Merkwürdig, dass der Deutsche, wenn er in der Fremde Natur mit vollen Zügen trinkt, dann auch wacker dem heimat lichen Gerstensäfte zuspricht, notabene, wenn er welchen kriegt. Bei dieser bierologischen Betrachtung habe ich leider ganz vergessen, dass mein Thema „Am Fischsee“ heisst und es sicher angebrachter gewesen wäre, von der Güte des Was sers zu schreiben; doch, da dieses allzudünne Nass nicht grade mein Fall ist, so will ich Ihnen lieber von einem Ohren- schmause erzählen: „Abend wird es wieder Über Wald und Feld, Säuselt Frieden nieder Und es ruht die Welt.“, Ganz stimmt das nun freilich nicht. Zwar die Berge hüllen sich in Wolken und Schweigen, aus dem Wasser steigt der weisse Nebel wunderbar, die letzten Wanderer strebten längst der schützenden Hütte zu; aber hier auf der Veranda hat sich ein lustiges Völklein zusammengefunden: Pole, Ungar, Russen, wir beiden Deutschen und auch - ja nicht zu ver- „Es ist elf. Morgen wollen wir die Meeraugspitze erklettern; da ist Ruhe nötig.“ „Da hinauf wollen Sie? Unternehmen Sie ja nicht zu viel; die Tour soll beschwerlich und gefährlich sein.“ „Gute Nacht.“ „Gute Nacht.“ Abschied genommen wäre also; nun rasch ins Bett! „Ach wie ist das hart! Und das Loch in der Matratze. Die ganze Tatra könnte man hineinversenken!“ So jammert mein Kol lege. Ich lache ihn aus, muss aber bald ebenfalls in sein Klagelied einstimmen. Draussen wird weiter gesungen, zumal gegen 20 Personen kein Unterkommen in der Hütte gefunden haben und nun die Nacht auf der Veranda zubringen müssen. Eine halbe Stunde bemühen wir uns, Schlaf zu finden — vergebens. Der Lärm wird immer lauter. Jetzt dringen gar die Accorde einer Zieh harmonika und das Gekreische einer Fiedel an unser Ohr. Mein Kollege wird ärgerlich und dreht sich brummend auf die andere Seite. Ich aber, ich - schlafen kann ich einmal noch nicht — ziehe in grösster Gemütsruhei mich wieder an, hänge die Bettdecke um und habe die beste Absicht, auch mit zu tollen. Ich sehe die Gesellschaft im Kreise stehen. Infolge gessen —• wunderhübsche Vertreterinnen des weiblichen Ge schlechts. Ist das ein parlieren und konversieren, ein Scherzen und Gläserklirren! Da — erst leise, dann stärker, lauter und lauter klingen die Töne eines Waldhorns vom See herüber. Alles schweigt und lauscht. Ein eigentümliches Schauern läuft mir über den Rücken. „Denkst du darau, mein tapfrer Ladienka“, so bläst der Wackere. Und als er geendet, da bricht ein Bravo los, so elementar, so aus vollem Herzen, dass manche Primadonna den bescheidenen Künstler auf dem See beneiden würde. Dann folgen noch andere polnische Nationallieder. Jetzt summt eine Dame schüchtern mit, jetzt fällt die ganze Gesellschaft jubelnd ein, ich selber singe mit, obwohl ich nicht weiss, was. Meine schöne Nachbarin bittet: „Singen Sie uns doch ein deutsches Lied!“ Und so singen wir: „Alt Heidelberg, du feine“, „Im Krug zum grünen Kranze“, „Das Wandern ist des Müllers Lust“. Doch alle Lust muss ein Ende nehmen. „Haben Sie die Ver sicherung, meine Damen und Herren, dass uns dieser Abend unvergesslich sein wird.“ „Bitte, bleiben Sie doch noch.“ | meiner vielbeneideten longitudo schaue ich aber über sie hin- ] weg und habe nun einen Genuss, um den mich morgen Kame rad Schlafmütze fürchterlich beneiden wird! Die Goralen tanzen den Drobnv. Im Kreise stehen ein junger Führer und ein Mädchen. Es läuft mit kleinen Schritten, gleichgültig steif, dem Burschen ausweichend, hin und her. Er steht mit gesenktem Kopfe, gebückt da, stampft, zittert, dreht und schüttelt sich wie toll. Jetzt bewegt er sich in kleinen Kreisen um die Erkorene ! herum, klatscht in die Hände oder streckt sie nach ihr aus. Schliesslich ergiebt sich das Mädchen; dann hebt sie der Bursche in die Luft und beide fallen einander mit einer hef- i tigen Bewegung in die Arme. „Was soll dieser Tanz vorstellen?“ fragte ich meinen ; Tischnachbar von vorhin. „Das tanzende Paar stellt in einem ! kurzem aber tollem Momente die Geschichte der Liebe dar. i Am besten lässt sieh das ganze Gebahren mit dem Locken I der Vögel vergleichen.“ Unter anregendem Gespräche wird es 1 Uhr. Jetzt aber ! werde ich ernstlich müde. Nochmals Abschiednehmen, und i bald ruhe ich neben meinem barchentratzenden Kameraden. (Fortsetzung folgt.)