. 23 der Entwurf eines Kirchen- und eines Schulsteuergesetzes, sowie eines KirchengesctzeS über den Haushalt der evangelisch-lutheriscken Kirchgemeinden zugegange«. Bon ihnen sind am wichtigste» die Ent würfe deS Kirchensteuer- und deS Schulstenergesetzes, während daS Kirchengesetz über den Haushalt der evangelisch-lutherischen Kirchgemeinden sich mehr als eine innerkirchliche Konsequenz de« erstgenannten Entwurfs darstellt und als solche der Sanktion durch die staatlichen Gesetzgebungs faktoren bedarf. Der Zweck deS neuen Kirchensteuergesetzentwurfs ist ebenfalls bereits telegraphisch mitgeteilt worden. Er geht dahin, die von der Regierung und der Volksvertretung wiederholt als notwendig erkannte Reform der Parochiallastengesetzgebung, so weit sie sich auf die Kirchgemeinden be zieht, ins Werk zu setzen. Wohl hat das Parockiallastcugesetz vom 8. März 1838 mit seinen Abänderungsgesetzen vom 2t. März 1843 und vom 12. Dezember 1855 seine Ausgabe für die damalige Zeit sehr Wohl gelöst und die in der Zeit der Reformation entstandenen, vielfach in der Praxis bestrittenen Grundsätze Uber die finanziellen Leistungen der Kirchgemeinden und ihrer Mitglieder zu festem Abschlüsse und mit den Forderungen des modernen Verfassungsstaates in Einklang gebracht. Gleichwohl sind aber neuerdings Klagen über Mängel dieser Gesetze ausgetaucht und man kann diesen Beschwerden die Berechtigung nicht absprechen. Verhältnismäßig noch am wenigsten kommen die Klagen in for maler Beziehung in Beiracht. Denn wenn auch in neuerer Zeit wich tige Gegenstände diefes Gebietes ohne formelle Aenkerung der erwähnten Gesetze durch bloße, mit königlicher Genehmigung und ständische Ermäch tigung erlassene Verordnungen geregelt worden sind, wodurch der innere Zusammenhang zwischen den einzelnen bestehenden Vorschristen gestört worden ist, so wäre doch den daraus entstehenden AuSlegungSichwierig-- keilen wohl durch eine einfache Neuredaktion des Gesetzes abzuhelfen ge wesen. Weit wichtiger aber sind die Änderungen, die in sachlicher Hinsicht erwünscht sind. Zunächst ist bei Erlaß der Kirchenvorstands- und Synodalordnung vom 30. März 1868, wodurch die Kuchgemeir-dever- fassung auf vollständig neuen Boren gestellt und die Kirchcnooritänve geschaffen worden sind, ferner bei Erlaß des OrganisationSgejetze« vom 21. April 1873, wie auch bei Erlaß der revidierten politischen Gemeinde ordnungen vom 24. April 1873 unterlassen worden, eine der veränderten Organisation und Zuständigkeit der Seldstvcrwalluug-körper rnispreckenoe Neufassung dcS ParochiallastengesetzeS herbeizusühreu, wa» zu großer RrchtSunsicheiheit geführt hat. Dabei ist auch der Gegensatz zwischen den für die Sieuerpflicht so wesentlichen Begriffen der Gemeinde- mitglikdschafi in der politischen und der parochialen Gesetzgebung un ausgeglichen geblieben. Die Hauptbeschwerden liegen indessen auf konfessionellem Gebiet. Zn erster Linie richten sich diese Beschwerden gegen die Vorschristen de« Gesetze« vom 8. März 1838, wonach daS Grundeigentum auch der An gehörigen der konfessionellen Minderheit zu den Kircbenanlagen der Mebrheitsgemeinde beitragspflichtig ist. Sodann sind au« konfessionellen Gesichtspunkten die Beschwerden hervorgeaangen, die neuerdings von katholischer Seite gegen daS ausschließliche Recht der MehrbeitSaemeinden auf Besteuerung der juristischen Personen für kirchliche Zwecke geltend gemacht worden sind. Endlich sind noch in Frage gekommen finanz technische Gesichtspunkte, wonach die Ausgestaltung der Kirchensteuern, wie die der Kommunalsteuern überhaupt, viel zu wünschen übrig läßt Die Grundsätze, von denen die Regierung bei Aufstellung des vor liegenden EntwuifS ausgegangen ist, sind ebenfalls bereits kurz mitgeteilt woroen. Darnach wird durch daS Geletz im wesentlichen zunächst der jetzt tatsächlich bestehende RcchtSzustand kodifiziert und die RechtSunsicher- heit, die sich vielfach gellend gemacht bat, beseitigt. Ein Fortschritt ist zweifellos darin zu erblicken, daß 8 4 den Grundsatz aufstellt: „Jede natürliche Per'on darf nur zu Kirchensteuern für Gemeinden ihrer eignen Konfession berangezogen werden." Ei» Rechts,ustand, wie der durch die tztz 3 und 21,2 reS Gesetzes vom 8. März 1838 geordnete — leider sind auch in der neuen Vorlage die Vorschristen des bestehenden Gesetzes nickt m>t abgedluckt — ließ sich nur rechtfertigen aus der prinzipiellen Auf fassung der geschlossenen Landeskirche, die keine andere Konsession neben sich duldet. Ein io eher Zustand hat nach der Reformation in Kursachsen allerdings fast 2'/, Jahrhunderte und nach dem Wortlaute der gellenden Gesetze bis 1807 bestanden. Er wurde aber innerlich unbegründet und unballbar von der Zeit an. wo neben der evangelisch-luiherilchm Lande--,' lirche auch andere Konfessionen als gleichberechtigte Kirchen Ausnahme sauren. Wenn also von dem neuen Entwürfe die Besteuerung der Andersgläubigen nach ihrem Grundbesitze ausgehoben wird, so ist daS durchaus gerechtfertigt, wenn e« auch in die Vermögenslage vieler Kirch gemeinden tief einschneiden wird. Schwere Kämpfe zwischen Regierung und einem großen Teile der Volksvertretung dürften dagegen die Paragraphen deS neuen Entwurfs entfesseln, die erkennen lassen, daß die Regierung an eine völlige Trennung von Schule und Kirche und eine vollkommene Selbständigmackung der Schule noch immer nicht denkt. Daß sachlich an einer möglichst weit gehenden Ucbereinstimmung zwischen der Besteuerung zu Kirchen- und zu Schulzwecken festgehalten wird, mag vom steuertechnischen Standpunkte aus zu verteidigen sein. Sehr bedenklich ist eS dagegen, daß di« Regierung in der allgemeinen Begründung zu dem Gesetzentwurf (S. 17) sagt, daß an dem konfessionellen Charakter der sächsischen Volksschule unbedingt fest- zubalten lein würde. Hier wird die Regierung auf den allerentschievensten Widerstand der Liberalen stoßen, und wenn sie darauf hinweist, daß zahlreiche Berührungspunkte zwischen Kirche und Schule noch bestehen, jo z. B. der Cbarakter von Schulen und Schulleben al- Kircklchulen und K'rchschullehen in den meisten ländlichen Schulbezirken (über 1000 in Sachsen), die Anstellung deS Lehrer« zugleich al« Kirckschullehrer und die vielfachen Zuflüsse auS kirchlichen Fonds an die Schule, so ist die Frage wohl berechtigt, warum die Regierung mit diesen mittelalterlichen Velleitäten nicht längst aufgeräumt hat. Zeit dazu hat sie wirklich genug gehabt. Wie verlautet, ist daher auch von natiooaNiberaler Seite bereit« ein Antrag auf Neuregelung de- gesamten BolkstchulwesenS im Königreich Sachse« beim Landtage eingereicht worvea. Gedruckt lag er allerdings gestern abend im Bureau de« Landtags «och nicht vor. Daß eine Reihe von Vorschriften i« dem Entwurf enthalten sind, die im Interesse de« Steuerzahler« einen möglichst enge« Anschluß der Kirchensteuern an die politischen Gemeindesteuer« berocijühre« tolle«, kann man nur billigen, für verfehlt kalten wir »S dagegen, wenn der Entwurf die Möglichkeit vorsieht, daß indirekt« Stenern für Kirch««- »wecke bei Besitzwechsel oder Wertzuwachs erhoben werde« könne«. Für solche Fälle find staatliche oder Kommunalabgaben Wohl angebracht, in kirchlicher Hinsicht kommen aber derartige Geschäfte mcht iu Betracht.
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