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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.10.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-10-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18961002029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896100202
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896100202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-10
- Tag1896-10-02
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Nicht selten wurden über Straf- tbaten, die im Wesentlichen gleich lagen, die abweichendsten Entscheidungen betreffs des Strafausmaßes gefällt. Diesem Mangel vermochte auch daS Reichsgesetz vom 28. Juli 189ü, betreffend die Bestrafung des Sklavenhandels und Sklaven» raubes, nicht abzuhelfen. Das angezogene Gesetz kann, obwohl an und für sich nur für Europäer erlassen, ebenso wie das Reichsstrafgesetzbuch auch auf Farbige Anwendung finden, eS wird aber durch die Bestimmungen deS Gesetzes nicht den be sonderen Verhältnissen deS im deutsch-ostafrikanischen Schutz gebiet von Farbigen betriebenen Sklavenhandels genügend Rechnung getragen. Daher sind jetzt ergänzende Be stimmungen erlassen, deren wesentlichste lauten: 1) Wer sich eines freien Menschen bemächtigt, um ihn in Sklaverei zu bringen, wird wegen Menschenraubes mit Ketten- arbeit bis zu fünf Jahren bestraft. 2) Der gewerbs- oder gewohnheitsmäßige Menschenraub wird mit lebensläng licher Kettenarbeit oder mit dem Tode bestraft. Tie gleiche» Strafen treffen jeden Theilnehmer einer Bande, die mit bewafs- neter Hand Menschenraub begeht. 3) Ist bei der Ausführung, beziehungsweise dem Versuch eines Menschenraubes der Tod einer der Personen, deren Raub ausgeführt oder versucht wurde, oder die dem Geraubten, beziehungsweise Bedrohten zu Hilfe kamen, ver ursacht worden, so ist gegen die Veranstalter und Anführer auf Todesstrafe, gegen die übrigen Tbrilnehmer auf Kettenarbeit nicht unter drei Jahren zu erkennen. — Wer gewerbsmäßig Sklaven- handel betreibt, wird mit Kettenarbeit nicht unter drei Jahren bestraft. — Wer an einem in Ausführung, beziehungsweise Voll- endung eines Menschenraubes erfolgenden Transport von Sklaven, beziehungsweise an einem dem gewerbsmäßigen Sklavenhandel dienenden Transport von Sklaven vorsätzlich mitwirkt, wird mit Kcttenarbeit bi« zu drei Jahr-n bestraft. Der gewerbs- oder gewohnheitsmäßige Transport von Sklaven wird mit Kettenarbeit nicht unter drei Jahren bestraft. Wer es unternimmt, einen Sklaven nach einem Orte außerhalb des deutschen Schutzgebietes zu dauerndem Aufenthalt zu überführen, oder wer einen Sklaven an eine Person verkauft, von welcher er weiß, daß sie im deutschen Schutzgebiet keinen Wohnsitz hat, wird wegen Sclavenausfuhr mit Kettenarbeit bis zu fünf Jahren bestraft. Die gewerbs öder gewohnheitsmäßige Sclavenausfuhr wird mit Kettenarbeit nicht unter drei Jahren bestrast. Gleiche Strafe tritt ein, wenn die Sclavenausfuhr mit Anwendung von List, Drohung oder Gewalt begangen wurde. Ist bei der Ausfuhr, be- ziehungsweise dem Versuch einer Sclavenausfuhr der Tod einer der Personen, deren Ausfuhr bewirkt oder versucht wurde, oder welche dem Auszuführenden zu Hilfe kamen, verursacht worden ist, so ist gegen die Veranstalter und Anführer auf Todes strafe, gegen die übrigen Theilnehmer auf Kettenarbeit nicht unter drei Jahren zu erkennen. Der Versuch ist in den Fällen des Menschen raubes, des Sclaventransports und der Sclavenausfuhr