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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 17.01.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-01-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190901173
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19090117
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19090117
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1909
- Monat1909-01
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Nr. 17 BezvgS-Prei» Mr Lck»,«a a»d ««rott» dorch »»w» LrL,« a»d Spediinire Ntt Hau« g«brachr, IX> ia»»aU., ».7V »tetteythrc. V«i lUitrr» Atli Lira u. Uunul>m«ftell«o adaeh»Ui 7i 4 L.LS »mttltttzrl. Vur» »u D,k: a«rh«ld DruUchlaad« und lx» d«x1ch«n V»lontr» oirtteljähtt. V.VV «oaatl. »»«ILl. Postdrftrllgild. g«r»tt « Brlgi«», Danrmatt. d«n Donauftnateu, Italiru, Luicmdurg, «trderlaude, Nor» w«r», Ottterrnch-Ungarn, Aiuiiland, vchwed«, Schwtt» ». Spanien. I» allen übrigen Staaten »in direkt durch dt» GeichSttlllell« de« Blatte« ttdLulich. Da» Leipalgtt Lagedlau «Ich«« «Lch«r»< ltch v mal und zwar morgen«. ildo»ne i>e»t»«nnadi»« - >vguN»«»I«H S» bet unleren Lrlgern. Mltalen, Spediteuren und Lunahmeftellen, sowie Postämtern und Briefträger». Di« einzelne Ramm« löstet KV stedaklt«» »»d veschLftävellgr Jobann>«g-sfe 8. rfernsprech«! l«SSL l««», I4«a KiMer Tagtblaü Handelszeitung Amtsblatt des Rates und des Rolizeiamtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis »» «»«wärt« N ^z, NeHaweu t.S) aN »aw >»«land finanz. Anzeige» 75^. UeName» 1.50 ak- .^nferate». Be-ärde» « awUichen Derl M^ «olagrgebüde L p. Dan send «kl. Post- gebühr, »eschäsl»a»zeigen an bevorzug»«' stell« im Preise erhöht. Rabatt nach Dari gestettetltr Aufträge können nicht zurück- a«zogen werden, ffitr da« erscheinen an bestimmten Lage» und Plätzen wrrd leine Garantie übernommen Anzeigen-Annahme: Nugustutplatz 8, bei sämtliche» Filialen u. allen Annoncen- vkpedrtioaen de« I»» und Aublaate«. Ha»pt>Slllalt Berlin: S«rl Duucker, Herzogs. Bayr. Hosdoch handiuug, Lützowstraße 10. lDelephon VI, Rr. «««). Hanpt-Ftllale Dresden: Seestratze 4,1 (Telephon 4621 >. Sonntag 17. Januar 1909. 103. Jahrgang. Da» wichtigste. * In Dresden fand ein« akademische Protest Versamm lung gegen die tschechischen Uebergriffe statt, an 8dr auch Vertreter der Leipziger Studentenschaft teilnahmen. Es wurde eine Resolution gefaßt, in der den Behörden der Hochschule die Bitte unterbreitet wird, die an den Hochschulen studierenden Tschechen bis zur Rückkehr normaler Verhältnisse für das Deutschtum in Böhmen l>om Studium anszuschlicßen. * Der Reichstag beendete am Sonnabend die erste Lesung des Arbeitskammer-Gesetzentwurfs und überwies die Vorlage einer Kommission von 28 Mitgliedern. sS. Reichstagsbericht.j * In der württembergischen Zweiten Kammer wurde nach dreitägiger Debatte die fakultative Einfiihrnng der Simultanschule abgelebnt. lS. Dtschs. R.i * Der Pariser „Eclair" meldet aus Bern, daß der Boykott deutscher Produkte wegen des Mchlstreites gestern in der Schweiz begonnen habe. * Aus London, 16. Januar, wird gemeldet: Die „Times" mel den ans Belgrad, daß man dort die Lage für sehr ernst ansehe. ' Aus Konstantinopel wird uns telegraphiert, daß Bulga rien gewillt ist, die Entschädigungssumme an die Türkei non 82 Millionen auf 126 Millionen Kronen zu erhöhen. Am Heu ligen Sonntag sinket die Wiederaufnahme der türkisch bulgarischen Verhandlungen statt. lS. d. bes. Art.l * Aus New Nork kommen Meldungen von einem ungeheuren Seebeben. lS. d. bes. Art.) ' Nach der Meldung eines Londoner Blattes aus Tanger wurde dem deutschen Konsul Lüderitz, der vor einigen Tagen krank- deitsbc.lüer einen Heimatsurlaub angetreten hat, seitens der fran zösischen Beamten ein äußerst herzlicher Abschied zu feil. * In Wien umlaufende Gerüchte behaupten, daß Fürst Nikita von Montenegro abgedankt habe. An seine Steve sesi'P riuz Mirko getreten. lS. d. bes. Art.) Die Vlohinvsche Wildnis. In Itzehoe ist vor der Strafkammer des dortigen Landgerichts ein Prozeß verhandelt worden, in dem einigen Namen eine neue, merk, würdige Bedeutung beigelegt wurde. Ausgerechnet Glückstadt in Schleswig-Holstein ist der Ort, bei dem das Märchenbeim mit eem wunderbaren, sicher irgend welchen sentimentalen Regungen entsprossenen Namen „Blohmssche Wildnis" sein Domizil bat. Und die Geheimnisse aus dieser Wildnis bildeten daS BerhandlungSthema Angeklagt waren der HauSoater Colander und seine Frau wegen körperlicher Mißhandlung, Freiheitsberaubung und Nötigung, begangen an den Zöglingen der Anstalt. Daß die Anklage begründet war, ergibt sich aus dem Urteil, das den Hausvater, der die Mädchen mit Stöcken prügelte, mit Hundeketten fesselte, im Hemd vor die Tür setzte, vor den Pflug oder wenigstens vor die Egge spannte und sich ähnliche Scherze mit Todkranken, Schwindsüchiigeu, erlaubte, zu neun Monaten Gefängnis verurteilte. Seine Frau wurde freigesprochen. Direkt aufreizend wirkt in diesem Prozeß der gelegentlich bekannt gewordene Umstand, daß die Blohmssche Wildnis einer sogenannten milden Stiftung ihre Existenz verdankt, und man ist versucht, in dieser Ironie eine Warnung für Leute mit warmem Gefühl und offener Tasche zu erblicken, auf daß es ihnen nicht gehe, wie den Stiftern der Blohmeschen Wildnis, die Gutes tun wollten und über so schon vom Schicksal Geschlagene neues Unheil brachte». Man m»ß erschrecken, wenn man erfährt, daß in ganz kurzer Zeit fünf Mädchen bei dieser modernen Pädagogik erlegen sind, und daß erst daraufhin gründlichere Unter- suchungeu über die Zustände in der Anstalt eingeleitet wurden. Die Nebenumstände sinv freilich bezeichnend genug und an sich schon so ver dächtig, daß man nicht versteht, wie in weltkundigen Männern nicht schon längst die Sorge um das Schicksal der Opfer der Wildnis zu Erhebungen geführt haben. Herr Colander nämlich, der bei 600 Mark, später 800 Mark und freier Station die Anstalt leitete, ist der Sohn des Direktors Colander der Lande--Korrektionsanstalt Glückstadt, mit der die Blohmösche Wildnis verwaltungstechnisch verbunden ist und der Direktor Colander ist auch gleichzeitig der erste VerwaltuugSbeamte der „Blohmsschen Wildnis". Also bildete die nächsthöhere Instanz nach dem Hausvater Colander der Direktor Colander, der natürlich die allergeeignetste Person bei Beschwerden ;. B. war. Der Hausvater Colander ist ein noch junger Mann, der eine frühzeitig abgebrochene Förster-Karriere hinter sich hat und zum Erzieher von Menschenkindern wegen seiner absoluten Unreife und seine erregten Temperament- so unfähig wie nur denkbar war. Aber er bekam den Posten, wahrscheinlich, um doch irgendwie uutergebracht zu werden, durch seinen Vater, der nunmehr sein familäre- Versorgungs system so zusammenbrechea sieht. E« soll nicht verkannt werde«, daß eS kaum eine schwierigere Aus gabe für einen Pädagogen geben kann al- renitente, verwahrloste Marche« ia dem gefährliche« Alter der erste« Reif« zu nützlichen Menschen za erziehen, und e- kaa» sogar zagestande« werden, daß bei manch einem Exemplar dieser Mädchengattung die Aufgabe auch von einem Pestalozzi nicht gelöst werden könnte. Die Lügenhaftigkeit ist die ständige Untugend gerade Vieser armseligen Menschenklasse und tägliche Beschäftigung mit ihr mag leicht dazu ver führen, Angaben solcher Zöglinge prinzipiell für unglaub würdig zu halten. Aber das alles enttchuldigt die bestellten Hüter nicht. Auch das entlastet sie nicht nicht, daß bei Revisionen keines der Mädchen sich beschwert hat, denn die Herren mußten wissen, daß es mit den Beschwerden solcher Zöglinge eine eigne Sache ist, daß nämlich die Furcht vor neuen und noch größeren Niederträchtigkeiten die Mädchen einschüchtert und zurückhält. Wenn in dem Prozeß bekannt geworden ist, daß manche der Herren schon längere Zeit Symptome von Unzulässigkeiten bei der Behandlung der Mädcken bemerkt haben, ohne einzuschreiten, so ist da- ein Beweis zum mindesten dafür, daß sie ihrer Aufgabe nicht gewachsen waren. Auch die ärztliche Aufsicht hat die schmähliche Behandlung dieser unglücklichen Zöglinge nicht verhindern können. Besonders bedenklich muß es aber erscheinen, daß über die Rechte des Hausvaters auch bei den überwachenden Behörden, die in diesem Falle in der letzten Zeit die Provinzialbehördc, als letzte Instanz die Landeshauptmannschast, waren, keine Klarheit herrschte. Was soll z. B. heißen, wenn der Landeshauptmann aussagte, der Hausvater habe wohl daS elterliche ZüchtigungSrecht, dürfe aber davon bei erwachsenen Mädchen keinen Gebrauch machen? Und wenn er weiterhin sagt, man önne die körperliche Züchtigung wohl nicht entbehren, solle aber doch vorher bei ihm anfragen? Da- sind Widersprüche, die sicher dazu beigetragen haben, in dem angeklagten Colander den Gedanken auf kommen zu lassen, er sei, w«nn auch nicht zu den schlimmsten seiner Handlungen befugt, so doch imstande, sich auf eine PrügelerlaubniS zu stützen. Später ist ihm dann freilich die Prügellizenz offiziell entzogen Worten, woran sich freilich Colander nicht gekehrt hat. ES wird auf die Dauer nicht- andere- übrigbleiben, als daß man die Fürsorge für solche Mädchen, wen« e« sich um AnstaltSbehandlung und -erziehung handelt, in amtliche, d. h. staatliche, provinzielle oder kommunale Regie nimmt. Auch damit sind natürlich noch nicht alle Mißhandlungsmöglichkeiten auSgfschaltet, aber schon ibre Verringerung ist ein Fortschritt. Dabei ist ja frsilich nicht zu umgehen, daß die Anfor derungen für die Unterhaltung solcher Anstalten sich vervielfachen werden, denn es ist eine bekannte, unbestreitbare Tatsache, daß Staat und Kommune immer teurer wirtschaften als Private. Aber ein Staat, der in einem Fürsorgegesetz sich Zwangsmaßregeln und damit Herrschaft über Menschen schicksale selbst zugebilligt hat, muß auch seine Pflicht und Schuldigkeit diesen Unglücklichen gegenüber tun und muß eine Gewähr dafür bieten, daß die Unglücklichsten unserer Mitmenschen nicht zur Verzweiflung getrieben und in den Tod gepeinigt werden. Der Prozeß der „Blohmöschen Wildnis" wird dazu beitragen, in weiten Kreisen den Argwohn gegen Institute der prügelnden Nächstenliebe zu stärken, und darunter werden freilich auch gut geleitete Anstalten zu leiden haben. Und da die Aussicht der Behörden nicht genügt, um solche Glückstadt» Scheußlichkeiten zu ver hindern, so wird der Staat an die neuen Aufgaben Herangehen