01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 10.03.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-03-10
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020310016
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902031001
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902031001
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- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-03
- Tag1902-03-10
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Anzeigen-Preis die bgrfpattene Petitzeile L5 Reclamen unter dem Redactionsstrich (4 gespalten) 75 H, vor den Familiennach- richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Zissernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme L5 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesürderung SO.—, m i t Postbeförderung 70.—. Ännahmeschluß für Änzeigen: Abend-AuSgabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 124. Montag den 10. März 1902. 98. Jahrgang. Amtlicher Theil. Aufgebot. Der Localrichter Wilhelm Hermann Arthelm in Leipzig, Wald« siraße 28 hat als Verwalter deS Nachlasses der am 28. Dezember 1901 in Leipzig verstorbenen Emma vrrw. Böttcher geb. Bontra das Aufgebot der Nachlaßgiäubiger beantragt. Demgemäß werden alle Dirlenigen, denen eine Forderung an den Nachlaß der genann« ten Erblasserin zusteht, hierdurch ousgesordrrt, ihre Forderungen bei dem unterzeichneten Gerichte spätestens in dem AusgebotStermine, der aus Donnerstag, den 24. April 1S02 mittags 12 Uhr anberaumt wird, anzumelden; die Nachlaßgläubiger, welche sich nicht melden, können unbeschadet des Rechtes, vor den Verbindlich keiten aus PslichttheilSrechten, Vermächtnissen und Auflagen berück« sichtigt zu werden, von den Erben nur insoweit Befriedigung ver« langen, als sich nach Befriedigung der nicht ausgeschlossenen Gläu« biger noch rin Ueberschuß ergirbt. Auch hastet jeder Erbe nach Theilung des Nachlasses nur sür Len seinem Erbtheil entsprechenden Theil der Verbindlichkeit. Die Anmeldung hat die Angabe deS Gegenstandes und des Grundes der Forderung zu enthalten. Urkundliche Beweisstücke sind in Urschrift oder in Abschrift brizusügen. Leipzig, den 27. Februar 1902. Königliches Amtsgericht, Nblh. II Nebenstelle: Johannisgasse 5. Versteigerung. Am Montag, den 10. März a. «„Bormittag 1v Uhr soll hier, Berliner Str. 73 (gegenüber dem Berliner Bahnhof) eine vornehme Wohnungseinrichtung, darunter: 1 compl. Speisezimmer, 1 Schlaszimmereinrichtung, 1 Nntzbaum- schreibtisch, 1 Drchrolle, Leutebetten, Oelgemälde, Kupferstiche, Statuen, 1 Servier sür 24 Personen, silbernes Tafel gerät, sowie -iv. Gardinen, KlcidnngS- und Wäschestücke öffentlich meistbietend versteigert werden. Gleichzeitig gelangen aus iionrurS Xeusr mit zur Ver« strigerung und zwar nach 12 Uhr 1 gold. Herrcnnhr, 1 gold. Medaillon, 1 Ring q»it Opal und 1 Brillantring. Leipzig, den 8. März 1902. Truutsl kolll, Lokalrichtrr. Konkursmasse-Verkauf. Die M. F. Kusatz'sche Konkursmasse, bestehend aus Herren« und KnabenkleiLung-stücken, ferner Stoffe», Mützen rc., im Ein« kanfswerthe von 1886,20 ^!, sowie Inventar im Taxwerthe von l67 soll tm Ganzen verkauft werden. Reflectanten können die Masse am Montag, den 10. März, früh von 10 bis 2 Uhr im Ge schäft-lokale Stötteritz, Sichstädtftratze 204, besichtigen. An« geböte nehme ich schriftlich bis zum 12. März entgegen. Laut Cottoebaleb, Konkursverwalter, Floßplatz. Zur frühesten Musikgeschichte Leipzigs. Bon G. Wustmann. (Schluß.) Sehr werthvoll sind drei erhalten gebliebene Verzeichnisse der Musikalien, die sich im sechzehnten Jahrhundert auf der Thomasschule befanden. DaS erste wurde bei Töpfers Ab gang ausgestellt (den 28. Februar 1551) und enthält u. a. die Musikalien, „so dem verstorbenen Canlori Udalrico Langen zuständig gewest". Der Rath hatte sie Langens „Freunden", d. h. Verwandten, abgekauft, um sie der Schule zu erhalten, und nach den Stadtrechnungen mit 2 Schock 36 Groschen bezahlt. DaS zweite Verzeichniß nennt die Musikalien, die zu Hegers Zeit „angeschafft und dem Cantori zugestellet worden" waren. DaS dritte endlich, das bei Hegers Abgänge (den 8. Marz (nicht Mails 1564) aufgestellt wurde, wiederholt die beiden ersten und fügt die Musikalien hinzu, „so deS Cantori« Melchioris Hegeri gewesen", und die der Nath auch ihm bei seinem Abgänge abgekauft hatte. Eine Ver gleichung der Verzeichnisse ergiebt, daß die Schule damals noch Missalien oder Cantionale und „Partes" (Stimmhefte) hatte, die aus der Zeit vor der Reformation stammten. Zu dem ehemaligen Besitzthum Langes gehören u. a. die sechs stimmigen Messen von Adrian Willaert, Llorales Umpanus u. a. Unter Heger waren u. a. die Kirchengesänge von Hein rich Isaak angeschasft worden. Bei den meisten Musi kalien fehlen leider die Namen der Componisten; sie sind nur allgemein als „Partes", „Muteten", „Magnificat" u. dergl. bezeichnet und durch kurze Beschreibung des Einbandes („in Pappen wälsch", „in weiß schweinen Leder mit Clausuren", „in geschrieben Pergament") kenntlich gemacht. Ein Theil des gesammten Vorraths stammte aber noch aus einer andern Quelle als den bisher genannten: sie waren von den Coni- ponisten selbst dem Rathe verehrt und von diesem an die ThomaSschule abgegeben worden. Wie poetische und wissen schaftliche Arbeiten, so wurden dem Rathe auch manchmal musikalische Compositionen gewidmet und geschenkt, wofür er sich mit einem Geldgeschenk abfand; daher erscheinen die Werke dann in den Stadtrechnungen. Leider fehlt auch hier wieder oft der Name des Componisten, aber bisweilen wird er doch auch genannt. So schenkte 1516 Dominicus Sprinßgut von der Neiße dem Nath „ein Muteten", in demselben Jahre CoSmusAlderinus „einMutetcn auf das Fest Corporis Christi", 1532 Matthes Eckel, der herzogliche Rentschreiber iii Dres den, eine von ihm selbst componirte Motette („nämlich das 39. Cap. Ecclesiastici", wie der Stadtschreiber behauptet, ob wohl der EcclesiasticuS nur zwölf Capitei hat), 1536 und 1537 ein Cantor, Johann Mopsus, ein 6Ioria und eine Motette Omnis anima potestati sudckita 68t, 1555 der Cantor in Marienberg Valentin Rabe (Valentinus Oorviuu8, Oautor in Hlouto LInrins) eine Messe auf den deutschen Psalm „Bewahr mich, Herr". Diese Messe Rabes ist das erste unter den geschenkten Werken, die das Verzeichniß auS HegerS Zeit nennt. Dann folgen die Magnificat des kurfürstlich sächsischen Capellmeisters MattheuS Le Maistre und zwei Messen, ein Tedcum und eine Motette, die Johann Weger oder Werker von Oschatz (der dortige Cantor?) zu verschiednen Zeiten dem Rath eingesandt hatte. Erhalten hat sich wohl von alledem nicht das Geringste. Wie Rhau und Calvisius unter den Cantoren, so ist unter den Organisten der ThomaSkirche auS dem sechzehnten Jahr hundert wenigstens einer bekannt und weit über Leipzig hinaus berühmt geworden: Elias Ammerbach (1560 flg.). Er verdankt das seiner im Druck erschienenen Orgel- oder Instrument-Tabulatur (Leipzig, 1571). Auch von ihm aber kann ich noch zwei Vorgänger