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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 06.06.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-06-06
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-190906062
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19090606
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19090606
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1909
- Monat1909-06
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Ztg." begründet, offenbar von maßgebender Stelle inspiriert, die ablehnende Haltung der Regierung gegen die konservativen Anträge aus Einführung einer Kotie- rongs-, Mühlenumsatz- nnd Kohlenausfuhr st encr. sS. d. bes. Art.) " Zn der für den 12. Juni anbcraumten Abwcbrvcrsamm- sung gegen die konservativ-klerikalen Stencranträgc sind allein ans Dresden MM Karten bestellt worden. sS. d. bes. Art.) * Der Ausschuß des Deutschen H a u d c l S t a g e s sprach sich wiederholt gegen die Einführung von Schiffahrtsabgabcn aus. sS. d. bes. Art.) * Die diesjährige Hauptversammlung des Flottenvcr - eins, die am Sonnabend in Kiel abgehalten wurde, nahm einen glatten Verlauf. Als t'rl der nächstjährigen Tagung wurde Berlin be stimmt. IS- d. bes. Arl.s * Wie aus Paris verlautet, schlicht das französische BUogct für 19)0 mit einem Defizit von 100 Millionen ab. * Präsident Falliörcs teilte soeben im französischen Ministerra 1 e mit, der Kaiser von Rußland werde den Be such, den er ihm im letzten Jahre in Reval gemacht Hobe, erwidern und am 3l. Juli in Cherbourg cintrefsen. um zwei Tage daselbst zu ver weilen. Am 2. August reise der Kaiser nach Cowes, wo er mit dcm König von England zusammcntrcffe. 'In a l b a n c s i s ch e n K r e i s c n ist eine weitverzweigte Ver schwörung gegen das j u n g t ü r k i s ch e Regime anigedeckt wor den. lS. Ausl.) * Die venezuelifche Regierung bat auf Antrag Castro die geplante Rückkehr des Erpräsidenten nach Venezuela gestattet. * Tie Ernennung Geheimrat TschudiS zum Tircklor der Bayrischen Staatsgalerien wird soeben amtlich bekannt- ' gegeben. sS. Feinst.) * In Weimar sand die Generalversammlung der Goethe-Gesellschaft statt. Professor Treu sTresden) sprach in 'charspointierter Rede über „Hellenische Stimmung in der Bildnerei von einst und jetzt". sS. d. bes. Bericht.) Die Lhancerr -es Kanzlers. AnS Berlin, 5. Juni, wird uns geschrieben: Bernhard Fürst von Bülow ist wieder obenauf. Gestern durch die Brust geschossen — heute hoch aus stolzen Rosten .... Aber nein. Die ..Norddeutsche" hat uns doch versichert, daß der Herr Reichskanzler nie einen Finger breit vom Pfade der politischen Tugend abgewichen ist, daß er eigentlich nnd von Rechts wegen nicht die geringste Ursache hätte, schon wieder einmal seine „bekannte" Stellung zur Frage der Reichsfinanz- resorm zu präzisieren. Wer aber wollte nicht glauben, was in der Leitung, und nun gar in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" lieht? Wir sind also einfach verpflichtet, anznnchmen, daß irgend je mandem die Stellung des Fürsten Bülow, und zwar eine konstante, auf- rechte Stellung, stets bekannt gewesen ist. Wer dieser bestinformiertc Rann der Welt ist, wird leider nicht verraten. Der Kanzler selbst lonn es nicht sein, nnd in seiner näheren Umgebung kann sich der Ge hickste auch nicht aufhalten; denn von da her kamen in den letzten Wochen <kr widersprechende Mitteilungen. Bald hieb es, Fürst Bülow wollte ist im Plenum „eingreifen", dann hielt er wieder viele