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Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 25.06.1911
- Erscheinungsdatum
- 1911-06-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-191106256
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-19110625
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-19110625
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1911
- Monat1911-06
- Tag1911-06-25
- Monat1911-06
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Unp.ÜM TllgMM j 14KS4 Handelszeitttttg Ämtsvlatt des Rates und -es Rokizeiamtes der Stadt Leipzig. fW» Inserat« au» t.'«tp»ig »nd Umgebung »t« IIpalttge Petitrrile SPf^, di«Reklame- »eil« I Nil.. von auswärt» ZV Ps, Reklamen llv Mk..' Inserate von Behörden im amt liche» Teil di, P«ttt»»il, SN Pf. Gefchansanteige» mit Platzoorlchriste» u. in der Ldendausgad« im Preis« erhöht. Rabatt nach Tarif. Beilagegrdllhr Gelamt- autiag« L Mk. o lausend erkl. Postgebühr. Teildeiiage hader. AefterteUt« ltlnfiraae können nicht >urllck» »«sogen werde». Für da» Erscheinen »» »«stiulmren Tagen und Plätzen wird kein« Garantie übernommen. L»»etg«n - Annahme: I»da»»i»g»If« 8, bet sämtlichen Filialen u. allen Annoncen« Grpeditioneu de» In- and Au»Ianü«». Dewt »»» »erlag de» Ae»p,t,«e lage- biatte» A. Pol». Inhaber: Pa»l Xürfte». Rebaktio» »»» SeschSst»tt«ll«: Iohanntsgasf« L Raapt - Filiale Dr«»d«»: Seestrah« < I (Telephou 4Ü2V. Nr. 174 Sonntag, üen 25. Juni ldll. los. Ishrgsng Die vorliegende Aufgabe nmjaßl 32 Leiten. 1 vss Dichtiglte. * Der deutsch-japanische Handels vertrag ist am Sonnabend in Berlin unter zeichnet worben. (S. Dtschs. R.) * Das kirchliche Spruchkollegium erttörie am Sonnabend eine fernere Wirksamkeit des Pfarrers Jatho (Köln) innerhalb der Landeskirche für unmöglich. (S. d. des. Art.) * Auf der Höhe von Spithead fand am Sonn abend vor dem englischen Königspaar eine glänzende Flottenparade statt. (S. d. bes. Art.) * In Triest fand am Sonnabend im Beisein des Erzherzogs Franz Ferdinand der Stapellauf des österreichischen Dreadnoughts „Biribus Unitis" statt. (S. Ausl.) * Rußland und Japan haben sich über die aus dem letzten Kriege stammenden beiderseitigen A n - spräche geeinigt. (S. Ausl.) * Der EntscheidungsauSschuß für das Bismarck- Nationaldenkmal beschloß, einen neuen engeren Wettbewerb zwischen den bereits ausgezeichneten 20 Künstlern z?. veranstalten. (S. Letzte Dep.) prellettlyungen. In der Sommerszeit, in der Zeit der Kon gresse, ist das Wort „Kollege" eins der am häufigsten gebrauchten Wörter. 2m Norden, im Süden und in der Mitte des Reichs treffen sich ehrbare Männer, die sich bei ernster Be ratung und beim Schmause „Herr Kollege" titulieren. Sie tun es, weil es freundschaftlich klingt, und wohl auch, weil einer des anderen Namen nicht weiß, denn auf diesen Kongreffen der Berufsgenoffen kommen viele miteinander in Berührung, die sich nach Name und Art bisher nicht vertraut waren. Auch die Männer der „schwarzen Kunst" waren beisammen. Die Buchdruckereibesitzer tagten in Ham burg und dehnten von dort ihre Tagung bis Kiel, Helgoland und Sylt aus, die Zeitungs- verleger waren in Berlin, die Redakteure und Journalisten in Eisenach versammelt Damit waren die verschiedenen Gruppen, die zum Entstehen der Zeitungen Mitwirken, in ihren leitenden Persönlichkeiten vereinigt. Den Vertretern des Schrifttums — und wir sehen hier besonders auf die Vertreter der Presse — ist bei diesen Gelegenheiten von amt licher Seite viel Freundliches und Schmeichel haftes gesagt worden; nur die Tagung der Zeitungsoerleger erfreute sich nicht dieser Teil nahme der Behörden. Zu den geschäftlichen Beratungen waren sie nicht eingeladen, wohl aber zum Festmahl; wenn wir jedoch recht unterrichtet sind, war fast niemand der Ein ladung gefolgt. Es ist anzunehmen, daß es sich hierbei nur um einen Zufall handelt; nichts spricht dafür, daß gerade die Besitzer der Zeitungen von der hohen Wertschätzung aus geschlossen werden, die man heute der Presse darbringt. „Hohe Wertschätzung" — wenn man so die Reden der Behördenvertreter hört, möchte man daran glauben. Auch wer von dieser oder jener Stelle aus der Presse zu dienen hat, dem wird bei Ausübung des Berufes manchmal die Brust vor Hochgefühl schwellen. Wie Minister und Kanzler ihre Räume für Empfänge bei Preßkongreffen öffnen, so bleibt auch dem ein zelnen Preßvertreter heute kaum eine Türe verschlossen. Traumhaft schöne Erinnerungen hat die Schwedenfahrt den deutschen Preßver- lretern geschenkt. Vielleicht nicht weniger schöne Bilder die heurige Fahrt nach Rom zum Weltkongreffe. Aber dann kommen wieder Erfahrungen minder schöner Art. Namentlich dem schriftstellerischen Mitarbeiter der Presse, also dem Redakteur und Journalisten, wird zuweilen das Gefühl nicht erspart, daß er sozial eigentlich nirgends recht hingehöre. Auch bestehen starke Gegensätze zwischen den Augenblicken, wo der Presse von berufener Leite gesagt wird, welch hohe Bedeutung sie für unser ganzes öffentliches Leben einnehme, und den bescheidenen Situationen, in die der Preßmann bei der praktischen Ausübung des Berufes gelegentlich versetzt wird. Die Gegensätze fehlen auch innerhalb der Presse nicht. Von der Zeitungsverlegertagung ist in die Oeffentlichkeit gedrungen, daß schließ- j lich eine Einigung mit den sogenannten Generalanzeigern in der Tariffrage erzielt worden sei. Der Gegensatz zwischen General anzeigern und solchen Blättern, die dies nicht sein wollen, ist ausgesprochenermaßen groß. Die Generalanzeiger werden von den andern Blättern nicht als gleichwertig angesehen, und die ersteren wehren sich gegen die mindere Mei nung, indem sie auf die hohen Summen Hinweisen, die sie für redaktionelle Zwecke ausgüben usw. Dazu der Unterschied von groß und klein, der Gegensatz der Parteien. In den Vorständen der vorhin genannten Organisationen sitzen Vertreter der verschiedensten politischen Rich tungen und auch der Zeitungen „ohne Richtung" nebeneinander. Prinzipiell steht man ja heute auf dem Standpunkt, daß der persönliche Verkehr unter politischen und konfessionellen Meinungsverschiedenheiten nicht leiden dürfe. Es wird das als eine Kultur forde rn ng betrachtet und gelegentlich auf die englischen Verhältnisse als Muster hingewiesen. Aber die Dinge liegen manchmal gar nicht so einfach. Denke man sich Orte, wo die Gegen sätze so zugespitzt sind, daß die eine Zeitung der Redaktion der anderen ständig zunehmende „Eehirnversandung" und jede Nichtswürdigkeit nachsagt, wie das Wilhelm Jensen einmal in köstlicher Weise geschildert hat, und wie es auch heute noch vorkommen soll: Bestehl dann die Forderung des höheren Menschentums darin, daß die Redakteure beider Blätter abends ge mütlich beim Bier sitzen? Würde dann nicht zur Klobigkeit noch die Charakterlosigkeit hin