müssen, damit weniger geprügelt und mehr erzogen werde. Vom polizeistaat znin bürgerlichen Staat. Aus Berlin wird uns geschrieben: Es ist nicht das erstemal, daß sich die preußische Polizei in einer Position zeigt, die der weitverbreiteten Ansicht von ihrer Rückständigkeit nicht ganz entspricht. In der Frage der Nacktaufführungen erscheint die preußische Polizei als der geschoben- Teil. Sie hatte nicht kurzerhand zugegriffen und ein Ende gemacht, sondern sie ist langsam und ruhig vorgegangen, indem sie sich zugleich nach der künstlerischen Seite durch Einholung eines Gutachtens der Kunst- akademie zu decken suchte. Es mag ja, namentlich von den Konservativen, nicht so schlimm gemeint sein, aber im preußischen Mgcordnetenhause war doch die Situation die, daß dem Minister des Innern von der Mehr heit zugerufen wurde: „Jester druff." Wir sagen: es war nicht das erstemal. Auch in der Frage des Wannsce-Freibades hat sich die Polizei aufgeklärt und unbefangen erwiesen. Man tut wohl nicht unrecht, wenn man den damaligen Landrat des Teltower Kreises und jetzigen Polizei- Präsidenten v. Stubenrauch als den Hauptvertreter des aufgeklärten Absolutismus in der Polizeiverwaltung betrachtet. Absolutismus ist .lun einmal von der Polizei untrennbar; in ihrem gesetzlichen Bereiche muß er Wohl walten. Die Aufgeklärtheit aber liegt darin, den Leuten ^ihren Spaß zu gönnen" nicht gleich nervös zu werden, sondern die Dinge reif werden zu lassen und erst dann zu urteilen. Es ist nun die Situation eingetreten, wie wir sie uns gern in „freieren" Ländern, etwa in England und Amerika, vorstellen: die Ge sellschaft nimmt die Polizeibefugnisse auf sich, die Polizei wird ein Organ des Willens der Gesellschaft. Man weiß, daß die Gesellschaft und die öffentliche Meinung sich in England und Amerika oft als sehr strenge Sittenrichterin erwiesen hat. Es sei nur an die amerikanische Be wegung gegen die Aufführung von Strauß' „Salome" erinnert. Die jüngsten Ereignisse zeigen, daß die Leute recht hatten, die da glaubten, die Gesellschaft werde auch bei uns auf Sitte und Anstand bedacht sein und um so eifriger diese Güter aus eigenem Antriebe pflegen, wenn die Polizei sich nicht vordränge. Die modern: Polizeitaktik, von der man freilich nicht weiß, ob sie systematisch weiter beobachtet werden wird, führt uns auf dem vom Oberbürgermeister Adickes gewiesenen Wege vom Beamtenstaat zum bürgerlichen Staat einen Schritt weiter. Man sollte meinen, baß der ganze große Bevölkerungsteil, der früher gegen die Neigung d» Polizei zur Bevormundung, Geschäftlhuberei und Bcauf- sichtigungsmanie Front gemacht hat, jetzt über die gekennzeichnete moderne Richtung Freude empfindet und die Polizei ans diesem Wege bestärken wird. Das Publikum sollt« die Entwickelung nicht stören durch übereiltes Rufen nach der Polizei; es sollte die Polizei, die auch durch das neue Vereins- und Versammlungsrecht mehr in den Hintergrund ae- drängt ist, nicht mit Gewalt wieder in den Vordergrund zerren. Aber freilich, es gibt einen doppelten Blaukoller: die einen geraten in Wut, wenn sie einen Wächter der Ordnung sehe», und die andern, wenn sie mal gege« ihren Wunsch keinen sehen, schimpfen, daß die Polizei nie da ei, wenn man sie brauche. Will man den „bürgerlichen Staat" haben, o muß man sich disziplinieren und mit dem Rufe nach Polizei vorsichtig ein. Wildenbruch. Die ernste Trauer, die heute an Wildenbruchs Bahre um den toten Dichter klagt, wird eine Trauer der