Besprechungen mit Parlamentariern ab: bald lautete die Parole: die Linke ist an allem Unheil schuld: dann plötzlich: nichts ohne die Liberalen. Laut kündigte cr vor sechs Wochen das schleunige Erscheinen der Ersatzstenern au: aber sie kamen nicht. Vor acht Togen noch schrieben seine Getreuesten: er ist gebrochen, schwankt, fällt nnd nimmt unbesehen jede Finanzreform von jeder Mehrheit an — schon jubelten Junker und Jesuiten —, da, plötzlich ein Paukcnschlag: der Herr Reichskanzler wird sich keine Steuer vnsdrängen lasten, die Handel und Industrie gefährdet! Was war passiert? Man könnte denken, daß der Exodus der linken aus der Finanzkommission den Anstoß zu diesem Nm- 'chwung gegeben hätte. Denn unzweifelhaft hat in zwei früheren ollen lnach der Blockkündigung durch Herrn von Normann i nd nach der Präsidcntenkrise in der Kommission) der Lärm ber liberalen Leute dem Fürsten Bülow einen Stoß nach links gegeben. Wenn er auch die liberalen Politiker schwerlich sehr steot, so kümmert ihn doch stark das Urteil der gebildeten Welt und der tzresse, die nun einmal beide erheblich liberal verseucht sind. Bülow ist ein von jedem Vorurteil freier Skeptiker, kühl bis ans Herz hinan: es mag ihm lieb sein, manchen Leuten als liberal zu erscheinen sLeuten, h)e von der Jllusionslosigkeit vieler konservativer Granden nichts misten): aber liberal zu regieren, war sicher nie seine Absicht. Drum üel er auch bei kräftigem Gegenstoß noch immer nach rechts hinüber. Die Geschichten, die man von einem drohenden liberalen Regime er- ählt und auf dem Lande schon agitatorisch ausnntzt, sind Märchen, er finden, um konservative Wahlkinder zu schrecken und vorm Verirren im freien Fel.de zu bewahren. Wer kann überhaupt bei unserer Wahl- krciseinteilnng liberal regieren? Die Gefahr >var nie so groß und braucht auch jetzt, nach dem „Riesenaufschwung" des Kanzlers, den schlaf der Konservativen nicht zu beunruhigen. Aber dieser Auf- nnd Umschwung ist immerhin auffällig genug. Früher konnte man, wenn die - 'siziöscn abwechselnd mit Zuckerbrot und Peitsche arbeiteten, wohl mit Recht sagen: das sind taktische Kniffe: konnte man glauben, dahinter sicht ein Stratege, der sein Ziel kennt. Allerlei gar zu seltsame Sprünge erklärten sich wirklich aus dem Ungeschick der Bülowschen noppen, die einen von ihm angegebenen Flötenton immer gleich für die Rcsgune transponierten. Schade, daß er nicht selbst sein eigener Preß cezernent und Unterstaatssekretär sein kann. . . . Diesmal aber war nach dem Urteil aller Eingeweihten ein plötzlicher Stimmungsumschlag vom Gewährenlassen zum „Aufmucken" unverkennbar. Sollte die Ar- beitseinstellung der Liberalen der alleinige Grund gewesen sein? Schwerlich. Man denkt bei allen diesen Dingen immer noch viel zu sachlich und hat deshalb wahrscheinlich dem Bülow-Besuch zweier Männer aus der Finanz- nnd der Handelswelt: des Herrn Witting und des Herrn Vallin aus Hamburg, zu wenig Bedeutung beigclegt. Man erzählt sich, Herr Ballin habe gedroht, zum Kaiser zu gehen und ihn zum Schutz der bedrohten Interessen von Handel und Industrie auf- zurufen, falls der Herr Reichskanzler nicht selbst gegen die blindwütige Attacke der Agarier Front mache. Ten Gesetzen der Psychologie würde eine solche Deutung des tanzlerischcn Stimmungswechsels nicht wider- sprechen: denn Fürst Bülow hat noch in der jüngsten Zeit viel, mit Rührung und Wohl nicht ohne Absicht, von der Freundschaft des Kaisers zählt. lUebriqcns zur gefälligen Notiz: Wir würden eine solche