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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 19.07.1912
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1912-07-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19120719021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1912071902
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1912071902
- Sammlungen
- Saxonica
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
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- Tag1912-07-19
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Vrlir 2. Nr. SöS. ISS. I»irs»n,. Leipziger Tageblatt fldenöauagad« schlossen, di« Bildung d«, Kckbinett» durch Ktamil Pajcka zu bekämpfen. Di« Ereignisse der letzten stacht haben jedoch wie bereits in der obigen De. pestix gemeldet wird. Tewftt Pascha bchtmmt, das Großuesirat zu übernehmen. Die wahrscheinliche Zussnnnrnsetzung des Labinetts Tewfik Pascha« diin'te ungefähr folgende sein: Kiamil Aeicheres, Hussein Hilmt Justiz, Zie Pascha Finanzen, Nazim Krieg, Hurschid Alarinc. Tewsik, Kiamil und Hilmi waren be reits Greßwesire. Konstantinopel ist ruhig. Die Demission des Kabinetts, welches die Ge- sclxislc provisorisch weitcrführt, war gleichgültig aus genommen worden. * Die Krise in der Türlri eine „Bewegung gegen Deutschland"! Das ..Echo de Paris" sucht heute in seiner be kannten deulschhetierischen Llkise in einem Artikel nao uiweisen, daß die Krise in der Türkei ihre Ursache haupuachlich darin habe, da» der türkisch National stolz sich gegen die deutsche Bevormundung aufbäume. Dieser Artikel verdient niedriger gehängt zu werden. Das Blatt schreibt: „Der Nückiritt des türkischen Kabinetts kann nie mand überraschend kommen, der die wahren Ursachen kennt, die der Krise in der Türkei die große Aus lohnung gegeben haben. In Wahrheit ist die Beux- gung der Unzufriedenen, die in der türkischen Armee ausgebrochen ist, und Mahmud Sckefket Pascha ge zwungen har, zurückziitreten, gegen den Grogen Genc- ralstab gedichtet. Dieser wird bekanntlich nicht von türkischen Offizieren, sondern von Frciberrn von der Goltz, also von deutscher Seite, geleitet. Die unzu- sri.oenen türkischen Offiziere werfen dem Gen«ral- s:ad vor. dog er vernachlässigt hab«, Vorbereitungen zu treffen, die Tripolis und die Inseln des Aeaäischen Meeres wirksam vor einem italienischen Angriff schützen kennten. Verschiedene türkische Zeitungen gehen in ihren Angriffen noch rveitcr; sie klagen Deutschlands des Verrats an, das seine Stellung in der Türkei dazu ausgenutjt hab«, um dies« seinem Ver bündeten, Italien, gegenüber machtlos zu machen. Es war also die nationale Erregung, die di« Gründe für Mahmud Schefkets Rücktritt bildete. Sie tonnte nur wachsen, als Said Pascha und seine Kol legen das Voricfeuille des Kriegsministers Mahmud Mu.Itar Pascha anboten, welcher mehr noch als Mahmud Schefket Pascha deutschfreundlich und ein glühender Verehrer und Schüler des Freiherrn von der Golt; in. In dem Gefühl, daß die Situation un rettbar verloren sei, haben nun Said Pascha und sein« Kollegen cingesclxn, daß sie den Gang der Ereignisse abwartcn müssen. Sic haben versucht, die Kandi datur von Nazim Pascha, eines früheren Schülers der Militürschule von St. Lyr, zu hintertreiben. Na zim Pascba ist stark deutschfeindlich gesinnt. Indem das Kabinett Said Pascha die Ernennung Nazims zum Kriegsminisk-er verhindern wollte, hat es seine letzle Karre ausgespielt. Don Tewfir Pascha hofft inan, doch er die Ordnung wieder Herstellen wird. Europa ist an der Aufrechterhaltung des Friedens ,m start interessiert und kann nicht zugeben, daß die Türkei in einem Valkaukri«g« ihr Ende findet.". Der Artikel ist unterzeichnet mit: Andrö Hevcl. O Ole „ttrnklltten". (Zu den Wirren in der Türkei.) Zu der Demission des türkischen Ministeriums wird uns von unterichtetcr diplomatischer Seite folgendes geschrieben: Di« Arnautensrage hat für die Türkei immer einen gefährlichen Charakter. Man muß das Volk der Arnauten kennen, um zu wissen, das? diese Leute ein sehr unruhiges Element in einem Staatswesen bilden. Die „Skipetaren" — wie die Arnauten sich selbst nennen — sind von alters her ein kriegerisches Volk, das nur zwei Be schäftigungen für den Mann anerkennt, nämlich den Krieg und die Landwirtschaft. Di« Häuser der Arnauten beweisen sogar, welch kriegerisch« Männer in ihnen wohnen, denn jedes einzelne Haus ist für sich eine kleine Festung, wie ja auch das ganze Land durch seine Bodenbeschaffenhcit als natürliche Festung angesehen werden kann. Es komint dazu, das; die Albanier oder Arnauten ein ungewöhnlich grosier und stattlich«! Menschenschlag sind. Besonders die Männer zeichnen sich durch grosze Kraft und Ge wandtheit aus. Ein Stamm von ihnen, die soge- «umtM Mkr^kten aaimtM Mlrdktrn, die im nördlichen Albanien wohnen, ist von besonder» edler Abstammung und gilt als d«r kriegerischste Stamm im ganzen Lande. Di« Mirditen, die ungefähr 25 060 Se«len stark sind, stellen auch den Hauptteil der Offiziere. Als ge- meine Soldaten dienen sie, da sie sehr vermögend sind, nur in seltenen Fällen. Ganz besonders in- teressant sind di« Arnauten dadurch, daß sie heute allein den alten griechischen Typ, den wir au» Gemmen und Kunstwerken kennen, fast vollkommen rein aufzuweisen haben. Sie sind nämlich eine Volks mischung aus griechischen und epirotischen Elemen ten. Sie haben sich durch die Abgeschiedenheit ihres Landes bis auf den heutigen Tag vollkommen rasse rein erhalten. Eigenartig ist auch ihre Sprache, in der zwei Dialekt«, nämlich das gegische und das toskische unterschieden werden. Albanien hat bis vor kurzer Zeit zum Bau der Marinen der europäi schen Großmächte viel beigetragcn. Auf d«n Bergen Albaniens wachsen nämlich ausgezeichnete Schiffs bauhölzer, die nach Europa transportiert worden sind. Heute ist die Anzahl der Albanier nicht sehr bedeutend. Nach oberflächlicher Schätzung dürsten ungefähr 3 Millionen Seelen das bergige Land be wohnen. Die Geschichte der Arnauten rst eine Ge schichte der Erhebungen und der kriegerischen Ereig nisse, und es dürfte voraussichtlich noch lange dauern, bevor sich der Sinn dieses kriegerischen Volkes der ruhigen Kulturarbeit zuwendct. Es ist eine Frage der Zeit, ob es der türkischen Negierung jetzt gelingen wird, des Aufstandes beziehungsweise der unruhigen Bewegung Herr zu werden. Im In- tercss« des Friedens muß nian der Regierung allen Erfolg wünschen, da der Weltfrieden sehr eng mit dem Frieden im albanischen Wetterwinkel zuscrm- menhängt. Nullen unü üer W.ttelmeerbunü. (Von unserem römischen Korrespon denten.) Rom, Mitte Juli. Wenn dieser Bund, der einem tiefgefühlten Be dürfnis Englands ebenso wie Frankreichs entspricht, zustande kommt, dann hat der Dreibund aufgehört zu leben. Denn ein Nebeneinander von Dreibund und Mittelmeerdund verträgt sich, um den Aus- druck eiircS vielgenannten italienischen Publizisten zu wiederholen, ebensowenig