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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 22.06.1911
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-06-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19110622011
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911062201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911062201
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1911
- Monat1911-06
- Tag1911-06-22
- Monat1911-06
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Bezug-Preiö sür Letptta »ad voi»itt d»rch «is<« IrSaer und 8oedtt«»r« 2mal täillch in. Ho», »ebraqt: « Ps. monatl., r.7v Ml. vieneljäbrl. Bet nnsern FUialr» u. An- natzmeftellen nbaehoit: 7» PI. monatig r««k. »tertsliShri. »«ch »t» V»ü: tnnerhalb Deutschland» und der deutschen Itolonten vtettelsährl. >8» Mk., »onatl. l.ru Vik. auaschl. Postbestellgrld. Ferner in Bellten, Dänemark, den Donaustaaten, Italien, Lureinbura, Niederlande, Rar» weaen, Oesterreich - Ungarn. Rußland, Schweden, Schweig u. Spanten. In alle» übrigen Staaten nur direkt durch di« EeschSft»kt«ll« de» Blatte, erhältlich. Da« Leipziger Tageblatt erscherut 2mal täglich. Sonn- u. Feiertag, nur morgen». Ldonnem«nt»»>llnnahm« S»ha»»t»,als« 8, bei unseren Trägern, Filialen. Spediteur«» und Annahmestellen, sowie Postämter» und Briefträger». G1»»«l»«rta»t,»r,r» »Mi. Morgen-Ausgabe. MMer TaMalt s 14 6S2 l«achta»schluh» Tel.-Rnschl. 14 693 1 14694 Handelszeitung. Tel.-Änschl. 14 8S2 lNachtanschluhj 14 89» 14 694 Amtsblatt des Rates und des Votizeiamtcs der Ltadt Leipzig. Anzeigen Preis fllr Inserat, au» Leipzig und Umgebung die lspaltige Petitzeil« L Ps , die Reklame- zetl, j Mk., aon «»»wärt» N Pf, Reklamen l^V Mk.. Inserat« von Behörde» im amt lichen Teil di« Petitzeil« S0 M. Seschäslsanzeigen mit Blatzoorschriste» u. in der Abendausgabe im Preise erhöht. Rabatt nach Taris. Betlagegebühr Gesamt auslag« s Mk. o Tausend erkl. Postgebühr, letldeilag« höher. Feftetteilte Austraae können nick'« zurück gezogen werden. Für da» Erscheinen an beitimmten Tagen und Plätzen wird kein« Garantie übernommen. Unzetge»»Annahme 2»tza»ni,g«ls, 8, bei sämtlichen Filiale» ». allen Annoncen» Lrpeditioue» de» In» und Auslände». Druck »ad Verlag »«» Leipziger Tage» blatt«, E. Pelz. Inhaber: Paul Nürste». Redaktion und G«schält»stell«: Iohanni.gass« 8. Hamtt-Filiale Dre,»«n: Serftraß« < l (Telephon <621). Nr. 17 l. vannerswg, -en 22. Hum lSll. los. Zshrgsng. Die vorliegende Ausgabe umfaßt 18 Seiten. Das Wichtigste. * Der Kaiser ist am Mittwochnachmittag an Bortz der Jacht „Hohenzollern" im Kieler Hafen eingetroffen. Er wurde von der dort vor Anker liegenden ame Titanischen Flotte durch Salutschüsse begrübt. (S. Dtschs. R.) * Das preußische Herrenhaus nahm am Mittwoch das Zweckverbandgesetz an. (S. Sitzungsbericht.) * Heute findet in London die Krönung des englischen Königspaares statt. * Die Themnitzer Aerztekammer wendet sich mit einem Protest gegen die Dresdner Hygiene- Au s st e l l u a g. (S. d. bes. Art.) * In Schneidemühl ist eine Typhus-Epi- Lemie ausgebrochen. 90 Krankheitsfälle sind fest gestellt. (S. d. bes. Art.) * Aus dem Alpengebiet werden schwere Un wetter gemeldet. (S. d. bes. Art.) * Der Komponist Robert Radecke ist ge storben. (S. d. bes. Art.) * Die Grande Course de Haies d'A uteuil (50000 Fr.) gewann Mons. Olry- Roederers „Carpe Diem" unter Thibault in einem Feld« von dreizehn Pferden. (S. Sport.) Der Ssiler sul üer „Amerika". Nach langem Schweigen hat Kaiser Wilhelm am Dienstag wieder eine für die Oeffentlichkeit bestimmte Rede gehalten. Sie ist eine Antwort auf die Worte der Begrüßung, die der Hamburger Bürgermeister Dr. Burchard an Bord des Hapagdampfers „Amerika" bei dem Festmahl nach der Regatta auf der Niederelbe an den