strafbar. Im klebrigen kommen betreffs des Versuchs die Grundsätze der 88 43 ff. des Reichsstrafgesetzbuches zur Anwendung. Kettenarbeit ist hierbei der Zuchthausstrafe gleichzuachten; doch findet eine Umwandlung von Kettenarbeit unter einem Jahre (8 44 Abs. 4 R.St.G.Bs.) in Gefängniß nicht statt. Betreffs der Theilnahme kommen dir Grundsätze der 88 47 ff. des Reichsstrafgesetzbuchs zur Anwendung. Neben den vorstehend angedrohten Freiheitsitrafen kann auf Geld- strafe und Prügelstrafe erkannt werden. Auch kann auf Ein ziehung aller zur Begehung des Verbrechens gebrauchten oder be stimmten Gegenstände erkannt werden, ohne Unterschied, ob sie dem Berurthrilten gehören oder nicht. Ist die Verfolgung einer be- stimmten Person nicht ausführbar, so kann auf die Einziehung selbst- ständig erkannt werden. Ueber eine eventuelle Ausweisung des Ber- urtheilten aus dem Schutzgebiet wird daS Gouvernement in jedem einzelnen Falle Entscheidung treffen. Eine endgiltige Regelung der Materie kann nur durch eine vom Kaiser, beziehungsweise von dem Reichskanzler, zu er lassende Verordnung erfolgen. Das Material für eine solche Verordnung, welche der stellvertretende Gouverneur nach Jahresfrist in Vorschlag zu bringen beabsichtigt, sollen die mit der Anwendung der vorbezeichneten Grundsätze in der Praxis gemachten Erfahrungen liefern. Zur wirksameren Verfolgung des Sklavenhandels sind Belohnungen für Straf anzeigen in Sclavensachen ausgesetzt. Eine neue Methode, sich der agitatorischen Geschäftigkeit dl-r freisinnigen Vereinigung zu erwehren, hat die freisinnige Volkspartei in Rostock zur Anwendung gebracht. Dort war es 1893 zu einer Auseinandersetzung zwischen freisinniger Vereinigung und Volkspartei gekommen, derart, daß die Ver einigung einen eigenen Candidaten ausstellte, die Volkspartei aber gleich im ersten Wahlgang für den Socialdemo kraten stimmte. Die Volkspartei erreichte, waS sie wollte. Nicht Geh. Rath Frentzel-Berlin kam mit dem Conservativen in die Stichwahl, sondern der Socialdemokrat. Nun war die Stellungnahme für die Volkspartei so leicht, wie sie ihr im andern Falle schwer geworden wäre. In Bremen, Stettin u. a. O. hat ja die Volkspartei den Social demokraten gegen den Candidaten der Vereinigung begünstigt. Wie sie sich im Falle der Stichwahl zwischen Conservatwen und Vereinigung gestellt hätte, ist unenthüllt geblieben. Die einzige Gelegenheit, die sich dazu bot, wäre Rostock gewesen, und dort wurde sie durch sofortiges Eintreten der Volks partei zu Gunsten der Socialdemokratie verhindert. Für das nächste Mal wird diesem pikanten „Fall" in anderer Weise vorgebeugt. Die „Freis. Ztg." proclamirt jetzt bereits die Candidatur des Genossenschaftsanwalts Or. Hans Crüger, nachdem eine Anfrage bei den Leitern der Ver einigung in Rostock ergeben hat, daß die Letztere auch ihren Candidaten schon auserkoren hat, und nun soll bis 1898 daS Werben um dir „liberalen" Stimmen un ausgesetzt betrieben werden. Speciell zu diesem Zwecke will die „Freis. Ztg." die Candidatur Crüger „jetzt in der Oeffentlichkeit weiteren Wählerkreisen unter breiten". Ohne Zweifel kostet dies der Vereinigung eine erhebliche Anzahl Stimmen, denn wenn Herr Richter sich anderthalb Jahre Zeit nimmt, eine Wählerschaft zu ver wirren und zu zersetzen, geht es ohne Schaden für die Be fehdeten nicht ab. Da müßte Herr Richter nicht Herr Richter sein. Hingegen weiß nun auch die Socialdemokratie, wie sie daran ist, und hat