Nation sein. In Frankreich hat man Victor Hugo, den Helden der Dithyramben, mit den Lorbeeren überschüttet, die die Nation zusammensrug, da man zu des Dichtere- Grabgelcitc schritt. In Italien war's ein nationaler Schmerz, als sie Carducci begruben. Man wird in Norwegen sich Björnsons Ideale ins Volksbcwußtsein rufen, wenn einmal das Pathos dieses Welt Predigers für immer verstummt sein wird. Wie Rußlands Söhne an Tolstois Grab aufs neue ihren Rnssenschmcrz ausweinen werden. Und unter all diesen Großen der Nationen kann man ohne Furcht jetzt auch den plötzlich hingerafften Wildenbruch nennen. Man tut's ohne Maßstäbe künstlerischer Wertung. Nicht um das, was er ge schaffen, wird ibn die Nation unter ihren Besten ehren und unter den Teuersten beklagen, aber um das, wie er war. Oder vielleicht noch deutlicher: wie er ein Deutscher war. Man war's an ihm schon cigent lich gewohnt, daß er stets aufrecht stand. Und man muß sicherlich gerade das am meisten unter Deutschen schätzen. Seltsam war seine Stellung schon durch Geburt. Louis Ferdinands Enkel — „cko In nmän — stand innerhalb zwischen Volk und Gottesgnadentum. Und duckte nicht, wenn's eben besser war, er duckte nicht, wenn Sympathien mübc los unten zu gewinnen waren, und muckte stets. Keinerlei Stimmung hat ihn je verwirrt, wenn sie durchs ganze Volk auch ging und ihm die eigene Einsicht besser dünkte, keine Rücksicht hat ihn je beengt, die oben etwa liebsam war. Tic flammende Begeisterung, die die Sänger deut scher Freiheit am Anfang seines Jahrhunderts hatten, hat er oft um mindere Dinge ausgebracht, mitten im Frieden, um mindere Dinge, mit dem heiligen, gleich überzeugten, unerschütterlichen Ernst. Deutsch land war seine Liebe, Deutschland sein Panier, das täglich sein unge bücktes Haupt umflatterte, Deutschland sein Brevier, in dem er täglich beten konnte. Seine Glorie war sein Stolz, die heroischen Geschehnisse des Reiches sein dichterisches Vermächtnis. Den Tag, den hab' ich mit angeseh'n. Nun will ich in Frieden sterben geh'«: Ein Leben, so soll man von mir einst lesen, Das solches erlebte, ist reich gewesen. Und in Weimar baut er sich sein Haus: Gott lass' dieses Hans desteh'n Und laß es Glück und Freube seh n, So lange Deutschland steht und hält. Wenn Deutschland aber sinkt und fällt, Am selben Tay, zur selben Stund, Schlag Gott dies Haus in Grab uud Grund. Tentschland war die Nation, war das Reich, seine Kultur unb sein Schicksal, waren nicht immer die, die an der Spitze standen. Mau weiß, daß er schon manchmal, wenn selbst der Kaiser eine Meinung hatte, den Mut besaß, bei einer andern tapfer zu verbleiben. Man weiß, daß ei an seinen Dramen durchaus nicht strich, wenn manches Wort höfischen Ohren mißfiel. Daß er am Temperament von Liebesszenen durchaus nichts modelte, wenn die Prinzessinnen beleidigt waren. Er konnte grollen und grollt« laut. Er war „der Hohcnzollernsproß" und konnte dennoch Wege gehen. Wege des Dichters, der freiheitlich, freimütig die Ahnherrn im Vorübergehen ansprach. Man weiß noch sein „Wort über Weimar", wie er entschlossen dessen Großherzog an Tradition und Pflichten mahnte, die in der Goethestadt für den größten Deutschen be sonderen Kultus forderten. Die Tradition und die Pflicht sollte der Erbe auf Karl Augusts Thron nicht länger „als eine äußerliche Pflicht ' empfinden, als ein lästiges Hausgesetz. . . . „Ja, es muß ihm gesagt wer den, und wenn kein anderer es tut, so will ich eS tun, daß es die