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Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.05.1896
- Erscheinungsdatum
- 1896-05-24
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189605249
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18960524
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18960524
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-05
- Tag1896-05-24
- Monat1896-05
- Jahr1896
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 24.05.1896
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Gröbere Schriften laut unserem Preit- verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbefördernng ^l 60.—, mit Postbefördernng 70.—. Ännahrueschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Bormittag» 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet» an die Expedition zn richten. Dfltck und Verlag von E. Polz in Leipzig 261. Sonntag den 24. Mai 1896. 00. Die nächste Nninnrev erscheint ain Dienstag Aiorgen. Aus -er Woche. Wer daö Psingstwunder so auslegen wollte, daß die Apostel von den Zuhörern aller Zungen verstanden wurden, weil sie die Liebe predigten, an etwas rührten, wovon der Keim als gemeinsames Menschengut in Aller Herzen gelegt ist — der Politiker, wenn er die Probe aus seinem Beobachtungs felde macht, würde ihm zustimmen. Im Streit der Meinungen und Interessen versteht man sich nicht, weil das Gefühl der Gemeinsamkeit nur zu oft stumm bleibt. Wer die Dinge nur an der Oberfläche betrachtet, der könnte meinen, der von Goethe verspottete Chemiker habe an der Nation seine Kunst geübt, er sieht nur Theile, es „fehlt leider nur das geistige Band". Die Einsicht, daß jedes Volk einen Orga nismus bildet, ist getrübt, die Gruppen fühlen sich als Ganz heiten, die, statt sich in einander einzugliedern, feindselig einander sich gegenüberstellen. Aber cö scheint doch nur so, als ob der Chemiker Egoismus den „Geist- heraus getrieben" hätte und als ob die Volkstheile sich inner lich fremd geworden wären, keine gemeinsame Herzens sprache mehr redeten. Gelockert Wohl, zerrissen aber ist das Band nicht, das gewoben ist aus den starken Fäden Vaterlands liebe und Solidarität. Man hat Deutsche gelehrt, über das Vaterland mit Nichtachtung, ja mit Verachtung zu reden, aber es ist eben nur das Gelernte, das aus ihnen spricht, nicht die unverlierbare Natur. Und wir sind dahin gelangt, daß eine jede Erwerbsgruppe ihr Heil zu finden glaubt, wenn sie die anderen bekriegt und ihnen einen harten Frieden dictirt. Jedoch diese Krankheit trägt das Heilmittel in sich, sie bringt zu Tage, daß es eitel Täuschung ist, wenn man sich zu seinem Vortheil iso- liren zu können vermeint. Manche Anzeichen verkünden die Wiederkehr der Erkenntniß: es ist Thorheit, den Leib leiden zn lassen um eines Gliedes willen, und es ist wieder tböricht, ein krankes Glied absterben zu lassen, weil seine Heilung dem Leibe vorübergehend Kräfte entzieht. Dem Ge meinsamen muß am Ende der Sieg bleiben, weil es in Allem wirksam ist. Diese Zuversicht wird in keinem Puncte täuschen, auch dort nicht, wober in diesen Tagen unerfreuliche Kunde gekommen ist, in Bayern. Ein Münchner Blatt hat bekanntlich bittere Klage geführt über die Zurückdrängung des Neichsgedankens in den höchsten Regierungskreisen des zweitgrößten deutschen Staates. Wir sind leider gewiß, daß es dabei nicht übertrieben, sondern die Erfolge der ultramontanen Wühle reien am bayerischen Hofe richtig geschildert hat. Aber der Umstand, daß der Alarmruf von einem bayerischen Organ ausgeht, das breite und tiefe Wurzeln in der Bevölkerung geschlagen hat, zeigt die Grenze, die den römischen Zette lungen gezogen ist. Man kann in Bayern die deutsche Einheit mit der blau-weißen Fahne den Blicken entziehen, aber das bayerische Volk wird dafür sorgen, daß sie nicht hinter der Draperie escamotitirt wird. Die äußere politische Lage ist, dem Feste angepaßt, außer ordentlich friedlich. Das Verhältniß Deutschlands zu Ruß land hat in der letzte» Zeit sich bedeutend gebessert und ist jetzt vorzüglich. Zar Nikolaus verhielt sich bei seiner Thron besteigung etwas reservirt, wenngleich er von jenen deutsch feindlichen Strömungen, die sich, stellenweise mit Erfolg, an Alexander III. herandrängten, nichts wissen wollte. Diese reservirte Haltung aber Hal seit einer Reihe von Monaten längst dem Gefühl einer freundlichen Sympathie Platz gemacht; das gemeinsame Zusammenwirken Deutschlands und Rußlands bei der Beendigung des japanisch - chinesischen Krieges ist natürlich nicht ohne Rückwirkung auf die Gestaltung der deutsch-russischen Beziehungen geblieben. Das Verhältniß Frankreichs zu Rußland kann hieran nichts ändern. . Deutschlands freundschaftliche Beziehungen zu Frank- X reich werden durch den bevorstehenden Rücktritt des Bot- Vhafters Herbette, der in der vergangenen Woche nach Xerlin zurückgekehrt ist, um sein Abberufungsschreiben zu Erreichen, schwerlich eine Einbuße erleiden. Seit dem großen 'ae hat die französische Rcpublick vierzehn Botschafter am a» zehn am Madrider Hofe, acht am Quirinal, neun V-,'^.ener und sieben am Petersburger Hofe verbraucht. Eine ch Schere Hand bat sie in Berlin bewiesen. Sie ist dort a»s Zeitraum von 25 Jahren mit vier Botschaftern "o»^n, die sich sämmtlich einen guten Namen in Der- ."Ee der französische» Diplomatie erworben haben. A,-z. ,c Botschafter nach deut Kriege war Herr de Gontant- der zweite Herr de Saint - Vallier, der dritte Herr de Evurcel und der vierte Herr Herbette. Von ihnen bat sich der zuletzt genannte zehn Jahre in der deutschen Reichshauptstadt behauptet. Er hat dort zwei Kaiser sterben, Kaiser Wilhelm H. den Thron besteigen und den Fürsten Bismarck zurücktreten gesehen. Bon schwierigen Fällen, in denen er Umsicht und Geschicklichkeit bewies, ist der Cchnäbele- fall zu nennen. Noch mißlicher hätten sich die Tinge gestalten können, als Kaiserin Friedrich bei einer Reise nach London Paris berührte und dort zur Gewinnung französischer Künstler für die Berliner Ausstellung Aufenthalt nahm. Herrn Her bette traf keine Verantwortung, da ihm die Absicht der Kaiserin erst im letzten Augenblicke bekannt gegeben wurde. Auf die Tbätigkeit de»' Botschafters Herbette und auf fernen persönlichen Einfluß führt her „Figaro" ferner dir Abschaf fung deS Paßzwanges siir Elsaß-Lotbringen und die Be gnadigung der beiden französischen Spione Degouy und Delguey zurück. Endlich ^-»ve er im vorigen Jahre das Einverständniß zwischen Frankreich, Rußland und Deutsch land in der chinesischen Fra^ und nicht minder das Zu sammengehen in der orientalisa^n Frage befördert, ein Zu sammengehen, das so viel zur Aufrechterhaltung deS euro päischen Friedens beigetragen hat und sich auch noch, wie erst kürzlich an dieser Stelle bemerkt wurde, in der Behandlung anderer Fragen wirksam erweisen könnte. So hinterläßt Herr Herbette seinem Nachfolger gebahnte Wege; es liegt kein Grund vor, anzunehmen, daß sie nicht in derselben Richtung werden forlgesührt werden. Deutsches Reich. /S. Leipzig, 23. Mai. Der Reichstagsabgeordnete Ur. Sigl benutzt neuerdings mit Vorliebe Todesfälle zur Bekundung seiner Rohheit. Er hat, wie erinnerlich sein wird, vor einiger Zeit den Tod eines Kindes des Centrumsabgeordneten Itr. Orte rer in so widerwärtiger Weise journalistisch aus geschlachtet, daß die Entrüstung über ihn allgemein war und der Reichstag anfgefordert wurde, sein Mitglied moralisch zu stäupen. Dies geschah aber nicht; und daß die Züchtigung durch die Presse völlig wirkungslos geblieben ist, obwohl Sigl durch den inzwischen erfolgten Selbstmord seines eigenen Sohnes läuterungsfähiger hätte werden können, bezeugt nachstehende Notiz aus der vorletzten Nummer des „Bay. Vaterlands": „Ein hiesiger (Münchener) 17j. Gymnasiast, der absolut Soldat werden wollte, aber zum Militairdienst untauglich befunden wurde, hat sich aus Gram darüber erschossen. — So ein Neichskameel!" Berlin, 23.Mai. Die Gegner unserer Colonial politik werden nicht müde, den Umstand, daß unsere Colonien gegenwärtig noch mehr oder weniger große Zu schüsse erfordern, als einen schlagenden Beweis für die Unwirthschaftlichkeit dieser Politik hinzustellen. Es spinnt sich im Reichstag keine colonialpolitische Debatte ab, ohne daß der Hinweis auf den Mangel an zahlenmäßig in finanziellen Ueberschüssen im Etat unserer Schutzgebiete sich darstellenden Erfolgen von der radikalen und der äußersten Linken an den Mann gebracht wird. Die wenig mehr als ein Jahrzehnt einschließende Vergangenheit unserer Colonialpolitik — ein Zeitraum, der in der colonial politischen Geschichte anderer Nationen als ein geradezu ver- chwindender Abschnitt erscheint — genügt für diese schnell ebigen Politiker, um ein absolut feststehendes Urtheil über die Zukunft unserer Schutzgebiete zu fällen, das in der Negation unerbittlich ist. Die unleugbaren Fortschritte, welche die innere kulturelle Entwickelung unserer Schutzgebiete, wie die kommerzielle Seite unserer Colonialpolitik in den letzten Jahren gemacht haben, und von denen die Denkschriften, die dem Reichstage übermittelt wurden, ein unwiderlegliches Zeugniß ablegen, werden von Denen um Richter und Bebel als nicht vorhanden betrachtet. DaS charakteristische an dem Verhalten der Gegner unserer Colonialpolitik besteht indessen in dem Widerspruch, der sich aus ihrem Tadel des Mangels an wirthschaftlichen Erfolgen der Colonialpolitik und ihrer Weigerung, auch nur die geringsten Hilfs mittel zur Förderung solcher Erfolge zu bewilligen, er- giebt. Dieser Widerspruch, der sich bei der Einrichtung subventionirter Dampferlinien besonders scharf manifestirte, tritt immer wieder zu Tage. Als bei der jüngsten Colonial debatte der Abg. Graf zu Limburg-Stirum nur ganz bei läufig auf die Nothwendigkeit verwies, die durch den vor gelagerten Dünengürtel verursachten Schwierigkeiten einer rascheren Entwickelung unseres südwestafrikanischen Schutzgebietes durch den Bau einer Eisenbahn von der Küste bis an die Grenze des besiedelungsfähigen Innern zu überwinden, erhob Herr Richter sofort Protest gegen einen solchen Gedanken. Die deutsch-ostafrikanische Centralbahn ist ihm längst ein Schreckgespenst geworden. Obwohl Niemand im Reichstage die Sprache auf dieses Projekt gebracht hat, hielt es Herr Richter doch für angezeigt, bei der zweiten Lesung deS Etats gegen eine Betheiligung des Reiches, sei es in Form eines Zuschusses, sei es in Form einer Zins garantie, Einspruch zu erheben, und als man auf Seiten der Colonialfreunde eS verschmähte, sich mit diesem Protest zu befassen, machte Herr Bebel etwas später noch mals den Versuch, eine Diskussion über ein Unternehmen an zuzetteln, daö sich leider noch immer in den Vorstadien be findet. Wir sagen, leider; denn das Vorgehen anderer Colonialmächte, namentlich Englands und Frankreichs, beweist, wie überaus ersprießlich die Nutzbarmachung des wichtigsten der modernen Verkehrsmittel für die Entwickelung der Colonien ist, und das Bemühen Englands, den Bau der Bahnlinie Mombassa-Uganda nach Beendigung des Aufstandes in britisch Ostafrika zu beschleunigen, birgt die Gefahr in sich, daß wir mit der deutsch-ostafrikanischen Centralbahn inS Hintertreffen geratben. Ueber das langsame Fortschreiten der wirthschaft- tichen Entwicklung unserer Colonien zu klagen, haben aber am allerwenigsten Jene das Recht, die jeden Gedanken an eine thatkräftige Förderung dieser Entwicklung förmlich perhorreSciren. * Berlin, 23. Mai. HerrLiebknecht befindet sich gegen wärtig auf einer Redetour in England. Ueber sein „Debüt" empfangen die „Berl. N. N." aus London, 20. Mai, folgenden Bericht: Die Begrüßung, die die Londoner Social demokraten gestern Abend Herrn Liebknecht in Queenshall bereitet baben, wird den deutschen Vorkämpfer deö Umsturzes nach mancher Richtung enttäuscht haben. Die Versammlung, in der ziemlich viele Frauen und Kinder bis zum Säuglings alter herab sich befanven, begleitete zwar das Erscheinen deS deutschen Gastes mit geräuschvollem Händeklatschen, was er aber in ziemlich flüssigem Englisch zu sagen Hatte, fand nur an Stellen einen enthusiastischen Beifall, die ihm eigentlich zu denken geben müßten, wenn unsere Revolutionsapostel dazu zu bewegen wären, die nämliche Art der Kritik, die sie daheim anwenden, auch auf außenstehende Kreise zu übertragen. Die i»vn Devotion überfließende Hymne, die er auf England als da« gelobte Land der politischen und ökonomischen Freibeit anstunmte, wurde mit echt britischem Stolze als wohlverdienter Tribnr eines Foreigners ausgenommen; wenn Herr Liebknecht sich die schaurigen Wohnstäiten im Ostende angesehen haben wird, dürfr« er wohl über das gelobte Land der Trade Unions eine andere Hinsicht gewonnen haben. Von Interesse war im Eingang der etn»a einstündigen Rede die Bemerkung, die sich au die südafrikanisch, Frage bezog. Herr Liebknecht sagte ungefähr waS folgte. „Ich bin nicht hier, um mich über hohe Politik auSzulaffen, mein Mandat im deutschen Reichstag und meine Stellung al» Redakteur de- „Vorwärts geben mir hinreichend Gelegenheit, meine Ansicht über die schwebenden Probleme zum Ausdruck zu bringen. Wenn aber in Folge eines Telegrammes des Kaisers hier die Auffassung entstand, daß damit eine Verletzung Englands tntendirt gewesen sei, so muß ich als meine Ucberzeugung bekunden, daß dergleichen nicht der Fall ist. Die Absendung des Telegrammes war ein rein privater Act und hat nichts mit politischen Affairen zu thun. Wohl giebt es eine starke und mächtige Clique bei uns, die zum Krieg wegen colonialer Dinge schürt, aber diese Clique hat nichts zu bedeuten. Sie entstammt denselben Kreisen, die auch hier im Interesse des internationalen Capitols die Volker gegen einander Hetzen. Wir Arbeiter wissen, daß am letzten Ende die Colonialpolitik nur eine systematische Räuberei ist und bleibt." Der Abriß der deutschen Geschichte, den Herr Liebknecht nun entrollte, bietet für deutsche Leser absolut nichts Erwähnens- werthes, die alten gehässigen Phrasen gegen Iunkerthum und Militarismus, insbesondere aber gegen Mr. Bismarck wurde da vorgebracht. Ausnahmsweise wurde der beliebte Krebs gang mit der Emser Depesche diesmal Unterlasten. Wohl leistete aber der Berliner Gast sich folgenden Satz: „Wenn in Frankreich die Socialdemokratie ans Ruder gekommen ist und wir in Deutschland die Herren geworden ind, dann wird die elsaß-lothringische Frage uns auch nicht ünf Minuten lang beschäftigen." Ein orkanartiger Applaus lohnte hierfür den Redner. Ueberhaupt war der Beifall der englischen „Genossen" überall da stürmisch, wo er die Zustände seiner Heimath craß carikirte; wo er aber englische Verhältnisse berührte, zeigten ich die Herren Engländer weit zurückhaltender! Berlin, 23. Mai. (Telegramm.) Der Kaiser nahm gestern in Prökelwitz den Vortrag des Chefs des Marine cabinets Contreadmirals Frhrn. v. Senden-Bibran entgegen. Heute früh um 8 Uhr hat er die Rückreise angetreten und traf um 8 Uhr 53 Min. in Marienburg ein, wo er kurzen Aufenthalt zur Besichtigung der Renovationsarbeiten in der Hochburg nahm. Die Reise wurde von Marienburg gegen 10 Uhr Vormittags fortgesetzt; die Ankunft des Kaisers auf der Wildparkstation erfolgt heute Abend kurz vor 6 Uhr. — Zur Feier des Geburtstages der Königin von Groß britannien findet morgen Mittag bei dem Kaiser und der Kaiserin eine Tafel zu etwa 70 Gedecken statt, zu der die Mitglieder der hiesigen großbritannischen Botschaft geladen sind. — Am zweiten Psingstfeiertag wird im Neuen Palais das Stiftungsfest des Lehr-Jnfanterie-Bataillons gefeiert. (-) Berlin, 23. Mai. (Telegramm.) Der „Reichs anzeiger" veröffentlicht den von den Zeitungen bereits mit- getheilten Schriftwechsel zwischen dem kaiserlichen Botschafter in Washington von Thielmann und dem Auswärtigen Amte der Union anläßlich des Falles Stern. L. Berlin, 23. Mai. (Privattelegramm.) Die „Nat.- Ztg." schreibt: Eine unS aus Hamburg zngegangene Mit- theilung, daß der Gesellschaft Ker englischen Schiffsbau- Ingenieure, welche dort demnächst ihre Jahresversammlung halten will, anläßlich eines Ausfluges nach Berlin hier ein Fest von der Reichsregierung gegeben werden solle, hat mit Recht vielfach Erstaunen hervorgerusen. Wenn die Berussgenossen der englischen Besucher diesen in beliebiger Weise Gastfreundschaft erweisen, so wird das Jedermann in der Ordnung finden; daß eine derartige Versammlung aber im Namen des Reiches gefeiert würde, wäre unseres Wissens ohne Präcedenzfall; und einen solchen gerade aus Anlaß des Besuches eines englischen Vereins zu schaffen, empfiehlt sich im Hinblick auf die seit dem Anfang dieses Jahres stattsindenden politischen Er örterungen wohl am wenigsten; es könnte in England ge wisse Selbsttäuschungen, zu denen man dort ohnehin sehr geneigt ist, unterstützen. Wir erinnern uns nicht, daß eine Veranstaltung, wie sie jetzt angeblich geplant sein soll, früher für die hervorragendsten internationalen Ber einigungen stattgefunden hätte; demnächst aber handelt es sich nur um Besucher aus einem einzigen Lande, die einen gewiß sehr bedeutsamen, aber keineswegs ein universales Interesse in Anspruch nehmenden Beruf vertreten. 8. Berlin, 23. Mai. (Privattelegramm.) Wie der „Nat.-Ztg." aus Gotha geschrieben wird, hat der Direktor deS Bundes der Landwirthe I)r. Suchsland in einem an die Gothaer Lebensversicherungs-Bank gerichteten Schreiben Ein spruch gegen die politische — nicht-agrarische — Stellung nahme der an derselben angestellten Beamten erhoben! Dieser Schritt ist vom Vorstande der Bank, auf Grund eines in besonderer Sitzung gefaßten Beschlusses, als unzulässig und durch nichts zu rechtfertigen zurückgewiesen worden. 6. 8. Berlin, 23. Mai. (Privattelegramm.) Die Ventralstelle für Arbetterwohlfahrts-Ginrichtungen unter- nimmt vom 5. bis 15. Juli eine Informationsreise nach Stuttgart, Augsburg, Konstanz, Zürich und Basel. — Bisher wurde allgemein angenommen, daß Fürst Bismarck in der preußischen Armee die größte Zahl von Orden besitze, die im Laufe der Jahre auf 52 gestiegen ist. Jedoch der Ober-Hof- und HauSmarschall Graf zu Eulen burg, Generallieutenant L la suit« der Armee, übertrifft mit 57 Orden den Fürsten Bismarck noch um fünf. — Ueber die erste,vom amerikanischen Staatssecretair Olney im „Falle Stern" an den