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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.03.1896
- Erscheinungsdatum
- 1896-03-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189603225
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18960322
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18960322
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-03
- Tag1896-03-22
- Monat1896-03
- Jahr1896
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 22.03.1896
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Bezugs-Preis kn der Hauptexpedition oder den kn Stadt» bezirk und den Dororlen errichteten Aus gabestellen abgrholt: vierteliährlich^is.SO, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus S.öO. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Directe tägliche Kreuzbandienduag in- Ausland: monatlich 7.SO. Die Morgen-Ausgabe erscheint um '/,7 Ahr. die Abend-Ausgabe Wochentag- um 5 Uhr. Le-action und Expedition: JohanncSgaffe 8. Dir Expedition ist Woche ntagS ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. —c»— Filialen: Ttto silcmm'o Sortim. (Alfred Hahn), Universitätsstraße 1, Louis Lösche, Katharinenstr. 14, pari, und KönigSvkatz 7. MpMer TagMatt Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes nnd Nolizei-Ämtes der Stadt Leipzig. Unzrigen-PrelS die 6 gespaltene Petitzeile SO Pfg. Reklamen unter dem Redactionsstrich l4 ge spalten) LO/H, vor den Familienuachcichlen (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- vrrzeichniß. Tabellarischer und Ziffrrasatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen - Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: BormittagS 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. »ox» - Druck und Verlag von li. Polz in Leipzig 148. Sonntag den 22. März 1896. 8V. Jahrgang. Aus der Woche. O. Wir werden in London nicht mehr ausgepsiffen, son dern sind wieder die liebwerthen Freunde und Vettern der Engländer. Diesen beseligenden Umschwung nach Gebühr zu würdigen, muß sich der simple, nur auf den AlltagSton ge stimmte Zeitungsschreiber versagen. Hier ist nur dem mit glühenden Farben malenden Dichter daS Wort »erstattet. Viel leicht rührt der neu gekrönte povta IanreLtu8 Ihrer großbritanni schen Majestät seine durch den Sang auf Jameson's Heldenzug unsterblich gewordene Leier. WaS auch der Prosaiker erwähnen darf, ist die Wirkung der in raschester Aufeinanderfolge auf tauchenden großen weltpolitischen Fragen auf unsere Marine- angelegenheitrn. Wer nicht Socialdemokrat ist oder Eugen Richter heißt — die „Flottenpolitik" dieses Herrn ist keines wegs nach dem Herzen aller Glieder seiner Partei —, der ist angesichts der unerwarteten Ereignisse nicht leichtherzig und selbstbewußt genug, um mit Bestimmtheit zu sagen: das, was uns eine stärkere Flotte entbehrlich macht, wird eintreten, und was uns ihren Mangel übel empfinden lassen könnte, wird ausbleiben. Der Reichstag bat sich dies mal gegenüber den Marineforderungen — das Kieler Trocken dock leider ausgenommen — sachlich und verständig gezeigt, wir glauben aber nicht, daß ein einziges Mitglied der Mehr heit, wenn eS an den Osterfeiertagrn m nähere Fühlung mit den Wählern oder Landsleuten tritt, sein Votum zu bereuen haben wird. Die Reaktion, die der gedankenlose Ruf nach großen Reick'öanleiben zu Flottenvermehrunzszwecken hervorgerufen batte, ist nun unverkennbar erloschen; die Aufgabe ist, darüber zu Wachen, daß sie nicht durch neue