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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 15.04.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-04-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190904157
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19090415
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19090415
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1909
- Monat1909-04
- Tag1909-04-15
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BezugS-Prei» (Ar LiNq«, »v» >8«r-r» »«ch «P— Li«««» ,a» Spet>t-r«r- M« H«m« ^broch», V0 H mm>atl„ l.7« »terttljthrl. «»< »nleruFillot«» ». «dartziit, »»«rü«Id Deuilchl«nd« »ad d« draüch«, «ieMlssdrt. S.G< ««all. Ok0 aatlchl. Viftbekallacld. Ferner iu »rl,i-n. DLn«»«!. de» Dooa»fta«te», Atalt«, Lurembara, «trderUuid«, Nor» »««», 0rst«rretch-ll»,»rn, «adlaad, tzchwed«, Schweiz a. Spanten. In »llr» üdrtani Staat«, »ar dtr« dar» dt» «eläMtdIwL, »ad «litte» «r-LUItch. Da« Letptza« La««dl»t» crlchetat «Lchent- <tch V «al na» Mar merzen«. «d»»a«me»»«nn«d«,, «agalladplatz S, det unteren DrSgern. Mltale», Spediteure» «ad Uaaa-me-ellen, w«tr Psstümter» a»d vrteilrLzer». vt» «iaMae Sinmmer kostet IS stkrdattt»» »ad »eschistlSrL« Iadannttgafle tj. Fernsprecher, I4SSL I4M3. 1400». MpMerTagMaN Handelszeituug Nmtsblatt -es Rates und -es Volizeiamtes -er Lta-l Leipzig. Anzeiqen-Preis Mr Inserate au« Kewi'S und Umgebun- di» Sgelpaltene Petitzeile L> finanziell« Anzeigen ÄH, Reklame» I een aatwärt« 3V H, Reklamen 1.Ä) dem Ausland S0H, sinanz. Anzeigen 7S^ ReNamen iU- Jaseratrv. Bebdrben m amtt>chcnTeil40^ Beilagegedüdr ü p. Tausend exN. Post gebühr. Aeschästsanzeigen L» bevorzugt,. Stelle im Preis« erhöht. Rabatt nach Tari gesterteille AuitrLge können nicht zurück gezogen «erden. Für da« Erscheinen an deftimmten Tagen und Plätzen wird kein« «tzaranti« übernommen. Anzeigen-Annahme: Auguftu-Platz 8, bet sämtlichen Filialen u. allen «nnoucen- ltlpedUionen der In- und Auslaute«. Hauvt-Stllale Berlia: Larl Duncker, Herzogl. Bayr. Hofbach- handlung, Lützowstraße 10. (Telephon VI, -tr. 4603). Haupt-Siliale Drr-den: Saestrahe 4,1 (Telephon 46l!1l. Nr. 10t. Donnerstag 15. April 1909. 103. Jahrgang. Das wichtigste. * Das deutsche Kaiserpaar ist am Mittwochmittag in Venedig eingetroffen. IS. Dtschs. R.) * In Berlin fand am Mittwoch der 3. V e r ba n d s t a g des Ge - Werkvereins der Heimarbeiterinnen Deutschlands statt. lS. d. bei. Art.) * Nach den neuesten Meldungen znr Revolution in Konstan tinopel ist die Macht derJungtürken völlig vernichtet worden. Tie Straßenkämpfe dauern fort. Der Justiz. Minister Nazim Pascha wurde ermordet. Ein Jrade des Sultans ernennt Tewfik Pascha zum Großwesier und Edhem Pascha zum Kriegsminister. In Wiener offi ziösen Kreisen verweist man im übrigen darauf, daß der Verlaust den die Dinge in Konstantinopel genommen haben, die Meinung bc- kräftige, wonach englische Einflüsse hinter der Revolte stehen. Diese Ansichten stehen jedoch im Gegensatz zu Berliuer offiziösen Aus- lasiunge». sS. d. bes. Art. und Letzte Dep.) * Wie aus Sofia berichtet wird, sind die türkisch-bul garischen Verhandlungen angesichts der Ereignisse in Kon stantinopel unterbrochen worden. Ihre Aufnahme wird erst nach der Neubildung des Kabinetts erfolgen. * Die russisch-bulgarischen Verhandlungen sind gestern, wie aus Petersburg telegraphiert wird, zum Abschluk gelangt. Dis Unterzeichnung des Vertrages, der rein finanzieller Natur ist, steht bevor. * Der verantwortliche Redakteur des „Berliner Tageblatt" Ludwig Sochaczewer wurde vom Landgericht H wegen Beleidigung des Kriegsministers v. Einirm und des Ministers der öffentlichen Arbeiten v. Breitenbach zu 1500 Geldstrafe verurteilt. Die Beleidigung wurde in zwei Artikeln erblickt, die seinerzeit unter der Ueberschrift „Die Herren von Zitzewitz" erschienen sind. sS. Gerichtssaal.) Englische rinö russische Einmischung in Persien. Es kann kaum stark genug betont werden, wie sehr mit einem Male die asiatischen Angelegenheiten wieder in den Vordergrund treten, und zwar gerade diejenigen, die England betreffen. In wenige Tagen fallen die Meldungen von der Kündigung des englisch-japanischen Bünd nisses, von der Besetzung Abuschahrs durch die Engländer und von dem Erscheinen zweier russischer Kanonenboote mit Ausschiffungsmann- schasten vor dem persischen Hafen Nascht zusammen. Die Nachrichten haben denn auch iiz England sehr großes Aufsehen erregt. Mit Eifer erörtert man, ob die bisherige englische Politik Rußland gegenüber aufrechterhaltckn werben kann. Greifen Engländer und Russen auf Verabredung in Persien ein, der eine im Süden, der andere im Norden? Oder hat der eine schon km Argwohn gehabt, daß der andere auf eigene Hand einen Schritt unternehmen werde, und sich darauf vorbereitet, sofort gleiches zu tun, damit jener keinen Vorsprung erhalte? Das ist eine Frage von der allergrößten Bedeutung nicht nur für asiatische, sondern auch für euro päische Angelegenheiten. Der Vertrag ist vom 10./23. September 1907. Die beiden Mächte verpflichten sich darin „die Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit Persiens zu achten und die Ruhe dort zu erhalten." Bisher ist das alles gut ge gangen. Als aber aus den anfänglichen kleinen Unruhen allmählich eine Revolution wurde, als die Ordnung gar nicht würderkehren wollte, da machten sich doch ernste Besorgnisse Luft, ob es ohne Einmischung ab gehen würde. Der Schah liegt förmlich in Krieg mit seinem eigenen Volke. Die von seinem ermordeten Vorgänger eingeführte Verfassung hat er kurzerhand beseitigt. Aus dem Hin- und Herreden über die Wiedereinführung ist nichts geworden. Die moslemitische Geistlichkeit ist die Führerin der Opposition. Zwar in der Landeshauptstadt Teheran hat er sie blutig überwältigt, aber in anderen Landesteilen hat er nur noch eine nominelle Autorität. Täbris trotzt ihm schon länger als sin Jahr. Die Küstenprovinz am Nordende des Persischen Golfes und diesem entlang ist in den Händen räuberischer Bergstämme, der Bachtiaren. Diese Leute erscheinen, oft nur in der Stärke von einigen hundert Mann, stellen sich auf die Seite der Revolution oder des Schahs und be nutzen die Gelegenheit, um von Ker anderen Partei durch Erpressung Beute zu machen. Von wem sie sie nehmen, macht ihnen wenig Kummer. Auch in Bender Buschehr, dem wichtigsten Hafenplatz an der persi schen Küste des Persischen Golfes, sind sie jüngst erschienen und haben dort die Basare geplündert. Auch das Eigentum von Europäern haben sic nicht geschont. Diese sind rasch zu der einzigen Instanz gelaufen, die über eine bewaffnete Macht verfügt, zu dem englischen Residenten, und haben um Hilfe gebeten. ES wird betont, daß außer Engländern auch Franzosen, Deutsche und Russe« dabei gewesen seien. Der Resident bat sofort telegraphisch daS Kriegsschiff „Fox" herbeigerustn, dieses hat einen Teil der Besatzung ausgeschifft und davor haben sich die Eindringlinge zurückgezogen. So stellt man auf englischer Seite die Sache dar und man hat einstweilen keinen Grund, das zu bezweifeln, denn es liegt nur zu nah:, daß England lebhaft wünscht, daß keine Notwendigkeit