Suche löschen...
Sächsische Radfahrer-Zeitung : 11.05.1901
- Erscheinungsdatum
- 1901-05-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Universitätsbibliothek Leipzig
- Digitalisat
- Universitätsbibliothek Leipzig
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1683809971-190105112
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1683809971-19010511
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1683809971-19010511
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungSächsische Radfahrer-Zeitung
- Jahr1901
- Monat1901-05
- Tag1901-05-11
- Monat1901-05
- Jahr1901
- Titel
- Sächsische Radfahrer-Zeitung : 11.05.1901
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
der mit einem Worte auf Stunden hinaus sich seiner freien Verfügung über Raum und Zeit entäussern muss. Was Echegary ausfühit, das hat die gelehrte National-Oekonomie bekanntlich als »Integration« be zeichnet, deren grosse Vorzüge und deren unleugbare Nachteile auf der Hand liegen. Die Gebrauchsver einigung einer grossen Menschenmenge zeitigt zweifel los für den einzelnen einen Verzicht auf einen ge wissen Bruchteil der persönlichen Freiheit; die schafft aber auch wieder Annehmlichkeiten, die auf andere Weise keinesfalls zu erreichen wären. Roscher ver weist in seiner National-Oekonomie auf das Beispiel der grossen hauptstädtischen Restaurants, die in ihren Speisekarten eine Mannigfaltigkeit von culinarischen Genüssen darbieten, wie sie die Küche des reichsten Herrschers niemals auf weisen kann. Es wäre ohne das Zusammenströmen von vielen Hunderten Men schen, die gemeinsam in einem Raume speisen, un möglich, jederzeit vielleicht 200 verschiedene Gerichte vorführen zu können, so dass der Neigung des Ein zelnen in dem weitesten Raume Rechnung getragen wird. Die Küche eines gutsituierten Privatmannes kann vielleicht 20 oder 30 verschiedene Speisen dar bieten, eine Schlossküche mag diese Zahl auf 50 oder 60 Gerichte steigern können. Die Garküche eines Pariser Rastaurants ä la Duval ist ihnen, was die Zahl der Darbietungen anbelangt, weit überlegen. Naturgemäss erkauft man die Möglichkeit dieser reichen Auswahl mit einem guten Teile Verzichtleistung auf persönliche Annehmlichkeit, man muss nicht selten mit schlechter Luft und öfter mit unangenehmen Tisch nachbarn vorlieb nehmen. Genau das gleiche gilt vom Reisen. Unser gross artiger Personenverkehr ist nur durch die gleichartigen Bedürfnisse einer ganzen Reihe von Menschen zu er klären. Wer sich die Vorzüge der Natur zunutze machen, wer für wenig Geld und mit grösstmöglicher Beschleunigung von einem Orte zum andern fahren will, der muss sich in ein nicht eben gemütliches Wagenabteil mit Menschen zusammensperren lassen, deren Gegenwart ihm vielleicht physisches Unbehagen verursacht. Die Touristik, wie sie der echte deutsche Wandersmann ausübt, gewinnt unter dieser Betrach tung ein ganz besonderes Aussehen. Sie ist ein Pro test gegen die Integration, sie betont energisch die persönliche Willensfreiheit, das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen. Es ist, um ein Wort Goethes zu va- riiren, die Lust des Wanderers: „Nach einem selbstgesteckten Ziel Mit holdem Irren abzuschweifen“. Die Bethätigung des Fusswanderns ist ganz ohne allen Zweifel der grösste Gegensatz zu den von dem spanischen Dichter in den schwärzesten Farben ge zeichneten Nachteilen des gemeinsamen Reisens, und Echegary lässt sich absichtlich nur durch eine vor gefasste Neigung für das Radfahren davon abhalten, der Fusstouristik die ihr gebührende Wärme zuzu erkennen. Die volle Bethätigung der individuellen Freiheit empfindet der Fusstourist aber noch aus einem anderen Grunde: Es ist mit Recht hervorgehoben worden, dass der Wanderer, der sich lediglich auf seine gesunden Füsse verlässt, der einzige ist, der bei seinem Ge niessen nicht die Erinnerung an die schweisstreibende Arbeit anderer Menschen mit sich herumträgt. Wer sich in die Kissen des Schlafwagens zurücklehnt, muss des Dieners des Sleeping-Cars, des Locomotivführers, der Streckenbeamten gedenken; vor ihm steigt das Bild der Bergarbeiter empor, die mühselig die Kohle aus der Erde Schoss hervorholen, die rauch- und russ- geschwärzten Gesichter der Hüttenleute und der Ma schinenfabrikanten, deren Arbeit die Eisenschienen und die eisernen Kolosse, die darüber hinwegdonnern, ihre Entstehung verdanken. Wer auf dem Rade sitzt, der gedenkt der mühseligen und kunstreichen Arbeit der Velo-, und der Kautschukfabrikanten. Der Fuss wanderer ist jederzeit fertig gerüstet, der Reisende ist nichts ohne die Eisenbahnen, der Radfahrer ist ein hilfloses Wesen, wenn sein Rad reparaturbedürftig oder abhanden gekommen ist, und das ist auch der Grund, weshalb ein Mensch im Radfahrerkostüm ohne seiue Maschine stets einen ganz eigenartigen Eindruck macht. Und doch wird man der Radtouristik eine Eigen schaft nachrühmen müssen, die von manchem als ein Vorzug hingenommen wird. Das Bestreben der Mensch heit, Raum und Zeit zu überwinden, ist so tief in das moderne Blut übergegangen, dass es auch auf die Wanderlust Einfluss gewonnen hat. Der Gedanke, mit Hilfe eines guten Rades, bei dem jeder Bestand teil in tadelloser Ordnung ist, binnen einer Stunde Frist in einem hübschen Erholungsgärtchen weilen zu können, hat sehr viel Bestrickendes. Bestrickender aber erscheint uns der Gedanke, mit Hilfe des Rades die zweifellos vorhandenen leeren und öden Passagen der Fusstouristik vermeiden zu können. Wie oft be gegnet es dem Wandersmann, dass er eine 2 Stun den lange staubige Chaussöe vor sich sieht, die ihm keinerlei ästhetischen Genuss zu bieten vermag und die zu »nehmen« zwar das Selbstgefühl des Touristen aflspornen mag, die ihm aber auch für seine Lunge gerade keine Erholung schafft. Ein tüchtiger Radler, der seinen tadellosen Pneumatik an der Maschine hat, bewältigt dieselbe Strecke in 20 Minuten. Mit an deren Worten: Der Fussgänger sonnt sich in dem Hochgefühl, alle Schwierigkeiten und alle Unannehm lichkeiten der Strecke aus eigener Kraft zu überwin den und dafür durch den Genuss der Naturschön heiten belohnt zu werden. Der Radtourist ist ab hängig von seiner Maschine, er muss sich, wenn er nicht unangenehmen Zufällen ausgesetzt sein will, auf die Vertrauenswürdigkeit und Reellität des Fahrrad- und des Pneumatik-Fabrikanten verlassen, und dafür hat er den Vorzug, eklektisch die Landschaft zu ge niessen, an langweiligen und unschönen Stellen rasch vorbei zu kommen und dafür die Stätten der land schaftlichen Reize um so eingehender zu geniessen. Wer die Touristik auch in dem Sinne des Fremden verkehrs auffasst, für den sollte ein Streit zwischen Radtouristik und Fusstouristik nicht bestehen, der eine kann sich für die eine Art, der andere für die andere Art des Wanderns entschliessen, die höhere Einheit, der beide Parteien dienen, sollte sie stets versöhnen. »Der Tourist«.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder