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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.06.1900
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1900-06-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19000611029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1900061102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1900061102
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- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1900
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Wie am Freitag der von rechts und links gleich heftig angefochtene Börsenumsatzsteuersatz von s/io pro Mille durchdrang, so blieb am Sonn abend die Zollerhöhung für ausländisches Bier be stehen, letzteres, ohne daß noch irgend Jemand aus dem Centrum sich des Pilsener Gebräues angenommen batte. Sogar — man staune! — die Negierung stellte sich gewissermaßen auf den Boden der ihr Mehreinnahmen bringenden Gesetze, wenigstens des erhöhten Zolltarifs, indem sie einem Anträge, die Zollerhöhungen auf Waaren, die vor dem 15. Mai in Zolllagern eingeführt oder bis zum l. Juli bestellt waren, keine Anwendung finden zu lassen, entgegen trat. Die Begünstigung der Speculations-Einsätze wurde auch mit allen gegen 1 Stimme abgelehnt. Voraussichtlich bleibt es auch in der dritten Lesung bei allen gefaßten Beschlüssen. Der Antrag, die Börsenumsatzstcuer auf vier Zehntel zu bemessen, wird Wohl wiederkommen. Aber seine Annahme würde das Stempelgesetz und somit die Flotte gefährden — die „Deutsche Tageszeitung" empfiehlt ihn auch nochmals eifrigst —, die Regierungen dürften sich aber um so weniger in der Lage sehen, einer weiteren Belastung des Börsengeschäfts zuzustimmen, als dem in seinen Ursachen vieler Orten verdächtigen Courssturze vom Donnerstag am Sonnabend ein zweiter, ohne Zweifel gänzlich un geheuchelter „Krach" gefolgt ist. Auf der anderen Seite batte auch ein Zurückgreifen auf die Anträge, welche die Freilassung der Kuxe bezweckten, keinen Erfolg. Am Sonn abend erwiesen sich lebhafte Anstrengungen, den Umsatz stempel für Kuxscheine statt auf 1 pro Mille auf >/iy pro Mille festzusetzen, als vergeblich. Für den Totalisator und die Kirchenbanloose erhob sich nicht einmal eine Stimme. Herr Bebel bekämpfte die Erhöhung des Lotteriestempels im Allgemeinen und blieb der einzige Redner zum Gegen staud. Bei dem neuen Fixstempel auf ConnossementS und Schifffahrtsurkunden trat die Natur der freisinnigen Volks partei mit besonderer Deutlichkeit zu Tage. Herr Richter war päpstlicher als der Papst und hatte bei seinen Anträgen auf Ablehnung dieser Abgaben den Vertreter der Hansestadt Bremen und einen Bürger Hamburgs, der größten deutschen Seestadt, zu Gegnern. Herr Frese-Bremen fand den Stempelsatz von 1 und von 10 für den Verkehr der Nord- und Ostsee durchaus erträglich und erklärte, daß der deutsche Seehandel nach Beseitigung der ursprünglich geplanten See fahrkartensteuer und der Procentualbesteuerung der Frachten und der Tonnenbesteuerung sich Wohl mit einer Abgabe be freunden könne, die auch in England, Frankreich und Amerika erhoben werde. Der Redner machte darauf aufmerksam, daß der geringere Stcmpelsatz von 10 auch für den Ver kehr nach dem Mittelmeere, dem größten Tbeil von England und einen Theil Frankreichs Geltung haben werde. Für Herrn Richter siel von Seiten dieses Freisinnigen die folgende bittere Bemerkung ab: „Wenn man die Flottenvermehrung überhaupt nicht will, so ist eS außerordentlich