wie Feuer und Wasser. ES komint auch gar nicht oarauf an, daß man auf feiten der Wcstmächte an Stelle des Wörtchen) Bündnis für die zu vereinigenden Mittelmeer, staaten die schöne Entente setzen möchte, um Deutsch- schland und Oesterreich die Pille zu versüßen. Der Kern des Abkommens würde eS machen, nicht die äußer« Bezeichnung! Vielleicht aber erhitzt man sich in allen europäischen Zentren ganz unnötig über den Streit wegen eines Vertrags, von dem »vir nocti die Geburtsanzeige erwarten. Die Lon doner Quelle, die daS für die Wcstmächte so frohe Ereignis als bevorstehend ankündigte, ist bereits dementiert worden. Von ihm will man auch in Nom nichts nässen. Oder man tut wenigstens so, als wüßte man von nicht». Mit unleugbarem Ge schick spielt man in Nonr das Orakel. Denn aus den Verlautbarungen deS ministeriellen „Popoko Ro- < inano" kann man italienisclxrseitS ebenso gut auf eine Abneiguna gegen wie auf eine stille Liebe für den Mittelmecrbund schließen. Andere weniger abhängige, aber doch offiziöse Organe haben den Plan neuer Abmachungen über die Verteilung der Mittclmccrrcchte und -pflichten kurzerhand in das Neich der Phantasie verwiesen. Weshalb dieser Eifer? Di« Fülle der Dementis im Verein mit halben Eingeständnissen gestaltet die Geschichte noch komplizierter. Am interessantesten liest sich der Kommentar, den der Deputierte Andreas Torre im „Corriere della Sera" dieser Frage gibt, die so leicht nicht von der Tagesordnung der ostent- lick-eu Debatten verschwinden wird. Ec sagt, vor etwa fünf Monaten seien England und Frankreich an Italien wegen neuer Vereinbarungen über das Mittclmeer hcrangerreten, aber ebenso höflich wie entschieden abgcwiescn worden. Denn Italien könne inmitten deS Krieges nicht neue Verpflichtungen übernehmen, von denen es annehmen müsse, daß sie den Drcibundgenosscn auf die Nerven fallen lmirden. Daran ist gar nicht zu zweifeln, daß, wenn Jta- lien während des Konflikts mit der Türkei den Weg zu neuen Extratouren beschreitet, für Dcutsclp- land und Oesterreich der Augenblick gekommen wäre. wo der Scherz aufhört und der Ernst beginnt. Wie aber gestaltet sich die Sache, wenn Ita lien den Krieg hinter fick bat? Die Ant wort gibt unS Herr Torre so, daß auch wir zu frieden sein könnten, — wenn seine Regierung sich seine Argumente nach dem Kriege zu den ihrigen macht. Torre erklärt, nicht Italien hätte Vorteile von einem solchen Mittelmeerabkommen, sondern ausschließlich England und Frankreich, dem Italien die Kastanien auS dem Feuer holen »vürde. Der Mittelmeerbund, so deduziert Torre, würde für Frankreich und England nur einen Teil ihrer aus wärtigen Politik bedeuten, für Italien aber die ganze auswärtige Politik. Denn Italien sei durch und durch Mittelmcermacht. ES würde sich mit einem neuen Sondcrabkommen mit den Westmächten zwischen zwei Stühle setzen, denn Deutschland und Oesterreich müßten naturgemäß von Italien ab rücken. Im übrigen habe mau sich in Algeciras eine heilsame Lehre für die Zukunft geholt. Sotzxit Herr Torre, ein Mann von Staats- und gelehrten Sackten. Er steht, auch wenn er nicht gerade in der Kommission zur Prüfung der angehenden Tiplo- Maten tätig ist, den Negierenden näher, als man außerhalb Italiens ahnt. Deshalb gewinnen seine Worte erhöhte Bedeutung in einer Frage, deren Lösung Krieg oder Frieden für Europa brinat. Noch vor Jahresfrist bekannte sich Torre, der für seine Aeußerungen sich das grüßte und ein- flußreichste Blatt Italiens als Resonanzboden sucht, als sehr lauen Dreibundfreund. Damals stellte er schwer«, fast unannehmbare Bedingungen für eine Erneuerung deS Bündnisses zwisclzen Italien und den beiden Zentralmächten. Heute ist er bedingungs loser, ja fast enthusiasmierter Anhänger desseloen Bündnisses. Und gleich ihm haben viele, sehr viele höchst einflußreiche Politiker den Weg nach Damas kus gesunden. Man muß die Gegner deS Drei bunds heute suchen gehen. Und tvürde ihnen die Betriebsamkeit des französischen Botschaf ters Barrere nicht auch jetzt noch den Nacken steifen, dann wäre die Frage der Dreibunderneue rung überhaupt keine Frage mehr. Aber Herr Bar rere läßt ebensowenig locker wie seine Negierung in Paris und deren Londoner Protektoren. Man muß die Jubelausbrüche lesen, mit denen die von Mr. Barrere redigierten, pardon protegierten Blät- ter, wie der „Secolo" und „Messagers" die Enthül lung des Herrn Lucien Wolff aus London vom be vorstehenden Abschluß eines MittelmecrabkommenS begleiteten, um sich in die Seele der Herrschaften zu versetzen, die die Gedanken und Wünsche der französisch-italienisch en Berbrüde- rungSliga interpretieren und propagieren. ES sind auf französischer Seite dieselben Herren, die den R«van che gedanken gegenüber Deutsch land am leidenschaftlichsten kultivieren. Zn ihnen gehört u. a. auch der ehemalige Minister des Aeu- ßern Mr. Pichon. Er hat nach den jüngsten Veranstaltungen der Liga den Redakteuren der beiden genannten italienischen Blätter sein Herz auSgeschüt- tct. Seiner langen Rede kürzester Sinn ist: Frank reich und Italien müssen Handelseins werden." Die Zwischenfälle, die die Schwcsternationen getrennt haben, müssen der Vergessenheit anheimfallen." Wer Oberwasser bekommen wird, die italienischen Fran- zöslinge nach dem Herzen der Herren Barrere und Pichon oder di« Dreibundfreunde, die auf die Worte des Onoravol« Torre schwören, daS wird zu klarerem Ausdruck erst mit denk Ende des Krieges kommen. Kein Geringerer als der meistgenannte der italienischen Sozialisten- Herr LeonidaS Bissolatt, der soben den Ausspruch deS großen Bann fluchs von feiten des sozialistischen Parteitages mit der Gründung einer neuen Resorm- > artet sozialdemokratischen Charakters quittiert >at, gab vor kaum einem Vierteljahr der Regierung, xr er nicht nur wegen seiner Hofgängerei sehr nahe- teht, nttt großem Nachdruck den Nat, sich den Ab- chluß des Dreibunds recht reiflich zu überlegen, ich vor all«m Zeit zu lassen. Denn die Sache )ab« um so weniger Eile, als sich bis zum Abschluß ^>cs Dreibunds Dinge ereignen könnten, die einer BcrtragSerneuerung entgegcnstclM könnten. Befolgt die Regierung den Rat des Reformsozialisten? Noch hat sie «in volles Jahr Zeit zu der ihr empfoh lenen reiflichen Uebcrlegung. In dieser Zeit ernster Prüfung werden eS Frankreich und England an Gunstbewerbungen nicht fehlen lassen, während ander seits Deutschland und Oesterreich durch den nicht endenwollenden Krieg mit der Türkei in eine immer ungünstigere Position gegenüber Italien gelangen. Es braucht durchaus keine neuen Zwischenfälle wie der durch Herrn von der Goltz heraufbeschwo- reuen, der in Italien den allerstärksten Eindruck Frrlws. IS. 3u» «S12. hinterlassen hat, zu geben, um den Freunden einer ehrlichen Dreibundpottttk das Leben sauer zu machen, den Feinden die Aussaat für den Abschluß eine- MittelmecrabkommenS zu düngen. Der Dreibund himmel ist ohnehin genug getrübt durch die Orient politik, wie sie Deutschland auffaßt und deren Rich tung Italien nicht paßt. Zwar sagt man auch in Nom, wir wollen den Status quo am Bal kan, aber im Grunde genommen denkt man ander- als man spricht. Denn man möchte die Lösung der ägäischen Jnselfraae der Berliner Rr* gierung gewissermaßen als Prüfstein für ihre Jtalieusrcnndlichkcit beim Friedensschtuß vorsetzen. Daß Italien wenigstens einen Teil der besetzten Inseln endgültig behalten möchte, daran zu ziveifeln ist heut« nicht mehr erlaubt. Wird Deutschland diesen Herzenswunsch seines Alliierten crsüllen können, ohne die Freundschaft mit dem Sultan ganz und gar aufs Spiel zu setzen? Und wird sich vor allem Oesterreich den Machtzuwachs Italiens im Mit telmeer gefallen lassen, ohne selber mit Entschä- digungsansprüclgm vorzutretcn? Zwar sind auch England und Frankreich noch nicht für eine Ab tretung der Inseln an Italien zu haben. Mer in Nom läßt man die englischsranzösilckzeu Einwände eher gelten als die Neutralität der Alliierten, von denen man ein Mehr erwartet. Die Jnselfrage bildet den Keim zu neuen noch größeren Zwistigkeiten, und alle Zeichen deuten darauf hin, daß der Friedensschluß die Zahl der Verlegenheiten, die der Krieg für die Alliierten ge schaffen, noch ganz erheblich vermehren wird. Die „Enthüllungen" vom nahenden Mittelmeerbund ka men »nto kestnm. Di« bereiteten den auf ita lienischen Wankclmnt spekulierenden Herrschaften in Paris und London ersichtlich großes Unbehagen, während sie in Nom mit vergnügtem Schmunzeln als Faktor zur Klärung der heiklen Drcibundsituation begrüßt wurden. Man fühlt sich hier unten inmitten aller Kriegsmisere außerordentlich geschmeichelt durch daS Bewußtsein, von rechts und von links, vom Newastrand bis zur Seine und Themse umworben zu sein. Es ist durchaus falsch, außerhalb Italiens die Meinung zu verbreiten, die Krieg - sti mm u n g wäre abgeflaut. So sagen eS in Italien nur die Revolutionären der sozialdemokratischen Partei, dis auf dem Kongreß zu Reggio Emilia zugleich mit einem Mehrheitsbeschluß gegen die Revisionisten den Bankerott ihrer Partei erklären mußten. Außer den Häuptern der Revolutionären und ihrer schwa chen Anhängerschaft ist alles nach wie vor kriege risch gestimmt. Ueberall kündigt sich die Hoffnung auf ein „G r ö ße r — I t a l i en" an. Tie impe rialistische Strömung reißt selbst besonnene Elemente fort. Tie Uferlosiakeit der Wünsche, daS ist daS Gefährliche der Situation, die zweideutig bleiben wird, solange die Frage, ob Dreibund oder Mittelmeerbund- nicht ihrer glatten Lösung cntgegengeführt ist. Sok- unü perlonslimchrlchten. * Die Kronprinzessin, die seit vorgestern mit ihren Kindern in Heiligendamm w«lt, wo auch ihr Bruder, der Grohherzog von Mecklenburg.Schwerin, seit einiger Zeit sein Hoflager hat, machte gestern nachmittag in Begleitung des Grohherzogs auf der alten Kalserjacyt „Komet" Scgelkreuzfahrten. Als die Hochseeflotte ,n Sicht kam, begleitete die Jacht die Flott« eine Zeitlang und wollte in Heiligen damm die Gäste wieder absetzen. Inzwischen kam aber ein starker Gewittersturm auf, so daß die Jacht zurückkehrte und die Kronprinzessin und ihre Be gleitung in Warnemünde von Bvrd gehen mußten. DaS auf der Mole zusammengeströmte Publikum bracht« der Kronprinzessin und dem Groß herzog lebhafte Huldigungen dar. * Herzog Karl Eduard von Sachsen- Ko bürg und Gotha vollendet heut« das 28. Lebensjahr. * Die Großherzogin.Witwe von Meck- len b u r g-S trelitz vollendet heute ihr 80. Lebens jahr. Als Tochter des Herzogs Adolph von Cam bridge, der längere Zeit Statthalter Les Königreichs Hannover war, in Hannover geboren, wurde sie 1843 sie Gemahlin de» damaligen Erbgroßherzogs von Mecklenburg-Strelitz. Seit 1904 ist sie Witto«. Die Wahrhaftigkeit beim Mnüe Die Ursprünglichkeit, die Offenheit, die Unbc- sangenlieit sind Erscheinungen, die uns im Wesen des Kindes besonders gefallen, sie machen einen Teil der Kindlichkeit «aus, die uns Erwachsenen besonders erfrischend anmutet. Tas kleine Kind weiß giücklicl^erweise noch nichts von Verstellung, ihm ist die Sprach nur dazu da, seine Gedanken aus- zuspreclxu, nicht aber sre zu verbergen. In seinen Äeußermigen gibt es sich ganz unversälscht, gleich viel, ob es durch sie erfreuend oder abstojzeud wirkt. So ist daS kleine Kind ganz Wahrheit. Freilich je älter «S wird, desto niehr büßt es diese Natürlichkeit «in, und «S ist gewiß sonderbar, daß nun gerade «in Charakterfehler häufig bei ihm in Erscheinung tritt, der zu jener kindlichen Wahrhaftigkeit gar nicht passen »oill, die Lüge. Tenn wenn sich auck nicht behaupten läßt, daß die Wahrhaftigkeit selbst bej den ErnZacNenen stärker wäre, häufiger vorläme al- bei Kindern, so läßt sich das doch vielleicht von der Lüge sagen. Denn der Grosze lügt meist aus einem bestimmten Anlaß, zu einem gewissen Grund, er wird sich auck fast immer hüten, als Lügner ertappt zu werden und wird sich meist schämen, ärgern, wenn er als solcher überführt worden ist: ist er sich auch seiner Unwahrhaftigkeit bewußt, so will «r sie doch nicht vor den Leuten gelten lassen, da die Lüge zum Glück überall als der häßliche Schandsleck an einem Menschen angesehen wird, d«r nach tzen Worten der Schrift eben nur bei ungezogenen Leuten gemein ist. Anders das »Und. Selbst wenn sein Wahrhaftig keitsgefühl nicht besonders verderbt ist, wird cs doch recht häufig lügen. Denn zunächst muß es nach und nach zur Verachtung der Lüge erzogen werden: es muß überhaupt erst mit den Jahren dal in gebracht roerden, daß «4 fick schämt, vor den Leuten als ein unlauterer Charakter dazustehcn, und was am meisten wert ist und als letztes Ziel gilt, es muß erst lernen, daS Gute und daS Schleißte ricknig zu schätzen, einen Widerwillen gegen dieses und eine Neigung für jenes zu empfinden. Dieses Ziel wird sich aber in der Kndbett ja genügend erreichen lassen. Sodann aber lügt ja das Kind auch noch ans manchen anderen Gründen als der Erwachsene Gehen wir den Hrsacchm seiner ge äußerten Unwahrheiten nach, dann stoßen wir änf manche Erscheinung, die dem Erwachsenen mehr oder weniger fremd ist Da lügt manckhs Kind ans einer lcbhatten Phantasie heraus: es steht selbst so sehr unter dein Einfluß seiner Empfindungen und Einbildungen, daß es sich der Unwahrheit seiner Worte gar nicht bewußt wird, sich vielmehr nur an dem Spiel seiner eigenen Gedanken erfreut. Da treibt ferner die Angst so häufig zur Lüge; in seiner augenblialilihm Erregung denkt das Kud nicht an die Zukunft, ihm ist es einzig und allein um die Gegenwart zu tun. Verwandt damit sind auch die LcicktsiunSlügen, die der kindlichen Zerstreutheit, ebenso aber auch seiner Denkfaulheit entstammen. Dazu kommt ja, daß daS Kind meist nichts weniger alS kritisch veranlagt ist. Gebraucht« eS immer alle feine Geisteskräfte, so wären diese Art Lügen auch seltener, während jene Lügen, die ans wirk lichem Schwachsinn hervorgehen, aus dem Unver- mögen, die Tinge und Zustande der Wirklichkeit und ihre Beziehungen zueinander richtig zu erkennen, coen nie weggcschajst werden können, freilich auch nicht so schwer «inzusclxitzeu sind. Immerhin geht schon aus dem Bisherigen hervor, daß Lügen unter den Kindern sehr häufig sind, häufig sein müssen, und daß es immer etwas unüberlegt gesprochen wird, wenn Eltern ganz steif und fest behaupten: Aber unser Kind lügt nickt! Di« Lüg« ist eben in getvissem Sinne etwas jkindertümttclzes. Darin liegt für die Eltern ein reiclscr Trost, die Hoffnung nämlich, daß jener Charaktcrfchler mit der ZKt von selber wieder ver schwinden wird, daß «r mit den Kinderschuhen auch abgelegt werden wird. Diese berechtigte Hoffnung soll nun freilich uicht von der Verpflichtung ent binden, doch daS Mögliclp.' zu tun, um die Lüge auck schoir im Kinde nach Möglichfett zu bekämpfen und dahin zu strebe«, daß sich ein Fehler immer mehr festsetze, der zum ersten günstige Voraussetzun gen vorfindet — eben die ganze Natur deS Kindes —, zum zweiten geeignet ist, den ganzen zukünftigen sittlichen Charakter von Grund aus zu verderben. Und die sorgsame Erziehung wird hier, wenn sie die richtigen Wege cinschlägt, sicl)«r manche schätzens werte Erfolge erzielen. Verkehrt ist eS jedenfalls, wenn man daS Kind von der Lüge dadurch zu heilen sucht, ihin ihre Verwerslichkeik zu beweisen trachtet, indem mau es dafür körperlich oder sonst ernstlich straft. Gewiß mag diese Strafe in einzelnen Fällen auch am Platze sein, wer wirklich pädagogischen Takt besitzt, nnrd auch dies«« Trumpf auszujpiclen verstehen, aber zum llniversalmittcl soll sie doch deshalb noch lange nicht geinackt werden. Wenn wir vielmehr eiü Erziehungsmittel über die andern hinstellen wollen, so wäre dies die Auskläruiig, die Belehrung. Auch daS Wort ist mit w».'iser Oekonomie In der Erziehung anzuwenden, aber bei der Lüge ist e- durchaus angebracht, daß wir davon Gebrauch macl-en. Oft wird es sich darum handeln, die Kuder darauf hinzuweisen, daß sie sich in einem Irrtum befinden, daß ihre Worte gar nicht stimmen können, es wird nur angemessen sein, sie so in die Enge zu treiben, daß sie selbst den Weg von dem Irrtum zur Wahrheit gehen müssen, sie darauf hinzuweisen, daß die llnwahrheit nickt ausgesprochen worden wäre, wenn die eignen Geisteskräfte gebraucht wor den wären. Wo es sich dagegen um bewußte, vor sätzlich Kinderlügen handelt, auch da wird eine ernst- lichc Belehrung, Ermahnung am Platze sein, da soll eben dem Kinde das Gewissen geschärft werden. Denn hier kommt es eben daraus an, dem Kinde die .Häßlichkeit der Lüge einmal freundlich, aber ernstlich zu zeigen, es darauf aufmerksam zu machen, »velche Folgen die Unwahrheit für eS selbst wie für die andern nach sick ziehen kann. Das Kind ist ein Augenblickswescn und muß erst dazu erzogen werden, weiter als über das Gegenwärtige hinaus- zudenkcn. An jeder Beziehung muß das Wahrheitsgefül gestärkt werden. Man soll dabei nicht vergessen, daß eS sich hier nicht um ein sittliches Empfinden handelt. Unser Begriff ist bedeutend weiter. Die Erziehung des jungen Mcnschn ist eine einzige, eine einheitliche, da kann der eine Einfluß wer iveiß wie viele Wirkungen anrcgcn. Daher muß im Kinde auck daS intellektuelle Wahrhcitsgefühl ge bildet werden. ES soll die Freude schätzen lernen, einer Wahrheit in geistiger Beziehung nach eignem Suchen aus den Grund gekommen zu sein, eS soll zur Klarheit im Denken erzogen werden, ein Feind unklarer Begriffe und hohler Phrasen fein. Un ehrlichkeit und ein auf den Schein gestelltes Wesen soll «S verachten lernen. Diese Freude am Wahren und Klaren in jeder Beziehung ist in ihm bei jeder Gelegenheit zu wecken, und dieses Gefühl wird ihm dann auch in seinen Worten, in seinem ganze« sitt- licken Leben zum treibenden Gewissen, zum richtung gebenden Wegweiser werden. Wie in der Erziehung überhaupt, so kommt eS auck bei unserm Thema recht viel auf die Persön lichkeit des Erziehers an. Das Beispiel erzieht. Das Kind ist «in nachahmendes Wesen und bildet sich nach seinen Vorbildern. Es bedarf daher kaum der Erwähnung, daß sich der Erzieher peinlich vor jeder Lüge, auck vor der im Scherz, zu hüten hat. Denn cs ist ja bekannt, daß Kinder für die Fehler ihrer Erzieher ein sckarses Äuge haben und sie zur Entschuldigung für ihre eigenen Vergehen benutzen. Es gibt so viel« Kleinigkeiten im alltäglichen Leben, wo von den Erwachsenen gegen die Wahrheit fo sehr gesündigt wird, ohne daß man überhaupt em Un recht damit zu begehen glaubt. Man denke nur an die vielen konventionellen Lügen, die manchmal unser gcsellsckaftlicheS Leben beherrschen. Das Kind wächst gar bald in die zu verurteilende AnfchauungSweise hinein, daß hier etwas Selbstverständliches vorliegt, weil es sick nach der Lebensweise der Großen richtet. Außerdem muß der Erzieher imstande sein, selbst die Wahrheit zu vertragen, auch in den Fällen, wo sie ihm unangenehm ist, wo er sich in deS KindeS Augen korrigieren muß. An seinem Borbilde muß das Kind gerade lernen, wie die Wahrhaftigkeit eines der obersten Ziele unseres Leben- vleiben muß, wofür cs sick lohnt, zu kämpfen und Opfer zu bringen. Hier wäre auch der sogenannten Notlüge zu gedenken. Am besten wird eS sein, ihr so wenig wie möglich Raum zu gewähren und die Kinder nicht in den Gedanken cinzuwiegen, daß sie etwa- Erlaubtes und Harmloses sei; bei gutem Willen wird man sie meist schon umgehen können. Ist das aber einmal unmöglich, so ivird ein« kurze Besprechung mit dem Kinde, die seinem Verständnis aiigepaßt ist, anae- mefs«n sein. Im übrigen aber wird ein solcher einzelner Fall, wenn sonst da- ganze Leben auf WahrhaftiAeit gestellt ist, kaum besonderen Schaden stiften. Gut wird es auch sein, wenn der Erzieher den Zögling nickt «rst in solche Verlegenheiten brintgt, wo es sclstver fällt, sich für die Wahrheit zu ent- sclKdcn; das Kind soll zwar an den Kampf mit sich selber gewöhnt werden, aber dafür wird e- ja im alltäglichen Leben nicht an Anlässen mangeln. Von besonderem Werte ist e- auch, daß der Er zieher dem Zöglinge genug Vertrauen zeka«; da- Mißtrauen reizt ost geradezu zur Lüge, abgesehen davon, daß es überhaupt jene- fein« Band zerreißt, d>aS zwischen beiden fest werden muß, wenn wirklich erzogen und nicht gedrillt werden soll. Jedenfalls ist es nicht leicht, in jeder Beziehung einen wahrheitsliebenden Menschen au- dem Kinde zu machen, einen Menschen, der nicht nur die Wort lüge haßt, sondern in seiner ganzen Lebensführung ivahrhaftig, «cht, natürlich bl«ibt, und eS bedars eines feinen ErzichungStinteS, um hier immer daS Richtige zu treffen. Da e» sich aber hier darum handelt, den zukünftigen Menschen in seinem ganzen Kern zu erfassen, sein ganze- Wesen ui gestalten, so wird «S auch nur angebracht sein, sich mit der ganzen Sorgfalt und mit höchstem Eifer der Er ziehung zu solcher Wahrhaftigkeit htnzugeben.
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