Pflicht eines Großherzogs von Weimar ist, dafür zu sorgen, daß eine Jnsti tution, wie der Goethe-Tag, nicht verkommt." Man batte die Herren von der Goethe-Gesellschaft ausgeladen und auch den Herrn reichte Wildenbruch eine bittere Pille. Denn er meinte, daß die Goethe-Gemeinschaft „zwar dem Protektorate der Groß Herzöge unterstellt, von ihnen aber nicht geschaffen sei, daß cs also er forderlichenfalls auch ohne sie gehen kann und gehen muß." Es ist eins nur von den Beispielen, die in Wildenbruchs ganzem Kämpferdasein mühelos und ohne Zahl zu schöpfen sind. Man durfte ihn mit dem Hofe in Beziehung bringen und nie war er höfisch. Er schwieg nicht, wenn er Unheil sah, schwieg erst recht nicht, wenn das Unheil oben anhub Heines Wort läßt sich auf ibn variieren: „Er war ein Talent und mehr noch ein Charakter." Der Charakter war lauter, schlackenrein, war seine kostbarste Größe. Man vernahm von ihm aus flammenden, sausenden, klirrenden Worten, der Zartheit abhold, dem Ethos zugeneigt. Und um den Charakter geht jetzt die Trauer der Nation. ... Der Orient. Zur türkisch-bulgarischen Situation. Von unterrichteter Berliner Seite wird uns heute geschrieben: Nach der grundlegenden Einigung zwischen Oesterreich-Ungarn und der Pforte läßt sich der türkisch-bulgarische Ausgleich nicht länger verschieben. Während der »unmehr überwundenen Schwierigkeiten hat d>e bulgarische Regierung der Türkei und den Interessenten der Orientbahn nicht das zu einer Verständigung genügende kommen gezeigt. Jetzt aber weisen Bulgariens eigene Interessen auf baldige gütliche Auseinandersetzung über die Streitpunkte bin. Oesterreich-Ungarn gibt ein nicht zu mißachtendes Beispiel, indem cs finanzielle Opfer für eine Veränderung bringt, die unverhältnis mäßig geringer ist und nicht so in fremde Rechte einscbneidet, wie die bulgarischen Errungenschaften. Bulgarien muß die Besitzergreifung der Orientbahn regeln; eS will seine Unabhängigkeit und die neue Würde seine- Fürsten durch das Ottomanilche Reich und dann auch durch die iibriaen Großmächte aneikannt sehen. Es hat daher den türkischen Wünschen Rechnung getragen und weiß, daß dies nicht Wünsche der Türkei allein sind, daß alle Mächte von Sofia Beweise guten Willen- erhoffen. Die Vorteile einer raschen, direkten Ver- standigung mit Konstantinopel liegen auf der Hand. Vereinzelt liest man schon, daß eine europäische Konferenz über die Balkanfrage überflüisig »scheine. Der Zeitpunkt ist ab» noch nicht da, vielleicht kommt er überhaupt nicht, wo es nötig werden könnte, für oder gegen den Zusammentritt einer Konferenz be sonderen Eis» zu entfalten. Die nächste Aufgabe bleibt die Sicherung fester Ergebnisse in den Einzelfragen zwischen den meistbeteiligtrn Regierungen. In welcher Form diese Ergebnisse dann interuationat gebilligt und regtftriert werden sollen, ob durch eine eigens dazu ein- zubcrutende Konferenz oder auf anderem Wege, wird in der Hauptsache dem Urteil der Mächte überlassen werden können, die den Gedanken einer neuen Orienlkonferenz angeregt oder ausgenommen baben. Vie bulgarische Lntschädig«ng»frage Dast man in Sofia allem Anschein nach nunmehr zu Zugeständ nissen an die Türkei bereit ist und den Ausgleich beschleunigen will, öe- tveiseu folgende Mitteilungen: Souftotinopel, 16. Januar. (Tel.) Die „Turquie" behauptet, au-autoritativer Quelle zu wissen, I daß Bulgarien eine Zone de< von Mohammedanern bewohnten
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