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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 03.10.1911
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-10-03
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19111003020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911100302
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911100302
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1911
- Monat1911-10
- Tag1911-10-03
- Monat1911-10
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Aus dem Wirrwarr widersprechender Nachrichten über den türkisch-italienischen Kries, und über die damit im Zusammenhang stehenden diplomatischen Erörterungen lässt sich als einigermaßen sicher folgen, des Tatsächliche herausschälen. Von der Pforte sind an die Mächte wiederholt Aufforderungen zur Inter vention gelangt. Die türkischen Geschäftsträger in den einzelnen Hauptstädten haben auch Besprechungen mit den leitenden Ministern der verschiedenen Groß mächte gehabt, ohne daß sich dabei eine Aussicht auf Erfüllung der türkischen Wünsche ergeben hätte. Die deutsche Regierung zeigt sich von allen am meisten bemüht, eine friedliche Verständigung herbeizuführen. Allerdings können diese Bestrebungen fast stündlich durch neue Ereignisse erschwert oder gar verhindert werden. Der Vorstoß Italiens im Adriatischen Meer an der albanischen Küste hat namentlich in Oester reich sehr starken Unwillen hervorgcrufen. Troß allen Dementis glaubt man in Wien, daß bei Prevcsa tatsächlich eine Landung der Italiener vollzogen worden ist, und betrachtet dies als eine Verletzung der Vereinbarungen, daß Albanien bei militärischen Aktionen der europäischen Mächte auszuschalten sei. Es verlautet sogar, daß eine Division der öster reichischen Flotte aus dem Kriegshafen Pola aus gelaufen sei, um vor der Küste von Montenegro zu kreuzen und nötigenfalls gegen weitere Maßnahmen der Italiener auf europäischem Boden zu demon strieren. Wenn sich die Nachricht von der Aussendung einer österreichischen Flotte bewahrheitet, ist eine Aufwallung des italienischen Nationalgefühls gegen Oesterreich nicht ausgeschlossen, und dann wären die Friedensbemühungen aussichtsloser denn je. Türkische Jnterlien^ionswunsche. Konstantinopel. 3. Oktober. sEig. Drahtmeld.) Die Pforte hat heute an die Mächte eine dritte Auf forderung zur Intervention abgesandt. Das ottowanische Parlament wird bestimmt am 14. Oktober zusammentreten. Paris, 2. Oktober. lEig. Drahtmeld.) Der tür kisch« Geschäftsträger Nifaat Pascha hatte heute mit dem Minister des Aeußern de Seines eine längere Unterredung, in der über eine Inter vention der europäischen Mächte im Tripolis- konflikt verhandelt wurde. Konstantinopel, 3. Oktober. (Meldung des Wiener k. k. Telegraphen- u. Korrespondenz-Bureaus.) Der hiesige englische Botschafter teilte dem Großwesir die Antwort des Königs auf den Appell des Sultans mit. In dieser Antwort wird die Unmöglichkeit hervorgehoben, eine Ver mittlung zu übernehmen, und der Pforte geraten, mit allen Mitteln eine Verständigung mit Italien zu suchen. — Der französische Geschäftsträger machte dem Großwesir eine ähnliche Mitteilung. Bei P evcsa hat nach Wiener Meldungen bereits ein Gefecht zwi schen Len gelandeten itali.nischen Soldaten und tär- kischen Truppen stattgefunden. Danach wäre also das italienische Dementi von Truppenlandungen bei Pre- vesa nicht richtig. Wir verzeichnen folgende Tele gramme in dieser Angelegenheit: Wien, 3. Oktober. (Ei?. Drahtmcld.) Die „Neue Freie Presse" meldet aus Konstantinopel, Laß ihrem dortigen Vertreter gestern auf der Pforte die Mitteilung gemacht wurde, die Italiener hätten um 1/28 Uhr nachmittags in Prcoesa 1KW Sol daten gelandet. Zehn türkische Batail lon c seien daraus sofort zusammcngezogen und dem Feinde entgegen gesandt worden. Ein hart näckiger Kampf hätte sich entspannen, doch sei der Ausgang des Gefechts bisher noch in Dunkel ge hüllt. Saloniki, 3. Oktober. (Meldung des Wiener K. K. Telegraphen- u. Korrespondenz-Bureaus.) Der Kriegsminister berief sechs Redisbataillone zum Schutze der albanesifchen Küste von Balona bis Pre- vesa ein. Scstprreick als entscheidender Faktor. Berlin, 3. Oktober. (Eig. Drahtmeldung.) Ein türkischer Diplomat, der der jungtürkischen Partei sehr nahe steht und sich gegenwärtig in Berlin auf hält, charakterisiert, wie die „Preß-Lentrale" mit teilt, die durch die italienischen Landungs manöver auf europäischem Boden geschaffene Lage folgendermaßen: ..In der gegenwärtigen Situation ist die Sie l- lungnahme der österreichischen Re gierung entscheidend Man weiß, daß Oesterreich mit allem Nachdruck gegen eine Ver legung des Kampfplatzes auf europäischen Boden protestiert hat. Von der Entschiedenheit, mit der sie ihre Stellungnahme zum Ausdruck bringt, hängt die ganze weitere Entwicklung des Konfliktes ab. Die Leiter der auswärtigen Politik Oesterreichs haben sich stets streng an den Grundsatz gehalten, daß Al b a n i e n ein Gebiet sei. dos aus der po- > litisch-militärischen Aktionssphäre aller euro päischen Mächte ausgeschaltet werden müße, da sonst unabsehbare Konsequenzen entstehen können. Es ist zwar wenig wahrscheinlich, daß Oester reich in dieser Angelegenheit eine Protestnote an Italien senden wird, aber wir erwarten die Entsendung eines österreichischen Ge schwaders an die albanische Küste als Zeichen der Mißbilligung gegen das italienische Vorgehen." Oesterreich-ttülsaru greift e'n. Wien, 3. Oktober. (Eig. Drahtmcld.) Die Er klärung der „Agenzia Stcfani", daß eine Landung der Italiener bei Prevcsa nicht stattgefunden habe, findet hier in offiziellen Kreisen keinen Glauben. Wie der Vertreter der „Preß-Centrale" aus Grund zuverlässiger Informationen auf das bestimnncste versichern kann, ist entgegen allen offiziösen Demen tis gestern eine Division der österrcichisch- ungarischen Kriegsflotte aus dem Kriegshasen Pola mit unbekannter Order in See gegangen. Andere Meldungen, nach denen die Ausfahrt von Kriegsschiffen noch nicht stattgefundcn hat, wohl aber vorbereitet wird, und nicht zutreffend. Es ist Tatsache, daß sich eine öster reichisch-ungarische Flottille bereits auf hoher See befindet. Man ist hier in lebhafter Besorgnis, die in allen unterrichteten Kreisen geteilt wird, daß neue Komplikationen aug dem italienisch türkischen Zwischenfall hervorgchcn werden. Die Ge rüchte, die von einer baldigen Beendigung des Krieges berichten, müssen unter diesen Umständen mit größter Skepsis entgegcngenommen werden. Anm. der Nedaktion: Unser Wiener Vertreter versuchte bereits heute morgen, uns obige Meldung telegraphisch zu übermitteln, doch wurde das Tele gramm angehalten, so daß wir erst heute abend tele phonisch davon Mitteilung erhielten. Berlin, 3. Oktober. (Eig. Drahtmcld.) von einem zurzeit in Berlin weilenden türkischen Diplo maten, der auf Grund seiner Tätigkeit im Aus wärtigen Dienst und seiner Beziehungen über die Absichten der österreichischen Regierung gut unter richtet ist, teilt die „Peeh-Centralc" mit, daß die aus Pola ausgelaufene österreichisch ungarische Flotte wahrscheinlich nicht die Auf gabe hat, vor Prevcsa die österreichisch-ungarische Flagge zu zeigen, sondern wahrscheinlich beordert ist, sich an der montenegrinischen Küste auszu halten, da die Gefahr besteht, daß Italien im Hasen oon Antivari Truppenlandungen vornehmen