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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 12.11.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-11-12
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19071112023
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907111202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907111202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-11
- Tag1907-11-12
- Monat1907-11
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Abend-Ausgabe S» Bezug«.Preit d, ich Di« eiazelne Rmmn«r kost« 18 «rdaktt»» «ch Erpedttio»: J»h«mchM« 8. Trlrvhon Rr. 14SS2, Rr. Ick»» Rr. 14»t. ' S«rlt»rr RrdEio». Vrrlm UV. '/. Pruu Louis Ferdinant» Strich« 1. Tsirp-on I. Rr. 0275. skr Lckvcka il»d Soeorrr durch mster« Trtgrr »so kpedtt»»« t»l Haut gebracht: Aufgabe T (nur moraeus) Rertrljthrllch 8 Di-, monaatch 1 »-, Rosaab« S (moraens und abends) viertel» jährlich «.S0 St„ monatlich 1.S0 Li. »«» di» „st <2 »al tLglich) in noch «ud der deutschen Lolon 5,25 M., »oaetlich 1,75 IT aussch! bestellgeld sür Oefterrckch v u Ungar» S L vtvtteljthrlich. Lbonnement-Lonalnae: AugustnsplaH bei unseren DrLgern, Filialen, SsEt«k« nnd Snnah»«sre!len, sowie Postämtern und "tWMrTagMM Handelszeitung. Amlevlatt des Rates und -es Rolizeiamtes -er Lta-t Leipzig. Anzeigen Preis sür Inserate au« Leipeia und Umgebung di, Sg-spaliene Petitzeile 25 Ps,, finanzielle Sn-eigen 30 Ps. Reklamen 1 M,; von auswärts 30 Ps,, Reklamen 1,20 M, vom Ausland 50 Ps., ftnanz. Anzeigen 75 Ps. Reklamen l.SO M. Inserate v. Bedtrdcn im amUiwen Teil ck> Ps lveilagegebübr 5 M. p. lausend exkl. Post gebühr. Aeichästsanzeigen an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Taril. Festcrteilte Aufträge können nicht zurück gezogen werden. Für da» Erscheinen an bestimmten Tagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen Anzeigen Annahme: Uuguftusplatz 8 bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- Srpeditionen des In» und Auslaude». Haupt Filiale Berlin Sarl Dunckt Herzog!. Bahr. Hosbuch- handlung Lützowftrahe lO. «Telephon Vl. Rr. 4003). Nr. 31i. Dienstag 12. November 1907. 101. Jahrgang. Da» wichtigste vom Tage. * Die Kaiserin wird am Sonnabend, gleichzeitig mit der Uebersiedelung des Kaisers nach Wight heimkehren. Am Sonntag wird die Kaiserin dem holländischen Königspaar auf Schloß Loo einen Besuch abstatten. lS. Artikel „Kaiserfahrt".) * Nach dem heutigen Bulletin ist Prinz Arnulf an schwerer Influenza mit rechtsseitiger Lungenentzündung er. krankt. Di« Herztätigkeit ist gut, doch ist der Zustand des Kranken sehr ernst. * Die Kossuthpartei hat mit großer Mehrheit die Annahme der Ausgleichsvorlagen beschlossen. (S. Ausl.) * Heute beginnt die Marokkodebatte in der franzö sischen Kammer. 6 Interpellationen sind angemeldet. * Zwischen den mittelamerikanischen Staaten ist der end» gültige Friede abgeschlossen. sS. Ausl.) Die Aaisevfahrt nach England. lieber die Verwirrung, welche die anfängliche Nebel-Verspätung und das spätere Schnellerfahren der „Hohenzollern" in das Festpro. gramm von Portsmouth hineingebracht haben, erhalten wir noch fol gende anschaulichere Darstellung! Der gestrige Tag war infolge des durch den dichten Nebel ge schaffenen Zustandes ein Tag der Irrungen. Das Militär war, da man annahm, daß die „Hohenzollern" nicht vor 2 oder 3 Uhr einfahren könne, entlassen, und die Offiziere und auch der Lordmayor zogen heim. Plötz lich wurde gemeldet, die „Hohenzollern" sei nahe, und schon ertönte der Donner des Saluts. Der Kaiser fuhr die Allee der englischen Flotte ab. Unerwartet früh um 1 Uhr 30 Min. fuhr die „Hohenzollern", von einem Torpedoboot geführt, am Kai ein und machte fest. Der ganze Akt vollzog sich ohne Saug und Klang, nicht einmal di« Be- usillkommnungs-Nationalhymue wurde gespielt da keine Musik zur Stelle war. Alles wurde erst schnell zusammengetrommelt', Musik, Ar tillerie und die Ehrenkompagnie nahmen Aufstellung. Der Lordmayor mit seiner Adresse erschien auch wieder, ebenso kam der Marinestab wie der zur Stelle. Inzwischen war auf der „Hohenzollern" das Frühstück eingenommen worden. Auch König Eduard n>ar übrigens mit Verspätung in Windsor angelangt, und zwar infolge eines Eisenbahnunfalles, lieber die Verzögerung des königlichen Extrazuges macht die Great Eastern-Bahngcsellschaft offi ziell bekannt, daß eine Stunde, ehe der Sonderzug das Fernsignal von Bishops Swrtford passierte, ein Bahnarbeiter bei der üblichen Gleis- Untersuchung entdeckte, daß eine Schiene gebrochen sei. Das Gleis wurde sofort repariert und sicher gemacht. Der königliche Extrazug fuhr in verlangsamter Fahrt über die Stelle hinweg. Immerhin gelangten die englischen Majestäten noch rechtzeitig auf den Bahnhof von Windsor. I« Schloß Windsor ging der allerofsiziellste Teil der Empfangsszene vor sich: die Begrüßung des Gastes der Königsfamilie durch die Männer, welche heute Englands Geschicke lenken. Außer Campbell-Bannerman war auch der Staatssekretär des Auswärtigen, Grey, gekpmmen. Der Kaiser kannte die neuen Herren noch nicht: als er das letzte Mal auf eng lischem Boden weilte, regierte noch der alte Marques of Salisbury mit den Tories. — Um 9 Uhr nahmen der Kaiser und die Kaiserin mit dem König, der Königin und den Mitgliedern der königlichen Familie in dem eichenen Speisesaal des Schlosses das Diner ein, während die Gekolge in einem anderen Saale speisten. In Portsmouth statteten die höheren Offiziere der „Hohenzollern" und ihrer Begleit schiffe im Laufe des Nachmittags den Marinebehörden Besuche ab, welche englischerseits erwidert wurden. Abends gab der englische Admiral den dienstältesten Offizieren des deutschen Geschwaders ein Festmahl. Morgen erfolgt der Besuch der City, für den großartige Vorbereitungen getroffen sind. 8000 Mann sollen Spalier bilden vom Bahnhof Paddington bis zur Guildhall. An dem Diner sollen 700 Personen teilnehmen. Die Kaiserin wird nicht in England bleiben, während der Kaiser auf Wight weilt. Sie wird schon am Sonnabend über Vlissingen heimkehren und am Sonntag auf Schloß Loo der Königin Wilhelmine und dem Prinzgemahl einen Besuch abstatten. Tagesschau. Ans dem sächsischen Landtage. Es ist köstlich — eben die Konservativen, für die angeblia; nach den Erklärungen des Ministers von Rüger die Frage der „Nebenregierung" endgültig erledigt ist, kommen immer wieder auf sie zurück. So gestern wieder der Abg. Facius, der den Legationsrat v. Nostitz vor eine hochnotpeinliche Kommission fordern möchte, damit er strenger In quisition unterworfen werde — so auch der Abg. Andrä, der die öffent liche Bekanntgabe des Materials verlangte, das v. Nostitz besitze. Die Regierung aber schweigt noch immer darüber, ob Rüger nur für sich gesprochen, oder aber im Namen des Gesamtmini sie- riums jene bekannte Erklärung abgegeben hat. Sorut baS»H«.»aktäÜH^Hl«rkolchluna ein Allerlei von Wün'cheu und Kritiken, die zu keinerlei ernsthafter Besprechung Anlaß gibt. Immer wieder wurde die Frage der Gehaltsaufbesserung der Beamten erörtert, immer wieder die Frage der Reichssteuererhebung gestreift, und jeder Abgeordnete, der hierzu sprach, glaubte den Stein der Weisen gefunden zu haben, wenn er vorher schon viel und besser Erörtertes noch einmal vorbrachte. Das fängt denn doch nachgerade an, langweilig zu werden. Mag man es ja verstehen, daß der einzelne gern bekennen möchte, wie er zu dieser