Zeit, ihre noch drastischeren Mittel anzu wenden, um so viele als möglich von Denen festzuhalten, die ihr 1893 durch Herrn Richter zugetrieben wurden. Der conservative Vertreter deS Kreises, Herr v. Buchka, hat somit allerbeste Aussicht, wieder mit dem Socialdemokraten in die Stichwahl zu kommen. Das ist nach Lage der dortigen Ver hältnisse schon die ziemlich sichere Wiederwahl. Die Dlättermeldung von einem formellen schriftlichen Abschlüsse eines BündnißvertrageS zwischen Oesterreich und Rumänien ist mit großer Vorsicht aufzunehmen. Zu einem solchen Bündnisse ist gerade im gegenwärtigen Augen blicke eine besondere Nothwendigkeit nicht vorhanden. Die Interessen Rumäniens drängen es ohnehin dazu, im Falle ernsthafter Verwickelungen fest zu Oesterreich zu stehen. Ab gesehen davon aber, ist gegenwärtig auch die Stellung Oester reichs auf der Balkan-Halbinsel schon dadurch eine bessere, daß Serbien und sogar auch Bulgarien nicht mehr derart russischem Einflüsse allein unterstehen, wie noch vor kurzer Zett. Wenn österreichische Blätter es als politisch bedeutsam hervor gehoben haben, daß der Fürst von Bulgarien der Feier am Eisernen Thor nicht beigewohnt hat, so muß dazu bemerkt werden, daß dafür weniger politische, als persönliche Gründe maßgebend gewesen sind. Man weiß, der österreichische Kaiser ist noch immer außerordentlich verstimmt gegen den Fürsten Ferdinand von Bulgarien, den zu empfangen er vor und nach dem Uebertritt des Prinzen Boris wiederkolt abgelebnt hat, so daß, da der Kaiser das entscheidende Wort darüber zu sprechen halte, wer an der Feier theilnehmen sollte, eS ganz selbstverständlich war, daß Fürst Ferdinand ferngebalten wurde. Daß die kühl reservirle, ja stolz abweisende Haltung des österreichischen Monarchen gewirkt hat, geht daraus hervor, daß Bulgarien gegenwärtig schon nickt mehr völlig im russischen Fahrwasser segelt. Dies schließen wir ebenso aus dem Ver bleiben des für den Ausschluß russischer Ossiciere aus der Armee eintretenden bulgarischen Kriegsministers im Amte, wie aus der Anwesenheit gerade des österreichischen Attaches und eines rumänischen Generals bei den bulgarischen Manöver». In jedem Falle aber wäre es verkehrt und könnte unseren guten Beziehungen zu Rußland nur abträglich sein, wenn man ui Deutschland nun über die Tbalsache des herzlichen Ein vernehmens zwischen Oesterreich und Rumänien und die serbisch-bulgarische Annäherung an Oesterreich in ein Jubel geschrei ausbrechen wollte. Dazu liegt gerade jetzt kein Anlaß vor. Es würde aber auch durch eine derartige Stellungnahme der öffentlichen Meinung Deutschlands schöne Aufgabe, beim Hervortreten von Gegensätzen zwischen Oesterreich und Rußland im Orient versöhnend zu wirken, erschwert werden, denn man würde an der Newa nicht ohne Grund vermuthen, daß hinter der Unparteilichkeit, welche Deutschland dem Concurrenzkampf Oesterreichs und Rußlands auf der Balkanhalbinsel gegenüber bewahrt hat, sich anti-russische Tendenzen verbergen, was keineswegs der Fall ist. Die armcnicrfreun-liche Propaganda, wie sie in England und zum Tbeil in Deutschland betrieben wird, bekundet alles Andere eher, denn Verständniß für den springenden Punct der gegenwärtigen Orieutlage. Wenn man nicht annehmen will, daß die Kreise, welche sich für Armenien ins Zeug legen, be- wußtermaßen auf Herbeiführung einer allgemeinen inter nationalen Conflagration hinarbeiten, so darf ihnen der Tadel nicht erspart bleiben, daß sie bei ihrem