wird, natürlich mit Erlaubnis der Negierung von Monenegro. In Cetinje ist man zweifellos von Anfang an über die Absichten Italiens bestens in formiert gewesen. Man kann hieraus schließen, daß Italien nicht nur um Tripolis willen sich in den Krieg gestürzt hat, und es ist anzunehmen, daß man in Nom von vornherein die kriegerischen Aktionen nicht von Albanien fernzubalten gedachte. Sonst könnte man cs auch nicht verstehen, daß Mon tenegro für den italienisch-türkischen Krieg Interesse zeigen könnte. Bor Tripolis. Nom, 3. Oktober. (Eig. Drahtmcld.) D-r Korre spondent der „Tribuna", der Tripolis am 30. Sep tember zusammen mit den letzten italienischen Unter tanen verlassen hatte, meldet, der Entschluß, die Italiener abreisen zu lasten, sei gefaßt worden, nach dem der Kommandant des italienischen Geschwaders bekanntgegeben habe, daß drei Tage n a ch der um Mittag erfolgten Notifizierung der Blockade das Bombardement beginne. Von den Italienern seien nur zwei Mönche und zwei Nonnen zur Krankenpflege im Hospital zurück geblieben. Nom, 3. Oktober. (Eig. Drahtmeld.) Der „Tribuna" ist eine Meldung aus Malta zugcgangen, daß der türkische Dampfer „D e r n a" vor dem Hafen von Tripolis von den Italienern zum Sinken gebracht worden ist. Die türkische Flotte. Londo n, 3. Oktober. (Eig. Drahtmeld.) Rach einer Meldung der „Lloyds Agentur" befindet sich die türkische Flotte auf der Reede von Na gara in denDardänellen. Handelsschiffe dürfen die Dardanellen nach Sonnenuntergang nicht mehr passieren. Beschlagnahme türkischer Dampfboote auf Stapel. London, 3. Oktober. lEig. Drahtmeldung.) In Southampton wurden vier von der Firma Thopnycroft für die türkisck)« Regierung hergesi.'llt« türkische Dampf boot« amtlich mir Be schlag belegt. Demission des türkischen Morineministers. Konstantinopel, 3. Oktober. (Eig. Drahtmeld.) Der Ma r i n« m i n ist« r hat demissioniert. In seinem Demissionsschreiben erwähnt er die Zer störung tosr türkischen Torpedoboot« durch die italienisch« Flot-e und erklärt, da die Flöt- title, obwohl er rechtzeitig die Rückkehr der Flott« in di« Dardanellen und die Flucht der im Ad riarischen Meer« befindlichen Flottille in di« dalmatinischen Gewässer angeordnet habe, der italienischen Flotte nicht entkommen konnte, finde er es für unmög lich, auch nur interimistisch di« Geschäfte des Mini steriums zu führen. Nervus rerum. Satirischer Zeitroman oon Edward Stilgcbauer. (Nachdruck verboten.) Mit einem langen heißen Blick« sah er sie an. „Wie schön Ihnen die weiße Bluse steht, Fräulein Schäfer . . . Doch . . . was denken Sie? Ihre Ge danken scheinen weit fort von hier?" „Das sind sie." „Nun?" „Ich will Ihnen sagen, was ich soeben gedacht habe. Es war nichts Schönes über Sie, Herr Dok tor, ein« Erinnerung." „Eine Erinnerung und nichts Schönes?" „Nein, schön war es nicht . . . und der Wahrheit die Ehre, ich habe dennoch daran gedacht . . ." „Nun mästen Sie es mir sagen . . ." „Müssen? ... Ich muß? . . . Kein Mensch muß müssen, das steht in Lessings „Nathan", Herr Dok tor . . ." „Ich danke." Wi« rasch sie ihre Sicherheit wiederyewonnen hat, dachte er. Sogar ironisch war sie geworden. Dann fragte er rasch: „Und was dachten Sie?" „Ich dachte an einen Ausspruch, an ein Urteil, das mein Bruder vor Jahren gefällt hat. . ." „Franz, mein Freund Franz?" „Ich habe nur einen Bruder, Herr Doktor." „Und über mich?" „Ueber Sie, ja." „Zu meinen Gunsten, hoffe ich." „Es war böse, sein Urteil." „Um so mchr mästen Sie es mir sagen, Fräulein Schäf«r, damit ich mich bessern kann." „Ist das Ihr Ernst?" „Was?" „Daß Sie sich bessern wollen." „Hab' ich das nötig?" „Das weiß ich nicht." „Warum fragen Sie dann?" „Es