Suche löschen...
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 09.05.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-05-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190905090
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19090509
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19090509
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Bemerkung
- Images teilweise schlecht lesbar
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1909
- Monat1909-05
- Tag1909-05-09
- Monat1909-05
- Jahr1909
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugS-Preit M L«w»lg aa» Borort, ,«ch «0«« trLier »nd Vvedttem» »« H«u« ««bracht, 0Ü monatig 1.7« vierleythrl. v«i unlrrn gtltal«» a. Lnnadmestellm «b-rhalti 7» ch m,natl.. »«ertelMrl. L»rch »A V«! aixrhald »euilchland« and d«r »«ovchen »«Um»» ot«r,elt«hrU ».»» >«. m-narl. U0 au»Ichl. Voftdeftellgeld. Ferne« t, ivelgirn, DLnrmarl. d«n Doaaastaat«», ziallku. Lar-Md«»-, «ieder lande. Nov- w«-r», OÄ»«rr«tch-U»,ar». «utzlaad. kchwede«, Sch»««, «. Spant««. I» «lle» üdriaen Stiatra ,« dir«» durch dt» «elitzLlttslell« »— Statt«« «htttlich. Da« Letotiarr La««dl»tt «rlchMal «Sch«»- ttch r »al «nd »»ar m«r<i«n«. rldonnem»»r-Nnn«hme > Vug-N»«pl«, S, det unter«» LrLger». Mliaten, Spediteur«» and »auahmeftellen, sowie Postämtern und Briest rLzerm KW einzelue Rümmer k»ft« 7» «ebaktt»» au» «es»Lst,yellr> J»ha»ni«--It« v. Seruwrrcher, l««VL I4SS3, 74«S KWigtr.TagMaü Handelszeitung Nmtsb satt -es Males und -es Mattzeiamtes -er Lta-t Leipzig. »nzeige«-Prei» M 8»i«r«t» «u» Lechzt, und tlmgeduu, »t« »aespalt«» P«ttt»«tk Sb ch, ftnannell- U»»«tz«» 30 Reklamen t ^U; «Wt «atlvärt« 30 NeNamen l.Ä) »MU «»»land SOch, finau,. «n,eigen 7Sch> Reklame» 1.S0 Ins«,»«».vehdrden « amIlichrnTeilM^ Betlage^bttbr 5 p. Tausend exkl. Pos!- aebühr. »eIchLsl«an»etg«n an bevorzugte. Stelle tm Preis« erhbyt. Rabatt nach Lari Feftrrtrtlr, «ustrLge Wunen nicht zurück- -«zogen »erden. Für da« (lrschetnen -1 bestimmten Tagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen Anzeigen-«nnatzme t «ugutku-platz b>, »ei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- itipeditionen de« In- und «»»lande«. Panpk-FUiale Berlin: Ca«l Duncker, Herzogl. Bayr. Hosbnch- handiung, Lützowstratze lO. (Telepkion VT. Nr. 4603). Haupt-Filiale Dresden: Seesti atze 4,1 (Telephon 4621». Nr. 128. Dns wichtigste. * Tie Finanzkommission des Reichstage? pahm den Vor- schlaa der Subkommission für ein Weinsteucrgesetz, von der Einführung einer Wein st euer überhaupt abzusehen und insbesondere einer allgemeinen Faßweinsteuer nicht zuzustimmen, mib vierzehn gegen zehn Stimmen an. Weiterhin genehmigte sie einen .'Zentrumsantrag auf Erhöhung der Schauinweinsteuer. >2. d. bes. Art.) * Der „Reichsanz." meldet: Der Kaiser verlieb dem Unter staatssekretär im Reichsschahamt, Twele, den Charakter eines Wirkl. Geheimen RateS mit dem Prädikat Exzellenz. sS. Art. „Reichsf'.nanzreform".) * Nach einer Wiener Meldung plant Italien die Errichtung von neuen umfangreichere Befestigungen an der österreichischen Grenze. sS. Ausl.s ' * Der größte Teil der Bevölkerung Frankpeichs scheint diesmal, wie uns aus Paris telegraphiert wird, uns