Kaiser richtete, und folgt daher genau deren Eedankengängen. Das Oberhaupt von Hamburg hatte in kurzen, knappen Strichen eine treffliche Antithese vollzogen der trüben, bitteren Zeit vor hundert Jahren, da unter Napoleons fester Faust Deutschland in Hoff nungslosigkeit dahinsiechte, und der von sicherem Frieden getragenen Gegenwart, die in unge ahnter Kraftentfaltung wirtschaftliche Werte ruhig geschaffen und zum Ruhme des Reiches in allen Ländern der Erde abgesetzt werden können. Weiter hatte Dr. Burchard gleichsam als Verkörperung dieser mächtigen Entwickelung die Hamburg-Amerika-Linie mit ihrem genialen Leiter Ballin gewürdigt und damit zugleich den Dankeszoll für die erwiesene Gastfreundlichkeit der Hapag abgestattet. Endlich hatte er in den Schlußsätzen den Kaiser als Förderer und Schirmherrn der seewirtschaftlichen Interessen des deutschen Vaterlandes gefeiert und damit wohl die tiefste Begründung gegeben für die im Eingang der Rede zum Ausdruck gebrachte Freude der Hamburger am Besuche des Kaisers. Die Antwort des Kaisers ward durch einen herzlichen, schlichten Dank für die Auf nahme in Hamburg und durch ein höfliches Kompliment gegen den Sprecher der Be- grüßungsworte eingeleitet, beschäftigt sich dann aber sofort eingehend mit dem Vergleich zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Bei der Be wertung der für die geschichtliche Entwicklung entscheidenden Faktoren fällt auf, daß der Kaiser das persönliche Moment, auf das er in früheren Reden so gern den stärksten Nachdruck legte, zurücktreten läßt: Nicht dem greisen Großvater, sondern dem „Kaisertum" verdanken wir die Grundlage für den Aufschwung des zu einem Stahlblock zusammengeschweißten Reiches. Nicht eignem drängenden Willen und Entschlüssen entsprang die Fürsorge für Schiffahrt und See handel und für beider gepanzerten Schutz, son dern der tiefen Erkenntnis historischer Not wendigkeiten: „Verpflichtungen alter Tradi tionen" einzulösen, die „alten hanseatischen Auf gaben" und damit also das vorwärtstreibende Prinzip der alten Hansa, des mächtigen, Welt wege erschließenden und beschützenden Städte bundes im Mittelalter, für die Gegenwart wieder aufzunehmen. Mit diesen Darlegungen hat sich der Kaiser ganz offensichtlich von seiner bisherigen Geschichtsauffassung abgewandt und mehr Anschauungen zugekehrt, wie sie Ranke mit seinen geschichtlichen Ideen eignen. Aber diese Erscheinung ist nicht das einzig Bedeutsame an der Kaiserrede. In ihrem zweiten Teil, der unmittelbar auf die Ereig nisse des Tages Bezug nimmt, ist die Rede von einer frischen Ursprünglichkeit erfüllt und von einem kräftigeren Humor durchweht, der auch die Person des Sprechers nicht schont; sie läßt auf ein starkes Behagen des Kaisers schließen, das wohl, wie man beobachten konnte, alljährlich während des Aufenthalts an der See ausgelöst wurde, das aber noch nie so unmittelbar und zwingend zum Ausdruck gelangt ist. Eine solche Stim mung läßt auf unbedingtes Wohlbefinden des Kaisers schließen, und damit werden am sichersten die Gerüchte erstickt, die immer wieder, bald laut, bald leiser, zuletzt von Korfu her, von einer Schwächung der Gesundheit des Kaisers raunen. Zum Schluß hat sich, dem Beispiel Burchards folgend, auch der Kaiser noch persönlich an den Generaldirektor der „Hapag", Albert Ballin, gewandt. Er hat ihm nicht nur als East, sondern auch als Träger der Krone gedankt, und diesem Danke einen besondern Wunsch angefügt: „Möge esJhnen auch ferner gelingen, die großen Interessen Ihres Vaterlandes auf Ihre Weise zu wahren und verderbliche Kämpfe durch Einigung in Güte beizulegen!" Diese Worte lassen eine verschiedene Deutung zu, je nachdem man die Gedanken auf Fernes oder auf Nahes, auf internationale Schiffahrts abkommen oder auf innerpolitische Schwierig