zugefügt? Hat es einen Sinn, die Berufstätig keit, also diejenige Tätigkeit, die den ganzen Mann durchdringen soll, in rohen und ge meinen Formen sich abspielen zu lassen und für die im Verhältnis dazu gleichgültigeren Stunden des geselligen Verkehrs eine „höhere Gesittung" vorzuschreiben? Muß nicht die Gesittung sich zu allererst im Beruf und im öffentlichen Leben durchsetzen? Zweifellos sind das vernünftige Forderungen. In der Praxis werden, wie so oft im Leben, auch hier Kom promisse zustande kommen, und es wird eine Wechselwirkung eintreten. Die höflichen Formen des persönlichen Verkehrs werden oft mildernd auf den Ton der Parieipolemik einwirken. Jedenfalls muß das eifrig zu erstrebende Ziel sein, die Gegensätze ohne Beschimpfung auszufechten und andererseits sich durch persön lich freundliche Beziehungen nicht zu charakter loser Bemäntelung der sachlichen Gegensätze ver leiten zu lassen. Das Standesintereffe ist es, das uns diesem Ziele näher bringen und das Gefühl der Gemeinsamkeit wecken kann. Ein auswärtiger Minister hat kürzlich an der Presse gerühmt, daß sie das Publikum nur wenig mit ihren eigenen Angelegenheiten behellige. Wenn dem so ist, dann müssen wenigstens die Organisa tionen der Presse sich darum kümmern. Die Zeitungswelt darf sich von dem ungeheuer um fangreichen Werk nicht ausschließen, das der Abgeordnete Stresemann einmal in einer Reichstagsrede mit warmen Worten als modernes Element des Fortschritts ge rühmt hat, von jener Arbeit, durch die die Verufsgenossen aller Art sich bemühen, ihren Stand zu „heben" und den Sohn in bessere Verhältnisse hineinwachsen zu lassen, als der Vater sie genossen hat. So besorgt um sein Ansehen und so wachsam wie z. B. der Volks schullehrerstand, dessen Empfänglichkeit für Standesfragen bekannt und erklärlich ist, zeigte sich bisher die Presse nicht. Aber sie sucht heute doch auch, wenn ihr die Achtung versagt wird, schleunig Abhilfe zu schaffen. Die Erhöhung der äußeren Achtung wird auch den inneren Wert aller derer, die mit der Presse zu tun haben, und ihre Selbstachtung steigern. Wer da behaupten wollte, daß heute schon alles so ist, wie es sein sollte, würde nur beweisen, daß er geringe Anforderungen stellt oder daß er wenig Erfahrungen gemacht hat. Mit einer dunklen Seite haben sich die letzten Tagungen befaßt. Es ist erfreulich, daß sowohl die Redakteure wie die Verleger unzweideutig zu erkennen ge geben haben, wie sehr es der Standesehre der Presse widerspricht, wenn gewisse Handelsredak teure oder Börsenjournalisten Zuwendungen von Finanzinstituten annehmen. Sehr falsch wäre es gewesen, wenn die Standesorganisa- tionen an diesen Dingen vorbeigegangen wären; hier ist rücksichtsloses Zugreifen am Platze. Aber solange noch solche Erklärungen not wendig find, ist die Presse in ihrer Gesamtheit noch nicht auf der Höhe, die dem deutschen Idealismus entspricht. Daß dieser Idealismus sich schon heute in ihr Geltung verschafft und I sie vorteilhaft vor der Presse fast aller anderen Länder auszeichnet, ist unleugbar. Welche Fülle von reinen, selbstlosen Bestrebungen vereinigt und fördert heute fast jedes Blatt, das wir rn die Hand nehmen! Die Mannigfaltigkeit der Bemühungen, Schäden zu heilen, Not zu lindern und Unvollkommenes vollkommener zu machen, ist so groß, daß sie fast verwirrend wirkt. Viel gestaltiges Leben, auf die Stufe der Mitteil barkeit an alle gehoben, das ist die heutige deutsche Presse. Wenn irgendeine geistige Ein richtung, so eifert sie dem Spruche nach': „Wer lebt, sei auch lebendig!" Istha. Nach zweitägiger Verhandlung hat das kirchliche Spruchkollegium über den Fall Jatho entschieden. Es erklär!