306 RADLERIN UND RADLER. ,Styria“-Strassenrenner mit Anhängewagen, gefahren von Frl. Müller und Herrn Schlabs, Magdeburg. Nach einer photographischen Aufnahme von Wilh. Müller, Photogr. artist. Atelier, Magdeburg. Citronen kontrastisch ab. Die japanische Flagge, ein weisses Feld mit roter Sonne, weht uns aus jedem Hause den japa nischen Glückwunsch: „Shinnen wa, O medeto gozaimasu“ zu. Während wir an anderen Tagen beständig Frachtwagen und Karren begegnen, können wir heute ungestört unser Stahlross laufen lassen. Aber warum müssen wir denn beständig unsere Klingeln ertönen lassen? Ja, wenn es noch etwas helfen würde! In der Mitte der Strasse spielt jung und alt, arm und reich ein Spiel. Womit soll ich es vergleichen? Es kommt vielleicht dem Tennisspiel am nächsten. Jeder Spielende hat ein schön verziertes Brettchen in der Hand, mit diesem schlägt er nach einem Federball, an dem eine kleine schwarze Kugel befestigt ist. Jeder muss versuchen, den Ball dem Nachbar zuzuwerfen, ohne ihn auf die Erde fallen zu lassen. Alle Aufmerksamkeit ist auf das Spiel gerichtet, und mit Geschick müssen wir unser Rad lenken, um Zusammenstösse zu vermeiden. Das allgemeine Verkehrsmittel ist die jinrikisha, ein leichter zweirädriger Wagen, von Kulis gezogen. Wer Mittel hat, hält sich natürlich Pferd und Wagen. Heute sieht man nur hohe Herrschaften und Offiziere in Hofuniform dahin fahren. Nicht jeder kann sich erlauben, die mehr als ver doppelten Fahrpreise der Kulis am Neujahrstage zu zahlen. Alles erscheint heute im Festkleide. Der gewöhnliche Japaner kennt noch nicht den Sonntag, wie wir ihn kennen. Bei ihm ist der Sonntag ein Arbeitstag wie jeder andere Tag. Nur öffentliche Regierungsanstalten und Schulen sind am Sonntag geschlossen. Heute, am Neujahrstage, hat jeder, auch der Ge ringste, einen Feiertag. Die Begrüssung der Bekannten aui der Strasse ist eine sehr zeremonielle. Mehrere ganz kunstgerechte Verbeugungen werden ausgetauscht. Hier und da begegnet uns ein japanischer Radler, aber noch zur grossen Seltenheit gehören die japanischen Radlerinnen. Doch der Anfang ist gemacht. Unsere Räder gewähren uns sehr viel Vergnügen und er sparen uns viel Zeit und Geld. Wir erregen ziemlich viel Aufsehen, wenn wir als radelnde Familie die Strassen von Tokyo durcheilen. Zunächst unser ältestes, 8jähriges Töchterchen Eleonora, dann die 6jährige Paula, dann mein Mann mit dem 4jährigen Georg in Front und zuletzt meine Wenigkeit. Jedermann bleibt stehen, schüttelt verwundert den Kopf, und bald fliegt ein Lächeln der Bewunderung über das Gesicht. Mein Rad (Germania, Fabrik Seidel & Naumann, Dresden) hat die Probe sehr gut bestanden; denn Strassen wie in Deutschland giebt es hier nicht. Die Strassen werden zwar jetzt beständig ausgebessert und mit Flusssteinen aufgeschüttet, aber man kennt noch keine Walzen, und nur die schweren Wagen müssen die Strassen ebnen. Doch was nicht ist, kann noch werden, und die Japaner sind in den letzten 20 Jahren mit Riesenschritten vorangegangen. Dem Zweirad steht noch eine grosse Zukunft hier bevor. Mit einem kameradschaftlichen „All Heil“ sende ich dem uns so liebwerten und hier bei Eintreffen jeder Nummer stets mit Freuden begrüssten Weltblatte „Radlerin und Radler“ in Berlin eine Spezialaufnahme, welche, in der Nähe von Tokyo aufgenommen, uns mit unseren Rädern darstellt. Es wird sich freuen, das Bild in Ihrem hochgeschätzten Blatte reproduziert zu sehen, Ihre Emma Lendis (Tokyo).