seinen Sym pathien nicht auf feiten der Postbeamten zu stehen. Jedenfalls erhält die Regierung aus allen Volksschichten die Animunte- l.nng, Len Kampf mit den unbotmäßigen Beamten aurziiuchmen. Alle H< nvelskammern sagten ihre kräftige Unterstützung zu. l^S. d. bes, Art.I * In der Frage d e r O r i c n t b a h n ist, wie asts Sofia ge meldet wird, ein Einvernehmen zwischen Bulgarien und oer Gesellschaft nunmehr erzielt worden, nur die Pforte mach- fetz: noch Schwierigkeiten. * Neueste Meldungen aus Venezuela besagen, daß dort, trotz aller Dementis, eine revolutionäre B c w c g u n e, zugunsten Castros überhandnimmt. lS-Ausl.) Vor dem Generalstreik. sVon unserem Pariser I-. - K o r r e s p o n d c n t e n.s Paris, 7. Mai. Ter gestrige Tag brachte, wie schon gemeldet, Geschehnisse, die den Generalstreik der „psstiers" — wenn nicht den Generalstreik aller Beamten! — fast unvermeidlich machen. Ter Schritt der Gründung des Postbcamtensyndikats ist der folgenschwerste, der bisher von einem Beamtenkorps in der Republik getan wurde. Das Gesetz erkennt ihm nur das Recht zu, berufliche Vereinigungen zu bilden, nicht das Recht der Syndikate, deren legales Hauptmachtmittel auch die Or ganisation des Streiks ist. Es existiert zwar bereits eine Reihe von Beamtensyndikatcn, so der Lehrer, der Arsenalarbeitcr usw., aber die Re gierung lehnte es in allen Fällen ab, mit ihnen zu unterhandeln, und übersah ihre Existenz, weil die Parlamente den StaatSangcstellten seit langem ein eigenes Vereinigungsgesetz, das „Beamtenstatut", versprochen batten. Bis dieses Gesetz, dessen Vorlage gegenwärtig von den Ministe rien ausgearbeitet wird, perfekt geworden sein wird, nahm man sich vor, die Uebergriffe der Beamten, was ihr Bereinigungsrecht anbetrifft, nicht zu ahnden, trotzdem die Kammer und der Senat durch wiederholte prinzipielle Abstimmungen mit großer Majorität ihren Willen be- kündet hatten, den Staatsangestelltcn unter keinen Umständen das un beschränkte Syndikatsrecht, d. h. auch das Recht des Streiks, zu zuerkennen. Die Deponierung der Statuten des neuen Syndikats der Postbeamten ist allein nicht genügend, um ihm irgendwelche Berechtigung vor dem Gesetz zu geben. Die Delegation erhielt zwar eine Be scheinigung, aber darin verwahrte sich der Gemeindcvertreter ausdrück lich vor der fälschlichen Auffassung, die Frage der Gesetzlichkeit des Syn dikats, über die die Stadtverwaltung nicht zu urteilen habe, wäre gelöst. In der Tat muß der Ortsbürgermeister je eine Abschrift der deponierten Statuten dem Handelsministerium und dem Staatsanwalt zugehen lassen. Der Staatsanwalt hat darüber zu befinden, ob die vorgelegten Statuten dem Gesetz von 1884 entsprechen. Die Statuten der „postüsrs" lauten: Art. I. Die Bildung der Gesellschaft. In der Er wägung, daß die Arbeiter der öffentlichen Verwaltungen mit dem Staat-Arbeitgeber dieselben Beziehungen haben, wie die Handels oder Industriearbeiter mi: ihren Arbeitgebern, daß ferner tue Post angestellten nicht im vollen Sinne des Wortes Beamte sind und keinen Teil der öffentlichen Macht inncbaben lNrteil deS Kassationshofs vom 18. Februar 1905), das; sie allo das Gesetz vom 2l. März 1884 zu ihren Gunsten anrufen und