kam mir nur so in den Sinn." „So, so . . . doch das Urteil?" Mit einem durchdringenden Blicke heftete nun Frieda ihr Auge auf Fritz Norden, und dann sagt« sie, jedes Wort klar und deutlich betonend: „Mein Bruder Franz sagte damals, Si« seien ein schwacher Charakter." Tiefe Röt« stieg in Fritz Nordens Gesicht. Er fand kein Wort der Erwiderung, keine Phrase, die I ihm in diesem Augenblicke, da man ihm zum ersten s Male in seinem Leben rückhaltslos die nackte Wahr heit in das Gesicht sagte, passend erschienen wäre, und deshalb war er froh, als Frieda nun fortfuhr: „Aber nun müssen wir wirklich nach den anderen sehen, Herr Doktor." Sie stand auf, und er folgte ihr. In seinem Inner sten herrschte nur das eine Gefühl der Beschämung darüber, daß er hier mit seinen stiewichten gewogen hatte, und daß hier nicht nur diese, Laß er selber zu leicht befunden worden war. Und in diesem Augen blicke dämmerte in seinem Kopfe, allerdings in wei tester Ferne, ein Gedanke auf, den er früher noch nie gehabt, der Gedanke, daß es Menschen geben könne, die das Leben mit anderen Maßen und Gewichten messen, als Lies «r und di« Seinen bislang getan hatten. Als sie auf dem Spielplatz angelangt waren, wollt« dieser Gedanke in seinem Kopf schon wieder verfliegen, nur der Aergrr über diese Kränkung seines Selbstgefühles non feiten eines Mädchens nagte noch an seinem Herzen, indessen Fräulein Frieda Tante Charlotte entgegenging, die ihr sagte, daß es nun Zeit sei, mit der Maibowle anzufangen, du man doch den letzten Zug der Waldbahn nicht versäumen dürfe. Und vorher solle Loch auch noch ein Tänzchen gemacht werden. In dem neuhergerichteten großen Saale des Re staurants hatte der freundliche Wirt inzwischen schon alle Vorbereitungen für das improvisierte Sommer bällchen getroffen. Die Tisch« und Stühle waren an die Wände gerückt, so daß in der Mitte ein leidlich großer Raum zum Tanzen übrigbli«b. Leonore Lunardi, ein verunglückter italienischer Musiker, der einst mit Len kühnsten Plänen im Kopfe, aber leider ohn« Geld in d«r Tasche, über die Alpen gekommen war, um in dem reichen Deutschland sein Glück zu versuchen, war mit d«r Waldbahn heraus gefahren. Gegen fünf Mark Honorar und ein war mes Abendesten spielte er den Damen und Herren in Tanzstunden und bei sonstigen Gelegenheiten auf. Die ganze vornehme junge Welt der großen Stadt kannte den guten Lunardi. der sich allmählich ein ganz leidliches, aber immer noch von italienischen und französischen Reminiszenzen wimmelndes Deutsch angeeignet hatte. Denn bei allem Unglück, das ihn in seiner musikalischen Laufbahn auf Schritt und Tritt verfolgte, hatte Lunardi noch immer ein wenig Glück gehabt. In jungen Jahren hatte er eine Zeitlang dem Chor der Oper angehört, allein sein künstlerischer Ehrgeiz und sein südliches Temperamenr ließen ihn dort nicht lange aushalten und, nachdem er mit dem Kapellmeister und bald darauf auch mit dem Re gisseur hintereinander mehrfach Differenzen gehabt, hatte die Intendanz eines schönen Tages auf Lu- nardis weitere Mitwirkung verzichtet. Da hätte er denn auf der Straße gesessen, wenn sich nicht ein Mitglied des Ballettkorps seiner er barmt hätte. Es war dieselbe liebenswürdige Dame, die in dem Institute, das Olga und Meta mit ihrem Besuche beglückt hatten, den Tanz- und Anstandsunterricht gegeben hatte. Mademoiselle Nose Noiricr, die sich weniger in folge ihrer großen Kunst, als aus dem einfachen Grunde, daß si« in ihrer Jugend die beste Freundin eines Mitgliedes des Theaieraufsichtsrates gewesen, aus der Masse des Korps zur ersten Solotänzerin emporgeschwungen hatte, erlebt« das Mißgeschick aller Ballettdamen. Sie wurde alt und Las