deutschen Botschafter Freiherrn v. Thielmann gerichtete Note sagt die „New- Aorker StaatSzeitung": „Das ist das Plaidoyer eines Advocaten, der beim Appell an eine höhere Lriminal-Jnstanz das Vorgehen eines Polizeirichters durchhechelt, aber nicht die Sprache eine- Diplomaten, welcher ein in fremdem Lande, nach dortigem Gesetz gefälltes Urtheil, dessen Regelmäßigkeit nicht anzufechten ist, gemildert zu sehen wünscht." Des Weiteren schreibt der Washingtoner Correspondent deS genannten BlatteS: „Secretair Olney hatte, wie man im Staatsdepartement erzählt, die Absicht, auf die letzte Note keS deutschen Botschafters zu antworten, das Concept dieser Antwort war sogar schon ausgearbeitet worden, aber die ernere Entwickelung des Falles und namentlich das Ver halten des Hauptbetheiligten, veranlaßten den Staatssecretair wohl, die Sache rnhen zu lassen, da weiter keine Lorbern dabei zu holen waren. Allzu scharf, macht schartig." — Die Mittheilung, wonach die hiesigen antisemiti- chen Vereine von der Polizei ausgefordert sein sollen, bre Mitgliederlisten einzureichen, wird von der „StaatS- bürger-Zeitung" bestritten. DaS Blatt behauptet, es sei an keinen antisemitischen Verein Berlins und der Umgegend eine derartige Aufforderung ergangen. — Die Rede des Kammergerichtspräsidenten Drenk- mann im Herrenhause, der einer discretionairen Auswahl unter den Anwärtern auf das Richteramt und einer Reform des Anwallstandes das Wort redete, hat den Widerstand der Gegner des „Assessorenparagraphen" nur verschärft. * Flensburg, 22. Mai. Mit Hartnäckigkeit hält „Flens- borg Avis" an den durch richterliche Entscheidung in öffent lichen Zeitungen und Druckschriften verbotenen Ausdrücken „ Sönderj y llan d" (Südjütland) u. s. w. fest. Wegen wiederholten und fortgesetzten Gebrauchs dieser Wörter im „Flensborg Avis" sind nun mehrere Redactionsmitglieder des Dänenblattes neuerdings wieder gerichtlich zu Protokoll ver nommen worden. Wahrscheinlich wird gegen die Betreffenden das Verfahren wegen fortgesetzt verübten groben Unfugs eingeleitet werden. * Hamburg, 23. Mai. Ter Kronprinz und Prinz Eitel Fritz trafen auf der Reise uach dem Neuen Palais kurz nach ll^/z Uhr auf dem Altonaer Bahnhof ein, wo sie vom Grafen Waldersee und Oberstlieutenant v. Gayl empfangen und zur Generalcommandantur geleitet wurden. Nachdem die Prinzen dort das Frühstück eingenommen hatten, setzten sie 12 Uhr 20 Minuten die Reise nach Potsdam fort. * Breme«, 22. Mai. Vor der Zweiten Strafkammer des hiesigen Landgerichts mußte sich gestern der frühere Geschäftsführer der hiesigen socialdemokratischen Buchdruckerei der „Bürgerzeitung" verantworten. Er war der wiederholten Urkundenfälschung, des Betruges und der Untreue und Unterschlagung angeklagt. Zum Theil selbstverschuldete unglückliche Familien- und Vermögens verhältnisse haben den Angeklagten zu den ihm zur Last gelegten Strasthaten verleitet. Als er sich schließlich nicht mehr über Wasser halten konnte, entfernte er sich am 14. September v. I. unter Mitnabme von etwa 600^L Geldern der ErwcrbSgenossen- schast „Soc. Vereinshaus" von hier und entfloh nach Holland; im December aber kehrte er mittellos zuruck und stellte sich der Behörde. Die Anklage legt ihm zur Last, daß er im Jahre 1895 die Zeitungscommission, an die er die Ueber- schüsse aus dem Druckereigeschäft abzufübren hatte, in sieben Fällen durch falsche Buchungen um inSgesammt 2791,70 benachtheiligt, ferner als Bevollmächtigter der Gesellschaft „Vereinsbaus" derselben 1238,99 veruntreut habe. Gott lieb ist nicht geständig. Das Gericht nimmt an, daß die Druckerei sein, nicht Parteigeschäft ist. Es erfolgte Frei