alle Konsequenzen daraus ziehen können, bat sich unter den Agenten der Post-. Telegraphen- und Telephon verwaltung, die den vorliegenden Statuten zustimmen, eine Berufs genossenschaft gebildet, die den Namen „ishndicat national des agents des postes, telsgravhes et t^läphones annimmt, und deren Sitz in Paris, Place Vauban, falle Vauban, ist. Art. II. Der Zweck. Der Zweck des Syndikats ist, ent sprechend den Verfügungen des Gesetzes vom 21. März 1884 das Stu dium und die Verteidigung der wirtschaftlichen und moralischen Inter- essen der Korporation. Es bringt jenen seiner Mitglieder, die mit der Verwaltung in Zwist geraten oder die Schwierigkeiten korpora tiver Art durchzukämpfen haben, moralische und materielle Hilfe. Es versucht zuerst auf friedlichem Wege die Schwierigkeiten jeder Natur zu beseitigen, die ihm von seinen Mitgliedern zur Begutachtung unterbreitet werden. ES verfolgt bei den gesetzgebenden Körperschaften das Votum der wirtschaftlichen und sozialen Gesetze, die die Korpo ration interessieren Art. V. Da» Bureau deS Syndikatsvorstandes ist beauftragt, ebensowohl bei der Verwaltung wie bei den gesetzgebenden Körperschaften in nützlicher Weise für die Verteidigung der Syndikats- interesscn einzutreten. Jeder Schritt persönlichen Charakters, der bei den öffentlichen Behörden oder der Verwaltung von irgendeinem Mitglied deS Vorstandes oder deS Bureaus ohne regelrechtes Mandat getan werden sollte, hat die vollberechtigte Streichung seines Ur- beberS zur Folge. Art. VI. Die Mitglieder des Syndikatsvorst an- des dürfen keinerlei sie persönlich ehrende oder begünstigende Aus zeichnung erbitten oder annehmen, dies unter Strafe sofortigen Aus- Sonntag 9. Mai 1909. m. Jahrgang. Die andern Artikel betreffen die Aufnahme in das Syndikat, den Austritt und die Leitung. Es war eine Hauptsorge der Syndikats gründer. die übrigens aus ausdrücklichen Wunsch der letzten Versamm lungen der „pvstiors" in Paris und in der Provinz an die Ausarbeitung dieser Statuten hcrautrnten, nicht etwa eine Schwächung der bisherigen Beamtenvercinignng berbeizuführcn. Trotz der in der besagten Ver sammlung ausgedrücklen Wünsche stand es nicht fest, ob die Mitglieder der bisher bestehenden „Association genßralc" sämtlich oder doch zum größten Teil den Uebertritt in das ungesetzliche Syndikat wagen würden. Darum unterzeichneten sie folgende Verpflichtung: Die Unterzeichneten beschließen, um einem parlamenta rischen Manöver vorzubeugen, das sie vor ein neues Ge setz über die Beamtenvcreine stellen würde, und in der Erwägung, daß das Stillschweigen des Gesetzes von 1884 hinsicht lich der Postbeamten zu ihren Gunsten auszulegen ist, sofort die Sta tuten eines nationalen Syndikats der „vosti<>-" zu deponieren, und ver pflichten sich auf Ehre: I) dieser Handlung nur eine rein formelle Trag weite zu geben, da cs als abgemacht gilt, das; die „Association genörale" allein an der Spitze der Bewegung bleiben und der neue Syndikats vorstand nur unter der Vormundschaft des Vorstandes der „Association gönöralc" existieren und funktionieren soll, bis zu dem Tag, da die Um wandlung der „A'sociation generale" in ein Syndikat vollzogene Tat sache sein wird: 2) niemals, unter