keiten lenkt. Auf jedem Fall legen sie Zeugnis ab von dem festen Zutrauen des Kaisers zu Ballin, und wir können nur wünschen, daß der kluge königliche Kaufmann in Hamburg das Vertrauen des Kaisers, wie schon wieder holt, glänzend rechtfertigt. Dann werden sich auch die schönsten Zukunftshoffnungen nicht nur der Hamburger sondern darüber hinaus auch des ganzen am Wellwirtschaftswesen inter essierten deutschen Volkes erfüllen. * Nachdem wir die Rede des Kaisers auf der „Amerika" bereits in der gestrigen Abendnummer wiedergegeben haben, veröffentlichen wir jetzt noch die Rede des Bürgermeisters Dr. Burchard. Sie hatte folgenden Wortlaut: „Eure Kaiserliche Majestät! Wieder ist der Sommer ins Land gekommen, und seine ersten Tage sind sür uns auch in diesem Jahre festlich schöne, weil wir uns der Gegenwart unseres Kaisers erfreuen. Jedesmal, wenn die zweite Hälfte des Junimonats herannaht, rüsten wir uns. Eure Majestät zu empfangen: nicht feierlich, nicht förmlich, nicht unter Entfaltung farbenreicher Pracht, sondern schlicht und einfach, wie Eure Majestät es wünschen. Mit Blumen und frischem Grün bedecken sich die Brücken, die „Hohenzollern" nimmt ihren ge wohnten Platz ein, und wenn die Ankunftstunde naht, harren der Menschen unendliche Scharen auf Straßen und Höhen, drängen sich Fahrzeuge rings um das Kaiserlchiff, und weithin herrscht das freudige Empfinden: Der Kaiser ist da! Und dieses freu dige Miterleben des Kaiserbesuchs dauert fort, wenn am Sonntag vom Deck der „Hohenzollern" gottesdienstliche Klänge nach dem Lande hinüber tönen, und ebenso, wenn Eure Majestät, und zwar, wenn uns das Glück besonders hold war, mit Ihrer Majestät der Kaiserin, durch lange Reihen frohgestimmter Menschen hinausfahren nach Horn, wo im Nennen um den Hansapreis und im Kaiserin-Rennen die besten Reiter und die besten Pierde wetteifern. Daß am letzten Sonntag Ihre Königlichen Hoheiten Frau Prinzessin August Wilhelm und Prinzessin Viktoria Luise von Preußen, beide erstrahlend in jugendlicher Anmut, in Vertretung Ihrer Majestät der Kaiserin mit Eurer Majestät auf der Rennbahn erschienen sind, haben wir freudig begrüßt. Wir sind von Herzen dankbar, daß Eure Majestät zu Hamburg jo freund liche Beziehungen in jedem Jahre pflegen. Und dann geht es den Elbstrom hinab zu frischem sportlichen Treiben. Wir wißen es dankbar zu würdigen, da» Eure Majestät auch in diesem Jahre wieder an unserer Regatta teil genommen haben, und sind uns der großen Bedeu tung der Tatsache bewußt, daß der Deutsche Kaiser an Bord eines auf dem deutschen Elbstrome liegenden hamburgischen Schiffes weilt zur Teilnahme an fröhlicher Geselligkeit. Um so dankbarer aber genießen wir die glückliche politische Gegenwart, wenn wir einmal die Schatten leidvoller Vergangenheit vor uns erstehen laßen. Furchtbar war die Zeit vor hundert Jahren: Napoleon auf der Höhe seiner Macht, Ham burg eine französische Stadt, sein Seehandel zerstört, die Elbe verödet. Tiefe Hoffnungslosigkeit lastete auf Hamburgs Bürgern, und dis zur Neige leerten sie den Leidenskelch. Um so per sönlicher ward vor vierzig Jahren von Ham burg Deutschlands große Zeit erlebt, um so leidenschaftlicher war die Begeisterung, um so be wußter die Kampfbeteiligung. Und jo haben auch in Hamburg patriotische Männer zu Tausenden der deutschen Ruhmestage vierzigste Wieder kehr festlich begangen, stolz auf ihr Vaterland, das die lange Friedenszeit genutzt hat zu ungeahnter Krastentfaltung auf allen Gebieten menschlicher Kultur, stolz auf ihren Kaiser, der ihnen das Reich glänzend verkörpert, und dem sie Vcrirauen und Verehrung widmen. Reges Leben herrschte bereits vor vierzig Jahren auf der vor hundert Jahren fast verkehrslosen Unterelbe: 5439 Seeschiffe mit fast 2 Millionen Registertonnen brachten eine