nachweisen, die bisher unbekannt ge wesen sind: Wolf Otto und Sebastian Litz oder Litze. Otto wurde bei der Einführung der Reformation (1539) aus dem ThomaSkloster mit übernommen. Wie lange er dann noch im Amte war, ist unbekannt; 1540 und 1541 ist er noch nachweisbar. Litz stammte aus Halle, wurde 1559 Bürger von Leipzig und war der unmittelbare Amtsvorgänger Ammerbachs. Sein Name wird sehr verschieden geschrieben: im RathSbuch Litz oder Litze, in der Bürgerliste Lutz, im Kramerbuch gar Lutzen. Wie er ins Kramerbuch kommt? Er ließ 1559 „sich und sein Weib" in die Kramerinnung ausnehmen, offenbar, um seine Frau einen kleinen Handel an fangen zu lassen. Er legte zu diesem Zwecke 15 Gulden beim Rathe nieder, 10 für die Innung und 5 sür den Rath, und erhielt vom Rath die 5 Gulden und auf Bitten deS Raths auch von der Innung 2 Gulden zurück „wegen seines Dienstes", doch sollte er eS „in geheim halten". Ueber Ammerbach kann ich wenigstens ein paar Nach richten zu seinem äußern Leben beibringen. Er stammte aus Naumburg, war verheirathet mit Margarethe, einer Tochter des Gürtlers Jakob Reckhals, und erhielt 1564 das Leipziger Bürgerrecht. In demselben Jahre übernahm er von den Erben seines Schwiegervaters dessen neben einander liegende zwei Häuser am Thomaskirchhof, das eine für 250, das andere für 1200 Gulden, und verpflichtete sich, seine Schwieger mutter zu sich zu nehmen, sie zu erhalten und sie das Geschäft ihres verstorbenen Mannes in dem einen Hause fortsetzen zu lassen. Er vertrug sich aber nicht mit ihr, verkaufte 1566 das größere, 1568 auch das kleinere Haus und kaufte sich dafür eins der neunzehn kleinen Häuser, die der Rath 1545 nach dem Abbruch des Barfüßerklostcrs rings um die Barfüßer- kirche erbaut hatte, und zog dorthin. Darauf verklagte ihn die Schwiegermutter beim Rath, und er wurde verurtheilt, ihr jährlich 12 Gulden für Wohnung und Kost zu reichen, die sie, „alle Quartal drei Gulden, von seiner Besoldung von den Herren Einnehmern (in der Stadtcaffe) empfahen" sollte. Er zahlte aber ihr und den übrigen Erben ihre Forderung heraus und wurde so seiner Verpflichtung ledig. Uebrigens war er später zum zweiten mal verheirathet mit Lukrezia, einer Toaster des vr. Caspar Kegler, die er auch überlebte; sie starb 1576. Sein Organistenamt muß er schon 1560 an getreten haben, denn in der Widmung seiner Tabulatur an den Nath (1571) sagt er, daß er das Amt nun elf Jahre bekleide. Ganz dürftig ist cs um unsere Kenntniß der Cantoren der Nicolaisckule bestellt, die im 16. Jahrhundert zugleich die Stelle deS „Quarlus" versahen. Vor 1578 giebt es nur ein paar unsichere Nachrichten, die ich um eine nicht viel sichrere vermehren kann. Im December 1558 wurde auf Bitten des Rectors der Schule, des Mgr. Maximus Göritz, Laurentius Holobinger dem Superintendenten Pfesfinger als Cantor „praesentirt", da der vorige „itzo Magister worden" sei. Er wurde aber „anders nicht denn auf vier Wochen zu versuchen angenommen", und ob er diese Probe bestand, wird nicht ge sagt. Da aber die Anstellung „auf ein Versuchen" damals eine allgemein übliche Vorsichtsmaßregel war, so ist es Wohl möglich, daß er die Cantorstelle erhielt. Von Organisten der Nicolaikirche kann ich wenigstens drei Nachweisen. 1471 stiftete Jobst Zenker 40 Gulden jährliche Zinsen für zwei „weltliche fromme Priester", die abwechselnd vom Thomas- kloster und vom Rath ernannt werden sollten, und 1495 verlieb der Rath die eine Stelle „Ern Georgen Müller, dem Organisten zu S. Niclas". 