keinem Vorwand, eine innere Spal tung in der ..Association gene-ralc" hcrbcizusühren, da cs abgemacht ist, daß alle „Militanten" die Pflicht haben, innerhalb dieser Ve.'inigung ihr möglichstes zu tun, um die .Kameraden dem Syndikat zuznsühren: 3i im Verlaus der gegenwärtigen Krise nichts zu tun, was irgendwie als Vereinigungsakt mißdeutet werden und die Streitkräfte der Be- wegunq spalten könnte: 4) e-v bloo an dem Tag zu demissionieren, au dem die Verwandlung der „Association generale" in das Syndikat aus gesprochen sein wird. Tas föderale Komitee, das über die Zweckmäßig- kcit der Deponierung dieser Statuten betragt wurde, hat den Schritt ge billigt." Man nennt daS Syndikat ein Kind der „Association generale". Ein Kind, das sich nie seiner Mutter eutgegenstcllcn, aber, groß ge worden, eine? Tage? ihren Platz cinncbmcn soll. Kaum war das Syn dikat gegründet, als ihm auch schon 100 Unterschriften von Pariser Post beamten jeder Kategorie zukamcn. Man kann überzeugt sein, daß in den nächsten Tagen über 4000 nnd in einigen Wochen vielleicht einige 10 000 Unterschriften vorhanden sein werden. Aber die Regierung hat keine Minute gewartet nnd bereits gegen die Mitglieder des Syndikats vorstandes wegen ungesetzlicher Vcreinsbildung da? Verfahren beantragt. Doch schwere Strafen ruhen nicht mck dicstm Vergehen: sie können nur zu Geldstrafen verurteilt werden. Tas nicht am wenigsten bedenkliche Ereignis der letzten Tage war die gemeinsame Kundgebung der E i s e n b a h n b c a m t e n mit den Postbeamten. Auf dem nationalen Kongreß, den die ersteren gerade in PariS^abbaltcn, empfingen sie einen Abgesandten der Post föderation, dellen Erscheinen auf der Tribüne von den. zahlreichen Bahndelegierten mit begeistertem Geschrei: „Hoch die postrers!" begrüßt wurde. Ter Abgesandte schilderte den Kollegen von der Eisenbahn, welch schweren Kamps die Postbeamten gegenwärtig für ihre Würde, ihre Freiheit nnd ihre Zukunft durchführten, wie die Regierung sie ein erstes Mal betrogen habe, und wie sehr sie jetzt entschlossen seien, ihre früheren Forderungen bis zur gänzlichen Erfüllung zu vertreten. „Wenn der Streik wieder nusbrechen sollte, hoffen wir, daß die ganze Arbeiter klasse nnd vor allem die Arbeiter der Eisenbahn ihre Pflicht tun werden." Ein ungeheurer Lärm erhob sich, betäubende Rufe ertönten: „Ja, ja, wir sind mit euch!" Daraus wurde eine entsprechende Tages ordnung eingebracht. Wenn man bedenkt, daß das Syndikat der Bahnbeamten bereits 52 000 Mitglieder zählt nnd daß sich ihm die andern Vereine der ins gesamt 200000 Köpfe zählenden „osteurinots" mehr und mehr an schließen, so kann man große Befürchtungen hegen, daß sich dem nächsten Postgeneralstreik der Bahngeneralstrcik anschließt. Tenn je mehr die Verhandlungen des Bahnkvngresses sortschreiten, je mehr sieht man die Tendenz, mit einem Ausstand einmal eine Kraftprobe zu geben. Für die Negierung muß es nun eine Hauptaufgabe werden, dem Bahnstrcik möglichst zu verzögern: denn wenn er gleichzeitig mit dem Postansstand ansbrechen sollte, wäre das gleichbedeutend mit der Re volution. Schmeichelt sie sich, auch diesmal die „paststrs" klein zu bekommen, so wäre sie dem vereinten Widerstand