« am Sonnabendnachmittag eine fernere Wirksamkeit des Pfarrers Jatho aus Köln innerhalb der Landeskirche für un möglich. Wir rekapitulieren zunächst kurz den Gang des am Freitagoormittag in Berlin begonnenen Haupt- verf^ahrens. Jathos Verhör am Freitag dauerte drei Stunden. Er hat dabei seinen religiösen Stand punkt vollkommen aufrechterhalten und diesen als der evangelischen Landeskirche durchaus gleich berechtigt bezeichnet. Als einziger Zeuge wurde Dr. Hrntzemann (Elberfeld) vernommen. Die übrigen lehnte das Spruchkollegium ab, wogegen die Verteidiger Jathos, Professor Baumgarten (Kiel) und Liz. Traub (Dortmund) leider vergeblich protestierten. Am Sonnabendoormittag erhielt zunächst Baum garten als Verteidiger Las Wort zum Plädoyer. Er betonte, die ganze Persönlichkeit Jathos beruhe auf dein Bewußtsein der Ehrlichkeit. Infolge dessen hätte er sich selbst in schrofferem Licht erscheinen lassen, als er es tatsächlich verdien«. Weiter verlas Baumgarten eine Reihe von Briefen, die an Jatho gerichtet waren. Baumgarten war der Ansicht, Laß diese Briefe bewiesen, wie die Leute durch Jatho aus der Religions- und Kirchenfremdheit gerettet und zu religiösem Leben gebracht worden seien. Ein Teil der Briefe sei geradezu tief erschütternd. Als zweiter Verteidiger sprach Pfarrer Liz. Traub. Er ver teidigt« Jatho gegen den Vorwurf der Unverträglich, keit seiner Lehre mit den Bekenntnissen der Kirche, und zwar namentlich dadurch, daß er auf das N i ch t - bestehen objektiver Bekenntnisse inner halb der Kirche hinwies. Er hob auch das landes kirchliche Interesse hervor, das an der Freisprechung Jathos bestehe. Die Reden beider Verteidiger werden als Meisterstücke religiöser und kirchenpolitischer Be redsamkeit geschildert. Der Präsident Voigts erteilte darauf Pfarrer Jatho das Wort zu seiner Schlußrede. Dieser sagte u. a.: Es handle sich für ihn nicht mehr um seine Person, sondern um die Sach e. Um der Sache willen würde er es allerdings aufrichtig bedauern, wenn es ihm unmöglich gemacht würde, in seiner Kölner Gemeinde weiterhin als Pfarrer zu wirken. Diese Kölner Gemeinde sei ihm im Laufe der Jahr- zehnte das Teuerste geworden, war er auf der Erde b.'sitze. Die Liebe und Treue seiner Gemeinde sri das größte Glück seines Lebens geworden. Er verkenne nicht die ungeheure Verantwortung und die Schwierig, keit der Lage des Spruchkollegiums. Er hoffe aber, daß das Spruchkollegium eine Entscheidung fällen werde, die den Interessen der Religion und der Kirch« entspreche. Das Kollegium möge im Geiste des Hans Sachs aus Wagners „Meistersingern" handeln, der den Meistern den Rat gibt: „Wollt ihr nach Regeln messen was nicht nach eurer Regeln Lauf, der eignen Spur vergessen, sucht davon erst die Regeln auf!" Darauf wurde die Sitzung bis 5 Uhr vertagt und dann folgendes Urteil verkündet: Das S p r u ch k o l l e g i u m für kirchliche An gelegenheiten stellt nach seiner freien, aus dem ganzen Inbegriff der Verhandlungen und Beweise geschöpften Ueberzeugung kraft des 8 11 des Kirchengesetzes (betreffend Verfahren bei Bean standung der Lehre von Geistlichen) vom 16. März 1910 fest, daß eine weitere Wirksamkeit des Pfarrers Jatho innerhalb der evan gelischen Landeskirche der älteren Pro vinzen Preußens mit der Stellung, die er in seiner Lehre zum Bekenntnis der Kirche ein nimmt, unvereinbar ist. * Seit Anfang Januar beschäftigt sich die breite Oeffentlichkeit mit dem Fall Jatho. Damals forderte der Evangelische Oberkirchenrat von dem 60jährigen Pfarrer Jatho Rechenschaft über fünf Punkte, die ihm in Jathos Lehre und An schauung vom Christentum anstößig erschienen. Jatho hat diesem Verlangen entsprochen, hat sich in seiner Antwort in wirkungsvoller und geschickter Weise auf Harnack berufen und schließlich einen Wider- ruf abgelehnt. „Ich will meine Ueberzeugung, die ich in vierzigjähriger ernster Lebensarbeit er worben habe, weiter vertreten und weiter ver kündigen, und zwar wie bisher ohne alle Furcht", schrieb damals der mutige Mann, aus dessen Predigten Tausende und aber Tausende von Gliedern seiner Kölner Gemeinde Seelenstärkung und Seelenfrieden gewannen. Der Oberkirchenrat über- trug die Entscheidung des schwierigen Falles dem nach dem Jrrlehregesetz zuständigen Spruchkollegium. Im April fand vor dieser Instanz das Vor verfahren statt. Jatho hatte von dem «erlauf dieser ersten Verhandlung weder einen optimistischen noch einen pessimistischen Eindruck gewonnen. Er bekannte damals ganz offen, " stehe «wem von Uqvot gegenüber, erklärte aber zugleich, daß er das Spruchkollegium nicht als eine Institution anzu erkennen vermöge, die sich mit dem Prinzip des evangelischen Glaubens vereinbaren lasse: nur seiner Gemeinde fühle er sich als evangelischer Prediger verantwortlich. Nach den gesetzlichen Bestimmungen stand ihm noch das Recht zur Abgabe weiterer Er klärungen zu. Er hat davon auch Gebrauch gemacht und Anfang Juni in einer neuen Rechtfertigungs schrift noch einmal seinen Standpunkt eingehend und in musterhafter Klarheit dargelegt, die in folgenden sätzen gipfelte: „Die Verkündigung des Evangeliums darf nicht an eine Bekenntnis norm oder ein Lehrgesetz gebunden werden, für alle Prediger verpflichtend- —, es handelt sich um die persönlich erlebte Religion: die Eottesidee muß ent wickelt werden, indem der ..Christnsaeist" sich ent faltet. Es ist unchristlich, wenn eine Kirche zwar neu« Formen für alte Wahrheiten gestattet, aber das Aufsuchen und Gcltendmachen neuer Wahr heiten ablehnt." Am Freitag und Sonnabend hat dann das Hauptverfahren stattgefunden, über dessen Verlauf und Ergebnis wir eben berichtet haben. Das Spruchkollegium hat es für unmöglich erklärt, daß Jatho innerhalb der Landeskirche weiter wirke. Nur wenige Menschen, die die Entwickelung dieses Falles mit Aufmerksamkeit verfolgt haben, werden von dieser Entscheidung enttäuscht sein; den meisten wird sie jedenfalls keine Ueberraschung be deuten. Als vor längerer Zeit Männer wie Sohm und Natorp eine bedeutsame Kundgebung gegen die ganze Institution des Spruchkollegiums als einer un evangelischen Einrichtung erlassen hatten, erstand ihr in Adolf Harnack ein Verteidiger, der ihre Existenz berechtigung mit dem Begriff .er auf ein bestimmtes Bekenntnis festgelegten „Landeskirche" geschickt be gründete. Wer daran starr festhält, dem müßen aller dings, immer vom Standpunkte der Landeskirche mit ihrem normierten Bekenntnis gesprochen, die Lehren Jathos sehr anfechtbar erscheinen. Es gibt aber auch «ine sehr große Anzahl stark religiös veranlagter