leicht, jede Art der Steuer abzulehnen, und man macht sich dadurch bei Denen, die mit dieser Steuer belastet werden sollen, außerordentlich populär." Auch der Hamburger Sem ler bedachte die Kämpfer für hanseatische Interessen mit beißendem Spott und bezeugte später Herrn Richter so ziemlich das Gegentheil von Hoch achtung, als nämlich der Abgeordnete für Hagen darauf hingewiesen, daß Seniler nicht in Hamburg gewählt sei und deshalb eigentlich nicht mitzureden habe. Hagen liegt auch nicht am Meere. Zur Be kämpfung deS ZolltarifzesetzeS schickte Herr Richter einige seiner dienstbaren Geister ab, die aber nicht ruhmgekrönt zu dem Herrn und Meister zurückkehrten. Der Abg. vr. Hasse widerlegte nicht nur ihre Behauptung, daß der Gedanke der Zollerhöbung auf Pilsener Bier einer chauvinistischen Regung entsprungen sei, er faßte auch denStier bei denHörnern, indem er im Allgemeinen das als löblich und nothwendig bezeichnete, was die PatriotismuS-Temperenzler vom linken Freisinn und von der Socialdemokratie Chauvinismus nennen. Daß von dem Helden kampfe für das Pilsner Bier des armen Mannes nur ein kleiner Schritt zu dem Protektorat über denSect des armen ManneSsei, war gleichfalls eine von der Linken nur ungern gehörteBemerkung und die treubesorgten Hüter des guten Verhältnisses zu Oester reich wurden zu ihrem Bedauern von Herrn Hasse mit der Mit- tbeilung beruhigt, daß dasselbe Oesterreich zur Zeit auch eine Er höhung des Zolles auf Bier, das will sagen auf deutsches Bier plant. VonBedeutunghättedieErörterungderZollerhöbungauf Champagner werden können, wenn sich an sic eine ein gehendere Besprechung der beabsichtigten Besteuerung deutscher Schaumweine geknüpft hätte. Dazu kam eS nicht nur nicht, auch zu der Resolution, welche diese Besteuerung fordert, meldeten sich nur gegnerische Redner aus dem Elsaß. Prin- cipiell erledigt ist die große technische Schwierigkeiten bergende und Bedenken wachrusende Frage mit der Annahme der Resolution wahrscheinlich noch nicht. Heute wendet sich der Reichstag anderen Gegenständen zu, morgen aber dürfte die dritte Lesung der Flotte nebst Steuer zubehör und darauf der Schluß des Reichstags erfolgen. Bei läufig bemerkt, nicht im Angesicht einer Kanzler- oder Ministerkrisis, die einige Blätter ahnen, weil Herr v. Miquel zum LandwirthsckaftStage in Posen gewesen ist und — was allerdigS ungewöhnlich — die „Nordd. Allg. Ztg." erklärt, daß Fürst Hohenlohe durch den Stand der parlamentarischen Geschäfte an derselben Reise verhindert gewesen sei. Vorläufig bleibt Alles beim Alten. Der von der Berliner Leitung des Bundes der Land- wirthe gegen die Con servativen wegen des Fleisch beschaugesetzes geführte Kleinkrieg wird trotz der sanften Vorhaltungen der conservativen Organe unverdrossen fortgesetzt. Zn einem Wochenblatte, das allen Bundes mitgliedern, die wenigstens zwei Mark Beitrag zahlen, unentgeltlich zugestellt wird und sich kurzweg „Bund der Landwirthe" nennt, wird über das Compromiß de« conservativen Abgeordneten Grafen Klinkowström, daS unter dem Namen Antrag Aichbichler mit großer Mehrheit an genommen worden ist, bemerkt: Diejenigen Abgeordneten, die für diesen Antrag eingetreten seien, hätten damit die in zweiter Lesung hochgehaltenen Grundsätze, „Schutz der deutschen Ver braucher vor allem gesundheitsgefährdendcn Fleisch, Sckutz der durch schwere Controlvorschristen bedrückten deutschen Fleischer und Viehzüchter vor dem unlauteren Wettbewerbe des Aus landes" — vollständig