der Post- und Bahn angestellten nicht gewachsen. Trotz seiner Influenza rüstet sich Herr Clemenceau für den Postausstand: Er hat sämtliche Brieftauben aus der Provinz nach Paris und die Pariser Tauben nach der Provinz zur Verfügung des Kriegsministers expedieren lassen. Die Einrich tungen drahtloser Telegraphie stehen allerorts bereit: aber damit wird doch nur ein verschwindend geringer Teil des telegraphischen Dienstes ersetzt werden können, kaum der offizielle. Den Briesverkehr aber will Herr Clemenceau durch die privaten kaufmännischen Organisationen er setzen: die Handelskammer soll sofort durch freiwillig gesandte An- gestellte ihrer Mitglieder den provisorischen Postdienst organisieren, der in allen größeren Städten des Landes Filialen haben wird. Damit würden die kaufmännischen Interessen einigermaßen geschützt werden: aber das große Publikum wird keinen Anteil daran haben, da die Post ämter der Handelskammer ausschließlich den syndizierten Kaufleuten zur Verfügung stehen sollen. Tas große Publikum ist es jedoch, das Herrn Clemenceau am ungemütlichsten werden kann! Aus -en Vrsinarck. Erinnerungen von Mittnncht. Der unlängst verstorbene ehemalige württembergifche Minister präsident Freiherrr von Mittnachl hat als Mitglied des Zollparla ments, als Bevollmächtigter bei den Versailler Unterhandlungen, und endlich, länger als ein Menschenalter hindurch, als Mitglied des Bun desrates viel mit Bismarck verkehrt und zu dem ersten Reichskanzler, den er auch in den Jahren der Ungnade Bismarcks nicht aufgegeben hat, sehr freundschaftliche Beziehungen mit ihm unterhalten. Mittnacht hat Bismarck auch als Privatmann, bald in Varzin. bald in Kissingen und Gastein, häufig besucht und sich bei diesen Anlässen Aufzeichnungen gemacht, die vor einigen Jabren als „Erinnerungen an Bismarck" bei Cotta erschienen sind. Cyarakteristi'ch für das Freundschaftsver hältnis der beiden Diplomaten ist ein Brief des ehemaligen Reichs kanzlers aus dem Jahre 1895, in dem er Mittnacht gegenüber seiner Freude darüber Ausdruck gibt, daß ihre persönliche Freundschaft „un abhängig von dem politischen Spalier" in alter Herzlichkeit fortbestehr. „Ich lebe körperlich gesunder," heißt eS weiter in diesem Jricdrichs- ruher Briese, „als ich zu sein das Bedürfnis habe, nachdem mit dem Tode meiner Frau für mich die Zwecklosigkeit weiteren Lebens voll ständig geworden ist." Zum Landwirt bin ich körperlich nicht mehr rüstig genug, und Politik kann ich nicht treiben, ohne schädlich oder unehrlich einzugreifen. Ich sehe vor mir das mir bisher fremde Ge spenst der Langeweile; ich würde in der Stadt wohnen, Theater und Kasino besuchen, wenn mich Haß und Liebe dabei unbehelligt ließen. Sic appellieren au meinen „Mannesmut", geehrter Freund: zu dessen Betätigung fehlt mir der Gegner und der heut mögliche Kampfplatz: ich muß das, was mir davon bleibt, in mir verzehren." Diese Zeilen sind gerade ein Jahr nach der Wiederaussöhnung Bismarcks mit dem Deutschen Kaiser, uni die sich Mittnacht selbst erfolgreich bemühte, niedergcschrieben- Ein interessanter Passus aus den Memoiren Mitt nachts, eine Schilderung seines Besuches in Kissingen im Herbst 1898. zeigt, wie gereizt eben