sprechung. Doch wurde die Angelegenheit wegen betrügerischen Bankerotts und wegen Geldmitnahme vor das Schwur gericht verwiesen. (F. Z.) * Tanzig, 22. Mai. In der gestrigen Sitzung der Stadt« verordneten-Bersammlung, welche den Regierungsrath Del brück zum Oberbürgermeister wählte, wurde gleich nach der Wahl von dem Stadtverordneten Syring folgende Interpellation eingebracht: „Ist dem Magistrat bekannt, daß in der Bürger versammlung vom 12. Mai d. I. ein Redner geäußert hat: Es fehle an der Spitze unserer städtischen Verwaltung ein Mann, der die Unparteilichkeit bei der Verwaltung hochhält. Welche Schritte gedenkt der Magistrat gegenüber dieser Aeußerung zu thun?" Bürgermeister Trampe verlas darauf nach der „Danz. Ztg." im Auftrage des Magistrats folgende Erklärung: Aus Anlaß der uns angekündigten Interpellation des Herrn Stadt verordneten Syring haben wir in unserer heutigen Sitzung von den Zeitungsmittheilungen über die Versammlung des Bürger vereins vom 12. d. Mts. Kenntniß genommen. In den darnach in jener Versammlung geäußerten Ansichten über die städtische Verwaltung, insbesondere in den Bemerkungen, „daß in den maß gebenden Kreisen unserer Stadt Cliquenwesen herrscht", und daß „an der Spitze der städtischen Verwaltung eia Mann fehle, der die Unparteilichkeit bei der Verwaltung hoch halte", können wir nicht mehr sehen, als eine ganz allgemein gehaltene, jeder positive» Begründung entbehrende und in der That auch ganz unzu treffende Kritik unserer Gemeindeverhältnisse. Wir dürfen die in jenen Aeußerungen enthaltene Verdächtigung mit guten. Gewissen von uns ablehncn und finden, so lange zu ihrer Begründung nicht bestimmte Thatsachen geltend gemacht werden, keine Veranlassung, uns mit ihr weiter zu beschäftigen." Herr Ttadwerordneter Damme stellt nun den Antrag, in eine Besprechung der Interpellation ein- zutrcten. Nachdem dieser Antrag die Unterstützung fast sämmtlicher Mitglieder der Versammlung gesunden hatte, führte Herr Damme ungefähr Folgendes aus: Man könne dem Interpellanten nur danken, daß er die Sache zur Sprache gebracht und dem Magistrat hierdurch Gelegenheit gegeben habe, die Verdächtigung der Parteilichkeit weit von sich zu weisen. Zu den „maßgebenden Kreisen" sgehörten aber der Magistrat und die Stadtverordnetenversammlung, denn ohne die Zustimmung der letzteren könne der erstere keinen Groschen aus geben, keine Verpachtung vornehmen, überhaupt nichts Ibun. Er sei seit 1861 Stadtverordneter, und feine beiden ältesten College» in diesem „maßgebenden Kreise" seien die Herren vr. Piwko und Hybbeneth, mit denen er gemeinsam also seit ca. 36 Jahren in der Clique immer „mitgewurstelt" habe. Eigenthümlich sei es, daß der Redner in der Bürgervereinsversammlung zu einem Fremdwort seine Zuflucht habe nehmen müssen. Clique sei rin französischer Ausdruck, für welchen unsere deutsche Sprache einen eigenen nicht besitze. Es sei nun seine Gewohnheit, sich über eine Sache, bevor er über sie spreche, möglichst au- der Geschichte zu unterrichten, und da habe er sich klar zu machen gesucht, waS der Au-druck denn eigentlich für eine Bedeutung Hahr. Da» Dictionair der Akademie der Wissenschaften in Pari» verstehe unter Clique eine Gesellschaft, welche sich zur Ausübung von Eabalen und Betrügereien vereinigt habe (Heiterkeit); daS bekannt« Wörterbuch von Sochs-Villatte übersetzt Clique mit „Rotte, Sippschaft, Gelichter" (große Heiterkeit), und in dem LonversationS-Lexikon von Brockhau» heißt es: „Clique ist eine Partei, welche nicht da- allgemeine Jnieresse, sondern La- persönliche ihrer Mitglieder im Auge hat."
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