preisgegeben. Dann werden die zwanzig Conservativen mit Namen aufgeführt, die sich also versündigt, unter ihnen auch der wildconservative Abg. Fürst Bismarck, und zum Schlüsse wird bemerkt: „Nun weiß daS deutsche Volk, bei wem eS sich nächst der Reichsregierung dafür zu bedanken hat, wenn die Zustände in Bezug auf die Gefährdung seiner Gesundheit und der Interessen von Fleischern und Viehzüchtern durch unlauteren Wettbewerb der ausländischen Pökelsleischlieferanten etwa schlimmer werden sollten, als sie bisher gewesen sind." Dieses Vorgehen be rührt aber noch aus einem anderen Umstande recht eigenartig. Auf dem Standpuncte dieser Abgeordneten stehen, laut öffentlicher Erklärung, Graf v. Mirbach und Freiherr v. Manteuffel, die zum Vorstande deS Bundes der Landwirthe gehören und in diesem die Provinzen Ost- und Westpreußen und Brandenburg und Pommern vertreten: das ist fast ganz Oslelbien. Ferner gehört zum Vorstand des Bundes der Landwirthe auch, als Ver treter des Königreichs Sachsen und der Thüringischen Staaten, derconservativeAbgeordnetev.Fre g e, derebenfallsfürdasCom- promißgestimmt unk dafür in jenem Organ der Bundesleitung als Schädiger der Landwirthschaft gekennzeichnet wird. Die übrigen Conservativen sind durchweg wenigstens Mitglieder des Bundes der Landwirthe. Man bat aber nichts davon ver nommen, daß die BundeSleitung gegen diese Herren irgend wie innerhalb der Bundesorganisation vorzngeben gedächte, wie solche „Achterklärungen" vermutben lassen möchten, zumal die Leitung vor der Abstimmung bekannt gegeben hat, daß die Interessen der Landwirthschaft verletze, wer nickt für die Aufrechterhaltung der Beschlüsse zweiter Lesung stimmte. Da nach erscheint cs fraglich, ob die Berliner Bundesleitung im vorliegenden Fall in der Lage ist, noch Namens des Bundes Erklärungen abzuzeben. Ganz offenbar aber wird unter solchen Umständen, wie inhaltlos derartige Drohungen gegen Dritte sind, die mit der Bundesleitung nichts zu thun haben. Eine weitere englische Zudringlichkeit ist zu verzeichnen. „Daily Expreß", jenes neue Blatt, daS sich für seine Probe nummer, wie erinnerlich, eine sogenannte „Botschaft" des deutschen Kaisers zu verschaffen verstanden hatte, meldet, wie wir dem „Berliner Tageblatt" entnehmen, aus Berlin, die Pläne des Kaisers bezüglich seines Besuchs in England seien noch unentschieden. Nach seiner persönlichen Neigung wünsche der Kaiser den Besuch sehn liehst. Der Correspon- dent fährt dann wörtlich fort: „Des Kaisers Enthusiasmus für England und für Alles, was englisch ist, kann aus einer Bemerkung entnommen werden, die Jemand zu mir machte, der den Kaiser gut kennt. Dieser sagte: Menn man mit dem Kaiser sich unterhalten hat, so geht man unter dem Eindruck fort, als wenn man mit einem englischen Osficier gesprochen hätte.'" Hierzu bemerkt sehr zutreffend die „Münchener Allgem. Ztg.": Von der nationalen Presse in Deutschland ist mit entsprechender Schärfe der Annahme entgegengetreten worden, als habe das genannte Londoner Zeitungsunter nehmen sich auch nur im Geringsten einer Protection der von ihm zu Reclamezwecken benutzten Art zu erfreue» gehabt. Es ist desgleichen das als völlig aus der Luft gegriffen zu bezeichnen, was der Berliner Berichterstatter de« „Daily Expreß" über die Reise des Kaisers nach England, über dessen „Enthusiasmus für England" u. s. w. erzählt. Der Monarch verkennt ebensowenig wie irgend ein Anderer die guten Seiten des DolkScharakterS, er schätzt die Thatkraft, die Unternehmungslust