Publikum mochte sie nicht mehr sehen. Und so hatte sie trotz aller Anstrengungen ihres Aufsichtsratsmit gliedes eines schönen Tages wohl oder übel der Bühne Valet sagen müssen. Aber der einflußreiche Freund hatte sich weiter für sie interessiert. Ihret wegen batte er sich bei den besten und reichsten Fa milien bemüht und nicht lange hatte es gedauert, da war Rose Noirier in- die Mode gekommen. Jetzt war sie die fashionabelste Tanz- und Anstands lehrerin in der Stadt. Wie dem in der Sonne wandelnden Menschen sein Schatten, so hatte sich der gescheiterte Signore Lunardi an Rose Noiriers Fersen geheftet. In allen Mädcheninstituten der Stadt, in allen Tanzstunden der vornehmen jungen Welt, auf allen besseren Haus- und Sommerbällen, wo die Mittel des Gast gebers den Luxus eines Orchesters nicht gestatteten, erschien das ausländische Duo Noirier und Lunardi, um durch Wort und Ton die Tanzbeine der Jounosso liores in Bewegung zu setzen. Schweren Herzens hatte Lunardi sich heute dazu entschlossen, allein ohne die Noirier in den Wald zu kommen, aber Tante Charlotte hatte darauf be standen, Fräulein Noiriers Anwesenheit sei voll ständig überflüssig, denn Herr Leutnant Bodo von Eckstädt sei ein vorzüglicher Arrangeur der Konter tänze, er verstehe die Franyaise und den Lancier aus dem ff zu kommandieren, und Lunardi, bei dem in den Sommermonaten Schmalhans Küchenmeister war, hatte endlich nachgcgebcn. Die fünf Mark Honorar und Las warme Abendessen konnte er mit- nehmcn. So saß er denn vor dem alten Pianino, dessen Pedal auch auf die festesten seiner Tritte nicht mehr reagieren wollte, und intonierte seiner Gewohnheit gemäß Webers „Aufforderung zum Tanz", als die Paare ankamen. Mit einer kühnen Wendung ging er dann plötzlich in den Dreivierteltakt der schönen blauen Donau über, und die Sache konnte, wie er stets zu sagen pflegte, ihren ungestörten Anfang nehmen. Bodo von EckstäLt und der Referendar waren ohne Damen in den Saal getreten. Sie hatten beide noch nicht engagiert. Ter Leutnant war noch unentschlossen, wie er heute die Sache Jenny Lind- Heimer . . . Meta Norden anfassen sollte. Zwar hatte er dem Referendar zugeraunt, mein Lieber, beschäftigen Sie mir doch den Abend die kleine Lind- Heimer en bissel... im letzten Augenblicke hatte er es oorgezoqen, für den ersten Tanz alle beide schwimmen zu lassen und hatte sich aus diesem Grund«, den Referendar am Arm nehmend, der Maibowle zu gewandt. Eben stand er mit dem treuen Begleiter vor dem Tische und goß zwei Gläser ein, indem er sagte: „So ne Bowle is eigentlich das einzig Ver nünftige bei dem Rummel, meinen Se nich?" Der Referendar lächelte. Nachdem sie formell angestoßen und die Gläser zum Munde geführt hatten, bemerkt« Eckstädt: „Skandal, Sodawasser statt Sekt, die all« Kröte!" In der Mitte des Saales walzten die Paare. Konrad Leuchs mit Olga wie ein Rasender, mit dem Fuße stampfend, so wie er das auf den Kirchweih festen seines heimatlichen Dorfes immer gemacht hatte. Einen eleganten, langsamen, echt wienerischen Schleifer tanzte Fritz Norden mit Frieda Schäfer. Nachdem er lange gebeten und gebettelt, halt« sie ihm schließlich nachgegeben. Die prickelnde Straußsche Musik tat das ihre, und wirklich lieh Frieda sich dahintragen von den schmeichelnden Tönen, die Lunardi dem altersschwachen Pianin« entlockte, und in den Minuten des Tanzes war e» ihr, als gleite sie in Fritzens Armen wirklich dahin über die sanften Wellen eines langsam dahin rauschenden Flusses, dessen kaum sich regende« Spiegel in dem silbernen Schimmer einer Dollmond sommernacht erglänzt. (Forffetzung in der Morgenausgabe.)
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