1522 aber erhielt das Leipziger Bürgerrecht Melchior Kistenfeger, Organist zu S. Niclas, eines Leipziger Bürgers Sohn, und 1560 schenkten die Kirch väter der Nicolaikirche „Hartwich dem Organisten" 5 Thaler zu seiner Hochzeit. Den Gesang in der Nicolaikirche besorgten zum Theil die TbomaSschüler. Als Rector Mosbach 1559 an der Nicolai- schule angestellt wurde, wurde er verpflichtet, daß er „mit seinen Gesellen und Discipeln des Feiertags dem Cantor von S. Thomas helfen" solle. Einen andern Theil aber, die ehemaligen boruo cauouicao, besorgten die sogenannten Oborales oder Choralisten, die weder mit den ThomaSschülern, noch mit den Nicvlaischülern etwas zu thun hatten, sondern Studenten waren. Der unbekannte Thomascantor deS Jahres 1511 gerieth einmal mit einem solchen Choralisten auf der Grimmischen Gasse in eine derartige Schlägerei, daß er ihn schwer verwundete und deshalb auS Leipzig flüchten mußte. AuS der Geschichte der Nicolaischule ist der jahrelange Streit bekannt zwischen dem ThomaSkloster und dem Rathe über zwei Choralisten der Nicolaikirche. Das Kloster be hauptete, der Nath habe sich 1511 bei Erbauung der Nicolai schule verpflichtet, ihnen Wohnung in der neuen Schule zu geben. Der Rath wollte später nichts davon wissen und warf die Burschen nach langem Streit zum Hause hinaus. Die Aemter der Choralisten waren seit dem Ende des 15. Jahrhunderts nach und nach durch Stiftungen entstanden und wurden je nach den StistungSbestimmungen theilS mit Leipziger Stadtkindern, theils mit Verwandten oder Lands leuten der Stifter auS Franken und Schlesien besetzt (auS Königsberg in Franken, auS Iphofen, Willantsheim und Ochsenfurt, aus BreSlau, Großzlogau und Lübben). Vier solche Cboralistenstellen (Choraleien, Choralate) waren ur sprünglich für die Katharinenkirche, vier für die Capelle des Georgenhospitals gestiftet. Mit Einführung der Reformation aber (1539) wurden alle diese Stiftungen in Studienstipendicn verwandelt, deren Empfänger jedoch verpflichtet waren, nach wie vor in der Nicolaikirche an den bvrao eauouicse theil- zunebmen. Dabei wurden die der Katharinenkirche mit auf die Nicolaikirche übertragen, da die Katharinenkirche 1539 geschlossen wurde, ebenso später die des Georgenhospitals, als im December 1546 vor der Belagerung Leipzigs das Hospital durch Brand zerstört worden war, so daß um 1550 in der Nicolaikirche mindestenst 15 „Choraleien" vereinigt waren. Der Rath besetzte sie gemeinschaftlich mit dem Superintendenten. Die auswärtigen Bewerber wurden von den Räthen der genannten Städte vorgeschlagen und empfohlen. Ein besonderes Aemtchen erhielt 1567 auf Bitten Pfesfingers ein Student und Choralist Namens Peter Rosenthal; er wurde dazu angenommen, „daß er in beiden Kirchen, zu S. 'Niclas und S. Thomas, die Gesänge fleißig anfahen und singen" sollte. Dafür zahlten ihm die Kirchväter jeder Kirche vierteljährlich einen Gulden. In den Rechnungen der Nicolai kirche wird er der „Jntonist" genannt. Von der Leistungsfähigkeit der ältesten Leipziger Kirchen musik hören wir nur selten etwas. Welche Rolle die Musik alljährlich bei der Fronleicknamsprozession spielte, habe ich schon früher in dem Aufsatze „Das Fronleichnamsfest in Leipzig" (Tageblatt 1900, 14. Juni) nach einer Quelle aus dem Jahre 1512 geschildert. Hier möchte ich nur kurz noch zwei andere Aufführungen besprechen, von denen wir Kunde haben. Eine Nachricht, die aus Vogels Leipziger Annalen oft nachzeschrieben worden ist, und immer mit gläubigem Staunen, ist