und den politischen Scharfblick der Briten, und außerdem empfindet er, ganz abgesehen von seinen verwandtschaftlichen Beziehungen, für die ungezwungene Liebenswürdigkeit der eng lischen gsvtrz-, die er bei seiner mehrfachen An wesenheit in England genügend kennen zu lernen Gelegen heit hatte, viele Sympathie. DaS Alle« aber bindert ihn nicht, die Schattenseiten des englischen Nationalcharakters, die vorab für Deutschland so viel de« Bedenklichen an sich haben, in ihrem ganzen Umfang zu würdigen. Zeder, der den Kaiser kennt, weiß, wie ungern er sich in die Karten seben läßt, und in der Downingstreet weiß man zweifellos besser als hier in Deutschland, daß zwischen den politischen Maßnahmen der deutschen Regierung und den ge legentlichen Höflichkeitsbezeigungen de« Kaiser« seinen englischen Verwandten gegenüber keinerlei Verbindung besteht. Zm Gegentheil fühlt man oft große« Un behagen angesichts der wohlwollenden Überlegenheit, mit der der Kaiser die politischen Ereignisse in England zu be handeln liebt, und der man oft genug einen temperamentvollen Gesüblscrguß vom Schlage dessen, der in der Entsendung der historischen Depesche an den Präsidenten Krüger seinen Aus druck sand, bei weitem vorziehen würde. Als eine Frech heit sondergleichen ist es nach alledem zu bezeichnen, wenn der Berichterstatter des Londoner dalkpeuu^ - Blatte« die angebliche Aeußerung colportirt, daß man von einer Unter haltung mit dem Kaiser den Eindruck gewinne, als habe man „mit einem englischen Osficier gesprochen". Abgesehen davon, daß englische Officiere im Allgemeinen bei unS nicht so hoch in der öffentlichen Werthschätzung stehen, baß ein solcher Vergleich gerade sehr viel Schmeichelhaftes besitzt, wollen wir dem Londoner Blatte zu versichern nickt verfehlen: daß man von einer Unterredung mit dem deutschen Kaiser einzig und allein den Eindruck davonträzt, al« habe man mit dem deutschen Kaiser gesprochen. Zn bhina ist die Lage unverändert, d. h. in bohem Grade bedrohlich. Ein neuer kaiserlicher Erlaß vom 6. Juni bewegt sich, wie der Berichterstatter der „Times" versickert, wiederum in allerlei Zweideutigkeiten, schont die Boxer und schreibt die Vernichtung an Leben und Eigenthum nickt diesen, sondern dem Gesindel zu, daS sich ihnen angeschlosscn. Freilich werden die Soldaten, die den Boxern Beistand geleistet, getadelt, und die Generäle auf gefordert, den Unruhen ein Ende zu machen, aber mit welchen Gefühlen diese Truppen in den Kampf gegen die von ihrer Regierung geschützten Boxer ziehen, kann man sich denken. Dazu kommt, daß sie im Herzen mit dem Gegner, den sie bekriegen sollen, den Haß gegen die Fremden theilen, und daß ihre angeborene Feigheit noch durch den Aberglauben verstärkt wird, die Boxer seien unverwundbar. Schon in Schantung hatten die Boxer durch allerlei mystische Bräuche und durch die Ausstreuung, sie ständen in besonderen Be ziehungen zu den Geistern der Abgeschiedenen, diesen Glauben im Volke zu verbreiten gewußt, und obwohl die deutschen Mauserkugeln die Fabel längst durchlöchert haben, wird sie noch heute allgemein geglaubt. Diese chinesischen Truppen, die ein General Neihsikhong führt, sollen nun den Unruhen ein Ende machen und die Bahnverbindung zwischen Peking und Tientsin wiederherstellen und sichern. Von verschiedenen Seiten wird bestätigt, daß sie seit dem 7. Juni am Peiho mit den Boxern im Gefecht liegen. Ueber den Verlauf ver lautet noch nichts Bestimmte«, denn die Meldungen aus ckinesischer Quelle haben und machen nicht den geringsten Anspruch auf Glaubwürdigkeit, nnd unter den Europäern in China geht die Meinung allgemein dahin, daß diese chinesischen Truppen mit den Boxern nicht fertig werden können und wollen. — Folgende neuere Meldungen liegen vor: * Tientsin, 9. Juni. (Meldung des „Reuter'jchrn Bureaus".) Mannschaften von den deutschen Kreuzern „Hansa" Feuilleton. Äns dem Leben einer Russin. 6s Bon LH. v. Fabrice. Nachdruck vrriottn. Alles dies sagte der Schloßverwalter mit einer finsteren, beinahe feindlichen Miene, in mürrischem Tone, dem man deut lich anhörte, wie unangenehm ihm das unerwartete Emtreffen der Fremden sei, aber dennoch auch mit den anerzogenen und unwilllürlich hcrvortretenden höflichen Formen des Dieners einez alten, vornehmen Hauses, der sich gezwungen fühlt, den gast freundlichen Ruf seiner Herrschaft aufrecht zu erhalten. Anna Feoborowna blickte ihn ruhig und durchdringend an: „Ich danke Euch, guter Mann, im Voraus für Alles und bin mit Allem zufrieden. Für Eure Mühe werde ich Euch zu ent schädigen wissen und Euch auch gern eine schriftliche Bestäti gung Eurer gastlichen Aufnahme zurücklassen, die Euch bei der späteren Rückkehr meiner russischen Landsleute von Nutzen sein kann." Ihre ruhige Sicherheit schien den „guten Mann" einzu schüchtern. Er verbeugte sich schweigend. Nachdem er den Knechten, welche sich unter der Thüre drängten, und von da mit ziemlich frechen Blicken die russische Dam« musterten, be fohlen hatte, dem Jemschick mit seinen Pferden in dem Stall gebäude ein Unterkommen anzuweisen, und daraus aus einem Wandschranke zwei bis drei halbverrostet« Schlüssel entnommen hatt«, forderte er Anna Feodorowna höflich auf, ihm mit ihrem Kammermädchen nach dein oberen Stockwerke zu folgen, wo sich die einzige, noch völlig herschaftlich eingerichtete Zimmerflucht deS Schlosser bffände. Eine breite Treppe aus polirtem, vom Alter schwarz gewor den«» Eichenholz hinauf, führte er sie durch einen langen Corri- dor in die für sie bestimmte Wohnung. Dumpfe Luft schlug den Eintretenden hier entgegen. Als der Castellan die Fenster laden aufgestoßen hatte, sah sich Anna Feodorowna in einem hohen, geräumigen Zimmer, dessen Ausstattung, wie die zweier nach der Gartenseite liegenden Schlafzimmmer, herrliche Uebcr- reste verschwundener Pracht aufwieS. Seit Jahren freilich schien Niemand diese Räume benutzt zu haben, und eine dicke Staub schicht lagerte auf den künstlich geschnitzten Palissandermöbeln von alterthümlichen Formen. Al« der Lastellan von Neuem erschien, begleitete ihn eine Art Stubenmädchen, welche auf einem Tische im Wohngemache ein Abendessen auftrug, dessen BestanddHeile zeigten, daß Schloß Klosnie reichlicher mit Mundvorräthen versehen war, als man es bei seinem langen Leerstehen füglich hätte erwarten können. Sobald sie sich wieder mit ihrer Dienerin allein befand, zog sich Anna Feodorowna in das Schlafzimmer zurück. Sie öffnete das Fenster, welches die Aussicht auf Len Park gewährte, und blickte sinnend in die stille Landschaft hinaus. Der Mond war noch nicht aufgegangen, doch zahllose Sterne funkelten an dem klaren Nachthimmel. Bei ihrem schwachen Schimmer erschienen die im Sonnnenlichte wohl ein trauriges Bild des Verfall bietenden Anlagen, die nach der Mode des vorigen Jahr hunderts in steifem altfranzösischrm Zopfsticl angelegt waren, von «in«m «igenartigen Zauber übergossen. Langhin am dunklen Himmelszelt zog sich der leuchtende Streifen der Milchstraße gen