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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 22.09.1914
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1914-09-22
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19140922015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1914092201
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1914092201
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1914
- Monat1914-09
- Tag1914-09-22
- Monat1914-09
- Jahr1914
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Veite 2. Nr. 482. Morsen»Nusgavr. Leipziger Tageblatt. Dienstag, 22. September ISl« habe sich de» «inriickenden »»,«schloss«», de» Ausstand proklamiert u»d di« Kahne der südafrikani schen Union gehißt. Vie Sorge um Antwerpen. Das Rotterdamer Blatt ,,De Maasbode" vom 10. Lepteiirber veröffentlicht folgendes: „Eingesandt: Tollte das wahr sein? Gestern hörte ich einen Augenzeugen erzählen, daß der Turm der Liebfrau en-Kirche in Antwerpen ganz mit Maschinengewehren besetzt ist, und daß solche auf dem Kirchenschiff stehen sollen: ferner soll eine drahtlose Einrichtung auf dein Turm sein. Weist Ihr Berichterstatter, ob das wahr ist? Ich kann doch unmöglich annchmen, dast Belgien die ses Monument der Verwüstung preisgeben will, nur um einige Deutsche zu töten: die Regierung weist doch sehr gut, dast crne Kugel aus den 42-Zentimeter- Kanonen ausreichen kann, um aus Turm und Kirche einen einzigen Cchutthauscn zu machen. Könnte man nicht aus dem Ausland erreichen, dast Turm und Kirche nicht für Kriegszwecke gebraucht werden, und dast sie unter den Schutz einer neutralen Macht gestellt werden? Bei offizieller Bekanntgabe hiervon an die deutsche Negierung würde man aller Wahrscheinlichkeit nach dieses prächtige Bauwerk vor dem Untergang bewahren können." Vie belgische ,proteft"-KommiPon bei Wilson. Kopenhagen, 21. September. Der Zeitung „Poli tiken" wird aus London berichtet: Die belgische K o m in i s s i o n , die sich über die angeblichen deutschen Greuel beschweren will, wurde am Freitag im Weisten Hause vom Präsidenten Wilson empfangen. Er begrüstte die Kommission mit einer Rede, in der er sagte, dast Belgien nicht fchlgetan habe, als cs sich an Amerika wendete. Der Präsident sagte weiter, dast er es als eine Ehre betrachte, wenn sich das belgische Bolk in der Zeit des Unglücks an ihn wende. Er versprach, die Proteste der Kommission aufs genaueste zu untersuchen, und schlost dann: „Sie werden verstehen, dast ich in diesem Augenblick nicht mehr sagen kann. Ich bete zu Gott, dast der Krieg bald zu Ende gehen soll. Der Tag der Abrechnung wird kommen, da die Bölter Europas sich sammeln und beschliestcn, Frieden zu schließen." Die Schlacht an -er Msne. Berlin, 2l. September. fE i g. Draht der.) Aus Zürich wird der „Rationalzeitung" gemeldet: Die Tatsache steht fest, dast die Angriffslust der Franzosen völlig geschwunden ist. Wo die Franzosen erst stürmisch vorgingen, ist nun mehr der Angriff gänzlich zusammengcbrochcn, da ihn die Deutschen aus gut verschanzten Stellungen kräftig zurückwiesen. Die französischen Berluste sind ungemein groß. Nunmehr ist die deutsche Ar- mee aus dem Vormarsch begriffen. Zweiein halb französische Armeekorps sind bereits vollständig geschlagen. (Dies bezieht sich wohl auf das 13. und 1. Korps. D. Red.) Die deutschen Truppen be herrschen das Gebiet zwischen der Oise und Maas vollständig. Die französische Armee ist in der Mitte auf völligem Rückzüge. Der rechte deutsche Flügel drängt die französische llebermacht immer mehr nach Süden. Verdun wurde weiter erfolgreich beschossen: die deutschen Belage- rungsmörser erzielen groste Erfolge. Brand in der Kathedrale von Reims? Genf, 21. September. Die Franzosen beginnen, öffentlich bekanntzugeben, dast der Brand in der Kathedrale von Reims auf das Bom bardieren der im Osten und Norden stehenden Deutsch«» (natürlich!) zurückzuführen sei. Herr