die, daß Herzog Georg im Jahre 15l3 2000 Gulden gestiftet habe, damit von den Zinsen alljährlich in der Karwoche am Grünen Donnerstag, am Karfreitag und am Ostersonnabend „die ganze Historia vom bittern Leiden und Sterben Jesu Christi auf öffentlichem Markte gespielet uud agiret werde". Also regelmäßige Passionsspiele auf dem Leipziger Marktplatze! Man muß von der Geschichte Leipzigs in jener Zeit recht wenig wissen, wenn man dieser Nachricht Glauben schenken soll. Wem soll denn Herzog Georg die 2000 Gulden gestiftet haben? Der Stadt Leipzig? Vogel sagt das nicht, aber jeder muß es doch aus seiner Nachricht herauslesen. Und dock ist das ganz unwahrscheinlich. Herzog Georg wäre 1513 Wohl froh gewesen, wenn die Stadt Leipzig ihm 2000 Gulden „gestiftet" hätte! Und wer hätte denn die Stiftung verwalten sollen? DaS herzogliche Amt? Das ThomaSkloster? Die Universität? Wenn auch au der Ausführung von PassionSspielen außer der Bürgerschaft Thomasschüler und Studenten hätte betheiligt werden können, die Stiftung selbst hätte doch nur der Rath verwalten können, denn der hätte die Leitung der Spiele in die Hand nehmen und die Kosten bestreiten müssen. In den Stadtrechnungen deS JahrcS 1513 findet sich aber keine Spur davon, weder in den Einnahmen noch in den Aus gaben, ebensowenig in den Rechnungen der folgenden Jahre, obwohl doch ein PassionSspiel, wenn eS 1513 eingeführt worden wäre, sicherlich, ebenso wie daS Fronleichnamsfest, bis zur Einführung der Reformation in Leipzig forlbestanden hätte. Dazu kommt, daß Herzog Georg selbst später alle frommen Stiftungen Leipzigs genau verzeichnen ließ, und Laß nach seinem Tode, 1539, sein Nachfolger Herzog Heinrich im Einverständniß mit den Landständen anordnete, daß alle diese Stiftungen mit Ausnahme derer, die ausdrücklich als Stipen dien sür das Universitätsstudium gedacht waren, in Zn- kunst zur Besoldulig der Geistlichen und Lehrer verwendet werden sollten. Welch glänzende Rolle würde in diesem Verzeichniß die eigene Stiftung des Herzogs gespielt haben! Sie würde sicherlich besonders hervorgrhoden worden sein wie Feuilleton. Die Lrüdrr Ungleich. Berliner Skizze von Max Kretzer (Berlin). Slachvlua v-c.ol.N. Eigentlich hießen sie anders, aber alle näheren Be kannten nannten sie nur die Brüder Ungleich. Man konnte sich auch keiue größeren Gegensätze denken, nicht nur äußerlich, sondern auch ihrer ganzen Bildung und Veranlagung nach. Hans hatte als Erstgeborener das Fett einer glänzenden Lebenslage mit abschöpfen helfen, und Robert war ein Spätling, der tm harten Kampfe ums Dasein groß geworden war. Der Aelteste war ein so genannter forscher Kerl, der als früherer Officier -en Leichtsinn, der ihn um die Ecke gebracht hatte, immer noch wie ein hübsches Andenken mit sich Herumtrug, das zeit weilig der Auffrischung bedürfe, und der Jüngste war gesellschaftlich unbeholfen und zurückhaltend, mehr in telligent als geistsprühend. Kaum vierzehn Jahre alt, hatte er die Realschule ver lassen müssen, um auf eigenen Füßen zu stehen. Er kam in eine Fabrik, wo er von der Pike auf begann und bald das Vertrauen seines EhefS derartig genoß, daß er mit vierundzwanztg Jahren kaum zu entbehren war. War der Chef der König, -er, schon alt und kränklich, nur noch mit guten Rathschlägen dienen konnte, so war sein junger Vertrauter gleichsam der Regent, -er über dreihundert Arbeiter herrschte und straff die Zügel führte, ohne jedoch die Peitsche zu gebrauchen. To lagen die Verhältnisse schon, als HanS noch flotter