damals die Stimmung des Kanzlers gewesen ist. Er beschwerte sich bitter darüber, daß er das Jahr zuvor bei seinem Wiener Besuch, trotz korrekter Anmeldung, vom dortigen Hofe nicht empfangen worden sei. Er erzählte Mittnacht ferner, daß er ursprüng lich nach der Unterzeichnung der bekannten Erlasse durch Caprivi s189M die Absicht gehabt habe, seinen Nachfolger im Amte zu fordern. Schließ lich aber habe er davon Abstand genommen. Jedenfalls halte er cö nicht mehr für nötig, auf Caprivi irgendwelche Rücksicht zu nehmen. Ter neue Kanzler sei in Europa unbekannt und besitze nicht das nötige Vertrauen der Mächte. Seine Polenpolitik sei ganz dazu angetan, uns in den Augen Rußlands aufs schwerste zu schädigen. Vor allem unterhalte er nicht die gebotene Fühlung mit den, preußischen Staats ministerium. Wie eifrig Bismarck auch jetzt noch dir politischen Vor gänge verfolgte, beweist seine Bemerkung, daß in der inneren Politik ein „tüchtiger Ruck nach links" eingetreten sei. Schließlich ließ er in seiner Unterredung hindurchfchimmern, daß seine Aussöhnung mit dem Kaiser sich ohne Schwierigkeiten bewerkstelligen ließe. Würde man es ihn amtlich wissen lassen, daß Wilhelm II. in seiner Nähe weile, so würde er eS für seine Pflicht halten, sich bei ihm zu melden. Das Finale. (Bon unserem Konstantinopeler X.-Korrespond enten.) Konstantinopel, 5. Mai. Ich bin seit Jahren mst Schlaflosigkeit geplagt, aber wenn e» mir einmal ver önnt ist, Scblai zu finden, so nimmt er M'ch auch fest ge fangen. So war es in ter Nacht von vorgestern auf gestern. Ein tieier Schlaf halte sich meiner bemächtigt. Da träumte ich, daß eine Gewehr salve abgegeben würde und die Kugeln in mein Bett schlügen. Dabei aber batte :ch sogleich die Vorstellung, daß dies ein Traum und er wohl eine Nachwirkung der letzten KampfeStage fei. Mit dieser Vor stellung entwich mir aber auch der Schlaf nnd das Merlwiirdige war, daß ich doch noch immer Schüsse horte. Dies ermunterte mich völlig und mit einem Satze war ick. anS dein Bett. Richtig, da hinter kem türkischen Friedhose nach der Marinetäserne zu ist trotz der noch herrschen» ren Dunkelheit — es war 4 Uhr morgens— ein Feuergefecht im Gange nnd vie Wachmannschaften auf rem Friedhöfe spnngen in langen Sätzen dcin Orte des Gefechtes zu. Was sollte das bedeuten? Sollten vie Marinesoldaten, die am Tage der Einnahme Konstantinopels durch die Saloniker Truppen keinen Widerstand geleistet, sich vielmehr dem Frei- heitSbeere ohne weiteres ergeben batten, jetzt nachträglich, nachdem schon seit 8 Tagen Konstantinopel in den Händen des 2. und 3. Armeekorps war, die Gardetruppen besiegt und gefangen waren, Sultan Abdul Hamid abgesetzt und dessen Brncer Mohamed Reschab zum Sultan aus» aerusen worden war, den aussichtslosen Versuch mache», nochmals die Waffen gegen die Sieger zu erbeben? Aber nur wenige Minuten dauert noch das Schießen, dann ist alles rubig. Zugleich aber «ehe ich in der beginnenden Dämmerung lange Kolonnen der Saloniker, Infanterie und Kavallerie, heranrücken, und die hinter dem Pera-Palast-Hotel und der amerikanischen Gesandtschaft auSlaufcndcn Höhen des Friedhofes werden mit Schnellfeuergeschützen besetzt. WaS war geschehen? Die