Unbesonnenheiten wieder inS Leben zurück gerufen wird. Die Regierung, das muß man anerkennen, hat durch den Mund des geschickten und vertrauen erweckenden StaatösecretairS v. Marschall Alle-, was an ihr lag, dazu beigetragen, um eine Beruhigung herbeizuführrn, die sich nicht zur Unlust, Opfer für die Seewehr zu bringen, gesteigert hat. Die ReichStagScommission für die Bor srnst euer hat in diesen Tagen eifrig Penelopen-Arbrit verrichtet, nämlich in zweiter Lesung ausgemerzt, WaS sie in erster beschlossen. Zum großen Theil war das ein verdienstliches Beginnen, namentlich in Bezug auf den börsenmäßigen Getreidetermin- bandel, dessen Abschaffung an sich eine Maßregel von zweifel hafter Zweckmäßigkeit gewesen wäre und jedenfalls das Zustandekommen des ganzen Gesetzes gefährdet hätte. Be dauerlich ist es aber, daß die Haftbarkeit für unrichtige An gaben in Emissionsprospecten wieder von dem „groben Ver schulden" des Emittenten abhängig gemacht worden ist und bei diesem für das Nationalvermögen so oft verhängnißvoll gewordenen Geschäfte weniger als die Bethätigung der „Sorg falt eines ordentlichen Kaufmanns" gefordert werden soll. Politische Gemüthsbewegung, aber keine starke, hat in der verflossenen Woche der Finanzantrag Lieber verursacht. Seine blendende Außenseite hat schwere Gebrechen des Leibes verhüllt und ihm die unverdiente Neigung der ganzen Budget commission zugewendet. Mittlerweile ist die Abkühlung erfolgt, zuerst bei den Einzelstaaten, die das sonst so particularistische Eentrum plötzlich in der Rolle eines Attentäters auf die einzclstaattichen Finanzen erblicken, und dann beim Centrum selbst, das vom BundcSrathe die verdiente Antwort auf dieses Attentat erhielt. Das war vorauSzusehen und deshalb war die Beunruhigung nicht tiefgehend. Der kleine berechtigte Kern des Antrags wird nun reinlich anS der bitteren Umhüllung berausgeschält, d. h. es wird endlich ein Anfang mit der Tilgung der Reichsschuld gemacht werden. Und nachdem da« Centrum —ganz gegen seine frühere Gepflogenheit —den Anstoß zu dieser Festigung beö Reiche- gegeben hat, wird eS nicht umhin können — abermals gegen seine frühere Gepflogenheit —, zu einer organischen Finanzrcform die Hand zu bieten. Nur wenn es durch eine solche die um einen Theil ihrer Einnahmen gebrachten Einzelstaaten vor Steigerung der Matricular- beiträge über die Höhe der Ueberweisungen hinaus bewahrt, kann eS hoffen, sich wieder in der Gunst der Einzrlstaatrn und besonders des Herrn Or. Miquel zu befestigen. Die deutschen Gewissen haben eine sonderbare Erfahrung zu machen gehabt. Sie fühlten sich — abgesehen von den politischen Prunkgewissen der Ultramontancn in den Parla menten und der Presse — frei von religiöser Bedrückung. DaS war aber eben eine abnorme Empfindung. In Wahr heit lastet auf ihnen „überall im Lande" ein Druck, ver ursacht durch die obligatorische Civilehe. Der „Reichs bote" behauptete daS wenigstens täglich ein viertel Dutzend mal und so wird die Sache wohl ihre Richtigkeit haben. Es scheint sogar, als ob die standesamtliche Eheschließung die Deutschen so tief niederdrücke, daß — Niemand außer dem „Reichsboten" und etwaigen Zuschristenverfassern gegen sie sich zu erheben wage. Deutsche- Reich. * Berlin, 2l. März. Zum Fall Peters ergreift im „Reichsboten" der Afrikarrisende und Missionair Warn eck da- Wort, indem er schreibt; „Für die Abneigung der Ein geborenen am Kilimandscharo gegen die Deutschen und die traurigen dortigen Kämpfe einen englischen Sündenbock zu suchen, ist ganz unnöthig. Das Verhalten des Herrn PeterS erklärt Alles mehr als genügend. Einer unserer trefflichen Colonialbeamten, Herr v. E l tz, der vor Peters am Kilimandscharo war, hat schon vor Jahren die öffentliche Anklage wider diesen erhoben. Er schrieb damals: „Vor Golt und Menschen sind Sie, Herr Doctor, verantwortlich für den Tod unserer Kameraden, unserer braven Soldaten und Hunderter von Eingeborenen." Leider sinde ich im Augenblick daS Citat nicht, um eS ganz anzuführen, «S ist aber aucb nicht nöthig. Meine vorhin genannte noch autori tativere Quelle sagte dasselbe noch viel entschiedener. Ich lasse weg, waS dieselbe über die Hinrichtung»» drS Diener« und der Concubine von PeterS mittheilt, auch war r« wenig Erbauliche«; ich berichte nur: „PeterS hatte, ehe er ging (er hatte seine Abberufung vom Kilimandscharo beantragt), den eingeborenen Häuptlingen mitgetheilt, er habe sie mit Pritschen gezüchtigt, aber sein Nachfolger (Herr v. Bülow) werde sie mit Skorpionen züchtigen. Herrn v. Bülow'S LieblingSspeise seien neugeborene Kinder, und sie würden gut thun, ihm gleich bei seiner Ankunft einS zu überreichen. Es sollte das vielleicht ein schlechter Witz sein, aber die Leute faßten es als Ernst auf, und als vr. Baumann PeterS darauf aufmerksam machte, daß, wenn die Leute nun wirklich Herrn v. Bülow diese- Opfer brächten, er doch Lügen gestraft würde, meinte er: „WaS? Dana muß der Kerl eS fressen zur Ehre Deutsch lands!" Herr v. Bülow hat nun zwar keine Kinder ge fressen, Wohl aber den Wilden gegenüber keine milderen Satten aufgezogen, bi« dann die Sache ein Ende mit Schrecken nahm." DaS rst genug; ich citire nicht weiter. Jedenfalls hat PeterS eine furchtbare Verantwortung auf sich geladen durch sein ganze» unqualificirbare- Betragen in Ostafrika. Und endlich einmal muß doch die Weißwäsche aufhören." * Berlin, 21. März. Ein bisher unbeachtet gebliebener Vorgang in einer der letzten Sitzungen der Commission für da» Bürgerliche Gesetzbuch verdient ein wenig inS Licht gesetzt zu werden. In dem Abschnitt über den „Dienstvertrag" regelt 8 613 die Kündigungsfristen für die „mit festen Bezügen zur Leistung von Diensten höherer Art Angestellten, insbesondere Lehrer, Erzieher, Prtvatbeamte, Gesellschafterinnen", und bestimmt, daß für diese, sofern nichts Anderes verabredet ist, von jedem Theil« mit Ablauf jedes Kalender-Vierteljabre« nach sechs Wochen vorher erklärter Aufkündigung der Dienstvertrag aufgehoben werden kann. Hierzu beantragt der Abg. Schröder, auch die „Redact eure" zu er- wähnen, und der Abg. Bachem beantragt, statt dessen zu sagen: „Schriftsteller und Schriftleiter bei Zeitungen und Zeitschriften". Dem wurde zunächst rntgegengehalten, daß dir Redakteure hier nicht erwähnt werden dürften, weil für diese die Kündigungsfrist schon in 8 133a der Gewerbeordnung geregelt sei, der von den „Verhältnissen der Betriebsbeamten, Werk meister,Techniker" handelt. Von hoch beachteuswrrther juristischer Seite wurde auSgeführt, daß im Sinne diese« Paragraphen der Redakteur als eine „von einem Gewerbe-Unternehmer gegen feste Bezüge beschäftigt« Person, welch« nicht lediglich vorübergehend mit der Leitung oder Beaufsichtigung de« Betriebe« oder einer Abtheilung desselben beauftragt ist", »u betrachten sei. Von anderer, ebenfalls hoch beachten-werther juristischer Sette wurde dargethan, daß das Reichsgericht de» Beklag einer Zeitung für ein „Handelsgeschäft" gerade wie den Verlag