Leutnant in einer Provtnzgarnison war und -en väter lichen Zuschuß eigentlich nur als eine Ermunterung zum Schuldenmachen betrachtete. Lange verheimlichte man ihm die veränderte Lage. Wenn Alle« bergab ging, sollte wenigstens der „Familienstolz" oben bleiben. Der Bater, der als Rentier gelebt hatte und über Nacht glücklicher Be sitzer völlig werthloser Actien geworden war, die zum AuStape-ieren einer ganzen Wohnung gereicht hätten, nahm einen kleinen Verwaltcrposten an, wozu er der letzten tausend Mark al» Caution bedurfte. Damals war auch noch eine unvcrheirathete Tochter im Hanse, die eine Stellung annahm und wacker mithalf, damit das Fa- milienschtff noch schwimmen könne, obenauf der Aelteste als Capttän, dem aber strenge Ordre ertheilt wurde, das Schuldenmachen gefälligst zu lassen. Den Zuschuß knappste man sich noch glücklich ab. Dann aber, als die Zustände nicht mehr verschlcier werden konnten, kam die Wendung zum Schlimmsten. Der Familienstolz fiel, nahe vor dem „Premier". Seine Tragik wurde dadurch noch erhöht. Drei Tage lang lief -er Alte im großen Berlin herum, um Geld für den Wechsel aufzutreiben. Die Mutter jammerte, die Tochter that dasselbe, und selbst Robert war schon verständig genug, das Unabwendbare mitzusühlen. Zum ersten Male in seinem Leben sah er die Eltern weinen. Aber es halb Alles nichts. Und als der Alte in hellster Verzweiflung schon daran dachte, die Caution zu kündigen, um dem Gläubiger wenigstens seinen guten Willen zu zeigen, hätte er selbst auch dadurch seinen Posten verloren, war eS zu spät. Der Oberst hatte bereits Kennt- niß erhalten und der Abschied erfolgte. Kaum ein Jahr lang hatte man dieses sociale Bersteck spiel treiben können, und just um die Zeit hielt HanS seinen Einzug in Berlin, wo er gewöhnlich seinen jährlichen Ur laub auszunutzen pflegte. Es gab Vorwürfe von beiden Setten, Wetbergeschrei und schließlich dumpfes Verzicht leisten auf Alles, was war und hätte sein können. So waren die Jahre vergangen. Die Alten hatten das Zeitliche gesegnet, und auch die Schwester, die noch glück lich Frau geworden war, hatte ein Kindbettfiebcr nicht Überstehen können. Nur die Brüder waren allein zurück geblieben, der Jüngere als eine starke Natur, gestählt zu jedem Kampfe, der Aeltere als der alte Schwächling, der tm Schiffbruche seines Lebens schwamm und sich von -en Wellen ruhig forttretben ließ, ohne jemals die Kraft zu finden, dagegen anzukämpfen. Er hatte Verschiedenes versucht, sich ehrlich durchzu schlagen. Hintereinander war er Privatsekretär, versiehe- rungSbeamter «nd Angestellter bet einem Offteter-Verein gewesen, aber jedesmal hatte» seine sogenannten noble» Passionen ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Immer, wenn er recht fest im Sattel zu sitzen glaubte, trieb sein Leichtsinn ihn in das Nachtleben Berlins. Er wurde rückfällig, machte Schulden und vernachlässigte die Pflichten seiner Stellung. So führte er die unglückliche Existenz eines Menschen, der weder schlecht noch unredlich ist, der vom besten Willen beseelt ist, der aber jedes Mal seiner unglücklichen Veranlagung unterliegt, sobald sie zum Durchbruche kommt. Seine Tragödie hieß: Ver fehltes Leben. Vielleicht hätte er aber alle diese Dinge überwunden, wenn er nicht die Güte seines Bruders im Hintertreffen gehabt hätte, auf die er sich unter allen Umständen ver lassen konnte. Je gefestigter die sociale Lage Robert s wurde, je loser und haltloser wurde die des Andere». Der Jüngere war ein fanatischer Verehrer -es Aelteren, liebte ihn über die Maßen und verzieh ihm alle Schwächen, wie man sie einem höheren Wesen verzeiht, zu dem man seit frühester Jugend gewöhnt ist, empor zu blicken. Er wußte, daß dieser hübsche Kerl die Hoffnung seines Vaters, -er Liebling seiner Mutter und das Ideal seiner Schwester gewesen war. Ihm selbst war er immer das Vorbild un erreichter Schneidtgkeit gewesen, und so hielt er cs für ganz selbstverständlich, wenn er Alles mit ihm theilen müsse, um dadurch zugleich seine Eltern noch tm Grabe zu ehren, die seiner Meinung nach unter ähnlichen Umständen dasselbe gethan hätten wie er. Dritten Personen gegenüber sprach er von ihm nie anders als von feinem „Herrn Bruder". Wollte er die Wirkung noch verstärken, so setzte er noch daS Wort „Offi- cier" hinzu, wodurch er sich gleichsam selbst gesellschaftlich gehoben fühlte. Daß der alte Glanz bereits vorüber war, genirte ihn nicht — für ihn blieb die Eigenschaft dieselbe. Er bezahlte die Schulden seines Bruders, die sich neuer dings auf bescheidener Höhe hielten, beglich die Schneider- rechnungen und kam auch für seinen Lebensunterhalt auf, sobald HanS wieder einmal in der Lage war, „in Ctvtl außer Diensten" zu sein, wie er die Kündigung seiner Stellung zart zu umschreiben pflegte. SS war ganz natürlich, daß btese Stellungslosigkeit in dem Maße häufiger wurde, je andauernder Robert eine offene Hand hatte, nnd daß zuletzt der Aeltere immer mehr Neigung zeigte, sich dem süßen Nichtsthun hinzugeben und den Gentleman zu spielen, der am vorgeschrittenen Vor mittag eigentlich nur erwacht, um sich wieder vvu der An wesenheit Berlins zu überzeugen. An dieses Dasein hatte sich der Jüngere schon nm so mehr gewöhnt, als Beide gemeinsam ein? kleine Wohnung innehatten, die mit den Resten der einstigen elterlichen Ausstattung möblirt war, und in -er eigentlich nur der Aeltere wie ein Herr lebte, wahrend sein Bruder mehr die Rolle des arbeitsamen Dieners spielte. Da der Eine be reits Mittags Appetit hatte, während er bei dem Andern sich erst viel später einstellte, so speiste man am Tage nicht zusammen, sah sich vielmehr nur des Abends, wo dann Bacchus reichliche Opfer gebracht wurden. Wenn Robert ging, blieb Hans noch sitzen. Der Jüngere hatte eben Ausgaben zu erfüllen, woran der Ael tere nicht zu denken brauchte. Allmählich aber wurde auch der Erstere mehr in diesen Strudel hineingezogen, als ihm lieb war. Eines Tages wurde er zu seinem Chef ins Privat comptoir gebeten. Herr Clemens war ein alter würdiger Herr, der als seil macke man seine bestimmten Ansichten vom Leben hatte, die er gern anch von Anderen erwartete, denen er sein unbedingtes Vertrauen geschenkt hatte. „Hören Sic, lieber Freund, ich habe ein ernstes Wort mit Ihnen zu reden", begann er ohne Umschweife. „Mir ist da etwas zu Ohren gekommen, was mir nicht behagt. Mit Ihrer Solidität scheint's zu wackeln. Sie haben in letzter Zeit sehr häufig Vorschuß genommen, und gestern haben Sie sich sogar Ihr ganzes Monatsgehalt vorauszahlen lassen. DaS war doch früher nicht." Es verhielt sich allerdings so. Der Aeltere, -er in einen Kreis von Sportsleutcn gcrathen war, hatte sich wieder htnreißen lassen, zu spielen, und für einige verlorene hundert Mark sein Ehrenwort ver pfändet, bas er an einem bestimmten Tage einzulösen hatte. Zwar hatte der Jüngere ihm sanfte Vorwürfe gemacht, sich bann aber von der Notbwendigkeit überzeugt, daß sofort Rath geschafft werden müsse. Als
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