Poincarü wird in der nächsten Zeit eine Depesche an den Präsidenten Wilson richten. Zn etwa« anderer Beleuchtung lästt eine zweite Drahtmeldung, die ebenfalls au» Genf stammt, die Ursache des Brandes der Kathedrale er scheinen. Diese lautet: Die durch die Kathedrale in Reim» gedeckte französische Hauptbatterie sollte, Pa riser Meldungen zufolge, für den ent scheidenden Moment ausgespart werden. Das unge- stsime deutsche Vorgehen veranlastte sie jedoch zu feuern. Dadurch wurde das Bombardement allge- mein. Die Fassade der Kathedrale hat etwas ge- litten, aber ihre Wiederherstellung ist durchführbar. Das Stadthaus ist teil weise zerstört. Neue Truppenbewegungen -er Nuj)en! Stockholm, 21. September. Die Londoner „Daily Mail" l>at Nachricht aus Petersburg, dast man dort außerordentliche Mastnahmcn plane, um General von Hindenburg aufzuhalten, der mit 750 00O Mann (!) schon auf russischem Boden stehe, bereit, die Offensive zu ergreifen und auf Warschau zu marschieren. Hierdurch wäre man genötigt, einen beträchtlichen Teil von den in Gali zien siegreich gegen die Oesterreicher operierenden russischen Armeen gegen Hindenburg zu senden. ,Ehten"-Martos leugnet. Der russische General Marios konnte, wie der „Krruzztg." aus Halle gemeldet wird, noch nicht vor ein Kriegsgericht gestellt werden, da er b e h a u p t e t, nicht General Marios zu sein. Ein ihn begleitender russischer Major, der nachweislich auf deutsche San't-itsoffiziere geschossen harte, wurde vom Kriegs gericht zu Halle zum Tode verurteilt. „fius e-len patriotischen Motiven." Wie das „Nowose Wremja" meldet, wurde das Gesindel, das wegen der Plünderung der deutschen Botschaft in Petersburg verhaltet war, wieder auf freien Fust gesetzt. Der Untersuchungsrichter hat festgcstellt, da» die Leute nicht aus Plünderungslust, sondern — aus edlen patriotischen Motiven gehandelt haben. Weiter berichtet das Blatt, dast der vom Pöbel er mordete Beamte der deutschen Gesandtschaft, Hofrat Kattner, nicht während der Plünderung, sondern erst einige Tage daraus getötet worden sei. Das „Nowoje Wremja" ist voller Freude über das „gerechte" Urteil des Richters, der Mörder und Plünderer als „edle Patrioten" bezeichnen kann, und hätte es am liebsten gesehen, wenn man die Helden für ihre herrlichen Taten noch belohnte. Vas Vorgehen öer Japaner gegen Tsingtau. Tokio, 21. Leutember. Au» Tokio wird amtlich gemeldet: Japanisch Truppen mit Unter stützung der Flotte sind in öer Bucht Laoschan gelandet. Rotterdam. 21. September. Aus Peking wird gemeldet: Der zweite deutsche Legationsrat in Peking, Freiherr von Riedesch zu Essenbach, wurde bei einem Vorpostengefecht in Tsingtau, wo er Dienst tat, getötet. Die Japaner nähern sich langsam den Befestigungen von Tsingtau. Der gefürchtete -eutsche Minenk leg. Stockholm, 21. September. Ein englischer Marineoffizier sagte während der Unter suchung des norwegischen Dampfers „Vestfes" zum Kapitän diese» jetzt in Kristiania angekommenen Schiffes: Die Deutschen führten den Minen krieg in einer Ausdehnung, die man in englischen Fachkreisen nicht für möglich ge halten hat. Auf Mutmastungen angewiesen, glaubt man in London, dast die Deutschen auch ihre Unterseeboote als Minenleger benutzen können. Zerrüttung -er serbischen Mrmee. Lofia, 2t. September. Htcsige Blätter melde« au» Risch, die Moral der serbische» Armee sei vo ständig erschüttert. Bisher seien zwölf tausend Cholera fälle t» der serbischen Armee frstgesteltr und täglich stürben zwei- bi» dreihundert. Di« staatlichen Banken seien von Baljewo, Gornjt-Milanowaq und Kragnjrvntz nach Rism übergestrdelt. In einigen Artillerie»Regimentern Härten die Mannschaf ten gemeutert und die eigenen »lanonen zerstört Aus Sofia wird gemeldet: Die hiesigen maß gebenden Stellen haben vertrauliche Berichte aus Nisch erhalten, nach denen österreichische Trup pen siegreich über die Drina vorgedrungen find und bereits drei serbische Regimenter gefangen und mehrere Kanonen erbeutet haben. Die Auf stellung der Serben bei Valjewo sei erschüt tert, so dast in den nächsten Tagen mit einer ent scheidenden Niederlage der serbischen Kräfte gerechnet werden kann. In vielen Truppenteilen haben die Soldaten gemeutert und die eigenen Offiziere er schossen. Die Gärung greift um sich, so dast selbst Pasitsch und die Dynastie in Gefahr schweben. Eiserne Kreuze. cvtb Schwerin» 21. September. Der Kaiser hat dem Grog Herzog vonMecktenbu r g-Sch we rt n das Eiserne Kreuz verliehen. Der Staatsminister von Langfcld erhielt heute eine am 20. September aufgegcbenc Depesche des Großherzogs, die folgendermaßen lautet: Ew. Exzellenz teile ich mit, dast S. M. der Kaiser mir aus Anlast der rühmlichen Waffen taten meiner Landeskinder und mei ner Teilnahme an den Operationen das Eiserne Kreuz zweiter und erster Klasse zu verleihen geruht haben. Indem ich diese mich beglückende ehrenvolle Auszeichnung anlcge, gedenke ich mit treuer Dankbarkeit der von meinen mecklenburgischen Truppen unter Gottes sichtbarer Hilfe vollbrachten Heldentaten. Ihre unerschöpfliche Tapferkeit ist über alles Lob erhaben. Friedrich Franz. rrtb. Neustrelitz, 21. September. Die Herzogin Elisabeth erhielt, wie die „Lan'deszeitung für beide Mecklenburg" von zuständiger Stelle erfährt, folgen des Telegramm ihres Sohnes, des regierenden Eroßheczogs von Mecklenburg--Stre it tz: Der Kaiser hat mich gestern durch Verleihung des Eiserne» Kreuzes 2. und 1. Klasse ausgezeichnet in Anerkennung der ruhmreichen Leistungen meiner Mecklenburger. Herzliche Grüße. Fritz. vtb. Braunschweig. 2l. September. Wir erhalten von zuständiger Stelle die Mitteilung, daß dem Herzog zu Braunschweig und Lüneburg das Eiserne Kreuz verliehen worden ist. ivtb. Darmstadt, 21. September. Der Eroß- herzog von Hessen Ernst Ludwig hat, wie die Herzogliche Kabinettsdirektion mitteilt, das Eiserne Kreuz erster Klasse erhalten. vtb. Bückeburg, 21. September. Der Kaiser hat dem Fürsten Prinz Adolf zu Schaum burg-Lippe das Eiserne Kreuz zweiter Klaffe verliehen. Aue Erkrankung -es Srneraloberftea von Hause«. Dr««d«n, 21. September Wie „Wolffs Sächsischer Landesdienst" erfährt, hat im Tagesbefehl des stellvertretenden kommandierenden Generals de» Xll. Armeekorps vom 20. September folgend« Notiz Aufnahme gefunden: Seit einigen Tagen durchschwirren wilde Ge» rüchte die Stadt, wonach der Generaloberst Freiherr v. Hausen nicht wegen Krankheit, sondern wegen Fehler in der Führung seine» Kommandos enthoben sei und ähnliches mehr. Obgleich alles völlig klar liegt und obgleich di« stärksten Beweise kaiserlicher und königlicher Zu friedenheit veröffentlicht sind, so ist es doch außer dem die Pflicht jede» Kameraden, solchen törichten, kränkenden, durch nichts begründeten Ge rüchten aufs schärfste entgegenzutreten. Der slbt von Maria-Laach brim Kaiser. Köln, 21. September. (Eig. Drahtber.) Nach der „Köln. Volksztg." nahm der Kaiser kürzlich in einer dem Abt von Maria-Laach im Großen Haupt quartier gewährten Audienz Gelegenheit, sich über das Verhalten einzelner Mitglieder des aus ländischen Klerus im Verlaufe des gegen wärtigen Krieges zu äußern. Der Abt versicherte dem Kaiser, daß derartige Vergehen von Geistlichen von niemand ärger verurteilt und be klagt würden, als vom deutschen katholischen Klerus. Dieser sei dem Kaiser und der heiligen Sache des Vaterlandes von ganzem Herzen ergeben. Der Kaiser nahm diese Versicherung mit großer Befriedigung auf und sagte lebhaft: „Davon bin ich fest überzeugt." Lecbstmord eines entflohenen hrrie.qsgesangenen. Halle a. S., 21. September. (Eig. Drahtm.) Die „Saaleztg." meldet: In Torgau überstieg der dort gelangen sitzende englische Major Pate, vom Pork- jhire-Regiment den Wall der Brückenkopfta^erne und entlam, da nachgemndte Schüsse in der Dunlelheit sehtgingen. Bei der Zuckerfabrik Broltewitz heute mittag gestellt, tötete er sich