Taktik, eine Illustration zu den Vcrfassnngskämpfcn des verflossenen Herbstes, nicht schätzen. — Red.) Nunmehro hat der Herr Reichskanzler seine Abneigung gegen die Beschäftigung mit Einzelheiten dieser vertrackten Materie so weit über wunden, daß er dieser Tage durch alle ihm zu Gebote stehenden Sprach rohre verkünden ließ: Fürst Bülow lehnt die Kotierurrgssteuer, den Kvblcuansfubrzoll und die Mühlcnumsatzsteucr unbedingt ab. Wenn man nicht schon wüßte, daß er „kein Konsegucnzcnmacher" ist, könnte man sich vielleicht darüber aufhalten, daß diese konkrete Stellungnahme iu einem gewissen Widerspruch zu der „Norddeutschen" vom 30. Mai steht, wo es doch hieß, der Herr Reichskanzler erachte es erst für nötig, im Reichstagsplenum seine Ansicht auszusprechen. Vielleicht errät der jenige den Grund zu diesen! Umcntschluß am leichtesten, der sich erinnert, daß zur gleichen Zeit mit dieser Willenskundgebung des Kanzlers die Notiz in den Blättern erschien: Die Finanzunnister werden sich am Dienstag in Berlin versammeln. Es hat nämlich schlechte Lente gegeben, die behaupteten, der Fürst sei zum Umfallen bereit, aber die Bundes ratsmitglieder würden ihn mit Gewalt in der Senkrechten halten. Nm solche losen Schnäbel zu stopfen, mag er es für angebracht gehalten haben, das Prävcnire zu spielen. Und welche Chancen hat jetzt ein fester Kanzler? Tic konservativen Führer sind wohl die kältesten, härtesten Politiker, die wir haben. Sie lachen, wenn „die Regierung" etwas von ihnen „fordert", sie lachen, wenn jemand von ihnen Rücksicht auf die Person eines Ministers Der-' langt. Das ist ja ein Mann aus ihren eigenen Reihen, ein Mann, den sie „in Unterhosen" kennen, ein Beamter! Die konservative Wähler schaft aber ist im Autoritätsglauben erzogen, ihr gilt die Negierung als höhere Macht, der Herr Reichskanzler als Halbgott. Diese Er ziehung ist natürlich im konservativen Interesse geschehen, da wir ja konservativ regiert werden, aber im Konfliktsfall kann sie doch den kon servativen Führern sehr lästig werden. Sie haben's schon zu Bismarks Zeiten schaudernd erlebt. Wenn daher jetzt ruhig und bestimmt erklärt wird: die verbündeten Regierungen lehnen diese Beschlüsse ab und for dern jene, nnd der Fürst v. Bülow sicht und fällt mit seinem Programm — dann wird das auf die konservativen Führer zwar einen sehr geringen, auf die Wähler aber einen starken Eindruck machen. Erheblich unter stützt wird die Negierung noch dadurch, daß sie mit Recht sagen kann: sowohl die Konservativen wie das Zentrum sind nie in der Erbschafts steuerfrage einig gewesen; wenn sie jetzt so tun, so ist das eben reine Trotz- und Machtpolitik. Fragen könnte man vielleicht, ob Fürst Bülow in einem Wahlkampf die Unterstützung der Verwaltungsbeamten gegen die Agrarkonservativen fände. Wenn man den Gegensatz zwischen den „guten alten" Konservativen und den Agrariern von vornherein gut herausarbcitct, dann glauben wir: ja. Man täusche sich nicht über das Maß der Beliebtheit, dessen sich die Agrarier unter den Beamten, auch den höheren, erfreuen. Sie sind strenge, rücksichtslose Gebieter, unter deren Joch sich die Beamten zwar beugen, weil sie müssen; aber die Ge duckten knirschen mit den Zähnen. Wer einmal im preußischen Land wirtschaftsministerium das Wort „Bund der Landwirte" ausgesprochen hat, ist noch stets erschrocken über die Wut, die ans den Augen der Herren blitzte. Und draußen im Lande ist'S an vielen Stellen nicht anders. Daraufhin könnte.Fürst Bülow ruhig cm Tänzchen mit den