Menschen, die sich zu einer freieren Haltung gegenüber dem landeskirchlichen Be kenntnis unter harten Gewisfenskämpfen durchgerun gen haben. Sollen sie etwa als unkirchlich, als un christlich angesprochen werden, weil sie sich vielleicht im Sinne Kants unter Religion di« Erkenntnis aller unserer Pflichten als göttlicher Gebote vorstellen, oder weil sie mit Goethe Las Heilige, das in und um uns wohnt, als Religion schätzen, oder weil sie mit Männern wie Weinel, Baumgarten, Harnack und an deren die Göttlichkeit Jesu nicht zu glauben vermö gen? Unsere ganze zeitgenössische religiöse Lyrik ist von einem heißen Sehnen nach neuen religiösen Wahrheiten erfüllt. Wer einmal in der bekannten Gedichtsammlung von Knoth „Wir sind die Sehn sucht" geblättert hat, dem werden solch« Töne mächti gen Drängens und unwiderstehlichen Verlangens nach neuen religiösen Gedanken über Las Bekenntnis der Kirche hinaus entgegengeklungen sein. Soll nun die sen Gottsuchern neuer Art kein Führer erstehen können? Sollen diese dürstenden Seelen nicht nach ihrer Weise eine Stillung ihres Sehnens erwarten dürfen? Wenn sich aber ein wackerer Prediger findet, der befähigt ist und zugleich den festen Willen besitzt, solchen Menschen nach ihrer Art religiöse Erbauung zu geben, darf er sich der Aufgabe entziehen, in diesem iz^uen Sinne zu wirken und neue religiöse Werte zu schaffen? So läuft letzten Endes der ganze Fall Jatho auf die viel wichtigere, entscheidendere Frage hinaus: Ist es nicht an der Zeit, der alten Forderung: Freie Kirche im srein Staate endlich zur Ver wirklichung zu verhelfen? Wer glaubt, wirkliches religiöses Leben sei nur innerhalb der engen Gren zen des Bekenntnisses der Landeskirck)e möglich, dem müssen die Vorgänge aus Anlaß des Falles Jatho die Augen geöffnet haben. Unzählige, ernste, in den Lebensstürmen erprobte Männer haben sich zu der freieren Auffassung vom Christentum bekannt, ans sie Jatho lebensvoll vertritt. Soll nun auch für sie kern Platz mehr jein innerhalb der Landeskirche? Der Fall Jatho führt also ganz folgerichtig zu dem an gedeuteten Problem, dessen leidenschaftslose, gründ liche Erörterung, dessen erspießliche Lösung der An- strengung der besten, freiesten und feinsten deutschen Geister wert ist. Jattzo an seine Gemeinde. In der neuesten Nummer seiner „Gemeinde nachrichten" veröffentlicht Jatho einen Gruß aus dem Spruchkollegium an seine Ge meinde, dem wir folgendes entnehmen: „Wenn dieses Blatt den Lesern und Leserinnen der „Gemeintenachrichten" in die Hände kommt, stehe ich vor dem Spruchkollegium in Berlin, mir zur Seite treue Freunde und die Menschen, die meinem Geiste am nächsten stehen. Mir gegenüber würdige Männer, zum größten Teil mir unbekannt, die die Frage lösen sollen, ob ich noch ferner geeignet sei, meiner Kölner Gemeinde zu dienen. In den ganz verhängten Saal dringt nur gedämpftes Licht, mir aber ist es hell in der Seel«; nicht, weil die Wahrscheinlichkeit eines Freispruchs mir groß er scheint — ich rechne mit beiden Möglichkeiten —. sondern weil in dem einen oder anderen Falle mein Empfinden für meine Gemeinde un berührt bleibt von dem Urteil, das man über mich fällen wird Ihr gebt die Antwort, nicht ich. wenn man mich heute nach meiner Lehre fragt, und diese Antwort ist ein gemeinsames Jubeln darüber, daß wir zusammengefunden haben, was not ist:
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