durch einen Kehlschnitt. Pate ist der englische Stabsoffizier, von dem jüngst berichtet wurde, er habe auf Befragen nicht be stritten, daß den englischen T'r uppen Dum-Dum-Geschosse ausgehändigt wor den seien, und der im Verlaufe jenes Verhörs er klärte, man muffe doch mit der Munition schießen, die die Regierung geliefert habe. . Fürs Vaterland gefallen. Wie aus den Familienanzcigen der vorliegenden Ausgabe unseres Blattes ersichtlich ist. starben den Heldentod für das Vaterland der Leutnant der Reserve und Kompanieführer im Infanterie regiment 177 Walter Baring, der Hauptmann im Reserve-Infanterieregiment 100 Kurt Böhme, der Leutnant im Reserve-Infanterieregiment t>0 Fritz Wilfroth, der Leutnant der Reserve im Karäbinierregiment Dr. Franz Wilhelmi. Das Lehrerkollegium des König-Albert-Eymnasiums zeigt den Tod auf dem Felde der Ehre des Oberlehrers und Oberleut nants der Reserve im Infanterieregiment Nr. 134 Dr. phil. Hellmut Böttcher an. Die Sänger schaft Anon gibt den Tod des Finanzamtmanne»-und Oberleutnants der Reserve im Infanterieregiment Nr. 134 Dr. Willibald Emil Weiß bekannt, die Landsmannschaft Afrania den Tod des Leut nants der Reserve im Infanterieregiment Nr. 178 Dr. jur. Klemens Eranert. Ferner sind auf dem Felde der Ehre gefallen der Oberleutnant und Adjutant im Infanterieregiment 65 Walter Naumann, Leutnant der Res. im Schützenregiment 108 Dr. jur. Johannes Ti- maeus, der Kgl. Preuß. Leutnant im Infanterie regiment 23 Felix Traut der Assistenzarzt cer Res. im Karäbinierregiment Dr. med. Woldemar Arnold, der Vizefeldwebel der Res. Eymnasialober- lchrer Dr. Johannes Backhaus, der Vi-efelv- Iffland. ,'Zu feinem Itttt. Todestag am 22. Leptembcr Von Unioers.-Prof. Dr. Richard M. Meyer-B erlin. Jsfland und Kotzebue, Kotzebue und Iffland — sie sind für die deutsche Literaturgeschichte ein un trennbares Paar geworden, wie nur Goethe und Schiller. Wie A. W. Schlegel sie in seinen geist- reichen Berliner Vorlesungen zusammcnband, wie Eloesscr sie in seinem trefflichen Buch über das „Bürgcrlick)e Drama" nebencinanderstellte, so hat man sie immer wieder als eine höhere Einheit ge faßt. Und gewiß nicht mit Unrecht. Sic gehören wirklich zusammen, negativ als der Gegensatz des „Theaters" gegen die „Dichtung": positiv als die Be herrscher des Publikums in der Zeit unserer größten Dichter. Sic überragten ihre zahlreichen Neben buhler — zu denen auch der junge Theodor Körner gehörte und eigentlich auch der Goethe des „Bürgergenerals"! — um ebensoviel, wie sie hinter den Grogen zurückbliebcn. Sie waren die Brücke, die von dem Gcjellschastsdrama der Lessingjchen Zeit zu dem des jungen Deutschland hinüberführte, während der mächtige Strom des klassijck)en Dramas die Ver bindung beider Festländer unterbrach. Aber der Gedenktag Jfflands mahnt, daß wir auch die Verschiedenheiten nicht unterschätzen sollen. Auch sind sie nie ganz überselicn worden. Iffland ist der Patriot, auch in seiner Satire deutscher Art immer von redlicher Liebe zur Heimat erfüllt: Kotzebue der Kosmopolit, dem deutsche Art nur als Beispiel dient. So hat denn auch der Weimaraner die Bühne der ganzen Welt erobert, etwa wie heute Sudermann: wohin Goethe und Schiller so weckig dringen konnten wie heute Hauptmann oder Hof mannsthal, da wurde doch Kotzebue gespielt! (Wo bei ich so wenig Kotzebue und Sudermann wie jene beiden mit den Weimarer Dioskuren verglichen haben will!) Dazu half auch die geschickte Dosis Sentimentalität, die der Autor von „Menschenkaß und Reue" nicht ohne einige Verlegenheit deimischte, während der Verfasser der „Jäger" sich auch hierin viel nüchterner und vor allem ehrlicher hielt. Die Meister konnten dem Dichter des deutschen Botte stücks ein volles Lob zuerteilcn — für Kotzebue gab cs nur Abweisung. Freilich — die berühmte „Jeremiade" Schillers rechnete mit der Misere der bürgerlichen Dramen allgemein ab und konnte bei dem Kampf für die Hohe Form