02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 18.05.1910
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1910-05-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19100518024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1910051802
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1910051802
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1910
- Monat1910-05
- Tag1910-05-18
- Monat1910-05
- Jahr1910
-
-
-
-
-
-
-
-
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezogS-Prei» Mr Litvtia «» d»rch imMr» Lrtarr an» Svrdtleur» 9««I täglich «a« -au« Fracht: 9- H manarl., 9.79 »irriilMdrl. vri unsrr, ffiUaia» ». An» »atzmrftrllrn »bgrlwl«! 7S -4 moaatl^ 9.LL »irttrliährl. Durch dt« Vok: »nnrrhald DraiiLland« und der brauchen tloloairn vieneliSdrl 9.99 «oaatl. 1^9 aatlchl. Poftdeftellaelb. sternrr in Belgien, Dänemark, den Donauftaaten, Italien, ü!uremburg, Niederlande, Nor wegen, Oesterreich-Ungarn, Rnstlaud, Schweden, Schweiz a. Spanien. In allen übrigen Staaten nur direkt durch di« Hstchüstrirelle de« Blatte« erhältlich. La« Leipziger Lageblatt erichrini 2 mal täglich, Sonn- a. geicriag« nur morgen«, ltidonnen em-Annal>me: Augustatplatz 8, Mi unteren Trägern, Filialen, Spediteuren und Annahmestellen, wwie Postämter» »ad Briefträgern. Itngelaerkanfiprei« »er Mvrg«n» ruägab« 10 2». der ü.dendouägad« » tstedaktton und Getchäfttsteller Iohanmsgaste 8. ilernfprecher: 14692, I46S8, 14684. Abeud'Arrsgabe. np.'iigcrTagclilalt Handelszettung. Ämtsblatt Les Rates und des Nolizeiamles der Ltadt §ewzig. Anzeigen-Preis itr Jnlerate ans Leioug und Umgebung dm Sgeivalten« SV mm breit« Petit,eil« 2b 4, di« 74 mm dieu« «teklamezeil, I ^g oon aulwärt« oü 2^, btellamen 1.20 Inserat« oen «ehtrden m amtlichen Teil di, 74 mw breit« Petitzeil« 40 ch. «eschältranzeigen mit Platzoorfchristen »II» in der Abeiidauraad« »n Preise erhähk btaball nach Taris. Beilagegelmbr b p. Tausend exkl. Postgebühr. Fest erteilte Austräge kännen nicht zurück gezogen werden. Für da« ltrscheinen an bestimmien Tagen und Plähen wird keine Saranti« übernommen. Anzeigen-Annahme, tkugustu-platz 8, d«i sämtlichen Filiale» u. allen Annoncen- lixpedilionen del I,i- und Aurlandet. P»npk»8Ilial» Berli»! Larl Dnncker, Herzog!. Bahr. Hofduch- handlung, Llchowstlabe IL lTe.evhan VI, Nr. 4603). Haupt-Filiale Dresden: Saestrahe », I (Telephon 46211. Nr. ISS. 104. Jahrgang Mittwoch, üen t8. Mol lSlO. p Milche Nachrichten. Aus dem Freiberger Reichstagswahttreise wird der „Deutschen Reform" berichtet, daß man dort bei der nächsten Reichstagswahl dem konserva tiven Reichstagsabgeordneten Dr. Wagner einen Gegenkandidaten gegenüberstellen will und daß von liberaler Seite der Landtagsabgeordnete Lang hammer als Gegenkandidat in Aussicht genom men sei. Zur Beisetzung König Eduards. London, 18. Mai. (Telegramm s Bei der lieber- führung der Leiche König Eduards nach der West minster Hall ereignete sich gestern vormittag etn auf regender Vorfall. Dicht vor dem Buckingham- Palast stürzte ein Pferd von einem königlichen Wagen. Das Gefährt schlug beinahe um; nur die Geistesgegenwart eines Dieners verhinderte dies. Auf dem Parlament-Square durchbrach die Menge den Polizeikordon. Eine be rittene Abteilung Schutzleute stellte die Ordnung wieder her. Paris, 18. Mai. (Telegramm.) König Manuel von Portugal ist gestern abend 10 Uhr 20 Min. auf dem Orleansbahnhof angekommen. Der Köniz hat die Nacht in einem Hotel verbracht und reiste heute morgen nach London weiter. Gleichzeitig haben sich der serbische Thronfolger, der Kronprinz Danilo von Montenegro, be gleitet von seiner Gemahlin und zahlreichem Gefolge, sowie der türkische Thronfolger nach London begeben. Ausstand in der Baumwollenbranche Englands in Sicht. London, 18. Mai. (Tel.) Die Abstimmung der Baumwollfabrikenbesitzer in Lan- cashire über eine fünfprozentige Lohn reduzierung ist heute beendet worden und soll, wie verlautet, die notwendige Mehrheit von 80 P ro- zent der Stimmen für die Herabsetzung ergeben haben. Dieses Ergebnis wird wahrscheinlich einen grossen Aus st and zur Folge haben. , Drohender Eisenbahnerstreik in Frankreich. Paris, 18. Mai. (Tel.) Da einer der Staats- bahndirektoren es ablehnte, eine Ab ordnung des Syndikats der Eisenbahner zu empfangen, die mit ihm über die Bemessung der Wohnungsgelder verhandeln sollte, nahm der Exe- kutivausschusi des Eisenbahnersyndikats einen An trag an, in dem ziemlich unverblümt mitdem Streik gedroht wird, falls die Leiter der Staatsbahn bei ihrer Weigerung verharren sollten, mit dem Syndikat in Verhandlungen einzutreten. Die Kretafrage. Wien, 18. Mai. (Telegramm.) Bon unterrich teter französischer Seite wird mitgeteilt, das; die Kretafrage wieder offen geworden sei. Zwischen den Kabinetten der Kretaschutzmächte finden Be ratungen statt, welche Maßnahmen getroffen wer den sollen, falls die Kretenser die muselmanischen Mitglieder der Nationalversammlung andauernd von den Beratungen ausschließen sollten. Die Mächte sind verständigt, das; die Türkei in diesem Falle selbst Ordnung auf Kreta schaffen wolle, falls die Schutzmächte dies nicht tun. Zur Zentenarfeier Argentiniens. Buenos Aires, 18. Mai. (Tel.) Die deutschen Kreuzer „Emden" und „Bremen" und der österreichische Kreuzer „Kaiser Karl II." sowie der holländische Kreuzer „Utrecht" trafen anläßlich der Zentenarfeier hier ein. Der japanische Kreuzer „Zkoma" bleibt wegen seines Tiefstands im Hafen von Bahia Bianca und wird zu der internationalen Truppenschau am 25. Mai 200 Mann seiner Besatzung entsenden. — Der Minister des Aeußern eröffnete gestern den 17. Internationalen Amerikanischen Kongreß. Peru und Ecuador. Während sich die Regierung der Union um fried liche Beilegung des Zwistes zwischen Peru unv Ecuador bemüht, rüsten sich beide Staaten selbst immer mehr zum Kampf. Folgende Depeschen be weisen das: Washington, 18. Mai. (Telegramm.) Wie ver lautet, beabsichtigt Staatssekretär Knox, sofort Schritte zu tun um die friedlichen Beziehun gen zwischen Peru und Ecuador wieder herzu stellen. Guayaquil, 18. Mai. (Telegramm.) Der Kon greß zur Besprechung der Lage ist ein berufen. Das erste vom Roten Kreuz organisierte Ambu- lanzkorps geht zur Front. Tsgeschronlh. Schweres Gewitter. Berlin, 18. Mai. (Tel.) Das gestrige Gewitter, das von Hagelwetter begleitet war, wie es seit Jah ren nicht beobachtet wurde, verursachre im Osten, Südosten und Süden von Berlin und Umgegend großen Schaden. In den Gärten, Parkanlagen usw. wurden die Blüten zerschlagen. Auf den Fel dern liegt der Roggen strichweise wie gemäht. Der flüchtige Architekt. Berlin, 18. Mai. (Tel.) Unter Hinterlassung be deutender Schulden, man spricht von 250 000 ist derArchitektScherl aus Charlottenburg flüch tig geworden. Zwei Mädchen ertrunken. Berlin, 18. Mai. (Tel.) An der Havel er tranken zwei junge Mädchen. Sie hatten bei einer Kahnfahrt die Plätze gewechselt. Ein neuer Fund in der Mordassäre Arnholz. Berlin, 18. Mai. (Tel.) Die Bluttat vom De zember v. Z., der bekanntlich die Prostituierte Arn holz zum Opfer fiel, wird durch den Fund eines weiblichen Unterschenkels in Erinnerung gebracht, der gestern in der Spree bei der Brommy- Vrücke gemacht wurde. Die Leichenschau ergab, daß der Schenkel zur Leiche der Arnholz gehört. Ein raffinierter Einbruch. Aachen, 18. Mai. (Tel.) Durch einen raffinier ten Einbruch sind aus dem Tresor der Aachen-Mün chener Feuer-Versicherungsgesellschaft während der Feiertage 50 000 entwendet worden. 1)4 Million Unterschlagungen. Pest, 18. Mai. (Telegramm.) In der Admini stration des „Pesti Hirlap" wurden große Unterschlagungen entdeckt. Der Kassierer fowie ein Administrationsbeamter wurdZn verhaftet. Es soll sich um eine Summe von 1)^ Million handeln. Feuersbrunst. Graz, 18. Mai. (Telegramm.) An dem Orte Kötsch brach Feuer aus, das zahlreiche Objekte einäscherte. Ein Kind wurde als verkohlte Leiche unter den Trümmern hervorgezogen. Mehrere Per sonen erlitten lebensgefährliche Brandwunden. Mir Streichhölzer spielende Kinder haben den Brand ver ursacht. Einbruch. Oedenburg, 18. Mai. (Telegramm.) An einer gegenüber der Polizeidirektion befindlichen Fabrik wurde nachts von internationalen Gaunern einge brochen und vieletausend Kronengeraubt. Die Kometenfurcht. San Remo, 18. Mai. (Tel.) Zn Treviso stürzre eine Bäuerin, die aus Furcht vor dem Nahen des Kometen wahnsinnig geworden war, während der Messe in die Kirche, entriß dem Priester die heiligen Geräte und forderte die Kirchenbesucher auf, Buße zu tun. Zn Monte Giorgio beging der Hauseigentümer Martialo aus Angst Selbstmord, indem er sich in einen Brunnen stürmte. Zn Udine tötete ein Mann seine Frau durch Axthieoe und erhängte sich dann an einem Baume, um dem Weltuntergänge zu ent gehen. Rom, 18. Mai. (Tel.) Die Kometensurcht ist unter der abergläubischen Landbevölkerung Italiens besonders groß. Zn einzelnen Orten werden Bitt prozessionen veranstaltet. Zn Verbicaro tragen Bauern Fahnen mit der Aufschrift: „Madonna, schütze uns vor dieser Plage." Am Ponte Quatrro Capi in Rom, der zur Tiberinlel führt, am Mittel punkt des Volksquartiers sieht man dem großen Ereignis mit altrömischer, stoischer Ruhe entgegen. Männer und Frauen bewaffnen sich aus den um liegenden Osterien mit mächtigen Flaschen voll aus gezeichneten Kometenweines, trinken dem leuchten den Weltallwanderer mit kräftigen „Evvivas" zu und werfen die schnellgeleerten Korbflaschen über die Drücke in die trüben Tiberfluten, wenn der Stern am Morgenhimmel verblaßt. Lholeraerreger. Petersburg, 18. Mai. (Telegramm.) Am Neu wasser wurden Choleraerreger sestgestellt. Die Zahl der verdächtigen Erkrankungen nimmt zu. «US Leipzig und llmgegenü. Leipzig, 18. Mai. Wetterbericht der König!. Sachs. Landeswetterwart« zu Dresden. Voraussage für den 19. Mai 1910. Nordwestwinde, heiter, kälter, trocken. Pöhl berg: Stark anhaltender Tau, glänzender Sonnenunter- und -aufgang, Abend- und Morgenrot. Fichtelberg: Glänzender Sonncnunter- und -aufgang, Abend- und Morgenrot. * Der Pingstverkehr auf der Staatseisenbahn. Der Eisenbahnverkehr an den vergangenen Pfingstseier- tagen hat einen Umfang gehabt, von dem man 'ich nur schwer einen Begriff machen kann. Er stellt alles bisher Dagewesene in den Schatten. Schon aus dem Leipziger Pfingstverkehr an den Bahnhöfen läßt sich das feststcllen. Die Landwirtschaftliche Aus stellung im vorigen Zahre und ebenso das Jubiläum der Universität hatten doch gewiß ungeheure Men schenmassen nach Leipzig gebracht, und man sollte kaum meinen, daß der damalige Riesenbetrieb noch zu übertreffen gewesen wäre. Und dennoch ist das der Fall. Gelegentlich der Landwirtschaftlichen Aus stellung verkehrten 83 Sonderziige von und zum Bayrischen Bahnhof. Das diesjährige Pfingstfest er forderte aber allein am Bayrischen Bahnhof.die Ein legung von 112 Sonderzügen. Dabei ist zu berück sichtigen, daß der Verkehr an dem genannten Bahnhof noch dadurch entlastet worden ist, daß der Berliner Bahnhof einen großen Teil der Reisenden, die sonst den Bayrischen Bahnhof benutzten, überkommen hat. Diese 112 Sonderzüge waren aber alle so überfüllt, daß es nur mit großer Anstrengung gelungen ist, das reisende Publikum zu befördern. Allein zwi schen Chemnitz und dem Bayrischen Bahnhof waren 28 Sonderzüge und auf der Berliner Strecke 10 Son- derzllge eingelegt. Die übrigen Extrazüge verteilen sich auf alle Gegenden Sachsens. An abgenommencn Fahrkarten hatte der bezeichnete Bahnhof pro Tag die Zahl von rund 29 000 zu verzeichnen. Verkauft wurden an den Schaltern des Bayrischen Bahnhofes rund 60 000 Fahrkarten. Keiner der Beamten kann sich entsinnen, jemals einen solchen Riesenbetrieb ge sehen zu haben. Wenn man hört, daß an einem ein zigen Schalter 10 000 und noch mehr Fahrkarten v.-r- kauft worden sind, so muß man sich wundern, wie es den Schalterbeamten überhaupt möglich gewesen ist. diese enorme Arbeit zu bewältigen. Auf dem Dresdner Bahnhof, der gewöhnlich den Bayrischen Bahnhof im Verkehre noch übertrifft, dürsten die Verhältnisse ungefähr die gleichen gewesen sein, wenn dort nicht gar noch höhere Zahlen zu verzeich nen sind. —t. Der Evangelisch-Lutherische Zentralverein für Mission unter Israel beging am gestrigen Abend die Feier seines 10. Zahresfestes. Am Nachmittag fand im Sekretariat unter dem Vorsitz des Grafen Vitzthum v. Eckstädt die Generalver sammlung statt. Mit den Direktorialmitqliedern Pfarrer Dr. Zeremias, Amtsrichter Dr. Oerter Sin msrlulches Naturtheater. Don Erich Köhrer. Dem Theater geht es nachweisbar herzlich schlecht. Also muß man neue Theater gründen, dem Nebel ab zuhelfen. Und da im Winter schließlich jedes verfüg bare Plätzchen mehr als hinreichend besetzt ist, kam der Sommer an die Reihe. Und da man mit szenischen Künsten überfüttert war, verfiel man auf die Einfachheit der Natur. Das Resultat waren die Freilichtbühnen, die Naturtheater. Seit zwei, drei Zähren wird die Gesundung der deutschen Theaterkunst durch die neue Erfindung, mit der der Theaterdirektor Goethe schon Anno 1778 seine Be sucher überraschte, verkündet. Aus dem Zusammen klang von Natur und Theater soll die große Gefamt- wirkung erstehen. „Neben den großen weiten Linien und Formen der Natur" schreibt der einstige Münchner Oberregisseur Zocza Savits in einer Broschüre ,,wirken die kleinlichen Beihilfen der Aus stattungsbühne nicht mehr, hier kann nur die Kunst des Dichters und des Schauspielers wirken, nichts anderes; und auch nur dann können sie wirken, wenn sie beide groß und tüchtig echt und markig sind, wenn sie im Zusammenhang stehen mit der Größe und Lieb lichkeit der Natur, in die sie gestellt sind. An merk- würdigem Gegensatz zu diesen Theorien steht die Tatsache, daß die Naturtheater, die sich an den ver schiedensten Stellen aufaetan haben, weder im Repertoire noch schauspielerisch Hervorragendes zu wege gebracht haben. Zch glaube auch nicht an die Möglichkeit, ein bedeutendes Werk einfach in das Prokrustesbett einer gegebenen Landschaft zwängen zu können, ohne daß das Werk dadurch verliert. Wohl aber mögen sich Wirkungen mit Festspielen erzielen lassen, die allein auf eine Ausführung unter freiem Himmel berechnet sind." Solche Festspiele haben am Pfingstsonntag in der Mark, des Heiligen Römischen Reichs Streusandbüchse, begonnen. Eine Stunde Bahnfahrt von Berlin ent fernt liegt das Städtchen Eberswalde, das seinen trefflichen Spritzkuchen eine gewisse Berühmtheit ver. dankt. Unter blütenbesäten Obstbäumen, vorbei an scharf silhouettietten Mühlen und freundlichen Häuschen, führt von dort die Chaussee nach der Ruine des alten Klosters Chorin, aus dem vor 350 Zähren das Gebot des Kurfürsten Joachim II. Hektor die setzten Mönche vertrieb. Die Schatten einer glor reichen Vergangenheit ruhen auf dem Gemäuer, den Resten eines der schönsten Baudenkmäler der strengen Gotik. So glaubt« der Verein für Heimatkunde in Eberswalde die Zeit gekommen, wo es sich lohnt, * Der „älteste Sintfluttext." Man schreibt uns: Erst ganz kürzlich ging durch die amerikanische wie durch oie deutsche Presse die Nachricht von dem Funde eines Tontafelfragmentes, auf dem in Keilschrift ein Teil des Sintflutberichtes enthalten sei. Der Ent decker und Entzifferer, der in den letzten Zähren diese Schatten wieder herauf zu beschwören und die weißen Chormäntel der Mönche aus den Grüften wieder ans Tageslicht steigen zu lassen In vier Einzelspielen wurden bedeutsame Ereignisse aus der Klostergeschichte dramatisiert und ein Naturtheater soll an einer Reihe von Spieltagen uns die Kenntnis dieser Geschehnisse vermitteln. Die alten Fratres haben verstanden, sich den Auf enthalt angenehm zu machen. Der große Kloster garten ist ein Meer von Blüten und ein Rausch von Düften. Rot- und Weißdorn, Flieder, Apfel, Kirsche und Pfirsich haben die bunte Pracht ihrer Blüte zwischen den dunklen Tannen und Buchsbaumstauden geborgen. Wie köstlich lustwandelt sich's in den ver schwiegenen Laub engängen, wo man eng anernander- geschmiegt gehen muß! Liebliche Kühlung spendet aus verborgenem Grunde der murmelnde Bali Zwischen den Blüten sieht man hier und da die graziösen Linien des Klosters auftauchen. Die hohen Spitzbogenfenster, die Zacken und Türmchen heben sich scharf von der dunstigen Sommerluft ab. Heller Sonnenglanz fällt durch die scheibenlosen vergitterten Bogen ins Schiff der Kirche und malt um die Innen- Pfeiler seltsam zitternde Reflexe. Zwischen den Wirtschaftsgebäuden ist das gelbe Brettergerüst des Zuschauerraumes aufgezimmert. Fanfarenklängc rufen die Besucher herbei und rasch füllen sich die Bänke mit sonntäglich aufgeputzten Menschen. Und schon stürzen aus dem Kremgana, der als Bühne dient, zwei Mönche in neckischem Streit. Die Hälfte dtS Kreuzgangis ist von Efeu überwuchert Zm dichten Grün nistet ein Sperlingspärchen, das lustig in die Handlung hineinzwitschert. Auch eine Kuh gibt von Zeit zu Zeit mit ihrem lauten Muh ihre Zu- slimmung kund. Um das reiche Schnitzwerk der Pfeilerkapitäle spielen die ersten Falter leuchtend gelb und weiß. Inzwischen ist es auf der Blibne lebendig geworden. Weiße Chorröcke leuchten aus, grellbunte Gewänder fahrender Leute, prächtige Waffenröcke von Fürsten und Rittern, farbenfrohe Gewänder von lieb lichen Biirgermädchen. Bunte Bilder von eigenem Reiz sind cs, auf Ionen das Auge gern verweilt. Aber der Kunstkritiker hat damit wirklich nichts zu schassen. Coll man den wackeren Leuten, die sich hier seit 'Wochen voll Begeisterung abmühen, die Freude verderben? Soll man mit dem Dichter rechten, der sich aus Bestellung heute für diesen, morgen für jenen Stoff begeistert? Zwanzig Schausvieler lind mit der zehnfachen Zahl von Dilettanten vereint. Klugerweise nennt der Zettel keinen Namen, und man merkr wirklich nicht, wer von Behufs wegen hier steht, wer als Amateur. Nickst d,e Kunst des Dichters wirkt, nickt die des Schauspielers. Den Erfolg erzielt die Arbeit des Regisseurs Heinrich Frey, die ge schmackvolle Zusamenstellung der Kostüme und der Reiz von zwei Dutzend ;ungen Madels, die einen anmutigen Neigen äufjühren Vier Spiele künden den Ruhm des Klosters. Das erste schildert den Besuch des Markgrafen Otto IV., der dem Kloster große neue Rechte verleiht. Er wird aus irgendwelchen Gründen vom Papst in den Bann getan, und der Abt oon Chorin soll den Bann ver künden. Der Abt weigert sich und legt sein Amt nieder, um nach Rom zu wallfahren. Das zweite Stückchen zeigt die Kronniederlegung des falschen Waldemar, der nach der Ueberlieferung von den Choriner Mönchen vorher zur Herstellung des Friedens aufgestellt war. Das dritte Spiel gibt in einem Hexenprozeß ein kulturhistorisches Bild und das letzte endlich zeigt die Austreibung der Mönche durch Kurfürst Joachim H. Sie bieten im wesent lichen immer dasselbe Bild und ermüden auf die Dauer. In glühendem Sonnenbrand und unter Gewitter schauern fand die erste Aufführung dieses Volksschau spiels statt. Sie hat, wie schon erwähnt, mit Kunst kaum etwas zu tun, aber sic bietet eine gefällige Abwechslung. Nicht mehr! Für die Bedeutung des Naturtheaters ergibt sie keinen Beweis. Man erfuhr im Gegenteil, w'e die Witterung die Stimmung be einflußt, wie die Notwendigkeit angespannter Auf merksamkeit eine frühe und starke Ermüdung herbei führt und wie schließlich die besten Wirkungen von einem Faktor ausgingen, der mit der Frage des Naturtheaters nichts zu tun hat: von blühender, be- geisterter Mädchenjugend! Und die verlor ihren Reiz, als der Hagel prasselte und der Donner grollte. So freute man sich mit Behagen der köstlichen Frische der Heimkehr. Der Wald leuchtete in einem Grün oon unerhörtem Glanze, der See murmelte aus azurner Tiefe Mären aus vergangenen Zeiten, die nicht minder eindrucksvoll waren, als zuvor dre Be mühungen der Hunderte. Und unter den violetten Schleiern des Abends erinnerte die Mark in keuscher Schönheit daran, daß sie nicht der künstlichen Galva nisierung entschwundener Tage bedarf, um die Liebe ihrer Besucher wie ihrer Kinder zu gewinnen. mehrfach genannte Professor Hilprecht von der Uni versität von Pennsylvanien-Philadelphia wurde von allen Seiten wegen dieses Fundes beglückwünscht, da er nicht nur den ältesten, von der „Sintflut" berich tenden Text gefunden habe, sondern da vor allem dieser Text mit der im Alten Testamente erhaltenen Erzählung von der Flut sich aufs innigste berühre und diese in manchen Punkten glänzend bestätige; einer der begeistertsten Verkünder des neuen Evange liums verflieg sich sogar zu der Behauptung, daß nunmehr „eine neue Epoche in der Religionsgeschichtc" angebrochen sei. Nun scheint es aber, als ob die Hauptvorzüge des Hilprechtschen Fragmentes lediglich in der Einbildungskraft ihres Entdeckers existierten. Kaum ist nämlich der erste Jubel der Begeisterung verhallt, so werden in der amerikanischen Presse Stimmen laut, welche den „großen Fund" in anderem Lichte erscheinen lassen. In den Philadelphiaer Zei tungen „Evening Bulletin" und „Pudlio Ledger" sind soeben Aufsätze der bekannten amerika nischen Assytiologen und Professoren Barton und Claq erschienen, welche die wissenschaftliche Bedeutung der Sintflut-Tafel stark in Zweifel ziehen. Der Inhalt ihrer Bedenken ist kurz der folgende: Das von Hilprecht mitgeteilte Fragment enthält zwar Reste eines Berichtes von der Sintflut, wie sie in Keilschrift bereits mehrfach gesunden worden sind, es besteht aber aus ganz wenigen Worten, die zu dem bisher Bekannten nichts Wesentliches hinzufügen. Ferner ist das Alter der Tafel nach Hilprechts Kollegen viel zu hoch angesetzt worden; sie stammt nach ihnen frühestens aus der Zeit um 17M v. Chr. (während Hilprecht sie vor 2000 o. Chr. entstanden sein ließ), und ist also um etwa 300 Jahre jünger als eine im Besitze von Pierpont Morgan befindliche Sintflut-Tafel, die aus der Zeit des altbabylonischen Königs Ammi- Zaduga (um 2000 v. Ckr.) datiert ist und nicht weniger als 57 Zeilen umfaßt, in jeder Beziehung also weitaus wertvoller angesehen werden muß. Auch um die „Bestätigung der Bibel" scheint es nicht viel besser bestellt zu sein. Nach Bar ton und Clay finden sich die an den alttestamentlichen Sintflut bericht erinnernden Stücke des neuen Textes — in den von Hilprecht ergänzten Lücken der crbaltenen Bruchstücke. So bedauerlich also auch die Sache er scheinen mag. man kann sich dem Eindruck einer zum mindesten sehr starken und wenig wissenschaftlichen Uebertreibung schwer entziehen, und wenn nicht die nüchtern und sachlich klingenden Ausführungen von Clay und Bar ton von fachmännischer Seite wider legt werden sollten, so wird man am besten tun. den „ältesten Sintfluttex" möglichst schnell wieder zu ver gessen.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Keine Volltexte in der Vorschau-Ansicht.
- Einzelseitenansicht
- Ansicht nach links drehen Ansicht nach rechts drehen Drehung zurücksetzen
- Ansicht vergrößern Ansicht verkleinern Vollansicht