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Sächsische Radfahrer-Zeitung : 17.08.1901
- Erscheinungsdatum
- 1901-08-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Universitätsbibliothek Leipzig
- Digitalisat
- Universitätsbibliothek Leipzig
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1683809971-190108172
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1683809971-19010817
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1683809971-19010817
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- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungSächsische Radfahrer-Zeitung
- Jahr1901
- Monat1901-08
- Tag1901-08-17
- Monat1901-08
- Jahr1901
- Titel
- Sächsische Radfahrer-Zeitung : 17.08.1901
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X. Jahrgang Nr. 17. 238 17. August 1901. zweimal den Canal des Ourcq, eines rechten Zuflusses der Marne und trifft auf die letztere wieder bei der alten Bischofsstadt Meaux. Wenn nicht die Strasse in gerader Richtung von Osten nach Westen liefe, hätte es einem fast ergehen können, wie jenem alten französischen General, von dem man erzählte, die Marne habe ihn so verwirrt gemacht, dass er nicht mehr wusste, ob er vorwärts oder rückwärts marschiere. In Meaux, dem Bischofssitze des berühmten Kanzelredners Bossuet, befindet sich eine prächtige alte gothische Kathedrale, deren südliche Seitenfront an der Strasse man renoviert hat. Einen wahrhaft erhabenen Anblick bietet aber die Westseite, die im Schmuck ihres Alters noch unberührt geblieben ist. Zwar ist das Gestein verwittert und die Schönheit der einzelnen Teile verblasst, aber nur um so stolzer und ehrwürdiger tritt der hochstrebende Bau dem Beschauer entgegen, wie die hohe Gestalt eines Greises, den die Stürme des Lebens hart getroffen, aber nicht ge beugt haben. Bis Meaux war die Landstrasse vortrefflich ge wesen, nun aber wurde das anders. Zunächst folgte bis Claye ein gepflasterter Weg und auf dem Seiten wege konnte man auch nicht bequem fahren. Später wechselten Pflaster und schlechte Chaussee ab. Dazu kam die Hitze, die schon gegen 9 Uhr begonnen und sich immer mehr gesteigert hatte, sodass meine Aus dauer eine harte Probe bestehen musste. Schon dachte ich ernstlich daran, wie man sagt, auszuspannen und die Eisenbahn zu benutzen. Aber das Ehrgefühl des Radfahrers siegte schliesslich über jede andere Rücksicht und so setzte ich radfahrend und prinzipien reitend mit dem Mute des festen Entschlusses meine Reise fort. Allerdings musste ich oft Halt machen und ausruhen. Aber das war durchaus nicht un angenehm und sehr interessant. Denn gegen Mittag entwickelte sich das festtägliche Leben immer mehr. Die Strassen wurden mit Fahnen und Guirlanden ge schmückt und die Wirtshäuser füllten sich mit fröh lichen Menschen. In Tivry redete mich jemand auf deutsch an, als ich eben wieder aufs Rad steigen wollte: »Kommen Sie aus dem Elsass?« »Nein«, ant wortete ich, »noch weiter her« »Ich bin ein Deserteur«, fuhr er fort, »ich darf nicht nach Deutschland zurück kommen oder ich werde bestraft«. »Nun, dann bleiben Sie nur lieber hier«, rief ich ihm zu »Adieu!« und überliess ihn seinem Schicksal mit einem Gefühl des Bedauerns, dass er sich seiner Fahnenflucht gleichsam rühmte und war zugleich erfreut, dass er sich nach seiner Heimat zurückzusehnen schien. Je näher an Paris, desto mehr Leben auf der Strasse. Viele Ausflügler zogen auf das Land hinaus, um den Festtag im Freien zu geniessen. Hier und da hörte man in den Ortschaften Musik und zwar neben der Marseillaise auch die russische National hymne. Die geistige Anregung wirkte auch auf den Körper erfrischend und so fuhr ich denn getrost durch Tantin und die Rue d’Allemagne nach Paris hinein, ohne von der etwas berüchtigten Bevölkerung der Vororte belästigt zu werden. In den Strassen von Paris zu fahren, ist für einen ermüdeten Radfahrer nicht unbedenklich. Aber es ging besser, als ich er wartete. Erst in der Nähe der Bahnhöfe wurde ich durch den zunehmenden Strassen verkehr gezwun gen , abzusteigmi. Auch auf dem Boulevard von Strassburg und Sebastopol konnte ich noch einige Strecken fahren, gab es aber zuletzt ganz auf. Das Rad bescheiden führend, überschritt ich die Seine und erreichte gegen 2 Uhr nachmittags mein Hotel in der Rue des Carmes, wo ich mit Staunen und Verwunderung empfangen wurde. Der Anblick von Paris war mir nicht neu und doch hat mich eine ganz alltägliche Sache überrascht, die mir früher nie so sehr aufgefallen war, nämlich die verpestete Luft in den Hauptstrassen. Wenn man nach langer Radfahrt erhitzt und der Erfrischung be dürftig, plötzlich in diese staubige und stinkende Atmosphäre hineinkommt, ist der Eindruck geradezu entsetzlich. Aber man gewöhnt sich an alles. Als ich nach mehrstündiger Ruhe am Spätnachmittage ausging, war mir der Strassendunst nicht mehr so widerwärtig. Das Behagen, mit welchem ich am Boulevard sitzend den Strom des Pariser Lebens vorüberfluten sah, hatte einen so starken moralischen Grund, dass alles materielle weit dahinter zurücktrat. Die lebhafte Bewegung des Pariser Strassenverkehrs bietet immer eine angenehme Unterhaltung und gewinnt noch mehr an Reiz, wenn man sich dieses Vergnügen gewisser massen durch Arbeit verdient hat, wenn die innere Befriedigung hinzukommt, welche das Gelingen eines grösseren Unternehmens erweckt. Die Freude über das Gelingen meiner Reise wurde noch durch einen besonderen Umstand ge steigert. Wenn nämlich meine Rädfahrt den Zweck gehabt hatte, die französische Landbevölkerung kennen zu lernen, so konnte ich mit meinen Beobachtungen in dieser Hinsicht sehr zufrieden sein. Es ist schon oft gesagt worden, dass man die Franzosen in ihrer Gesamtheit nicht nach den Schilderungen beurteilen soll, wie man sie in französischen Romanen oder Theaterstücken meist findet, und das wurde mir durch eigene Anschauung bestätigt. Soviel ich nach einer allerdings nur flüchtigen Berührung urteilen kann, hat die französische Bevölkerung in der Provinz einen durchaus soliden Charakter: arbeitsam und zuverlässig, mässig und bescheiden, das sind Eigenschaften, die mir überall ins Auge gefallen sind. Nur ganz selten bin ich als Fremder hochgenommen worden, wie man | zu sagen pflegt, während das z. B. in England in einer ganz unverschämten Weise geschieht. Die Höflichkeit der Franzosen ist so bekannt, dass sie kaum besonders erwähnt zu werden braucht. Dennoch hatte ich bei Beginn der Fahrt Bedenken gehabt, ob man einem Deutschen immer mit objektiver Freundlichkeit begegnen, ob nicht das Revanche gefühl sich bemerkbar machen würde. Denn dass ich meist als Deutscher erkannt wurde, ist ganz sicher; nur einige Male wurde ich gefragt: »Aus welchem Lande kommen Sie?« Um so angenehmer ist es mir, sagen zu können, dass mir keine Unfreundlichkeit begegnet ist; abgesehen etwa von einer Wirtin, welche die Bemerkung übel zu nehmen schien, dass ihr Bier nicht gut sei (übrigens ein seltener Fall). In derselben Wirtschaft hingen zwei Bilder an der Wand, die fran zösische Soldaten darstellten, welche an der Grenze von der Bevölkerung begrüsst werden. In einem anderen Wirtshause sah ich eine vom »Petit Journal« gelieferte Wandkarte von Frankreich, auf welcher
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