zur Ein mischung vorlieg«. Kaum kann die Nachricht in Petersburg bekannt geworden sein, so entsendet avch schon die russische Regierung zwei Kanonenboote von ihrer kasplschen Flotte nach Enseli, dem Vorhafen von Rescht. Ihre An kunst wird nirgends bestritten. Nach einigen Nachrichten sind 400 Soldaten auSgeschifst; andere bestreiten das. Auch an der nördlichen Landgrenze PersienS, sowohl im Westen wie im Osten sollen nach (frei lich von anderer Seite bestrittenen) Telegrammen, kleine Abteilungen russischer Truppen erschienen und einmarschiert sein. Wenn das noch nicht geschehen ist, so gehört doch nur ein Wort aus Petersburg dazu, um es zu veranlassen, denn die russischen Eisenbahnen sind hier überall. Das Zusammentreffen dieser Ereignisse innerhalb weniger Tage ist doch sehr auffällig. Es ist kaum denkbar, daß es nicht im Zusammen hang steht. England hat zeitlich den ersten Schritt getan, möglicherweise wirklich nur um Ordnung in einer Hafenstadt zu schaffen. Ist Ruß lands Mißtrauen so groß, daß es sofort seinerseits in einem Kaspihaseu Truppen ausschifft? Oder will es nur seine Gleichberechtigung doku mentieren? Eigentlich ist sein Recht größer, denn der Hafen Enseli- Rescht fällt in die Interessensphäre, die ihm durch den Vertrag mit Eng land zugewicsen ist, wähv-nd Bender Buschehr weit außerhalb der eng lischen Interessensphäre liegt. Ebenso nahe liegt aber auch die Vermutung, daß die beiden Mächte sich verabredet haben, gleichzeitig in Persien einzugreisen, um die Ord nung wieder herzustellen. Geredet wird davon schon seit einiger Zeit. Nur hat der Gedanke in England und Indien wenig Anklang gefunden. Man sagt, daß der Vertrag nur geschlossen sei, um Persien als unab- hängigen Pufferstaat zwischen Indien und Rußland zu erhalten. Die langjährige Furcht ging dahin, daß Rußland sich Persiens bemächtige, was seit der Herstellung der transkaukasischen und der transkaspischen Eisenbahn allerdings ein leichtes ist: und daß es dann Afghanistan, den noch wichtigeren Pufferstaat, von zwei Seiten packen könnte. Nun sollte dem vorgebeugt werden. Kommt cs statt dessen zur Einmischung, so be deutet das nichts anderes, als daß Rußland geradezu herein komplimen tiert wird. Denn wenn allenfalls eine gleichzeitige Einmischung denk bar ist, so doch nimmermehr eine gleichwertige, denn Eng land hat nur ein ganz bescheidenes Truppenkontingent verfügbar und ein solches hat noch erst eine ganze Anzahl schwieriger Hochgebirgspässe zu überschreiten, ehe es vor Teheran erscheinen kann. Die Russen mit ihren Eisenbahn- und Dampferverbindungen können aber längst das ziemlich offene Nordpersien überfluten. Sie werden unter allen Umständen di; stärkeren sein; die Engländer können nur so lange im Lande bleiben, wie es den Russen gefällt. Kein Wunder, daß die gemeinsame Ein mischung bei ihnen wenig Anklang findet. Namentlich in Indien warnt man sehr davor. Der Nachricht von der Kündigung des englisch-japanischen Bünd nisses durch Japan ist nur vorsichtig zu bewerten. Richtig ist es, daß die beiden Mächte längst nicht mehr so intim sind wie früher. Dis Notwendigkeit, die das Bündnis entstehen ließ, nämlich die drohends Uebermacht Rußlands in Ostasien, ist nicht mehr vorhanden und die Grobmachtstellung Japans könnte Folgen haben, die dem englischen Handel in Ehina sehr zum Nachteil gereichten. England mißtraut den Japanern, weil die Inder in ihren Unabhängigkeitsträumen so sehr auf Japan rechnen; es hat in dieser Besorgnis bereits Singapore be festigt. Japan aber blickt mit Befremden auf die Intimität zwischen England und dem früheren gemeinsamen Gegner, Rußland. Für Un beteiligte ist es gewiß interessant, zu beobachten, wie die frühere Bünd nistreue allmählich abkühlt. Aber man muß nur nicht denken, daß eine Verbindung, die zu so außerordentlichen Erfolgen geführt hat, wie die englisch-japanische, so kurzer Hand, ohne alle äußere Nötigung aufgelöst wird. Ein Signalball für England mag ,:s immerhin sein, daß die Abwendung Japans in Aussicht steht, wenn Englanad sehr intim mir Rußland wird. Misere und Burleske. Der Vizepräsident des Reichstages und Vorsitzende der Reichs- sinanzkommission Professor Dr. Paasche, der als nationalliberaler Outsider gegen die Reichserbschaftsstener in allen ihren Abarten ist, verteidigt sich im „Tag" mit der ihm eigenen Gelenkigkeit gegen den Vorwurf, die Arbeiten der Kommission säumig geleitet zu haben. Be sonders scheint es ihm nahe gegangen zu sein, baß die „Magdeburger Zeitung" mit Bedauern davon gesprochen hat, man sei „bis hinauf in die Negierungskreisc" der Ucberzeugung, ein anderer Vorsitzender hätte die Arbeiten weiter gefördert. Man kann den Groll des Herrn Pro fessors Paasche verstehen. Kann es sogar mit uns ungehörig und il liberal finden, dem Parlamentsfunktionär die Regierungskreise als Sammelorte höherer Wesen gcgenübcrzustellcn, und wird doch des Ein drucks nicht froh, daß Herr Paasche um den Kern der ganzen Angelegen heil herum schreibt. Der Kommissionsvorsitzendc stellt cs so dar, als sei die Nachlaßsteuer ausschließlich nach ihrem finanziellen Erträgnis zu bewerten und als sei mit ihrer eventuellen Bewilligung noch gar nichts erreicht. Das ist nun aber doch eine Anschauung, die Herrn Paasche gründlich von allen Politikern, die sich ernsthaft um die Neichsfinanz- reform in der letzten Zeit bemüht haben, isoliert. Denn auch Herrn Paasche sollte es eigentlich nicht entgangen sein, daß es sich bei der Nachlaßsteuer nm die Ehrenpflicht der Regierung wie der liberalen Par teien handelt, den ungeheuren Summen, die aus dem Konsum gezogen werden sollen, eine birekte Belastung der tragfähigen Schultern als Moment der Gerechtigkeit gegenüberzustcllen, und daß die ganze Steuer frage tatsächlich deshalb nicht vom Flecke zu bringen ist, weil über diesen Punkt eine Einigung bis jetzt hat nicht erzielt werden können. Wir sind auch gar nicht im Zweifel, daß der alte Taktiker Paa'che diese Sachlage klar erkennen würde, wenn er nicht selbst ein so eifriger Gegner der Nachlaßsteuer wäre, wodurch ihm wohl der Blick für die Bedeutung dieser Sache umflort wird. Eins ist uns bei der Rechtsertigungsarbeit des Herrn Paasche übrigens sehr angenehm ausgefallen, das ist die nach trägliche Anerkennung unseres eigenen Standpunktes, den wir bei der Beurteilung der Fahrkartenstener, diesem Unglückskinde des ersten Neichsfinanz-Sanierungsversuches, eingenommen haben. Er schreibt wörtlich: „Recht ernste Arbeit ist erforderlich, um die Gesetze ihrer Härten zu entkleiden und so zu gestalten, daß sie nicht unnötig ver bittern, belästigen und schaden. Vosr-i^ria tm-rent — man denke an die schnelle Gesetzesmachere, der letzten Steuerkommission, an Fahrkarten steuer usw. Als wir damals, in guter Gesellschaft, in Opposition standen gegen die nationalliberalc Reichstagsfraktion, die diese Fahr- kartenstcuer, die Ortsportotarenerhöhung usw. der Regierung aus dem Präsentierteller geboten hatte, war Herr Paasche in der Erkenntnis dieser unzweifelhaften Fehler noch nicht so weit wie heute. Wir denken noch an seine Rechtfertigungsrede in Goslar. Darum aber sieben wir auch bie Hoffnung nicht aus, daß Herr Paosche nicht nur die ziffern mäßige, sondern auch die allgemein politische Bedeutung der Nachlaß steuer eines Tages erkennen wird. Vielleicht beschleunigt es diele Wandlung, wenn Herr Paasch: die Auslassungen seines Mitstreiters, des Herrn Abgeordneten v. Oldcn- bura-Januschau, zu leien bekommt, der auf der Vollversammlung der Weitpreußischen Landwirtschastskammer dieser Tage in Gegenwart des Oberpräsidentkn v. Jagow eine seiner berühmten Brandreden gehalten hat. Herrn v. Oldenburg Kat die Unbekümmertheit seiner politischen Seele, die Stärke seiner agrarischen Instinkte bisher schon manchmal hart an die Grenze der Burleske geführt. Was er jetzt aber zum besten g-geben hat, läßt sich ernsthaft politisch überhaupt nicht mehr behandeln, sondern kann nur noch als Ausfluß agrarischer Naivität genossen werden. , Ganz wie Herr Poasche ficht Herr v. Oldenburg gegen die nationale Strömung, die auf Erledigung der Reichsfinanzreform drängt wobei er sich zu dem schönen Satz aufschwingt: „In Versammlungen sei jetzt so viel über die Reichsfinanzreform gesprochen worden, daß man annehmev. müßte, im Reichstage säßen vierhundert Idioten, und dabei seien die Leute, die in den Versammlungen redeten und urteilten, unfähig^ einen Gedanken zu fassen." Und unmittelbar auf den Satz mit den Idioten vermerkt Herr v. Oldenburg schalkhaft, die Anwesenheit des Herrn Oberpräftdenten lege ihm Mäßigung aus. Schuld an der ganzen Un- sruä'tbarkeit der Bemühungen zur Lösung des Finanzproblems trägt natürlich die Begehrlichkeit der Linken, die die einzelnen Staaten zcr- trümmern wolle mit dem Bewußtsein, daß dies der erste Schritt zur Republik sei. Den Gegnern der Agrarier wirft Herr v. Oldenburg Dummheit und Niedertracht vor. Er droht damit, man werde dazu übergehen, das Land bei Lebzeiten an die Kinder zu verkaufen, und schließlich wird er sentimental, da er von dem Familiensinn der Land wirte spricht und nenut alle, die darüber lachen, „Hanswurste". Er selbst aber lacht über den ganzen Schwindel und Rummel der Bundes gegner und spricht schließlich den lapidaren Satz: „Man wird ui:S nicht dahin bringe», bas zu fressen, was uns vom Negierungstische hin- geworfen wird." Weitere Stilproben zu geben ist überflüssig, und unwillkürlich er innert man sich eines Wortes des Grafen Posadowsky, das dieser in einer seiner letzten Verteidigungsreden gegen die antisoziale Fronde dem Herrn v. Oldenburg entgegenschleudcrte: „Wenn ich die Geschäfte des Ncichsamts des Innern nach den Grundsätzen des Herrn v. Olden burg iübren wollte, so würde die Herrlichkeit keine vier Wochen dauern." Tie Wcstpreußische Landwirtschaftskammer freilich hat Herrn v. Olden burg zugeiubelt. Alle Nichtagrarier aber werden dazu übergehen müssen, ihn ausznlachen. Schließlich tötet doch auch im Deutschen Reiche die Lächerlichkeit. Die Rebellen von Stanibul. Nach den ueuesten Meldungen ans Konstantinopel ist das jung- türkische Regime durch die revo lutionären Ereignisse völlig ver- nichtet worden. Die türkische Katastrophe läßt sich heute noch nicht in ihrer ganzen Tragweite übersehen. Offensichtlich ist nur, daß neue, große Orient- aefabren im Anzug sind, und daß die Entwicklung der Balkandinge durch die Revolution von Konstantin«"".! wieder in neue Bahnen gelenkt wird Denn aus allen Nachrichten, die heute vom Bosporus cintreffen, geht hervor, daß die meuternden türkischen Soldaten in Konstantinopel triumphieren. Das Kabinett mit Hilmi Pascha an der Spitze hat sich dem Willen der Rebellen unterwerfen müssen, und nicht nur allein das: der Justizminister ist ein Opfer des Aufstandes geworden. Er wurde ermordet. Der Putsch der Reaktionäre ist also völlig geglückt. Die Jungtürken aber werden sich ihrerseits offenbar nicht mit der veränder ten Sachlage abfinden wollen, sie werden sicherlich alles daransetzen, um ihre verlorene Machtstellung zurückzugewinnen. Demnach sieht die Türkei heute unter allen Umständen noch schweren Kämpfen entgegen, einer Zukunft, die heute noch mit dichtem Schleier verhangen ist. Zur türkischen Situation wird heute telegraphiert: Blutige Ereignisse. — Ermordung des Justizministers. Dem „L.-A." wird aus Konstantinopel unterm 14. April gemeldet: Stambul war gestern der Schauplatz blutiger, politischer Ereignisse. Der Justizminister Nazim-Pascha und der Abgeordnete Arslan, den man für den Chefredakteur des „Tanin" hielt, sowie mehrere Offiziere wurden von dem revolutionären Militär ermordet, der Marincnnnister schwer verwundet. Hunderttausende von Demon stranten, meuternde Truppen und die orthodoxen Sofias füllten die Straßen Stambuls. Das Ganze war eine gut vorbereitete Aktion der liberalen Union gegen das jungtürkische Komitee, das dabei die Trup- pen und die Kleriker gegen sich hatte. Die Demonstranten verlangten und erzwangen die Wiedereinsetzung des religiösen Grundgesetzes Scheriat, sowie Beseitigung des Kabinetts und des Kammerpräsiden ten. Nachfolger Achmed Risas als Präsident der Kammer wird zweifellos Ismail Kemal. Die Truppen verblieben nachts in Stam bul, wo sie fortwährend Freudenschüsse abfeuerten, so daß in Pera die Ucberzeugung herrschte, es sei eine ungeheure Straßenschlacht im Gange, bis die erfreuliche Aufklärung eintraf. Im Zusammenhang hiermit meldet eine zweite ergänzende Depesche: Q Konstantinopel, 14. April. (Telegramm.) Der Justizminister ist ermordet, der Marineminister verwundet und der Kriegsminister gefangen genommen worden. Die Zahl der Getöteten wird auf siebzehn, die der Verwundeten auf etwa dreißig angegeben. Die Aufständischen haben die Straßen zum Parlaments platz abgesperrt, Barrikaden errichtet und Vorbercttungen getroffen, die Nacht dort zuzubringen. Die Truppen feuern. — Mehrere hundert Personen getötet. D Konstantinopel, 14. April. (Tel.) Gegen 3 Uhr früh begannen infolge falschen AlarmS die Truppen vor dem Parlament ru schiessen. Etwa zwanzig Salven wurden abgegeben. Es sollen einige hun dert Personen getötet sein. Jungtürkische Truppen vor Konstantinopel. Q London. 14. April. (Telegramm.) Nach einer Meldung der „Times" aus Konstantinopel sind dort- selbst Truppen, die dem Jnngtürkischen Komitee ergeben sind, aus Adrianopel eingetroffen. Aus der Richtung von Stambul, besonders aus der Gegend des Kriegsministeriums, wird andauerndes Feuern hörbar. Ein Ultimatum an die Aufständischen. O Konstantinopel, 14. April. (Telegramm.) Der Korpskommandant hat beim Kriegsministerium 3t Bataillone und 22 Geschütze vereinigt. Ferner ist beinahe die ganze Kavallerie treu- geblieben; sie scheint jedoch nicht mehr ganz zuverlässig in der Hand der Offiziere zu sein. Das Ultimatum, Has der Korpskommandant den Aus. ständischen bezüglich der Unterwerfung stellte, blieb wirkungslos, da diese fick ihrer Stärke bewußt sind. Besorgniserregend sind die verstärkte religiöse Stimmung und entsprechende Kundgebungen der mohammeda nischen Geistlichkeit. Tewfik Pascha, der neue Grosswestr. D Konstantinopel, 14. April. (Telegramm.) Der frühere Minister des Auswärtigen Tewsik Pascha ist zam Großwrsir ernannt worden. — Der Korpskominaudant ist durch de«
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