Versuche, das Orientproblem bei dem armenischen Zwist anzupacken, die denkbar unglücklichste Hand bethätigen. Soviel sollte doch auch dem Laien in politicis klar sein, daß die Zustände in der Türkei gerade verwickelt genug sind, um bas Hincintragen weiterer erschwerender Momente geradezu als Versündigung an der Sache des VölkerfriedenS erscheinen zu lassen. Wollten die Mächte sich in das Schlepptau der armenierfreundlichen Propaganda begeben, so könnten sie nur gleich der Hoffnung, die schwebende Krise im Compromiß- wege zu begleichen, entsagen. Die nächste Folge würde der erneute elementare Ausbruch des muselmännischen Religions fanatismus sein, und was das für die Armenier und über haupt die Orientchristen, wie nicht minder auck für die Zirkel der europäischen Orientaction zu bedeuten hätte, braucht wohl nicht im Einzelnen specificirt zu werden. Hieraus dürfte für jeden eines unbefangenen UrtheilS fähigen Beobachter der Orientvorgcinae sich ergeben, baß den wahren Interessen der Armenier besser gedient wird, wenn man ihre Wahr nehmung der großmächtlichen Diplomatie al« einem kurz sichtigen, statt mit sachlichen Erwägungen, mit unklaren Gefühlswallungen operirenden politischen Dilettantenthum anheimstellt. Die Durchführung von ernsten Reformen auck in Ansehung der Armenier wird von den Mächten gewiß nicht aus dem Auge verloren, aber sie können sich dabei unmöglich von unverantwortlichen, lediglich von religiösen und Humanitären Beweggründen getriebenen ungeduldigen Ratbgebern drängen lassen. Ihre hohe und schwere Aufgabe, für welche sie der ganzen Welt verantwortlich sind, ist in erster Linie die Erkaltung des Friedens, an dessen Stelle, wenn er am Goldnen Horn gebrochen wird, ganz gewiß nicht der BernichtungSkampf zwischen nur zwei oder drei Mächten treten würde. Es ist allerdings nicht zu be streiten und von uns nie bestritten worden, daß in der Türkei nur dann Ruhe uud Ordnung einkehren kann, wenn die Krankheit, an welcher das otlomanische Reich bis ins Mark hinein leidet, durch Beseitigung der alten Lotter- und Willkürherrschaft deS Mohamedanerthums vermittelst zeit gemäßer Reformen gründlichst von innen heraus geheilt wird. Allein man muß zugeben, daß die eigenartigen Ver hältnisse der Türkei nur eine sehr langsame Sanirung erwarten lassen, in erster Linie weil der Widerstand des Alt- mohamedaniSmus, welcher jeglichem modernen Fortschritt feindlich gegenübersteht, mit aller Vorsicht erst überwunden werden muß. Wollte man auf ihn keine Rücksicht nehmen, so würbe die totale Austilgung deS armenischen Volkes zu gewärtigen sein. Liegen aber die Dinge so, dann muß man sich eben in Geduld fassen und darf es den Mächten nicht als Mangel an Einsicht oder gutem Willen auslegen, wenn sie mit aller Macht darauf aus sind, die äußeren Symptome der Krankheit zu unterdrücken, d. h. neue Eruptionen des Rassen- und ReligionSfanatismus zu ver hüten. Diese involviren die größte Gefahr für den Welt frieden, und «S hieße direkt falsch curiren, wollten die Mächte sich lediglich auf die langsame Beseitigung des Grundübels beschränken, mittlerweile aber die Symptome völlig außer Acht lassen. Ist trotz aller Vorsicht und Zurückhaltung ein Einschreiten nicht mehr zu umgehen, etwa weil euro päisches Blut Sühne verlangte, oder weil eclatante Hand lungen oder Unterlassungen deS Sultans dessen absoluten Mangel an gutem Willen zur Durchführung ber Reformen unzweifelhaft documentirten, so wird das Unumgängliche durch die Mächte mit aller Energie gewiß ins Werk gesetzt werden. Ueber den Zeilpunct, an welchem dies zu geschehen babe, zu bestimmen, ist indessen ihre Sache, nicht die von Privatleuten, denen der Einblick in den verwickelten Gang deS internationalen politischen Triebwerke- verschlossen ist. Die Absichten der englischen Maroktopolitit erfahren durch daS Telegramm, welches für Tanger die Errichtung einerKohlenstation als gesichert erscheinen läßt, eine Beleuch tung, die nicht überall, so insbesondere nicht an der Seine, als eine wohlthuende empfunden werden dürfte. Es scheint, daß ber englische Vertreter in Marokko, Nicholson, bei seiner neulichen Anwesenheit am Hofe des Sultan- in Marrakesch ausnehmend gute diplomatische Geschäfte ge macht bat, Geschäfte, bei deren fördersamer Erledigung der englische Sovereign keine ganz untergeordnete Rolle gespielt haben dürfte. Eine Corresponvenz, welche der „Globe" vor Kurzem auS Tanger erhielt und in welcher mitgetheilt wurde, baß Marokko nunmehr auch die letzte Rate der spanischen Kriegsentschädigung beglichen habe, gewinnt unter diesen Umständen eine besonder- interessante Tragweite. Wenigstens würde, bei der notorischen Leere der marokkanischen Staats kasse, die Annahme Manches für sich haben, daß England die Begleichung des spanischen Schuldcontos bewirkt und der Sultan sich für diese Gefälligkeit durch Erlaubniß der Anlage Die Schuld -es Fürsten Romanskoi. 4j Roman von Conr. Fischer-Sallstein. NaLtruck verrott». „Sie haben ein sehr angenehmes Organ, Michael Jas- mvrin, Sie werden brillant lesen. Was hat Sie denn aber veranlaßt, sich um die Stelle zu bewerben? Herr StaatS- rath Orkieneff hat mir darüber gar keine Auskunft gegeben." „Ich bin auf Nebenverdienste angewiesen", versetzte JaS- morin und verbeugte sich. „Die Stellt ist ja auch ganz erträglich dotirt, ich lasse Ihnen, falls ich mich für Sie entscheide, monatlich zwei- bundert Rubel auSzahlen. Auch stelle ich Ihnen Pferd und Wagen zur Verfügung, damit Sie immer bequem unsere Insel erreichen können. Am liebsten wäre eS mir freilich, wenn Sie auf der Villa Wohnung nehmen wollten. Ich gedenke in diesem Winter meinen Palast drüben in St. Peters burg nicht zu beziehen." JaSmorin'S Herz schlug bei diesen Eröffnungen vor Freuden wie rin Hammer. Natürlich war er bereit, heute noch nach der Billa überzusiedeln. Was hielt ihn denn auch in St. Petersburg fest? Die Universität läßt sich auch von hier au« erreichen, besonders wenn ihm Pferd und Wagen zur Ver fügung steht. „Ich würde heute noch hierher übersiedeln, falls ich deS geschätzten Vertrauen- der Frau Gräfin Stroganowna ge würdigt werden könnte." „Staatsratb Orkieneff schrieb mir, daß Sie besonder- in fremden Sprachen groß seien; dazu besitzen Sie ein hübsche- Organ, ich wüßte also nicht, wa- mich veranlassen könnte, von Ihrer Bewerbung abzuseben. Nicht wahr, mein« liebe Natascha Mekelaj, wir wurden ihm drei Zimmer und einen Diener zur Verfügung stellen?" „Er hat so viel Gemüth!" flüsterte diese und rieb sich die Hände, al» ob diese kalt geworden wären. „Ick werde sofort die Zimmer beizen lassen. Auch muß der Balcon gefegt werden; er ist ganz mit Laub bedeckt." „Gewiß, abck: ich bestehe darauf, daß Michael JaSmorin auf seinen Genschern speist, und wünsche, daß besonder berücksichtigt wir-, paß er an die französische Küche nicht ge wöhnt ist. Auch soll er nichts in meinem Hause vermissen. Wenn man geistig thätig sein soll, dann darf es an leiblichen Genüssen nicht fehlen." Diese Worte galten der guten Natascha, die ihrer Herrin verständnißinnig zunickte. Nun wandte sich die liebens würdige Dame wieder dem in Glückseligkeit schwimmenden Studenten zu. „Sie sind in Sibirien geboren; wie kommt es denn, daß Sie heute in Petersburg sind? Der Brief des Staatsrathes Orkieneff giebt mir auch darüber keinerlei Aufschlüsse." JaSmorin kam rin wenig in Verlegenheit. Zugleich berührte es ihn peinlich, daß er da offenbar einem vollständigen Verhör unterworfen werden sollte. Die alte Dame beobachtete ihn mit ihren lebhaften Augen scharf. „Durch die gütige Unterstützung einer sehr edlen Dame wurde eS mir möglich gemacht, nach Petersburg zu kommen, um hier zu studiren." Die Gräfin Stroganowna wurde lebhaft. Sie schlüpfte etwas au- ihrem Pelz heraus und sah überrascht Natascha an. „Haben Sie eine Braut auS guter Familie? Gewiß ist eS eine reiche KaufmannStochter, die Sie studiren läßt?" „Nein", entgegnete lachend JaSmorin, „meine Gönnerin ist «ine mütterliche Freundin, die auf Slekok lebt. Es ist Sofia Andrejewna Petuschkiwna." Die Gräfin glitt jetzt mit größter Lebhaftigkeit ganz aus ihrem Pelz heraus und präsrntirte sich in einem kostbaren hechtgrauen Seidenkleid. E- war eine schlanke, beinahe schmächtige Erscheinung, die viel von Krankheiten gelitten haben mochte, aber trotzdem einen außerordentlich zugend- lichen Eindruck machte, so daß der Student wirklich in Be wunderung gerieth. „Sprechen Sie von der berühmten Petuschkiwna des Fürsten Stepan Wassilitsch RomanSkoi? Das ist mir aber ganz unfaßbar, — also wirklich, Sie sprechen von ihr? — Ich hätte wirklich nie gedacht, daß die heilige tapfere Sonja, der der Zar die Hand gedrückt, daß sie — ja, mein Goti, eS ist richtig, sieh dock selbst, Nataschka, diese wirklich schöne» Augen, da- ausdrucksvolle Gesicht und diese Figur! — Willst Du nicht Lidia rufen, Nataschka, eS ist von großer Bedeurung, daß Lidia ihn sieht! — Also wirklich, Sofia Anorejewna Petuschkiwna!" Ist sie denn verrückt geworden? fragte sich Michael und starrte voll Verwunderung die alle Dame an, die den Blic> nicht von ihm wenden konnte. Sie stand vor dem Sessel, auf welchem sie bi« jetzi gesessen, der große Pelz saß auf ihren Schultern fest und strehte ihr den Rücken hinab, und so wie sie dastand und auf JaSmorin herüberblickte, war sie mit einem Schmetterling vergleichbar, der soeben aus seiner Puppe kriecktt. „Lidia", fuhr sie nun fort, „ist meine Enkelin. Ihr Vater hat sein ganzes Vermögen verspielt und sich dann in Monaco erschossen. Gewiß, Sie haben davon gehört? Er erschoß ich auf seinem Reitthier Djatschok uud batte einen schreck- lichen Tod. Ich nahm Lidia zu mir, weil sie eine große Schönheit geworden ist. ES ist merkwürdig, gerade wie Stepan Wassilitsch RomanSkoi, besitze auch ich keinen directen Erben außer Lidia, meiner Enkelin." Diese Vertraulichkeit, der er sich nun gewürdigt sab, gefiel dem Michael JaSmorin ganz besonder», und er knüpfte eine Welt voll froher Erwartungen daran. Freilich konnte er nicht wissen, daß dieser Grad von Vertraulichkeit bei Darja Alexandrowna nichts Besondere» war. Er fragte sich, warum ihn die schone Lidia — und er zweifelte an den Angaben der Gräfin, daß Lidia schon sei, durchaus nicht — sehen und bewundern solle. JaSmorin war noch zu jung und zu unerfahren, al« daß er nickt sofort eine recht beglückende Antwort bei der Hand hätte baden sollen. Man braucht za nur in den Romanen zu blättern, nm Hunderte von Beispielen dafür aufzutreiben, daß ein netter junger Mann schließlich sein Glück durch «ine brillante Heirath machte. Mit gespannter Erwartung blickte er nun nach der THÜr, hinter der Natascha verschwunden war. Die Tbür stand noch etwa- offen, und sofort fragte ibn dir gütige Gräfin, zu der er sich nun schon unsagbar hingezogen fühlte, ob e« nicht bedenklich ziehe. Eh« JaSmorin seine unmaßgebliche Meinung äußern konnte, ging die Tbür vollend- auf, und herein schwebte eine junge Dame von bezaubernder Schönheit. Sie trug eine Robe von dunklem Sammet, da« üppige Goldbaar war auf- zelöst und über di« Schultern geworfen, wie bei einem englischen Pensionatfräulein. DaS Gesicht voll sinnenden Ernstes wendete sich dem Studenten zu, der sich vom Sessel erhoben batte und dessen Herz draus und dran war, wahn sinnig zu werden. „Da- hier, meine liebe Lidia, ist Michael JaSmorin, »ber dessen schöne und ausdrucksvolle Handschrift Du so ntzückt warst. Wann hast Du zuletzt Sonja Petusck- nwna, die liebenswürdige Pflegerin de- Fürsten Stepan Wassilitsch RomanSkoi, gesehen? Ist die Aehnlickkeit nicht außerordentlich?" Sie deutete bei diesen Worten auf JaSmorin. Die junge Dame, die nicht recht wußte, was die Gräfin mit ihrer Frage meinte, sab den jungen Mann an, schlug aber sofort erröthend den Blick zu Boden und entgegnete: „Ich habe Sonja Petuschkiwna überhaupt noch niemals gesehen." „Dann war cs Deine Maminka, der sie seiner Zeit vor gestellt wurde. Damals hätte freilich Niemand es für möglich gehalten, daß sie einen Sohn habe. — Michael JaSmorin ist ihr Sohn, nur begreife ich nicht, warum sie ihn in Sibirien erziehen ließ." Diese Worte wirkten wie ein Sturzbad auf Michael. Zuerst glaubte er nicht genau gehört zu haben, dann aber lächelte er, wobei Lidia seine hübschen Zähne bewunderte. „Erlauben Sie, Frau Gräfin Stroganowna, ich bin keines wegs der Sohn Sofia Andrejewna'-, sondern der Sobn der verwittweten Maria Feodorowna JaSmorin. Meine Mutter ist die Gattin eines Verschickten, die meinem Vater freiwillig nach dem Norden folgte. Vor zehn Jahren hörte meine Mutter, daß Sofia Andrejewna Petusckkin auf Slekok lebe, und schrieb an sie. Ich wurde nun sofort auf das Gym nasium nach Tobolsk geschickt, denn Sofia Andrejewna unter stützte meine Mutter, und kam alsdann nach Petersburg. Sobald ich mein Staatsexamen abgelegt und Stellung ge wonnen habe, lasse ich mein gute- Mütterchen nach Peters burg kommen." Während Lidia beinahe schwärmerisch zu dem jungen Mann hinüberblickte und nickt müde wurde, ibm in die Augen zu sehen, während Natascha die Hände gefaltet hielt, al- wolle sie für ihn beten, zog sich die Gräfin fröstelnd in ihren Pelz zurück. Fand sie sich durch die freimüthigen Mit- tbeilungcn JaSmorin'S verletzt, oder war sie deshalb verdrossen, daß sie sich in ihrer Voraussetzung geirrt? Voll Sorgen blickte Natascha zu dem Studenten auf. Befürchtete sie, daß seine Sache nun mit einem Male verloren sei? Selbst da» reizende Gesicht Lidia'S bedeckte sich mit dem Ausdruck der Trauer; gewiß, sie kannte ibre Großmama. „Lidia", redete diese jetzt die junge Dame kalt und trocken an, „Du hast gekört, daß wir un- täuschten. Du hast nun gar keine Ursache mehr, ein größere- Interesse an diesem Herrn zu nehmen, und darum wünsche ich, daß Da Dich sofort wieder zurückziehst." „Aber ich weiß nicht, Großmama — —"
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