Südosten, gleich einem riesigen Strome, der weitab von den Grenzen unserer irdischen Welt, sich in den unergründlichen Tiefen deS Weltenraums verliert. Die nächtlich« Stille wurde nur unterbrochen von dem leisen Murmeln eines unsichtbar unter den Bäumen hinfließenden Wasserlaufes, dessen Plätschern über den kiesigen Grund -u der einsamen Frau melancholisch herauftönte, als ob er den Untergang des stolz«n und edlen Geschlechts, daS einst hier geherrscht hatte, mit nie verstummen dem Schluchzen beklagte. ES war ihr, als ob der verborgene Bach ihr erzählen wollte von der üppigen Pracht vergangener Tage, von all' den schönen, lebenslustigen Damen und stolzen, glänzenden Cavalirren die ehemals durch diese Gänge gewandelt waren, und als ob in seinem Rauschen alte, längst vergessene Geschichten widertönten, von Menschengröße und Menschen- thorheit von heißer Lieb« und wilden, zügellosen Leidenschaften, von hoher Tugend und von Blut und Sünde, durch die zuletzt daS Berderbrn auch dieses mächtigen HerrengeschlechtS herauf beschworen wurde. Der unendliche Friede der über dem nächtlichen Park auS- gebreitet lag, erfüllte Anna Feodorowna'» Gemüth, da» von den qualvollsten Gedanken und Selbstvorwllrfen erfüllt und zermartert war, endlich mit friedlicher Ruhe und neuem Ver trauen in die Zukunft. Ihre Blicke schweiften hinüber zu den hohen Wipfeln des freien Walde», in welchen der Park in einiger Entfernung überzugehen schien, und der daS ganze Bild gleich einem dunklen Rahmen umschloß. Sehnsüchtig gedachte sie de» fernen Gatten und hätte wohl die ganze Nacht so in stillen Träumereien versunken, hinbringen können. Doch endlich be schwichtigte sie die peinigenden Gedanken und beschloß, ihr Lager aufzusuchen, um am Morgen neugestärkt, all' Dem ent- gegenzugchen was ihr die Fortsetzung ihrer Reise auch bringen mochte. Aus das Sorgfältigste schloß sie die Fenster und Dhüren, und, von den Anstrengungen der Fahrt, erschöpft ver sank sie bald in einen tiefen, traumlosen Schlummer. Zwei Stunden etwa mochten vergangen sein als Anna Feo dorowna plötzlich von einem lauten wilden Lärm erweckt wurde, der vom Hofe aus zu ihr hinausdrang. Sofort war sie völlig m-unter und gefaßt: die wirkliche Gefahr fand sie stets kampf bereit. Die Kleider überwerfend, eilte sie nach dem vorderen Zimmer, wo sie zu Abend gespeist hatte, und indem sie sich sorgfältig hinter den schweren Damastvorhängen verborgen hielt, lugte sie von hier auf den von zahlreichen Fackeln und Windlichtern nun hellerleuchteten Schloßhof hinunter. Eine beträchtliche Schaar polnischer Insurgenten war soeben auf dem Hofe angelangt, und in den Stallgebäuden, deren Thüren alle offen standen, bereits eifrig mit den Lagervorbe reitungen beschäftigt während taktmäßiger schwerer Schritt, das Zusammenklirren von Sensen und kurze Commandvworte von der Straße her daS Anrücken weiterer Freischärler erkennen ließen. ES waren kräftige, elastische Gestalten, die sich da tummelten, die meisten im kurzen grauen Waff«nrock mit der vi«reckigen Consederatia über den dunklen Gesichtern. Ihre zerlumpten, abgetragenen Phantasie-Uniformen sprachen deut lich von den Mühsalen dieses Feldzuges. Doch da« ganze Ge bühren der zum größten Theile noch sehr jugendlichen Krieger ließ auch die tiefe, kampfeSkustige Begeisterung, di« sie Alle gleichmäßig beseelte, und ihre trotzige, jede Gefahr verachtende Entschlossenheit, auf den ersten Blick erkennen. Aus den Stufen vor dem Eingänge zum Schlosse standen