Bündlern riskieren. Es muß ja doch einmal der Kampf gegen den in der Herrschaft der Agrarkonservativen verkörperten Rest des Mittelalters ausgenommen werden. Wagt ihn Fürst Bülow und bleibt er — siegend oder besiegt — bis Mm letzten Ende tapfer, dann wird ihn das deutsche Volk von seinen Sünden lossprechen können. Fällt er aber nochmals nm, jo . . . Doch das kann sich jeder selbst ergänzen. Lassalle als Monarchist. Tr. Bernhard Harms, Professor der Staatswisienschasten an der Universität Kiel, hat soeben ein Merkchen über „Ferdinand Lassalle und seine Bedeutung für die deutsche Sozialdemokratie" sVerlag von Gustav Fischer in Jena) geschrieben. Diese aktuelle Bedeutung Lassalles sieht Harms darin, daß nach seiner Ueberzengnng die Entwickelung der deut schen Sozialdemokratie nicht an Karl Marx, sondern an Lassalle an knüpfen wird. In diesem Zusammenhänge erkennt man leicht die tiefere Bedeutung des interessanten Abschnittes „Lassalle und die Monarchie": „Endlich Lassalles Stellung zur Monarchie. Auch darüber hat sich Bismarck gelegentlich geäußert: „Lassalle war einer der geistreichsten und liebenswürdigsten Menschen, mit denen ich je verkehrt habe, ein Mann, der ehrgeizig im großen L>til war, durchaus nicht Republikaner; er hatte eine sehr ausgeprägte nationale Gesinnung, seine Idee, der er zustrebtc, war das deutsche Kaisertum, und darin hatten wir einen Berührungs punkt." Daraus geht eines mit Sicherheit hervor, daß Lassalle sich Bismarck gegenüber nicht als Republikaner gegeben bat. Zweifellos setzte er sich dadurch mit zahlreichen Aeußernngen in seinen früheren Reden, Schriften und Briefen in Widerspruch, denn aus diesen läßt sich mit Leichtigkeit der rabiateste Republikaner konstrnieren. Freilich finden sich auch schon früher Anklänge, die auf das Gegenteil hindcuten. Für uns kann nun aber ausschließlich entscheidend sein, ob Lassalle nach jener Wendung im politischen Auftreten die monarchische Gesinnung ge heuchelt hat oder nicht. Zarter ausgedrückt: ob sie für ihn ein bloßes „taktisches" Mittel war, wie die sozialdemokratische Geschichtschreibung es hinzustellen beliebt, oder ob wir es hier mit einer nen gewonnenen Ueberzeuguna zu tun haben. Die Umstände sprechen für aas Letztere. Lassalle ist im Hinblick auf seine Stellung zur Monarchie immer inneren Konflikten aufgesetzt ge wesen. Tic Ereignisse von !-:)3 und l-00, die Realtionspcriove, der Vcrfassungskonslikt nnd nicht zum mindesten sein ständiger Verkehr mit dem radikalsten Flügel der Demokratie — gerade dies muß gebührend beachtet werden — stempelten ihn gefühlsmäßig zum Republikaner. Sein aufbrausender Widerspruchsgeist, von dem er lich zuzeiten blind leiten ließ, das stark ausgeprägte Gerechtigkeitsgefühl sahen in dem Ans- treten Friedrich Wilhelms IV. nichts als absolutistische Willkür mit den, Ziel, das Volk seiner Rechte zu berauben. Er hatte außerdem aus der französischen Geschichte gelernt, wie verderblich das degenerierte König tum dem Staatslebeu geworden. Pvlitische Freiheit::! dünkten ibn un vereinbar mit den despotischen Gelüsten des „Königtums von Gottes gnaden". Anderseits trieb Lassalle einen wahren Staatskultns: nicht blvß allgemein, sondern immer in Beziehung auf Preußen-Deutschlano. Ein geeintes Deutsches Reich war von jeher das Ziel seiner Hoffnungen. Bekannt ist die Wendung von ihm: Wenn schon nur eines zn haben sei: Einheit oder Freiheit, so plädiere er für die Einheit. Für eine machtvoll geleitete äußere Politik hat Lassalle immer das größte Verständnis nnd die ausgesprochenste Sympathie yebabt. Damit ist nun freilich für die Verfassung des von ihm erstreb ten geeinigten Reiches noch nichts gesagt. Die größte Zeit seines Lebens hindurch hat ihm aber als das Ideal zweifellos die Republik vorgc schwebt — wie so manchem andern in jener Zeit auch. Selbst Bismarck hatte nach seinen eigenen Worten ja einmal oie Neberzeugung, daß „die Republik die vernünftigste Staatskorm" sei, und anch er hat nacbqedackn „über die Ursachen, welche Millionen Menschen bestimmen könnten, Einem dauernd zu gehorchen". Bei Bismarck mit seinem ausgepräa tcu, angeborenen Autoritätsgefühl konnten solche Stimmungen nicbi lange anhaltcn. Lassalle hingegen trug sich mit ihnen herum, bis di' Tatsachen ibn lehrten, daß die Republik an sich noch keineswegs de i von ihm erstrebten idealen Staat gewährleistete. Zeine Erfahrungen mit der Fortschrittspartei mochten ihm gezeigt haben, weisen da? „Voll" gewärtig sein mußte, wenn die Bourgeoisrepublik Wirklichkeit Werve. Je mehr ihm klar wurde, daß die neuere industrielk-kavitalistffcbe Eni Wicklung zur Geldaristokratie führe, um so wünschenswerter mußte e- ihm sein, daß an der Spitze des Staates eine Macht stehe, die unabhängig die Interessen des ganzen Volkes wahrnehme. Lassalle hatte ein sehr feines Gefühl dafür, daß die Arbeiter in ihrem Emanzipationskamyse leichter die Könige denn die Bourgeoisie zu gewinnen vermöchten. Nur so ist eine Wendung zu verstehen, die er in den letzten Monaten seines Lebens in Freundeskreisen tat: „Das aber Freunde versprecht mir, wenn cs zu einem Kampfe kommen sollte zwilchen dem Königtum von Gottes Gnaden auf der einen und dieser elenden BouiIzcoisic auf der andern Seite, dann schwört mir, daß ihr auf feiten des Königtums sieben werdet gegen die Bourgeoisie." Ter Monarchie ist es möglich, unbekümmert um wirtschaftliche Interessen den sozialen Forderungen des Proletariats nachzukommen — der Bourgeoisie niemals. Sei dem wie immer. EtNw? anderes bat wobl noch stärker ans Lassalle eingewirkt. Seitdem er als praktischer Politiker klaren Ver standes die im Staate wirksamen und auf absetzbare Zeit herrschenden Machtfaktoren richtig eingeschäht hatte, kommt ihm die lleberzengnug, daß mit der Monarchie gerechnet werden mußte. Sie war als ein ge- schichtlich überkommener Faktor nun einmal vorhanden und zu alledem in einer Kraftfülle, gegen die anznreunen, Wahnsinn gewesen wäre: di? zeigte deutlich der Versassungsiouflikt. Ein Politiker, der Gegenwart'- arbeit leisten wollte, mußte sich mit der Monarchie abfinden, wenn anders er nicht Sisyphusarbeit leisten wollte. Was lag nun näher ffir Lassalle, als in der Tat den Versuch zu machen, daS Königtum auf die Seite der Arbeiter zu bringen. Die Monarchie als Förderer der Eman zipation des vierten Standes: das soziale Königtum in Preußen-Deutsch land! Unter dieser Voraussetzung konnte Lassalle sich anch innerlich mir der Monarchie abfinden, ja für sie die Lanze führen. Und an diese Mög- lichkeit glaubte Lassalle — so nur ist zn verstehen, was er im letzten Jahre seines LebenS gesagt und getan. Kein „Royalismns", der seinem ganzen Wesen fremd war. Aber auch kein „Listen mit der Idee" und erst recht kein „'Verrat an der eigenen Neberzeugung", sondern kühl abwäacnde Zweckmäßigkcitspolitik. Ter großzügige Realpolitiker, der zu rechnen weiß mit dem „lvas ist", tritt hier vor unser Auge. So im Anfang. Dann aber, als die Idee ibn gefangen, nimmt er sie auf, lebt in die neue Gedankenwelt sich