VII. Jahrg. No. 8 22. Januar 1898 42 Zu Rad in die hohe Tatra. Von A. Grützner. (Fortsetzung.) VI. Dem Ziele nah. „Über Felsen, steile Höhn Ziehn wir lustig fort, All Heil, All Heil, Das ist der schönste Sport.“ Krakau liegt 80 km hinter uns. Am Ufer der Baba liegen wir auf schwellendem Moose, eifrig die Karte von Galizien studierend. „Was nun?“ Die Beantwortung dieser Frage ist gar nicht so leicht. Die 18 km bis Neumarkt sind ausser ordentlich bergig, dann folgen allerdings bis Zakopane 24 km Ebene; aber dann — dann türmt sieh das Hochgebirge auf, ohne Weg, ohne Steg, das wird heisse Kletterarbeit geben. 2 Karten, a 2 Gulden, aus dem Postbureau zurück. „Sparen, Fahren“, jetzt reimt sichs zusammen. Wir haben noch eine Stunde Zeit. Schauen wir uns um! Wahrlich, der Bursch, der nachlässig auf sein Beil gestützt dort an der Wand lehnt gefällt mir. Seine Gesichtszüge, sein Auge verraten Kühnheit und Entschlossenheit. Unter der kühngeschwungenen Hutkrempe quillt schwarzes Haar hervor, die äussere Seite seiner Pelzjacke ist kunstvoll mit bunten Riemen benäht. Die dicke Wollhose prangt im schönsten Weiss. Dem Gevatter Schuster setzt er aber gewiss wenig in Nahrung, scheint er sieh doch als Fussbekleidung einfach ein Stück Leder um den Fuss gewickelt und mit Riemen oben festgeknüpft zu haben. Der über die Schultern hängenden Tasche und dem Schilde auf dem Riemen nach, dürfte der Was soll aus dir, mein braves Rädel werden? Wir müssen uns trennen. Du umwanderst in grossen Bogen das Gebirge, ! ich durchquere es zu Fuss. In der Ebene im Süden treffen wir uns wieder. Drüben liegt die Station Chabowka, der Sammelplatz aller Bergfexe, die von Norden her der Tatra zustreben. Welch fremdartiges Treiben! In langer Reihe halten wohl 30 Ge- I schirre goralischer Bauern. Im Nu sind wir von einer Menge | abenteuerlichster Gestalten umringt. „Do Zakopane 7 Gulden, | do Zakopane 6 Gulden, do Zokopane 5 Gulden,“ so schwirrte j in uns hinein. Ja, fahren möchten wir schon — auf staubiger ] Strasse auf Schusters Rappen dahinzuschleichen ist nicht flinken ' Radlers Sache —; aber 4—5 Gulden für eine so unsports gemässe Beförderung zu opfern, dagegen sträuben sich in uns alle guten finanzpolitischen Geister. „Sparen Fahren,“ , verflixtes Dilemma! — „Hurra, die Post ist da,“ schreit da I plötzlich mein Kamerad. Wirklich, im Hintergründe zeigt sich uns ein grosser gelbgemalter Karren. Und nun beginnt die Jagd nach dem Glücke, nämlich nach den Billeten, könnten : doch andere auch die billige Gelegenheit benutzen wollen. Es geht alles nach Wunsch. Triumphierend kehre ich mit Bursch ein Tatraführer sein. Vielleicht erwartet er einen vor nehmen Herren, zu dessen Ehren er seinen Sonntagsstaat an gelegt hat. Von dieser stolzen Männlichkeit besitzt der Bauer, der dort das Heubündel herbeigesehleppt bringt, herzlich wenig. Serdak (Pelzjaeke), Hose und Kierpcie (Schuhe) sind in sehr fragwürdigem Zustande. Die Zipfelmütze lässt .sein dummes Gesicht noch dümmer erscheinen. Ob der seinen Namen schreiben kann? Sollte Ihnen aber jener Kerl dort, mit dem hageren Ge sicht, der gerunzelten Stirn, den finsterbliekenden Augen, dem langen schwarzen Haar und dem blanken Handbeil in der Hand zu nachtschlafender Zeit auf einer sächsischen Strasse begegnen, ich glaube, Herzklopfen würde sich wohl einstellen, oder Sie würden vielleicht vorziehen — — —, na, ich will Diskretion bewahren. Und nun zurück zum Postwagen. Diese dürren Gäule sollen uns in dem schweren Karren über die steilen Berge hinwegschaffen? Das kann eine schöne Bummelei werden! Da kommt auch unser Postilion. So schmuck wie unsere sächsischen Herren Schwäger sieht er nun freilich nicht aus