einige Anführer in kurzen, pelzverbrämten Schnürrvcken und ertheilt«n mit lauter Stimme die nöthigen Befehle. AuS der Art, wie sich die Polen sofort häuslich einzurichten wußten, mußte Anna Feodorowna schließen, daß der einsam gelegen« Herrensitz nicht zum ersten Male der Freffchaar zum Nacht quartiere diente. Die« erklärte ihr auch, warum daS fett lange unbewohnte Schloß so überraschend reichlich mit Lebensmitteln versehen war, sowie die widerstrebende Aufnahme, welche sie al» Russin von dem alten Castellan« erfahren hatte, der dennoch wohl ehrlich um ihr Wohl besorgt gewesen war, al» er sich so ernstlich bemühte, sie zur Fortsetzung ihrer Fahrt zu bestimmen. Sie befand sich unzweifelhaft im Standquartier einer polnischen Freischaar. Sie empfand keinerlei Besorgniß. Im Gegentheil, der Gedanke, so leicht und schnell ihre Absicht zu erreichen, er füllte sie mit lebhafter Freude. Hatte sich der StaatSrath bei der überfallenen Wagencolonne befunden, mußte sie sicherlich hier bestimmte Nachricht über seinen Verbleib erhalten können, sei eS, daß sie sich unter Nennung ihres wahren Namens und Standes an den Edelmuth der polnischen Anführer wandte, sei cs, daß sie die Rolle einer Kaufmannsfrau übernahm und indirect das Gewünscht« zu erfahren suchte. Ganz mit diesen Gedanken beschäftigt, schweifte ihr Blick sinnend über das bunte, rege Treiben hin, das nunmehr auf dem bei ihrer An kunft so verlassen daliegenden Schlohhofe herrschte. Große Lagerfeuer waren angezündet worden, in deren Schein die in Pyramiden gestillten Gswehr« und Sensen blitzten. Bald waren die Kessel über die Feuer gesetzt, und auf von allen Seiten herbeigeschlepptem Stroh lagerten sich die hungrigen Krieger, oder bewegten sich wie dunkle Schatten gestalten um die lodernden Flammen, eifrig beschäftig!, "immer neue Vorräthe für die nachkommenden Kameraden bereit zu stellen. In Folge der gelungenen Ueberrumpelung und Weg nahme des russischen Transportes herrschte unter den Insur genten die größte Fröhlichkeit. Di« Wüdki-Flafche ging fleißig herum, und bald schallten Lieder und laute» Gelächter zu der einsamen Beobachterin herauf. Unter Eskorte einiger Lanzenreiter rollte jetzt ein schwerer Reffewagen über die Brücke und hielt vor dem Schloßportale an. Mit dem weißen Reiherbusch auf der blauen Consederatia, in einer reich mit silbernen Schnüren besetzten, ebenfalls blauen Czamarka, ritt wenige Schritte hinter dem Wagen «in höherer Jnsurgentenführer. In der Nähe der Gruppt der übrigen Stabsofsicier« sprang er vom Pferde. Sein in hohem Reiter stiefel steckender Fuß stampft« entrüstet den Boden und mit vor Wuth bebender Stimme und unter wilden Flüchen brüllte er mchr als er rief: „Nun, wenn Ihr also dem russischen Hund durchaus nicht an» Leben wollt, so schafft ihn meinetwegen in einen drr Keller. Ich hoffe, ihn so gut getroffen zu haben, daß er trotzdem wird daran glauben müssen!" D«r Boden schien unter den Füßen der tirf erschreckten Frau zu wanken, al« sie in diesem wiithendrn Officter Paul von KraitzinSki erkannte. Hatte si« ihr böse» Geschick also dennoch zu der Truppemrbtheikung geführt, bei welcher ihr ver haßter Gegner sich befand? — Voll Furcht und Entsetzen starrte si« auf den Wagen hinab, au» dem zwei polnisch« Sol daten soeben einen Schwerverwuntdeten hckbrn. Nein, e» war ja nicht möosich! Es mußte ein« furchtbare Täufchung ihrer Sinn« sein, denn ihr war «» wenigsten», al« ob sich vor ihre»
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