von Büchern erklärt habe und demgemäß die Gehilfen des Verleger« einer Zeitung, also die Redacteure, nur al« Handlungsgehilfen betrachtet werden könnten. Die Abgg. Schröder und Bachem hielten demgegenüber daran fest, daß der Vertrag eine« Redakteurs mit seinem Verleger weder unter das Handelsgesetzbuch, noch uuter die Gewerbe-Ordnung fallen könne, vielmehr ein Dienstvertrag besonderer Art sei, der somit im Bürgerlichen Gesetzbuch berücksichtigt werden müsse. Schließlich einigte sich die Commission dahin, daß e« für sie kein Interesse habe, die Frage, was ein Redakteur eigentlich sei, hier zur Entscheidung zu bringen, weil das Bürgerliche Gesetzbuch nur dieselbe Kündigung«, frist «insühren wolle, welche Gewerbeordnung und Handelsgesetzbuch für solche Fälle schon hätten. Ste lehnt« darum die Anträge Schröder und Bachem einfach ab. . Nun hat also wieder, bemerkt treffend die „Köln. Volks zeitung", jeder Richter die Freiheit, ob er einen Redacteur als „Handlungsgehilfen", als „Werkmeister" oder als ein „Wefen besonderer Art" behandeln und demgemäß ihm die von ihm verlangte Kündigungsfrist auf Grund de« Handels- gesetzbucheS, der Gewerbeordnung oder des Bürgerlichen Gesetzbuches zubilligen will. Hoffentlich hat jeder Richter die nöthige Zeit und den nöthigen Scharfsinn, um sich in dieser sehr schwierigen Frage zurechtzusinden. Schlimmer sind aber die Revacteure selbst daran, weil sie nun immer noch nicht wissen, weß juristischen Charakter» sie denn eigentlich sind. V. Berlin, 21. März. (Telegramm.) Der Kaiser besuchte gestern Vormittag noch den italienischen Botschafter am hiesigen Hofe, Grafen Lanza, und stattete darauf auch dem Ober-Gewand- Kämmerer und dessen Gemahlin, Grafen und Gräfin Perponcher, einen längeren Besuch ab. — Im Gefolge de« Kaiser« und der Kaiserin auf der bevorstehenden Mittrlmeerreise werden sich befinden: der Commandant de« Hauptquartier«, General adjutant von Pleffeu, die Flügeladjutanten Obersten von Engelbrecht, von Kalckstein und von Moltke, der Hof marschall Freiherr von und zu Egloffstein, der Admiral ü la »mW Freiher von Senden-Bibran, Generalarzt vr. Leuthold, der Gesandte am dänischen Hofe, von Kidrrlen-Wächter, der dienstthuend« Kammerhrrr der Kaiserin Graf von Keller und dir Hofdame Gräfin von Keller, der Militair-Gouverneur der konigl. Prinzen, Freiherr von Lyncker, und der General- Superintendent 0. Dryander, welcher in der Charwoche und sonst die gottesdienstlichen Handlungen abhalten und besonder« am Gründonnerstage den Majestäten u. s. w. das heilige Abendmahl an Bord der „Hohenzollern" reichen wird. Außerdem wird der Maler Bohrdt au« Friedenau während der Reise auf der „Hohenzollern" sich befinden. D Berlin, 21. März. (Telegramm.) Nach Erlaß des von dem Kaiser in seiner Kundgebung vom 22. März vorigen IahreS tn Anregung gebrachten Gesetzes vom 22. Mai v. I., betreffend die Gewährung fortlaufender Bei hilfen an solche Veteranen de« Feldzuges 1870/71 und der vor 1870 von deutschen Staaten geführten Kriege, welch« an diesen Kriegen ehrenvollen Antheil genommen haben und sich wegen dauernder gänzlicher Erwerbs unfähigkeit in unterstützungsbedürftiger Lage befinden, sind in Berlin unter den außerordentlich zahlreichen Bewerbern 974 Perfonrn al« berechtigt und zur Berücksichtigung geeignet befunden worden. Von diesen konnten jedoch nur 682 Vete ranen mit einer Beihilfe von je 120 jährlich bedacht werden, da von den durch das erwähnt« Gesetz berritgestellten Mitteln nur 8l 840 auf Berlin entfallen find. Die Be trag« sind den Bedachten vom 1. April v. IS. ab nachgezahlt worden. Auf ganz Preußen find 1 l47 000 -ck, aus Vas ganze Reich 1 800 000 -ck entfallen. Diese Beihilfen für Veteranen unterliegen keinerlei Beschlagnahme. v. verltu, 2l. März. (Privattelegramm.) „Recht ergötzlich" — so schreibt die „Nat.