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Radlerin und Radler : 15.07.1901
- Erscheinungsdatum
- 1901-07-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Universitätsbibliothek Leipzig
- Digitalisat
- Universitätsbibliothek Leipzig
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id411907697-190107151
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id411907697-19010715
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- oai:de:slub-dresden:db:id-411907697-19010715
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungRadlerin und Radler
- Jahr1901
- Monat1901-07
- Tag1901-07-15
- Monat1901-07
- Jahr1901
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- Radlerin und Radler : 15.07.1901
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Donna Sol. Novelle von Bertha v. Suttner. (Nachdruck verboten ) u lieber Himmel! Mit meiner ruhigen, friedlichen Existenz hat es jetzt ein Ende! Freilich, die Unterbrechung wird nicht lange dauern; nach sechs Monaten ungefäb r kann ich mein stilles, geregeltes Leben wieder aufnehmen. Aber vielleicht wird mir unter dessen der Charakter verdorben!» Vielleicht werde ich neidisch oder genusssüchtig, oder versauert und ver bittert werden — welch letzteres ohnehin bei alten Jungfern ein chronischer Zustand sein soll. Bis jetzt bin ich wirklich ein braves, anspruchsloses, ganz gutmütiges altes Jungferchen, und es sollte mir leid thun, wenn sich der üble Ruf meiner Schwestern auch an mir bewahrheiten würde. Ich komme mir nämlich verdächtig vor: ich fange wahr haft an, Bitterkeit zu empfinden. Wie ein moralischer Citronen- kern liegt es mir im Seelengrund, seit ich die Briefe erhalten, welche mir die Ankunft meiner Nichte in Aussicht stellen. Nichte? Wie komme ich einfaches, bürgerlich auf gewachsenes, wienerisches Ding dazu, die Tante einer halb spanischen, extravaganten, reichtumbesitzenden Marquisin zu sein? Noch dazu jung und schön! .... Ich war nie schön. Denn so weissblondes Haar, eine so langweilig gerade Linie von Stirn und Nase, so übertrieben grosse graue Augen: das kann doch nicht schön sein? Und was nützen die weissen Zähne bei so schmalen, blassen Lippen, was hilft die schlanke Gestalt bei solcher Magerkeit? Jung bin ich eigentlich auch nie gewesen. Es will mir scheinen, als hätte ich stets, so wie heute, zweiunddreissig Jahre gezählt. Das kann man doch nicht jung sein nennen, wenn man, die Aelteste von sechs Geschwistern, an denselben vom zwölften Jahre an Mutterstelle vertreten muss .... Das war ein Mühen und Plagen und Sorgen, als unsere arme Mama ge storben war, und ich sie bei den [fünf Kleinen ersetzen musste. Zwar' hatte ich noch eine ältere Schwester, die war aber nicht zu Hause, sie war — wie ich damals hörte, ohne zu verstehen, was es bg/bute, „missraten“. Ihr Name durfte bei uns gar nicht mehr ausgesprochen werden. — Was ich also sagen wollte: das verdient doch nicht Jugend genannt zu werden, diese Zeit, wo ich mit Familienmuttersorgen belastet war, wo ich nicht ein einziges Mal jene Dinge kennen lernte, welche sonst den Sinn junger Mädchen füllen: Tanz, Putz, Courmachen . . . Und auch nicht jene Lebensblüte — Liebe —, von der ich nur aus Büchern erfahren, die ich niemals empfunden, noch ein geflösst habe. Ich glaube gar nicht recht daran. Es wird immer aus einem Buch ins andere abgeschrieben, aber in der Wirklichkeit kommt es nur selten vor, und es muss viele solche Leute geben, wie ich, die niemals ein Nervenfieber und niemals ein Liebesfieber gehabt. Ja, das war eine freudlose und mitunter furchtbar harte Zeit, meine Jugend. Es ist keine leichte Sache für eine Familie von sieben Personen, in Wien zu leben, wenn sich das Ein kommen auf die Oberstenpension und die Interessen der doppelten Heiratskaution beschränkt. Und die Launen des gichtkranken, ewig scheltenden Vaters dazu! — Ach, und wenn ich an jene Schreckenswoche denke — das ist jetzt vierzehn Jahre her —, wo mir von meinen fünf mühsam aufgezogenen Geschwisterchen vier weggerafit wurden! Am Montag starb Resi an der Diph- theritis. Dienstag lagen auch Lotti und Fritz an derselben Krankheit danieder; Freitag waren sie beide tot — und Sams tag folgte auch noch Karl. Nur Peperl — mein Jüngstes, Liebstes — blieb mir erhalten. Ich war schon ganz gefasst darauf, auch diesen zu begraben und -selbst zu sterben. Aber mein Peperl starb nicht — und er ist auch heute noch, ■ wo er ein schmücket Leutnant ist, mein grösster Schatz. . Aber auch nachdem die Muttersorgen teilweise von mir genommen waren, begann-noch immer keine Jugend für mich. .Erstens hatte ich den Pepi, mit dem ich mich den ganzen Tag abgab, und als dieser auch in die Militärakademie nach Wiener- Neustadt gekommen war, blieb mir noch ein schlimmes Kind zu hüten: der Vater. Gichtkrank, übellaunisch, zänkisch, den ganzen Tag brummend und klagend, mir nicht eine Minute für mich assend: ho hat — Gott verzeih’ es ihm — der eigene Vater mir das Leben schwer gemacht. Nicht nur die Kinder sind es, die den Eltern Kummer machen — es trifft auch umgekehrt zu. Nur darf man es nicht laut werden lassen, weil eine solche Klage von Seiten der Kinder gegen das vierte Gebot so un harmonisch anstösst, während die Klagen der Eltern über die „ungeratenen Rangen“ ganz gang und gäbe sind und noch einen gewissen Gedulds- und Marternimbus verleihen. Ich habe auch niemals ein lautes Klagewort erhoben, und fast bereue ich. hier ein solches niedergeschrieben zu haben. Aber mit seinem Tagebuch muss man doch in allem aufrichtig sein, denn wozu würde man sonst überhaupt eins schreiben? Und wozu schreibe ich überhaupt eins? — Diese Frage drängt sich mir hier auf. Ich bin doch nie besonders schreib selig gewesen. Gedichte habe ich kein einziges auf dem Ge wissen; Briefe zu verfassen hatte ich keine Gelegenheit; Preis konkurrenznovellen habe ich auch nie versucht — woher also diese plötzliche Skribeleianwandlung? Ach ja,- es war um die Trauer auszudrücken, dass mein stilles Leben durch die exotische Nichte unterbrochen werden soll. Ich war wirklich so glücklich .... Vielleicht ist der Ausdruck „glücklich“ zu kräftig, aber ich habe ja nie ein heftigeres Glücksgefühl erfahren, und die heitere Wunschlosig- keit, in der ich dahinlebte, dürfte dieses Prädikat doch ver dienen. Vor kurzem — zwei Jahre nach meines Vaters Tode — ist mir eine unerwartete kleine Erbschaft zugefallen, die mein Einkommen auf nahezu dreitausend Gulden erhöhte. Eine wahre Rentiere! Und da habe ich mir eine Existenz organisiert, die als Altjungfernparadiesmuster gelten kann. Ich habe eine hübsche kleine Wohnung im vierten Stock eines Ringpalais; ein Dienstmädchen, einen Kakadu, eine Nähmaschine; mein Abonnement auf „Ueber Land und Meer“ und die „Wiener Allgemeine“ (an deren Novellenpreisausschreibung ich aber nicht teilnahm); meine Thätigkeit in der Volksküche, im Tierschutzverein und im Kirchengesangverein — meine Morgen promenade im Volksgarten, meine Besuche bei der besten aller Freundinnen und Tanten, der alten Generalin Brillenheim; ich habe volle Selbständigkeit und Freiheit — werde von nie mandem gescholten und kommandiert, und dann habe ich - meine grösste Freude nenne ich zuletzt — meinen Pepi bei mir. Ein Zimmer meiner Wohnung ist für ihn hergerichtet worden. Er hat Wiener-Neustadt als Infanterieleutnant verlassen und seine erste Garnison ist zum Glück Wien. Ich gebe ihm vierzig Gulden monatliche Zulage, und bis jetzt ist er damit ausgekommen. Er behandelt mich wie seine Mutter — ist so zärtlich und respektvoll. Ach, und ich bin stolz — stolz auf ihn, wie nur eine Mutter es sein könnte! Er ist aber auch so hübsch und lieb, davon macht sich niemand einen blassen Be griff. Wie der blonde Schnurrbartflaum ihm den feingeschnittenen, perlglänzenden Mund schmückt, wie sein dichtes Haar sich kräuselt, wie sein Blick so blau und freundlich leuchtet! Mein Peperl! Nur möchte ich ihn heiterer sehen, für sein Alter ist er mir zu still und ernst. Er studiert so viel er kann. Wenn er
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