Gütermenge von rund 22 Millionen Doppelzentnern nach Hamburg. Im letztoerfloßenen Jahr aber kamen 17 358 Seeschiffe mit mehr als 12', Millionen Registertonnen nach Hamburg und brachten an Gütern mehr als 150 Millionen Doppelzentnern. In wie erheblichem Maße zu diesem wirtschaft lichen Aufschwungs die unvergleichliche Entwicklung der Hamburg-Amerika-Linie beigetragen hat, ist allbekannt. Ihrem g nialen Leiter, dem vor kurzem der Tag wiederkehrte, an dem er vor 25 Jahren in den Vorstand dieser Gesellschaft ein getreten war, ist von Eurer Majestät wie vom Senat und vielfach sonst von fern und nah glanzvolle Anerkennung zuteil geworden, und seinen Ver diensten um Hamburgs Handel und Schiffahrt wie um das ganze deutsche Wirtschaftsleben ward reichen Maßes prellende Würdigung. Wir Hamburger aber möchten aus diesem Anlaß aussprechen, wie dafikbar wir es empfinden, daß Eure Majestät der Hamburg- Amerika-Linie seit zwanzig Jahren so warme Teil nahme gewidmet, ihre seewirtschaftlichen Interessen stets kundig und gern gefördert haben und jeder Erweiterung ihres sich immer uni versaler gestaltenden Betriebs verständnisvoll gefolgt sind. Dankte dafür bisher nur die Gesellschaft selbst, so heute das ganze meeresfrohe Hamburg. In der Hamburg-Amerika-Linie haben Eure Majestät die ganze hamburgische Schiffahrt, ja ich darf sagen die ganze deutsche Schiffahrt geehrt, die ihrerseits im Kaiser ihrem mächtigen Freund und Schirmherrn huldigt. Und nun erheben wir die Gläser und rufen in Dankbarkeit und tiefgegründeter Verehrung: Unser geliebter Kaiser, Seine Majestät Wil helm ll. lebe hoch!" Srünungstsge in Lonüon. Lr. London, 20. Juni. Krönung! — Krönung! — Nichts als Krönung bildet das Tagesgespräch. Das ganze britische Voll ist krönungsfiebrrg. Schon sind nun auch die fremden Gäste alle eingetroffen, und heute abend findet ein großes Bankett start, an dem 500 Personen teilnehmen werden. »5 Staaten find vertreten, vorwiegend durch Kronprinzen. Re gierende Fürstlichkeiten pflegen bei Krönungen als Gäste nicht zu erscheinen, so Laß die Hauptperson an ihrem besonderen Ehrentage auch ganz und gar Haupt person bleibt und durch einen ausnehmend hervor ragenden Gast nicht etwa irgendwie iil den Hinter gründ gestellt wird. Auch die zur Aufrechterhaltung der Oronung erforderlichen Truppen sind bereits eingerüctt, 45 000 Mann, also so ziemlich die ganze Armee Les engeren Britenlandes. Sie sind alle in den großen Londoner Parks untergebracht. Die frischen Rajen des Hyde Park, des Regents Park und ver schiedener „Commons" haben jetzt alle ihre Zeltlager aufzuweijen. Die „Bretterstadt" selbst hat heute schon eine andere Favbe angenommen. Den ganzen „Krönungsweg" entlang sind Holztribünen errichtet, die bislang eben die Naturfarbe von Brettern auf wiesen, jetzt aber bereits überall mit rotem Stoff überzogen, mit Flaggen und anderem festlichen Schmuck ausgestattet, einen um so festlicheren Anblick ge- ivähren. An den Hauptzuqängen zu dieser „Stadt" sind quer über die Straßen starke Tore errichtet, die am Krönungstagd selbst, sobald der Andrang zu groß werden sollte, geschloßen werden. Schon an den letzten Abenden zogen so ungeheure Volksmaßen den Krönungsweg entlang, daß jeder Wagenoerkehr auf hören mußte. Was wird das erst am Krönungstage, am Donnerstag, werden! In den Stunden von 3 bis 9 Uhr morgens werden an diesem Tage 1055 Züge in London einlaufen, die, auf jeden Zug 600 bis 700 Personen gerechnet, also etwa 650 000 Personen von nah und fern bringen könnten. Wie viele außerdem von den Fremden und Einheimischen, die schon die Nacht in London ver brachten, mittels Untergrundbahnen, die in jenen Stunden 360 000 Personen befördern können, in Privatgefährten, Omnibussen und Straßenbahnen oder zu Fuß sich an Ort und Stelle begeben, ist