-Ztg." — „soweit Dinge, die an sich traurig sind, ergötzlich wirken können, ist eine Sntschuldigungsrede, dir dem uegenwärttgen Netch-ta« im Hinblick auf seine für Dienstag in Aussicht genommene ver- tagung in emrr Eorrespondenz klerikaler Blätter gehalten wird. Der Verfasser sieht vorher, daß e- anläßlich der Vertagung sehr ungünstige Eommentare über „diesen" Reichstag geben werde, der dann in fast 70 Sitzungen — heute findet die 66. Sitzung statt — mit knapper Noth den Etat und sonst so gut wie nichts werde zu Stande gebracht haben. Es ist begreiflich, daß die Aussicht auf diese unaus bleibliche Kritik auch besonder» deshalb im Centrum unbehag lich wirkt, weil heute der Reichstag unter dem Vorsitz eines klerikalen Präsidenten sein 2SjährigeS „Jubelfest" begeht; da ist es doppelt unangenehm, wenn sogar die Parteigenossen des Freiherrn von Buol sich schon vor dem Feste nrcht der Katzenjammer-Stimmung erwehren können. Aber es ist so, und begreiflicher Weise. Beschlußunfähige Sitzungen waren auch in den besten Zeiten de« Reichstage« zuweilen da; aber sie waren Ausnahmen, weil im Allgemeinen die Parteien, welche das Präsidium gestellt, die Verpflichtung fühlten und erfüllten, für eine ausreichende Geschäftsführung zu sorgen. DaS hat aufgehört; der Reichstag war fett der Eröffnung im December vielleicht nicht zehnmal beschlußfähig, meistens aber auf das Kümmerlichste besetzt, und die Herren Bebel und Genossen konnten sich daher, weil keine Schlußanträae möglich waren, so oft eS ihnen beliebte, als die Herren des Hauses ge- berden. Rechnet man dazu noch die parlamentarisch-geschäftliche Ungeschicklichkeit der „maßgebenden Partei", die sich soeben wieder in der staatsrechtlich unmöglichen Formulirung de« Antrags Lieber bekundet hat, so ist eS nicht auffallend, daß da« einzige Ergebniß von siebzig Sitzungen der knapp zu Stande gebrachte Etat sein wird. Die klerikale Ent schuldigungsrede vertröstet auf den Sessionsabschnitt nach Ostern: für diesen sei in den Commissionen trefflich vorgearbeitet worden. In dieser Beziehung steht r« so, daß die Verhand lungen über daSBürgerucheGesetzbuch einen höchst schleppenden Verlauf bei im Ganzen werthlosen Ergebnissen der para graphenweisen Berathung nehmen, und daß man betreffs fast aller sonstigen CommissionSverhandlungen sagen muß: je weniger davon Gesetzesform erlangt, um so besser würde es sein. Doch da« Urtheil hierüber wird selbstverständlich durch die politische und wirtbschaftliche Parteistellung bedingt; be treffs des bisherigen äußere« Verlaus« der Session und des inneren Werthe« der geführten Debatten kann aber da« all- gemeinc Urtheil über den klerikal geleiteten Reichstag an s.xiem „Jubeltet" nur so ungünstig lauten, wie die Presse seiner maßgebenoen Partei e« voraussieht." — Nach einer Mittheilung hiesiger Zeitungen hätte vr. Peter« kürzlich für Herrn Director Kayser und dessen Gemahlin bestimmte Einladungen zu einem Festmahl nach der Verhandlung im Reich«tage über die gegen ihn (PeterS) erhobenen Anklagen durch einen Diener wieder abholen lassen mit dem Bemerken, ste seien irrthümlich abgegeben worden. In Reichstagskreisen