oder jener Frage steht — wozu bestehen aber die Fraktionen, wenn nicht die Führer in ihren Etatsreden die Stellungnahme der ein- zelnen Fraktionen zu den einzelnen Fragen präzisieren und es dadurch überflüssig machen, daß dann stets wiedergekäut wird, was schon gesagr worden ist! Mögen sich doch die einzelnen Abgeordneten dann darauf beschränken, wichtige Ergänzungen, aber auch wirkliche Ergänzungen zu geben! Dann wird die Debatte sachlich gefördert. So aber wird sie nur formell verlängert. — Zu den wenigen wertvollen Ergänzungen, die die gestrige Debatte brachte, gehörten des Abg. Dürr Ausfüh rungen über die Rcgierungspresse, mit der scharfen Kritik am „Dresdner Journal" — nur daß wir ihm darin nicht beistimmen können, man solle die „Leipziger Zeitung" an einen Verleger verpachten. Wir wissen uns von jeder Animosität gegen die Kollegin frei. Im Gegenteil, wir anerkennen die vornehme Haltung dieses Blattes und ihre journa listische Qualität. Allein, sie ist nun einmal als Negierungsorgan neben dem „Journal" überflüssig. Sachsen kann sich den Luxus zweier amtlicher Organe nicht leisten. Welcher andere deutsche Bundesstaat kennte diesen Luxus! UeberUeße man die Zeitung einem Verleger zur Pacht — so würde von dem Augenblick an nicht mehr klar sein, was die Meinung der Zeitung und was Meinung der Regierung ist. Und da- mit würde ein Rattenkönig von Mißverständnissen entstehen. Mau entschließe sich darum endlich, nur noch ein Regierungsorgan zu halten. Das „Dresdner Journal" hat wegen seines Erscheinungsortes den Vor zug — journalistisch würden wir dem Leipziger Blatt den Vorzug geben. Wir können leider diese Besprechung der gestrigen Sitzung nicht schließen, ohne des peinlichen Zwischenfalls zu gedenken, den der Abg. Hettner mit seiner verletzenden Kritik an der Presse verschuldete. Wir lassen es dahingestellt sein, ob der Abgeordnete sich selbst journa- listisch diejenigen Qualitäten erworben hat, die ihm das Recht geben, ein solches Urteil zu fällen. Er hat wahrscheinlich praktisch keine blasse Ahnung davon, welche Schwierigkeiten die Parlaments-Berichterstat- tung biet«t. Er redet da wie der Blinde von der Farbe. Um so vor sichtiger hätte er mit seinem Urteil sein sollen. Dieweil er sich aber mit seinem Urteil nur selbst geschadet hat, haben wir keinen Anlaß. Weiteres zu sagen. Wohl aber geben wir unverhohlen der Freude Ausdruck, daß die Parlaments-Journalisten sofort die einzig richtige Antwort auf diese unqualifizierbare Anrempelung der Presse gesunden haben. Und wir konstatieren nur mit Bedauern, daß es ein liberaler, freilich auch ein parlamentarisch erst wenig ertahrener Abgeordneter war, dem diese Maßregelung zuteil werden mußte. Ein Konservativer über den Block. Der Reichs- und Landtagsabgeordnete Dr. v. Heydebrand hat kürz lich auf der Generalversammlung des deutsch-konservativen Vereins für die Provinz Schlesien einen Vortrag über die allgemeine politische Lage gehalten. Sogar einen recht bemerkenswerten Vortrag. Herr o. Heyde brand ist als Mensch vielleicht eine der sympathischsten Erscheinungen auf der Rechten. Ein Herr vmi nicht alltäglicher Intelligenz und einer lauteren Ueberzeugunaslreue, die auch dem Andersdenkenden Respekt abzwingt. Aber als Politiker ist er ein Konservativer von jener schär feren Tonart, der das Preußische allemal über das Deutsche geht und die von dem Gedanken der Solidarität aller christlichen Interessen nicht los kommt. Gerade unter solchem Gesichtswinkel reizt es, zu hören, was Herr v. Heydebrand über die gegenwärtige Lage zu sagen hat. Nämlich dieses: Die Blockpolitik ist nur ein Intervallum, und nickt einmal ein schönes. Herr Tr. v. Heydebrand hatte zunächst über die Erhöhung der Beamtenbesoldungen geredet und der Ueberzeuauna Ausdruck gegeben, daß etwas Namhaftes für die Beamtenschaft geschehen müsse. Er war dann auf das Reichsvereinsgesctz gekommen und hatte sich — ein gewieg ter Taktiker — bemüht, die Mitwirkung der Rechten bei diesem Gesetz, die er nicht empfahl, der er aber auch nicht direkt widersprach, als ein glltttz uuermetzttchcs L-rner vcr proohtsthen Konservativen Mrzust-ll-n. Und schließlich war er bei der Frage des Blocks. Im allgemeinen nicht unzutreffend schilderte er die Situation innerhalb der konservativen Schichten. Man würde den Konservativen verdenken, wenn sie den Ge danken, der bei den Wahlen zum Block geführt hätte, schon jetzt im Stich ließen. Viele Konservative seien auch überzeugt, daß man mtt lieb- ralen Auffassungen Hand in Hand gehen müsse; manche hielten es sogar für notwendig, dem Fortschritt der modernen Zeit zu folgen. Aber, aber, als dauernde Institution dürfe man eine Politik wie die heutige doch nimmer ansehen. Ans die Länge ließe sich eine Partei von der Bedeutung und dem Umsange der katholischen Zentrumspartei von der Mitregie rung nicht ausschließen. Und zu guter Letzt: wenn Konservative und Liberale dauernd zu einer gemeinschaftlichen Arbeit verbunden bleiben sollten, so müßte das zu einer „grundsätzlichen Verirrung aller Partei- Merkmale führen". Herr v. Heydebrand schloß: „Ich sage nicht, daß ich Vorschläge, einer derartigen Politik, wie sie im gegenwärtigen Augenblick sich herausgebildet hat, Schwierig keiten zu bereiten, das sage ich nicht, im Gegenteil, ich wünsche, daß der Politik unnötige Schwierigkeiten nicht bereitet werden, aber ein prinzipielles Opfer unserer Lcbensinteressen zu bringen, einer Er scheinung zuliebe, die vielleicht nach einer sehr kurzen Zeit überlebt ist, wäre meines Erachtens das Törichtste, was wir tun könnten." Herr v. Heydebrand hat uns mit diesen Ausführungen — aus dem Herzen gesprochen! Nur, daß wir genau von der entgegengesetzten, von Feuilleton. Schreibe, wie du redest, so schreibst du schön) Lessing (30. Dez. 1743). G wiener Theater. Bon Ludwig Hirschfeld. Wien, Anfang November 1907. Das Interesse, mit dem man den Uraufführungen im Burgtheater entcegensieht, ist zum zweiten Male heftig enttäuscht worden. Nach Sudermann ist nun auch Ganghofer durchgefallen. Und zwar mit einem dreiaktigen Schauspiel „Sommernacht". Der beliebte und sympa thische Erzähler ist in diesem unbeholfenen Ehebruchstück nicht wieder- zuerkenne«. Es spielt im 17. Jahrhundert, und die Menschen reden in fünffüßigen Jamben, aber diese Maskerade hat wohl nur den Zweck, den höchst modernen Anschauungen über eheliche Liebe und Treue das Ver letzende zu nehmen. Ein verliebter Ehemann argwöhnt zwei und ein- halb Akte lang, daß seine Frau ihm untreu sei, bis sie, von der Jämmer. lichkeit des Liebhabers anßeetelt, dem Gatten ihre Schuld selber gesteht. Er ist schon im Begriffe, sie«« töten, da sagt sie ihm, daß sie sich Mntter fühle, und zwar von ihm, ihrem legitimen Gatten, und nicht von dem Liebhaber, und er glaubt es ihr aufs Wort und verzeiht ihr, denn höher als Liebe und Treue steht die Pflicht oegen das nächste Geschlecht. In diesem bißchen Handlung stecken zweifelsohne allerhand satirische Mög lichkeiten, aber Ganyhofer hat es vorgezogen, daraus ein redseliges und rührseliges Schauspiel zu machen, über dessen dramatische Hilflosigkeit er mit wohlfeilen Weisheiten und noch wohlfeileren Licht- und Klang effekten vergebens zu täuschen sucht. Die höfliche Ausnahme, die d'ise Novität fand, ist einzig und allein Herrn Kainz gutzuschreiben, dessen aeistreiches und elastisches Spiel die Zuhörer über den verlorenen Abend Hinwegtrug. Auch in der Hofoper hat es wieder einmal eine Premiere gegeben, nämlich die von Puccinis „Madame Butterfly". Die süße und voch geistreiche Musik, in der Japanisckes, Italienisches und Wagnerisches eigenartig gemengt ist, hat hier stark gewirkt, Wohl auch die etwas krasse und sentimentale Handlung, sowie die Wunder der Ausstattung und vor allem die Kunst des Frl. Kurz. Man rief Puccini mit einer Herzlich» keir, die zum guten Teil dem Komponisten der „Boheme" galt, lieber- Haupt kann Direktor Mahler auf diese letzten Wochen seines Wirkens >n diesem Hause mit Befriedigung blicken, denn schon lange hat es da selbst nicht so viel Frieden und Arbeitseifer gegeben, und sein Nach folger Felix Weingartner findet das komplizierte und kostbare Institut m tadelloser Exaktheit vor. Dos kann man von Herrn Sigmund Lautenburg nicht behaupten, der die erst kürzlich angetretene Direktion des Raimundtheaters mit eine- Plötzlichkeit niedergelegt hat, die selbst die düstersten Propheten nicht vorausgesehen hatten. Finanzielle Differenzen mit dem Vercins- onoschusse sind der Anlaß gewesen. Die tiefere Ursache ist aber wohl die, daß Herr Lautenburg eine gar zu große Meinüng von sich hegte uno das Wiener Publikum mit einigen mittelmäßigen Vorstellungen im Fluge zu erobern dachte. Aber man kann sich hier schwer mit neuen Namen befreunden, namentlich wenn Autoren und Darsteller an Reiz losigkeit wetteifern. Stücke wie der Londoner Schlager „John Glayds Ehre" von Alfred Sutro, eine amerikanisierte Birch-Pseifferiade, taugen nicht sür das Wiener Publikum. Auch dem philiströsen Lustspiel „Hertas Hochzeit" von Max Bernstein wäre es ohne die Kunst Tyrolts kaum besser ergangen. Es hatte eine Weile auch den Anschein, als ob das Raimundthcater unter der provisorischen Leitung dieses Künstlers sich zu seiner früheren anspruchslosen Art des Wiener Vvlksstückes zurück, finden würde. Aber da sind ganz unvermutet aus der Versenkung einer schlauen geschäftlichen Spekulation die Direktoren des Theaters an der Dien ausgetaucht, die das Raimundthcater pachten, während der Komponist Franz Lehär als musikalischer Direktor an die Spitze tritt. Vorderhand werden schöne Zirkulare versendet, in denen das Programm der Bühne auseinandergesetzt wird. Es soll in erster Linie die Volks- tümlicke Oper und das Volksstück gepflegt werden. Aber es handelt sich wobl bei dem Ganzen nur um eine Ausnützung der momentanen Operetten-Hochkonjunktur und Wien hat also wiederum ein Operetten» theuter mehr. Eine Bühne, wo das Wiener Volksstück gepflegt wird, haben wir jetzt überhaupt nicht mehr. Denn auch das Bürgertheater, wo Volks- stücke und Posten recht und häufiger noch schlecht gespielt worden sind, hat sich im Lause von 14 Tagen ganz verwandelt, und fortan werden hier nur jene Stücke kultiviert, deren Alleinverschleiß bisher Direktor Jarno hatte. Der Anlaß zu diesem keineswegs riskanten Schritt ist der Eintritt des Herrn Gustav Davis in die Direktion und vor alleni der deftige Erfolg, den die Groteske .^Gretchen", die er mit Leopold Lippichütz zusammen verfertigte, in diesem Theater erzielt hat. Ein Routinier und ein witziger Kopf haben sich hier zuiammengetan, angcb- lich, um eine Satire auf wohltätige Damen im Magdalenenstifte zu schreiben. Aber nur der erste Akt zeigt Routine und Witz, und ist von einem angenehm-unversckämten Simplizissimus-Ton erfüllt, der leider nickt sestgedalten wird. Das Angenehme hört bald aus, und den übriaen Abend erfüllen Flachheit und ungenierteste Keckheit. Dos Publikum scheint sich über das alles gar nicht genug entrüsten zu können und kommt jeden Abend in Hellen Scharen. . . . Einstweilen braucht Direktor Jarno den neuen Konkurrenten noch nicht zu fürchten, denn auch er hat seine beiden Häuser wobl bestellt. Im Lustspieltbea r tut der Schwank „Die Jagd nach der Liebe" von Leon Gandillot seine Schuldigkeit, und im Joiefstädter-Theater beißt das Schlagwort „Haben Sie nichts zu verzollen?^ Es hat überhaupt den Anschein, als ob nur mehr mit französischen Ungeniertheiten eine sichere Wirkung zu erreichen sei. Auch das Deutsche Volkstheater hat mit einem Schlager des Pariser Gymnase- Theaters seinen ersten wirklichen Erfolg gehabt. Aber dieser Schwank, „Fräulein Josette, meine Frau", von Gavault und Charvey. ist doch bei oller Ungeniertheit auch geistvoll und lustig und jedenfalls eines der anmutigsten Stücke dieser Gattung, das seit Langem aus Frankreich importiert worden ist. Das jetzt wieder in Theatermode kommende Thema vom stellvertretenden Gatten wird hier sehr glücklich heraus gebrecht. Mit einer charmanten Frechheit, einer eleganten Unverschämt, heit — nicht jeder Franzose hält so rein. Viel weniger Glück hatte diese Bühne mit ihren ernstgemeinten literarischen Stücken. Das Schauspiel „Der rote Leutnant" von den Berliner Kritikern Hermann Kiezl und Eduard Goldbeck erwies sich als eine ziemlich komplizierte und nicht be sonders gesegnete Maschinerie, die aus dem bewährten Theaterkonslikt zwischen einem stark konservativen Vater und einem freiheitlich idealistisch gesinnten Sohne basiert. Auch der aktuelle und wirksame Gegensatz zwischen Soldatentum und Sozialismus wird hier verwendet. Es ist gleichsam ein Tendenzstück ohne Tendenz, denn in den Charakteren, den Vorgängen und Gesprächen zeigt sich die Verworrenheit derartiger Stücke. Die freundliche Aufnahme verdankt die zwischen Spannung und Lang weile pendelnde Novität der guten Darstellung und dem allzeit regen Interesse des Publikums an Szenen aus dem militärischen Leben. Dieses Stück verschwand genau so rasch, wie Lemaitres „Schützling", ein morali sierendes Dialogstück, ohne Kraft und Leben. Am l. November wurde dann noch Heijermans' Drama „Allerseelen" herausgebracht, ein starkes und doch feines Stück, das wobl noch intensiver gewirkt hätte, wenn dieser Kamvf zwischen konservativem und freigeistigem Pfarrer, zwischen wahrem und falschem Glauben in der letzten Zeit auf den Wiener Bühnen nicht allzu ost gekämpft worden wäre. Und schließlich bat auch das Theater an der Wien sich wieder zu Premieren beouemen müssen. Diese Bühne, die zwei Jahre lang mit der „Lustigen Witwe" ihr Auskommen sand, hat jetzt im Verlaufe eines Monats zwei neue Operetten verbraucht. Die eine hat „Tip-Top" ge heißen; zwei alte Wiener Routiniers. Siegmund Schlesinger und Ignaz Schnitzer, hatten den Dutzendtert dazu geschrieben und ein neuer Mann, Joses Strihke, die gebräuchliche Wiener Musik, deren geringe lyrische Feinheiten in der allgemeinen Trivialität verschwanden. Eine viel feinere und künstlerische Wiener Arbeit ist dagegen die letzte Operetten novität, „Die Tollarprinzessin". Das Buch ist wohl ein wenig schleppend und ermüdend geraten, aber die Liedertexte zeigen Witz und Geschicklich keit und manchmal sogar Geist, und damit kommen sie der Eigenart des Komponisten Leo Fall entgegen, eines begabten Musikers, der Geist, Ge schmack und Bildung besitzt, mehr als sich vi'lleickt in einer Operette unterbringen läßt. Aber er bat auch melodiöse Einfälle, zwar keine Grammophonstücke und Tanznummern, sondern Melodien, die Persön- lichkeit und dramatischen Charakter zeigen, lauter Qualitäten, die früher in dieser Stadt ganz selbstverständlich waren und jetzt wie etwas Wunder- bares wirken Heute, wo die Wiener Musik vor lauter Erfolg längst charakterlos geworden ist.
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