nicht so leicht abzuschätzen und hängt teilweise ja auch vom Wetter ab; aber die Berechnung, daß insgesamt zwei Millionen Schaulustige sich einstellen, dürfte immer hin einigermaßen zutrefsen. von denen etwa 200 000 Personen auf den Tribünen Platz finden können. Die Preise der Plätze sind in den letzten Tagen wieder etwas in die Höhe gegangen, und der Kampf darum scheint um so erbitterter zu werden, je näher wir dem Krönungstage kommen. Die „Bären" rechnen auf einen beträchtlichen Preisniederganq im letzten Augenblick. Die „Bulls", die Erbauer der Tribünen, verlangen täglich mehr oder „tun so. als wenn sie es täten". Für 60 Mark sind aber wohl noch ganz gute Plätze zu erhalten, weniger gute auch für weniger, während Plätze an besonders bevorzugten Stellen auch bedeutend mehr kosten. Es ist anzunehmen, daß manche schon um Mitternacht »der doch in den frühesten Morgen stunden auf den Straßen ihren Platz einnehmen, und die Ambulanzen werben ihre liebe Not haben. 50 000 aus Papier gefertigte Becher sind ihnen überwiesen, den ermüdeten Menschenmaßen einen Trunk Wasser zu verabreichen. Für die Polizei, die an den Krönungstagen recht anstrengenden, langen Dienst haben wird, ist eine besondereErfrischungs- mässe bereitet, di« aus Kuchenteig. Schokolade und einer geheimnisvollen Zutat besteht, di« vielleicht mit Kognak einig« Verwandtschaft hat. Der 21. Juni ist ja wohl der längste Tag detz Jahres, aber wie ein braver Schutzmann letzthin meinte, für die Polizei und auch manche Schaulustige, die von den frühen Morgenstunden bis abends zum Schluß der Illumi nationen aus den Beinen sein werden, dürfte der 22. Juni wohl der längste Tag werden. Die Anteilnahme der deutschen Regierung. Die „Nordd. Allg. Ztg." schreibt: Die Krönungs feierlichkeiten in London erreichen am Donnerstag ihren Höhepunkt. Auch in Deutschland begleiten weite Kreise die Vorgänge, deren Schauplatz die briti sche Hauptstadt gegenwärtig bildet, mit warmer Sympathie. Ist uns doch der herzliche Empfang, der vor Monatsfrist unserm Kaiserpaar und Viktoria Luise auf englischem Boden bereitet wurde, in lebendiger Erinnerung. In der Arnvesen- heit des Kronprinzenpaares bei den Londo ner Feierlichkeiten spricht sich die Teilnahme unseres kaiserlichen Hauses und des deutschen Volkes an den Londoner Festlichkeiten aus. Möge der glänzende Verlauf der Krönungsfeier von symbolischer Bedeu tung werden für eine segensreiche Regierung Königs Georg V., zum Wohle des englischen Volkes. Bulgarien. Das kleine Zarenreich leistet sich wieder einmal eine Verfassungs-Aenderung. Eine „große Sobranje" ist in diesen Tagen gewählt, da eben Griechenland ein gleiches Werk zum Abschluß gebracht hat, um das so viel Berge kreißen mußten. In Bul garien ist von einer umfangreicheren „Revision" nicht die Rede: eigentlich soll bloß ein einziger Artikel geändert werden. Aber diese unscheinbare und ohne übergroßes Geräusch vorbereitete Maßnahme birgt vielleicht die ganze Zukunft des Landes iu ihrem Schoße. Es handelt sich darum, dem Könige das Recht zu Eeheimverträgen zu gewähren. Schon für den verfassungsmäßigen Charakter der inneren Organisation ist die Frage, ob der Herrscher ein solches Recht besitzen soll, von Bedeutung. Gewißer maßen darf es die Markscheide zwischen Monarchie und Republik genannt werden. Ist der selbständige Abschluß von Bündnißen dem Staatsoberhaupte entzogen und ihm auch für die Richtlinien der aus wärtigen Politik nur ein Vorschlagsrecht belaßen, so wird sein Herrschername tatsächlich zur bloßen Würde ohne wirkliche Macht. Gönnt ihm aber das Volk ein Vertrauen auf seine sachgerechte Entschließung in solchen Lebensfragen der staatlichen Entwickelung, so ist naturgemäß, daß sein erhöhtes Ansehen auch auf seine Gel tung in den inneren Angelegenheiten