wird eine andere Version verbreitet. Danach handelte es sich nicht um Einladungsschreiben, sondern um Visitenkarten, die Peter'« zurückgefordert hätte. Nach eingezogenen Erkundigungen sind beide Versionen der aus Peter's nahestehenden Kreisen verbreiteten Erfindungen absolut grundlos, vr. Peter'S hat, wie in den betreffenden Kreisen bekannt ist, die gesellschaftlichen Beziehungen schon seit der Ernennung des Herrn von Wissmann zum Gouverneur von Ostafrika abgebrochen. — Die „Kreuzzeituna" berichtigt, daß das von Herrn Stöcker „versandte Programm" daS von den Christ lich-Socialen am 6. Juni 1895 in Eisenach angenommene sei; nach dem Parteitage in Frankfurt a. M. vom 26. Februar diese« Jahre« habe keinerlei Änderung daran stattgefunden. Das mag wohl sein; wer kann alle Kundgebungen au« diesem Lager, in dem Alles so wirr durcheinander gegangen ist, im Gedächtniß behalten! Jetzt, so erklärt die „Kreuzztg." weiter, habe es sich nur um die Versendung einer „Anfrage", die Herr Stöcker an die Gesinnungsgenossen im Lande richte und die dem „Programm" bcigegeben sei, gehandelt. Diese „An frage" muß doch wohl irgend einen mit dem Programm zu sammenhängenden Zweck haben! — Die deutschen Anarchisten haben beschlossen, den internationalen Socialisten- und GrwerkschaftS- congreß in London zu beschicken; in den nächsten Tagen sollen deshalb überall Anarchistenversammlungen stattfinden. * Potsdam, 21. Märr. (Telegramm.) Der Kaiser traf heute früh um ^9 Uhr hier ein und fuhr im offenen Wagen in Begleitung de« Adjutanten Grafen Moltke nach dem Lustgarten, wo er die Leibcompagnie und die 4. und 5. Compagnie de« Ersten Garde-Regimrnt« zu Fuß besichtigte. An die Besichtigung schloß sich «in Parademarsch, zu welchem die 6. und 7. Compagnie herangezogrn wurden. Inzwischen war da« Leib-Garde-Husarenregiment alarmirt worden, welche« zu Fuß im Lustgarten eintraf. Der Kaiser schrill die Front ab und ließ dann Exercir-Uebungen vornehmen. Schließlich begab sich der Kaiser nach dem Öfficier-Easino de« Ersten Garde-Regiment« zu Fuß und nahm daselbst das Frühstück ein. In seiner Begleitung befanden sich der com- mandirrnde General de« Gardecorp« von Winterfeld, die General-Adjutanten von Hahnk« und von Messen und zahl reiche fremdländische Officrere. * Au« Pommern, 20. März. In konservativen Kreisen scheint eine Paasch'sche Broschüre gegen den antisemitisch- consrrvativen ReichStagSabgeordneten Freiherrn v. Langen peinliche« Aufsehen zu machen. Dir „Pommersche Reichspost", da« Hauptorgau der Conservativen in der Provinz Pommern, schreibt nämltch in ihrer Nummer vom 12. März: „Der antisemitisch« Landidat b«t der letzten Kolberg-Kösliner Retchstogswahl, Hrrr Karl Paasch, der sich zur Zeit in der Schweiz ausbält, hat ein« «ru« Broschür« veröffentlicht und an die deutschen Zeitungen versandt, tn welcher er sich mit der Person de« Reichs- togsabgeordneten vr. iur. Freiherr« v. Langen (Vertreter« des Wahlkreis«« Stralsund-Franzburg-Rügen) beschäftigt. Unserer Re daktion ist dies« Broschüre deut« früh »ugegangen. Wir haben von ihrem Inhalt Kenntniß genommen, können uns aber noch nicht ent schließen, denselben auch nur auszugsweise wiederzugeben. Freiherr v. Langen ist Mitglied der conservativen Fraktion de« Reichstage«; er hat unsere« Erachten« die Pflicht, auch den Angriffen eine« Paasch gegenüber di« Antwort nicht schuldig zu bleiben. Die kon servative R.thötaa«fraction wird darauf dringen müssen, daß er ungesäumt befriedigende