ein, be geistert sich an ihr nnd kündet sie der Menge, die nnn vorwitzig meint sie höre ein Klingen von abgespielten Saiten. Und doch war'? ein neues Lied, ein nenes Lied vom Königtum! Zur? NeichsfinLrirzr*efoLUÄ. Die Abwehrversammlnng. An der für den 12. Juni d. I. geplanten Abwcbrknndgebung der deutschen Industrie- nnd Handelskreisc wird sich diesmal die d c u i i cb e Industrie voraussichtlich in völliger Einigkeit beteiligen. Nachdem oie Vorsitzenden des Bundes der Industriellen, des Verbände - Sächsischer Industrieller und des Verbandes Süddeutscher Industrieller in das Präsidium der zu veranstaltenden Kundgebungen eingetretcn sind, ist zu erwarten, daß auch die Mitglieder dieser Verbände, sowie die übrigen tonangebenden Landes- und Branchcnverbände der deutschen Industrie die Versammlung beschicken werden, für die bereits so zahl- reiche Anmeldungen vorliegen, daß die Frage erwogen wird, ob die in Aussicht genommenen Versammlungsräumlichkeitcn ausreichcn werden. Der Verband Sächsischer Industrieller hat seinerseits seine sämtlichen 4500 Mitglieder aufgefordert, sich an der Versammlung zu beteiligen, und es dürfte infolgedessen ein starker Besuch ans Sachsen zu gewärtigen sein. Daß der Zentralverband Deutscher Industrieller in dieser Frage gemeinsam mit dem Zentralvcrein für das Bank- nnd Bankicracwerbe die Initiative in der zu erlassenden Einladung ergriffen hat, ist auch volitisch nicht uninteressant. Aus der ganzen Form der Einladung gebt hervor, daß cs sich um eine mächtige Kundgebung der deutschen Industrie gegenüber dem übermächtig gewordenen Agrariertnm und der ihm Schleppdienste leistenden konservativen Reichstagssraktion bandelt. Ge rade die maßgebenden Kreise des Zentralverbandes batten sich vor Jahresfrist bemüht, die deutsche Industrie dem Liberalismus zu entfrem- den und für politisch-konservative Gedankengänge empfänglich zu machen. Tic jetzige Kundgebung des Zcntralverbandes zeigt am besten, daß seine Leiter cinseben, sich ans falschem Wege befunden zu haben. Zn Ansprachen in der Abwehrvcrsammlnng haben sich von her. vorraaenden Vertretern der deutschen Industrie- und Handelswclt jetzt auch Geh. Kommerzienrat Emil Jacob-Berlin, Vorsitzender des Ver eins Berliner Kaufleute nnd Industrieller, und Gch^ Kommerzienrat V o g c l - Niemnitz, Vorsitzender des Verbandes der Tertilindnstrielleu in Chemnitz, bereit erklärt. Wie wir weiter hören, bat sich auch der V e r e i n f ü r d i e I n t e r- essen der Fondsbörse zu Berlin der 'Ilbwehrbewegung gegen die konservativ-klerikalen Steuervorschläge anaescblosscn und sich zum Bei tritt z» der vom Zcntralverband des deutschen Bank- und Bankice- ciewerdeS und vom Zentralverband Teutscher Industrieller anaestrebtcn Interessengemeinschaft der deutschen Industrie- nnd Handelsverbände bereit erklärt. Bekanntlich vertritt der genannte Verein vorwiegend die Interessen der mittleren und kleineren Berliner Bankgeschäfte. Man siebt bierans, waS von der in agrarischen Blättern verbreiteten Legende, daß die genannten Kreise mit der lex Richtbofen ganz einverstanden seien, zu halten ist. Die Negierung nnd die Antrnge der fönservntiv-kleriknlen tKrnvpe. Endlich bat die Regierung ein« klare?, deutliche? Wort gesprochen, daS freilich der blaujcsiwarze Block seh, ungern vernekmen miro, oa> aber in allen vorurteilslosen Kreisen der Nation starke Besrieoignng anslösen wird. Die „Nvrbd. Allg. Ztg." beschäftigt sich in ihrem Wochen-
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