zurück strahlen wird. Die völlige Bedeutungslosigkeit des sinkenden polnischen Königtums, der Verlust jedes Rechtes zu selbständigen Entschließungen über Lebens fragen des Reiches hat in das unglückliche Land den Keim seiner inneren und äußeren Verderbnis ge pflanzt und dem Homerworte vom Uebel der Viel herrschaft sein treffendstes Beispiel geliefert. Erhält Ferdinand, was er von seinem Volke fordert, io har er ein Fllrstenrecht gewonnen, neben dem die Flitter krone seiner Zarenschaft verblassen muß. Wird nun gerade er diese Machterweiterung ver dienen, und wird das neue Recht in seiner Hand Bulgarien zum Segen gereichen? Das ist die große Schicksalsfrage des aufstrebenden Staates. Seine zweifellose Bewährung tn 24 Jahren, das unleugbare Geschick, mit dem ein so großer Gewinn, wie der Erwerb der vollen Unabhängigkeit, vorbereitet und mit zäher Geduld über alle Hindernisse hinweg gebracht, endlich durch staunenswürdig entschloßenes Ergreifen eines geeigneten Momentes zum Ziele geführt ist, verbietet eine verneinende Antwort. Auch die unmittelbare Gegenwart bietet einen neuen Beleg jener Meisterschaft in besonnener Zurückhaltung, durch die sich die bulgarische Politik turmhoch über die fahrigen Unbesonnenheiten der slawischen Klein staaten einschließlich des meist gleich windig ge lenkten Hellas emporhebt. Trotz der schweren Erenz- zwischenfälle allerjüngstens Datums haben die Bulgaren der naheliegenden Verlockung wider standen, die Schwierigkeiten der Türkei in kritischen Wochen zu vermehren. Nun wird freilich ausge- sprengt, diese Türkenfreundlichkeit sei das Werk des Ministeriums Eejchow nicht so sehr als des Königs selber, daß es bereits zwischen diesem und Eeschow zu einem Konflikte gekommen ser. Der Minister habe gerügt, daß der König durch einen neuen Besuch in Wien zur Zeit der antitürkischen Preßfehde den Verdacht seiner Mitschuld an den Ungeschicklichkeiten der österreichischen Offiziösen auf sich geladen habe. König Ferdinand aber habe diese Kritik „unwirsch" zurückgewiesen. Zur Einschätzung solches Märleins genügt wohl die Gegenfrage, ob irgendwo in der Welt Minister auch nur eine Minute im Amte verbleiben, sobald sie das Malheur getroffen hat, von ihrem Monarchen „unwirsch" zurückgewiesen zu werden. Die schlecht, vielleicht mit Willen schlecht erfundene Geschichte ist wahrscheinlich ein Pendant zu der gleich wunder samen Fabel, die man aus dem Seine-Babylon hört, daß Delcass- in der Pose eines Gracchus das Un gestüm seines Freundes Cruppi schelte. Die dialo gische Antithese ist von jeher ein vornehmes, dich terisches Kunstmittel gewesen, um Gedanken zu unterstreichen. Was für einen Geheimvertrag nun freilich der Bulgaren-Zar und sein erster Diener zurzeit im Sinne haben, um den sie den Apparat einer „großen Sobranje" in Tätigkeit setzen, das entzieht sich jeder Vermutung. Und in dem Vekenntniße, daß an dieser Frage Vermutungen nicht einmal versucht werden können, ist zugleich die einzige Einwendung ausgesprochen, die gegen die zweifellos hervorragende und bislang ja auch erfolgreiche Staatskunst des Koburgers gemacht werden kann: er hat es die Welt zu sehr merken laßen, daß er die Politik ausschließ, lich mit dem Verstände und ohne jede Teilnahme des Herzens macht. Wer in seinem Maße die Seele aus dem Getriebe ausgeschaltet, die Fak- toren seiner Diplomatie zu Zug für Zug verschieb baren Schachfiguren gemacht hat, der mag sich zu. letzt nicht wundern, wenn es schließlich keine Ver. träge mehr sür ihn zu schließen giebr, wenigstens keine mit den wirklich maßgebenden Mächten Europas, deren Interessen auf längere Fristen ihrer Verbin dungen gerechnet sind. Eine Abmachung mit dem jetzigen Herrscher Bulgariens ist eigentlich bloß noch
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