Aufklärungen giebt oder — fall« dir« nicht möglich ist — au« dem Porteiverbande au«schrtdet." * H««burG, 20. März. Aus Veranlassung der Gesellschaft Hamburger Juristen hielt Herr Professor Sohm kürzlich in der Aula de« IohanneumS vor einer zahlreichen Zuhörerschaft einen Vortrag über Bedeutung und Aussichten des Bürger licben Gesetzbuches. Mit großer Entschiedenheit sprach er sich dabei für die Aufrechterhaltung der obligato rischen Civilehe auS. Gerade der bürgerlich-rechtliche Charakter der Eheschließung habe zur Folge, daß die aus schließlich kirchliche Trauung eine in sich unnatürliche Ver bindung darstelle. In früheren Zeiten habe man das sehr wohl gefühlt und deshalb auch die Trauungen wegen des ihnen anhaftenden weltlichen Moments vor die Thüren der Kirchen hinausgewiesen. Jeder Zwang zu einer religiösen Handlung sei ferner vom Nebel; auch aus diesem Gesichtspunkte empfehle sich die Civilehe. Zudem stehe sich auch der Protestantismus bei der obligatorischen Civilehe durchaus günstig. * Bremen, 21. März. In ihrer vorgestrigen Sitzung ertheilte die Bürgerschaft dem Anträge des Senats wegen Ernennung eines lebenslänglich anzustellenden hansea- tischenGesandten in Berlin und wegen Betbeiligung Bremen« an den gemeinsamen Kosten mit einem Drittel ibre Zu stimmung. Und zwar ohne Debatte. Dies Ergebniß war anfänglich keineswegs vorherzusehen. Im Gegentheil war, wie man dem „Hamb. Corr." schreibt, in weile» Kreisen der Bürgerschaft die Neigung vorhanden, selbst mit hohen Kosten einen eigenen bremischen Gesandten in Berlin zu bestellen. Allein die Schwierigkeit, hier eine zugleich geeignete und geneigte Persönlichkeit zu finden, und andererseits der Wunsch der Berliner Behörden, nur mit einem einzigen Gesandten für die drei Hansestädte, nicht aber mit dreien zu tbun zu haben, ließ diesen Wunsch zurücktreten. Auch geht das Gerücht, der Kaiser habe darauf bingewiesen, daß eine gemeinsame hanseatische Gesandtschaft viel mehr Gewicht haben werde, als lauter einzelne Gesandte. Dann schien das Verlangen an Boden zu gewinnen, zuvor vom Senat Auskunft zu erhalten, ob man eine wirklich geeignete Per sönlichkeit in Aussicht babe, denn man habe keine Neigung, sich an einen beliebigen, im Laufe der Zeit sich vielleicht als nur mäßig befähigt erweisenden Mann für dessen Lebens zeit zu binden. Doch alle diese Bedenken schwanden schon vorher, und so wurde die Sache ohne Debatte erledigt. Posen, 21. März. (Privattelrgramm.) Au« Rom wird dem klerikalen ,Kuryer Poznanski" von zu« ständiger Seite gemeldet, daß die Meldung von der be vorstehenden Ernennung des Erzbischofs von Stablewski zum Cardinal jeglicher Begründung entbehre. * Tilsit, 20. März. Bor einigen Wochen ging durch die Presse die Nachricht, Hofprediger a. D. Stöcker babe wegen des gegen ibn erhobenen Vorwurf« der „Doppelzüngigkeit" Strafantrag gegen die „Tilsiter Zeitung" gestellt. Das genannte Blatt schreibt darüber: Diese Meldung erregte fchon derhalb in politischen Kreisen einiges Aufsehen, weil bisher Herr Stöcker grundsätzlich eine gerichtliche Klarstellung der mannigfach gegen ihn gerichteten „Verleumdungen" vermieden hatte. Die Zweifler Haven Recht behalten, Herr Stöcker klagt nicht! Der Vorwurf der Doppelzüngigkeit vor dem TlferauSschuß war Herrn Stöcker in mehreren Blättern gemacht worden, ohne daß Herr Stöcker dteserhalb Strafantrag gestellt hätte- Al« aber eiu von Berlin ziemlich weit entkernte« Provinzialblatt, die „Tilsiter Zeitung", Herrn