Marinesoldaten, unzufrieden mit der Ernennung Riza Paschas zum Marineminister, batten am Abend zuvor mmultiert und die Absicht ausgesprochen, zu den Waffen zu greifen, wenn ihr Wunsch nach einem anderen Marineminister nicht erfüllt werde. Dies batte der Oberkommandiercnde der Besatzungstruppe erfahren und beschlossen, daS Prävenire zu spielen. Ec ließ in der Nacht die Truppen alarmieren und von denselben die Marinekaiernen umzingeln. Bei dem Vorrücken gegen das Spital und den Hof der Kaserne kam eS dann zu dem erwähnten kurzen Feuergefecht. Ncch im Morgengrauen sah man. wie lowohl auf dem Spitale, als auch auf dem hohen Turme der Marinekaserne die weiße Fahne gehißt wurde. Der Oberkommandierende Mahmud Schewlet Pascha, Weicker selbst zur Stelle war, schickte einen Adjutanten zu den Marinesoldaten mit dem Befehl, ohne Waffen in den Hof zu kommen. DaS geschah dann auch. Erst einzeln, dann in ganzen Trupps erschienen die Unbesonnenen und wurden sosort von den Soldaten des BesatzungSheereS in Empfang genommen. Jeder einzelne von ihnen wurde sorgfältig unteriucht und alle dann in langen Reihen ausgestellt, worauf sie nach und nach, umgeben von Detachements mit schußbereiten Gewehren, als Gefangene in die Stambuler Kasernen abgesührt wurden. Gegen 10 Uhr war da» Schauspiel zu Ende und Mabmud Sckewket Pascha, der von dem zahlreich herbeigeeilten Publikum lebhaft akklamiert wurde, ließ seine Truppen wieder abrücken. Ein strenges Strafgericht soll die Betörten erwarten. Mit welcher mittelalterlichen Strenge seitens des Kriegsgerichtes verfahren wird, davon war heute Konstantinopel Zeuge. Es wurden die ersten 13 Todesurteile in aller Oeffentlichkert vollzogen. Die Stunde der Hinrichtung war 8 Ubr morgens, aber doch schon viel Publikum auf den Beinen. Man hätte aber nicht eilen müssen, denn man ließ die Gerichteten bis nachmittag- L,3 Uhr vor der breitesten Oeffentlichkeit zum abschreckenden Beispiel an ihren Galgen hängen. Am Ende der Galatabrücke auf der Stambuler Seite waren aus je drei hochgestellten und an ihren öderen Enden zvsammenstoßcndcn Balken drei Galgen errichtet. Um einen Krahn, der von der Mitte eine» jeden Galgens herabhing, ging ein Strick, an dem man den Ver urteilten in die Höhe gezogen batte. Es waren drei Korporale, die hier ihr Vergehen mit dem Tove büßten, sie waren überführt, einen Offizier gelötet zu haben. Bor dem ParlamentSgebäude neben der Sophienkirchc dingen in gleicher Weise fünf Tote, eia Major, ein Adjutant und drei Serganten; ihnen fiel, außer Aufwiegelung die Ermordung des Justiz ministers Nazim Pascha zur Last. Auf dem freien Platze vor dem Seraskierat, neben der Bayazid-Moschee, waren ebenfalls fünf Ver- urteilte gehängt, sämtlich Seraanken bezw. Korporale. Alle Verurteilten gehörten, mit Ausnahme de» Major» Uussaf Effendi, dem 4. Bataillon der Saloniker Jäger an, welche» am 13. Avril da» Signal zur Erhebung gegeben batte und da» dadurch in ganz besonderem Maße die Rache de- FreiheitSheere» herau-gefordert bat. Die Leichname trugen sämtlich einen neuen langen Leineakittel, auf der Brust einen großen Zettel, der ihr Vergehe» augab, sowie auf dem
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite