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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 10.03.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-03-10
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190903102
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19090310
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19090310
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1909
- Monat1909-03
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Anzeigen-Preis tär Anseraie au« Leipzig und llmgebuiw di« tjgespaltene Petitzetle 2b sinanziell« rlnzeigea 30 Reklame» I »in aurwürk« 30 ReNamen 1.20 ass! »om Aurland bO^, sinanz. Anzeigen 702^ Reklamen 1.K> ^s. Inserate v. Behörden m amtlichen Teil 402^. «eilagegebüdr L p. Tausend exN. Roll, gebühr. tSeschäitsanzeigen an bevorzugt»- Stelle im Preise erhüht. Rabatt nach Tari Feslerieilt« Aufträge können nicht zurück- gezogen werden. Für dar -erscheinen au bestimmten Tagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen Anzeigen-Annahme: Vugukuäplatz 8, bei sämtlichen Filialen u. allen Ännoncen- iäipeditionen des In- und Au »lande«. Haupt-Siliale verlta: Lark Duncker, Herzog!. Bayr. Hosbuch- handlung, Lützowstratze 10. (Telephon VI, -Rr. 4M3). Haupt-Ailial« Lretzbrn: Leeslrahe 4,1 ^Telephon 4621). Nr. 88. Mittwoch 10. März 1909. 1V3. Jahrgang. Das Wichtigste. * Der Reichstag behandelte am Dienstag in zweiter Lesung das Weingesetz, ohne jedoch damit zu Ende zu kommen. sS. Ber.s * Die Finanzkommission des Reichstages setzte am Diens tag die Beratung des Entwurfs eines Tabakverbrauchs- Steuergesetzes fort. Staatssekretär Sydow trat im Anschluß an die Ausführungen eines Regierungskommissars den vielfach erhobenen Bedenken entgegen und erklärte, die Verbündeten Regierungen beständen unbedingt auf der Gewinnung eines Mchrertrages in der von ihnen vorgeschlagenen Höhe aus dem Tabak. Inzwischen haben neue Ver handlungen zwischen den Blockparteien und dem Reichs kanzler stattgefunden, die indes zu einer Einigung noch nicht geführt haben. lS. d. bes. Art.l * Der Entwurf zur Einführung von Schiffahrts- abgaben wird auf Veranlassung der preußischen Regierung in den nächsten Tagen ver ösfentlicht. Er ist in den Bundesrats ausschüssen noch nicht beraten worden. * Die nationalliberale Partei wird im letzten Drittel des September in Eisenach einen allgemeinen Vertretcr- t a g abhalten. sS. Dtschs. R.s * Mit dem N e i ch s lu st s ch i ff „Zeppelin I" wurden am Dienstag drei Probefahrten unternommen, die sehr günstig ver liefen. lS. Dtschs. N. u. Letzte Tcp.) * Der Petersburger Korrespondent des „Petit Parisien" er fährt, daß Serbien nunmehr die Zirkularnote an die Mächte, speziell an Oesterreich abgcsandt habe. Im dieser Rote erneuert die serbische Negierung die Versicherung ihrer fried fertigen Absichten und verzichtet auf alle terri toriale Ansprüche. lS. d. bes. Art.) * Die türkische „Sabah" meldet, daß Bulgarien gegenwärtig öffentlich und in noch größerem Umfange als früher seine mili- tärischen Vorbereitungen fort setze. Es habe abermals die Mobilmachung der 8. Division angeordnet. * Im Zoldotal wurden, wie auS Innsbruck gemeldet wiro, durch eine niedergehende Lawine 18 Personen getötet sS. Verm.) Die Ttcruzlerschaft. Tic Tatsache, daß die Reichstagsabgeordneten Dr. Junck und Müller-Meiningen vom Reichskanzler in den letzten Tagen zu intimen Besprechungen hcrangezogcn worden sind, ist viel kommentiert worden. Nachdem man die Deutung versucht hat, es handle sich dabei um die Verhandlungen der sogenannten Versassungs- oder November-Kom mission, wird von anderer Seite jetzt laut, bei diesen Verhandlungen habe sich der Kanzler Rat geholt über die Aussichten des Kompromiß vorschlages in der Ncichssinanzresorm und sogar über die eigene, höchst persönliche Taktik wegen der Fortführung der Kanzlergeschäfte. Und cs ist immerhin ausfällig, daß in letzter Zeit sich die Stimmen mehren, die der von uns schon lange gemeldeten formelleren Gestaltung der per sönlichen Beziehungen zwischen Kaiser und Kanzler nun doch ein größeres Gewicht beileaen und die heute bereits zu dem Resultat kommen, daß die Tage der Bülowschen Kanzlerschaft gezählt seien. Auch in einem Artikel der „Braunschweigischen Landcszcitung" wird diese Annahme vertreten. Der Kanzler sei zum Pessimisten geworden und seine Politik zeige deutliche Spuren der Abgcspanntheit und der Mut losigkeit. Darauf sei auch das ganze merkwürdige und sonst unerklärlich schwankende Verhalten des Führers der Reichsgeschästc zurückzuführen, insbesondere das Zurückweichen des Kanzlers in der Frage der Nach labsteuer vor den Agrariern. Fürst Bülow fühle sich gebunden, könne nickt mehr so, wie er wolle. Kaiser und Kanzler seien nicht nur in der inneren, sondern auch in der äußeren Politik zu unvereinbarendcn An sichten gelangt. Es zeigten sich eben jetzt die Folgen der mit meister hafter Geschicklichkeit eingefädelton Zentrumsranküne, die sich der kon servativen Fronde gesellt habe. Der Artikel schließt mit der Konsta tierung der allgemeinen Verwirrung und Unlust, die mit der Unsicher heit der Kanzlerposition und mit der Hemmung seiner Politik er klärt wird. Man weiß nicht recht, ob die ganze Angelegenheit ein Versuch des Fürsten Bülow zur Mobilisierung der öffentlichen Meinung für sich selbst ist, oder ob hier freiwillige Freunde am Werke sind. Da der Ar tikel praktische Nutzanwendungen nicht zieht, könnte er sogar als mas kierte Attacke auf den Kanzler selbst gedeutet werden, denn wenn alle Schwierigkeiten der inneren wie der äußeren Politik ausschließlich auf die Person des Kanzlers zurückzuführen sind, so liegt ja der Schluß nicht allzu fern, daß in einem Personenwechsel das Heil zu suchen sei. Man muß bei der Betrachtung dieser Dinge auch die politischen Bro schüren der letzten Zeit mit berücksichtigen, darf weder Herrn Adolf Stein, noch Herrn Rudolf Martin mit seinem wilden Ansturm gegen den Hausmeier Bülow vergessen, muß an die in der Tat mehr als selt sam wankelmütige, ja völlig direktionslose Behandlung der Reichs- sinanzrcform durch die Negierung denken und wird dann allerdings zu Schlüssen kommen, die tatsächlich die Vermutung einer Krise bedingen. Man lasse sich doch nur nicht von der offiziösen Vertretung der Mög lichkeit einer Handstreichpolitik täuschen, wie sie in der konservativ- klerikalen Parung unter dem Segen der Regierung liegen würde. Nicht das ist zu bestreiten, daß diese Aussöhnung zwischen Rittern und Priestern möglich sei, sie ist vielmehr schon so weit gediehen, daß nur noch der Segen von oben dazu fehlt. Aber gerade das Drohen mit der Möglichkeit der Erteilung dieses Segens durch den Fürsten Bülow ist nichts als Bluff. Ter Kanzler operiert nur mit dieser Drohung, um die Liberalen zu den äußersten Zugeständnissen zu bringen, und ist denn doch viel zu klug, um nicht zu wissen, daß er einfach dem politischen Boykott der gesamten Linken anbeimfallen würde, daß er die großen Worte der Dernburg- und Wahl-Zeit selbst als Farce bezeichnen, kurz, sich direkt unmöglich machen würde, wenn er mit der neuen Konstellation zu arbeiten suchte. Selbst ein neuer Mann könnte das kaum riskieren, ohne dem Ansehen der Regierung schwersten Schaden zuzufügen. Aber Fürst Bülow kann es überhaupt nicht. Bei dieser Sachlage, die allerdings in erster Linie bestimmt wird durch das nur noch äußerliche Verhältnis des Kanzlers zu Wilhelm H., kann man sich freilich nicht wundern, wenn nichts mehr gelingen will. Und wenn trotzdem die latente Kanzlerkrise noch nicht akut geworden ist, so hat man dafür wahrscheinlich auch mehr nach persönlichen als nack sachlichen Motiven zu suchen. Fürst Bülow hat es unzweifelhaft geschickt verstanden, die Novcmberereignisse so zu benutzen, daß der Sturm von seiner Person abgelenkt wurde. Ja es ihm gelungen, so gar als Mandatar der Nation nach Potsdam zu fahren und das kaiser liche Dokument der Selbstbcscheidung mit Heimzubringen. Daß dieses Kunststück zwar den Kanzler momentan retten, ihm aber das Verhält nis zum Kaiser versalzen würde, war niemandem unklar, der auch nur die elementarsten Begriffe von einer Monarchcnpsyche und von dem Selbstbewusstsein Wilhelms II. hat. Es war, vom Standpunkt der Krone aus gesehen, deshalb gar nicht so unmotiviert, daß dem Fürsten Bülow nicht die Möglichkeit des Novemberabgangs in der Posa-Pose gegeben wurde, sondern daß man den Kanzler in die Wirren der Finanz- reform hineinschickte, mit dem Bewußtsein, dort werde er sich wund reiben und ein weniger rühmliches politisches Ende finden. Es ist nicht sehr erfreulich, zu sehen, wie derartige Erwägungen auf den Gang unserer wichtigsten Neichsgeschäfte einwirken; es ist aber notwendig, sich über diese Dinge klar zu werden, um auch nur einiger maßen die Situation zu verstehen. Nun wird wohl auch keine Ver wunderung mehr über die ganz allgemeine politische Unlust der noch in der Politik tätigen Männer, soweit sie nicht konservativ oder klerikal sind, herrschen: denn man kann cs wirklich niemandem verübeln, wenn er bei der ganz offen zutage liegenden Unsicherheit der Position der Re gierung nicht paar passer ls tsinps arbeiten mag. Wenn deshalb heute über die anscheinend langsame Tätigkeit der Verfassungsl!ommission ge sprochen wird, wenn ihre Ergebnisse kritisiert werden, wenn die Ver wirrung in der Reichsfinanzrcformarbcit gescholten wird, so muß das Urteil immer modifiziert werden durch die Berücksichtigung des Alps, der auf den Reichsgeschästen liegt, und der heute keinem unterrichteten Politiker mehr ein Geheimnis ist. Die Rcichspolitik ist heute völlig verfahren. Die Initiative er schöpft sich in persönlichen Kämpfen, und die Nation Hai tue Kr'egs- kcsten be^h'.-«. Die Tabaksteuev in -er Finanzkommission. Die Finanzkommission hat am Dienstag die Beratung über die Tabaksteuer fortgesetzt und dabei soviel Bedenken dagegen erhoben, daß an ihrer Annahme außerordentlich zu zweifeln ist. Die ganze Lage wird dadurch nur noch verworrener. Unser Berliner Mitarbeiter teilt uns über die Verhandlungen folgendes mit: 0. Berlin, 9. März. fPrivattelegramm.) Tie Jinanzkommissivn des Reichstages setzte heute die Beratung der Tabakstcuer fort. Der Direktor im Neichsfchatzamt Kühn suchte besonders die Einwände gegen die Banderole zu widerlegen. Die Belästigung sei bei dieser Form der Steuer nicht sehr gross, da die Banderole vom Fabrikanten selbst angelegt werde. Die Erhcbungskosten betrügen nur 4 Prozent. Die behauptete Bevorzugung des Groß kapitals liege nicht vor. Der Regierungsvertreter bittet, die Banderole nicht von vornherein zu verwerfen, sondern zunächst die Frage in einer Subkommisston zu prüfen. , ...... Ter Vertreter der N eich spartet, der als Großindustrieller der Tabakbranchc ganz besonders sachverständig ist, betonte demgegenüber die ungeheure Neklamemöglickkcit, die die Anlegung eines Zeichens an der Ware verschaffe. Man sehe das bei der Zigarette, der Schokolade dem Champagner, eine Riesenreklame, die nur reichen Leuten möglich ist und bei der die Wirkung proportional den Aufwendungen Klein fabrikanten und Händler werden geschädigt. Der Redner erörtert den sicher eintrctcnden Konsumrückgang und führt aus daß der Tabak eine neue Belastung von 70 Millionen Mark jetzt nicht tragen könne. Er steht nicht aui dem Standpunkt, alles abznlchnen, aber man solle tue Steuer in das Verhältnis bringen zu der natürlichen Zunahme des Ver brauchs. Ein freisinniger Abgeordneter, der einen namentlich für den Tabakgroßhandel wichtigen Wahlkreis vertritt, zieht aus den heutigen Ausführungen des Ministerialdirektors den Schluß, dass die Negierung selbst keine sehr großen Hoffnungen mehr hat, die Banderole durchzubringen. Auck die Gewichtssteuer biete eine gewisse Steuergerechtigkeit, denn die vorliegende Belastung stufe sich ganz natürlich nach der Sortierung des Tabaks ab. Dazu brauche man nicht die gestaffelte Banderole, die vorzugsweise den Arbeitslohn trifft. Auch dieses Kommsssionsmitgticd erörtert die wahr- scheinliche Konzentration der Großbetriebe. Man solle beute schon über die Vorlage zum Schluß kommen und sie ablehnen. Der Tabaksteucrtechniker der Negierung Dr. Lißner verteidigt die Banderole. Er aibt keines der Bedenken als berechtigt zu, wobei er sich auf die amerikanischen Verhältnisse bezieht. Tort arbeiten 10 000 von 28 000 Vertretern mit einem Kapital unter 500 Pfund. Tie Anonymität kann gewährt bleiben. Arbciterentlassurgen, Produktionscinschränkungcn werden nicht eintreten. Ein nationalliberales Mitglied der Kommission erörtert besonders aus den Verhältnissen seines westfälischen Wahlkreises die Wirkung der Banderole auf die Heimarbeit. Tie Lage der Heimarbeiter werde überaus geschädigt, ihre Existenz geradezu vernichtet/ Ebenso müsse der Konsum znrückgehen. Die amerikanische» Verhältnisse lassen fick mit den unseren gar nicht vergleichen. Ter Abg. Bassermann habe das Wort geprägt, der Tabak muß bluten. Ein wahres Wort, aber nur so lange wahr, als die Industrie und die Arbeiter dabei nicht verbluten. Ter Vertreter der Konservativen folgert aus dem bisherigen Verlauf der Debatte, daß nur seine Partei für die Vorlage zu sein scheine, die anderen zum Teil gar nicht einmal für eine Belastung des Tabaks. Man müsse aber die 70 Millionen heraus- holen unter möglichster Schonung der Fabrikanten und der Arbeiter schaft. Die Banderole habe jedenfalls den Wert, daß sie das feinere Produkt höher treffe. Der Konsument habe den Vorteil der Sicherheit im Preise. Tie Banderole könne am leichtesten getragen werden. Ein Zentrumsmitglied erklärt, nachdem sein Parteigenosse in der Kommission sckon schwere Bedenken gegen die Besteuerung des Tabaks und besonders gegen di« Banderole geäußert habe, daß nunmehr gerade noch dem Vortrag des Dr. Lißner die Banderole keine Aussicht mehr auf Annahme habe. Der Redner verlangt ernstlich die Erörterung der Frage, ob nicht ein Ersatz für die Tabaksteuer möglich lei, denn am Niederrhein würde sonst eine bedeutende Verschiebung der Industrie die Folge sein. Die könne man bei einer so verzweifelten Lage auf 34 Millionen Znckersteuer verzichten. Tie ganze Tabaksteuer müsse in der Versenkung verschwinden. . Schatziekretär ---ydow nimmt darauf das Wort und fragt: „Und woher das Geld für das Reich?" Die Kommission will )a die Ersatz steuer nicht. Ein sozialdemokratisches Kommissionsmitglied, von Beruf Zigarrensabrikant, bezeichnet die Banderole als abgetan und bekämpft die sonstige Belastung des Tabaks. Das Geld komme in di: Neichskasse, ober die Arbeiterschaft verelende, lind der Armenetat der Kommunen würde belastet. Das sei Sozialpolitik gegen die Krüppel. Die Verhandlungen werden morgen fortgesetzt und vermutlich durch Ver weisung der Tabaksteuer an die Snbkommission beendet wenden. Man will auch schon an die Beratung der Biersteuer Herangehen. Während in der Finanzkommission auf diese Weise fortgewurstelt wird, gehen nebenher neue Verhandlungen zwischen den Blockparteien und dem Herrn v. Loebell als Be- auftragten des Fürsten Bülow. Dabei ist, wie das „B. T." erfährt, den Sprechern der Freisinnigen Fraktionsgemeinschaft, den Abgg. Wiemer, Müller-Meiningen und v. Payer, namens des Ge heimrats v. Loebell nahegelegt worden, sich zunächst zur Bewilligung der indirekten Steuervorlagen der verbündeten Regierungen zu verpflichten. Es sei indessen bei diesen Besprechungen zu keiner Einigung ge kommen. Die Versuche, ein neues Kompromiß zustande zu bringen, sollen sich dem Vernehmen nach in der Richtung einer auch aus die Kinder ausgedehnten Erbanfalljteuer bewegen. Das Flognet-Denkmal. lVon unserem Pariser D.-Korrespondenten.) Paris, 8. März. Ein kritischer Tag für die Republik war für gestern angekündigt worden; aber die kritischen Tage der Republik halten nicht mehr, was man davon verspricht. Bei der gestrigen Enthüllungsseier des Denk mals Floquets sollten gleichzeitig die Royalisten und die revolutionären Sozialisten Sturm lausen äegen die heutigen Herren Frankreichs; in 15 Departements wurden Neuwahlen für die Kammer vollzogen, und auch da sollte den Radikalen eine schlimme Niederlage bereitet werden. Aber in Paris ereignete sich nichts weiter als eine Katzenmusik, die dem Präsidenten der Republik und Herrn Clemenceau auf ihrer Fahrt durch die Straßen dargebracht wurde, und auch die Wahlen fielen nicht so aus, wie die Revolutionären es erwartet hatten. Freilich befand sich das Monument eines der Hauptbegründer der dritten Republik in einer Art Belagerungszustand. Weit um das Denkmal und die offiziellen Tribünen auf dem Boulevard Richard-Lenoir herum hatte Polizei präfekt Läpine seine gesamte Schutzmannschaft, die Munizipalgarde und Jnsanteriereaimenter aufmarschieren lassen, um Vie Volksmenge zurück- zuhalten. Als tue Minister in ihren Equipagen heransubrcn, wurden sie weidlich ausgepsiffen, besonders der Kriegsminister Piquart, und Herr Clemenceau selbst hielt es für klug, auf weitem Umweg in einem schnellen Automobil zur Stätte seiner Beredsamkeit zu gelangen. Als der Präsident der Republik, von einer Kürassier- cskorte umgeben und ebenfalls schonungslos ausgepsiffen, vor dem Denkmal angekommen war, wo sich auch die Witwe Floguets, die Präsi- deuten der Parlamente und Herr Loubet eingefunbcn hatten, begann der Ministerpräsident seine lange angekündigte Rede, in der er seinen früherem Freund als Sohn der Revolution feierte. Floquet, 1828 gc- boren, war von früh auf ein begeisterter Anhänger des republikanischen Gedankens gewesen, hatte, vereint mit Henri Brisson, in der Pariser Munizipalität eine Rolle gespielt, und war dann von dem Quartier Folie-Mericourt in die Kammer gewählt worden, deren Präsident er neunmal hintereinander wurde. Als Ministerpräsident hatte er den vollen Ansturm des Boulangismus abzuwehren, und er wurde besonders dadurch bekannt, daß er in einem Duell, wobei Clemenceau einer seiner Zeugen war, den „bravs general" schwer verwundete. Clemenceau tchildcrte mit vielen philosophischen Arabesken, wie es seine Art ist, das Leben dieses unentwegten Republikaners, der, als er mit Boulangcr den Degen kreuzte, diesem zuzurufen schien: „Hier kommt niemand durch!" — „Meine Herren", sagte Clemenceau, „Sie sind Zeugen, daß niemand durchgekommcn ist!" Aber eine Weile musste man doch be fürchten, dass „die wahnsinnige Lust der Franzosen, sich knechten zu lassen", dem Tyrannen und der Reaktion zum Sieg verhelfen werde: Floquet wurde in seinem eigenen Wahlkreis, wo jetzt sein Denkmal er richtet ist, von den Boulangistcn geschlagen und musste sich einige Zeit später gcdemütigt mit einem Platz im Senat begnügen. — Tie Rede des Ministerpräsidenten wurde an vielen Stellen von der offiziellen Versammlung mit begeistertem Beifall unterbrochen. Nach der Feier besichtigte man das Denkmal, ein Werk des Bildhauers Jean Tescomps, das Floquet im Gehrock, aufrechtstehend, mit oratorischem Gestus, zeigt. Die allegorischen Figuren überzeugen nicht vollkommen von der künstlerischen Bedeutung dieses Werkes. Als Herr Fallidres nach dem Elysc-e zuriickfuhr, wurde zwar noch immer gepfiffen, aber nicht mehr mit derselben Kraft wie bei seiner Ankunft, da die Polizei 150 der Hauptlärmmacher verhaftet hatte, von denen 40 vor Gericht erscheinen werden. Während der Feier hatten sozialistische Deputierte mehrere Scharen von Arbeitern gegen den Platz vorgeführt, doch die berittene Munizipalgarde sprengte diese Trupps auseinander und das Geschrei drang kaum bis zu den Ohren Clemcnceaus. So hatte der Aufruf zu Kundgebungen, der nicht nur an den Mauern von Paris angeschlagen, sondern auch gleichzeitig in den beiden offiziellen sozialistischen Organen, in der „Humariits von Jaurds und der „Revolution" von Guesde, er- schienen war, nickt viel Erfolg gehabt. In diesem Aufruf hieß es, man respektiere gern die Freiheit jedermanns, aber die Enthüllung des Floquet-Tenkmals solle von dem Exrevolutionär Clemenceau abermals zu einer Kundgebung gegen das Volk benützt werden und bedeute also eine Herausforderung. In Wahrheit erwähnte jedoch Clemenceau in seiner Rede nicht der Sozialisten. Von den Camelots du Roi sah man den ganzen Tag überhaupt nichts: die aristokratische Jugend fürchtet sich wohl, zwischen die Fäuste der Polizei und die derben Fußsohlen der Arbeiter zu kommen. Mehrere antiministcriellc Blätter meinen, die Ehrung Floancts sei übertrieben: er sei ein ehrlicher Mensch gewesen, keine große Persönlichkeit. Clemenceau habe nur nach einer Gelegen heit gesucht, sich selbst herauszustreichen, und dies in seiner Rede gründ lich besorgt. Serbiens Antwort? Die serbische Situation liegt noch immer im Unklaren. Definitive Kommentare lönnen auch heute noch nicht über sie geliefert werden. Es scheint nur wieder, daß wirkliche Besserungen ter Lage Platz greisen denn in allen Kabinetten der Signatarmächte von Berlin wirv uner-' müdlich daran gearbeitet, die beunruhigencen Schatten, die sich von neuem über vie austra-serbische Krisis gebreitet baben, zu beseitigen. Der .Petit Parisien" will heute wissen, daß Serbien seine Zirkularnote an die Mäckte abgeschickt habe, in der eS die Erklärung abgck», auf alle Territorialsorverungen verzichten zu wollen. Eine amtliche B statigung dieser Meldung steht indessen zur Stunde noch aus, und wir geben — auch schon wegen der satt'am bekannten Unzuverlässigkeit der Belgrader Offiziellen — die Nachricht vorläufig mit allem Vorbehalt w eker. Sollte sich ibre Richtigkeit indessen bestätigen, so dürfte damit die Lösung deS östcrreichilch- erbiscken Konflikts auf gütlichem Wege erfolgt sein — falls Serbien nickt nochmals in letzter Minute umfällt! Im Anschluß hieran muß verzeichnet werden, daß die Situation in Wien trotzdem noch immer ungünstig beurteilt wird; denn in dortigen
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