Stöcker ebenfalls der Doppelzüngigkeit zieh, da ertheilte Herr Stöcker unterm 18. Februar d. I. seinem politischen Freunde in Tilsit, Herrn Rechtsanwalt Meyer, Vollmacht, von der „Tilsiter Ztg." auf Grund des Preßgesetzes eine Berichtigung de« betreffenden Artikel- zu verlangen und wegen de- Vorwurfs der Doppelzüngigkeit gegen den verantwortlichen Redacteur Straf, antrag wegen Beleidigung ^u stellen. Di« Redaktion der „Tilsiter Zeitung" brachte zwar die „Berichtigung", mit der es aller- ding-, wie sich später herausstellte, ziemlich windig aussah, hielt aber Herrn Stöcker gegenüber den Borwurf der Doppel- züngigkeit vollständig aufrecht, indem sie bemerkt«, daß sie »um Beweise der Wahrheit für ihre Behauptung daS Zeugniß des Herrn Professor Brecher-Berlin anrufen würde, der bekanntlich seinen früheren politischen Freund Herrn Stöcker eine« brmerkenswerthen Mangels an Wahrheitsliebe bffentlicht bezichtigt und sich bereit erklärt hat, vor Gericht seine Aeußrrungen zu vertreten. Wie uns nun von ganz zuverlässiger Seite berichtet wird, hat Herrn Professor Brecher di« Angelegenheit der „Tilsiter Zeitung" mit Herrn Stöcker lebhaft interessirt, weil er hoffte, daß bei dieser Gelegenheit seine eigene Angelegenheit mit Herrn Stöcker zur gerichtlichen Verhandlung kommen würde. Der Rechtsbeistand vr« Herrn Stöcker in diesem speciellen Fall, Herr Rechtsanwalt Meyer in Tilsit, theilte jedoch dieser Tage dem ver- antwortlichen Redacteur der „Tilsiter Zeitung" auf Anfrage nach dem Verbleib der Klagezustellung mit, daß er sowohl, wie seiner Urberzeugung nach auch Herr Hofprediger a. D. Stöcker „keine Freunde von Privatklagen der Art auf politischem Gebiet" seien und die Privatklagr daher nicht «rhoben werden würde. * Köln, 20. März. Der „Trierer LandeSzta." zufolge sind Redemptoristenniederlassungen in Trier und Bochum von der preußischen Regierung genehmigt worden * VreSlau, 20. März. Da« „Kath. Sonntagöbl." der Diöcese Breslau enthält folgende Kundgebung des Fürst bischofs Cardinal« vr. Kopp: „Zurückgekehrt vom Grabe der Apostelfürsten, danke ich vor Allem dem Hochwürdigen KleruS wie den geliebten Diöcesanen für die frommen Gebete, mit denen dieselben meine Romreise begleitet haben. Für die Beweise der Liebe und kirchlichen Anhänglichkeit au- der Diöcese BreSlau, welche der Heilige Vater auch in den reichlichen Gaben erblickte, die Ibm al« Prter«- pfennig und für die orientalischen Seminare überbracht waren, sprach Seine Heiligkeit Seine innige Freud« au« und ertheilte dem Hochwürdigen CleruS wie den grliedten Diöcesanen als Zeichen Seiner Dankbarkeit und väterliche» Liebe den apostolischen Segen. Mit freudiger Befriedigung nahm der Heilige Vater den Bericht über die Verbreitung dcS Vereins der heiligen Familie in der Diöcese Breslau auf und wünschte, daß bald alle Familien diesem segen-reichen Vereine angrbören möchten, indem Er die Pfleg« und Hebung des christlichen Familienleben« al« die wirksamste Abwehr der Gefahren unserer Zeit und al« da« sicherst« Heilmittel in den Nothständen der Gegrnwart bezeichnete. Mit nicht ge ringerer Genuglbvuug erfüllte «S den Heilige» Vater, daß die Priester wie auch die Lairn der Diöcese BreSlau sich der Leitung der Arbeitervereine mit solchem Eifer aunebmen und in der Behandlung der socialen Frage sich streng au die von Ihm in dem Rundschreiben vom IS. Mai 1891 auf gestellten Lehren und Grundsätze halten, und ertheilt allen
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