auch den Theater direktor nicht ganz schonen, der sich der „Jungfrau von Orleans" so eifrig annahm! Schließlich hat do« Schicksal selbst die Verschiedenheit betont: angesehen und verehrt ist Iffland am 22. September 1814 als Generaldirektor der Schauspiele verschieden, während die Ermordung Kotzebue, einen wilden Ausbruch d«» Haffes von seilen der Regierenden und Machthaben den entfesselte, wie sie scly't ein solcher Ausbruch des Hasses von seiten der Unterdrückten gewesen war. Kotzebue, der Vielgeschäftige, politischer Agent, Intri gant in eigenen Diensten, Pamphletist und Satiriker, Journalist, hat die Vielseitigkeit seiner Begabung bitter büßen müssen — und die innere Unwahrheit, zu der ihn das Bedürfnis nach starker unmittelbarer Wirkung zwang, Iffland, von Eitelkeit gewiß auch nicht frei, aber doch eine viel einfachere Natur, hat auch kein dramatisch bewegtes und aufgeregtes, effektvolles Leben und Sterben gehabt wie Kotzebue Zwar einseitig war auch Iffland nicht. Der Beamtensohn, der mit August Wilhelm Schlegel die Gcburtsstadt Hannover und die Vornamen gemein hatte, bedeutet als Schauspieldichter, Schauspieldirek tor und Schauspieler fast so viel wie jener als Dichter, Theoretiker und Uebersetzer — „von drei Talenten eine Tripelallianz". Als Schauspieler bildet er wiederum eine Verbindung: zwstck-cn dem idealistischen Pathos der Weimaraner und dem Realismus der Hamburger vermittelt sein Spiel. Es ist uns genauer bekannt als das irgendeines zweiten Mimen: anschauliche Bilder sind von seinen Haupt rollen in verschiedenen Momenten ausgenommen worden, und der Hosrat Böttiger, Goethes allzu eifriger „Ueberall", hat 1796 eine ZLntwickelung des Jfflandschen Sviels in vierzehn Darstellungen auf dem Wcimariscyrn Hostheater" erscheinen lasten, in dem er Gesten und Sprachnuancen des berühmten Gastes fast so mikroskopisch verfolgt, wie cs neuer dings Konrad Frey für den Hamlet Kainzens ver sucht hat. Da hören wir denn etwa: „Wer huldigte nicht heute den schönen, elastisch gerundeten Armen und Händen des Künstlers ... — der Kult der sknlpturalen Bühnenerschcinung ist angedeutet. Oder auf der andern Seite: „Zur Individualität seines heutigen Spiels rechne ich vorzüglich die vom An fang bis zum Ende in jedem Tritt und in jeder Stellung meisterhaft beobachtete Schwächlichkeit der vom Podagra übel gezwickten und gemitzhandelten Füße" — da ist der Realismus der Einzelzüge? — Er suchte sich gern Rotten aus. di« für einige Beweg- lichkeit zwischen Pathos und Naturalismus Raum boten, so den Franz Moor: am besten spielte er eigene Rollen, in denen aus einer nachlässigen Hingabe an irgendeine soziale Lage, eine Altersstufe, eine körperliche Besonderheit plötzlich das Allgemein menschlich« durchschlägt. In der Tragödie schien er Schiller zu „planvoll und beschäftigt und die Auf merksamkeit und das Nachdenken spannend", währens er in der Komödie, vorzugsweise in der Zeichnung „närrischer Originale", durch den Schein augenblick licher Einfälle viel näher an den Eindruck der Genialität streifte. Sein großes Talent der B«- obachtung kam ihm hier zugute: er war. wie Eloesser mit Recht sagt, soviel Beobachter wie Moralist. Die bürgerliche Gesellschaft vor allem in eine Reihe indi- s viducller Schattierungen gewisser feststehender Typen zu zerlegen, das war der Punkt, in dem der Schau spieler und der Dramendichter sich trafen. Denn dieser Bühnendichter ist wirklich für das realistisck-e Schauspiel unserer Tage eine unent behrliche Voraussetzung. Wie der Dramatiker Goethe es in seinem Theaterroman auseinandersetzt und wie jeder gute Theaterdichter es stillsckMeigend ooraus- setzt, geht er von der Tatsache aus, da» die Psycho logie der Durchschnittsmenschen (und vielleicht nicht einmal bloß der durchschnittlichen Charaktere!) sich aus eine beschränkte Zahl von Grundformen bringen läßt, die sich mit den „Rollenfächern" des Theaters ungefähr decken. Wie Fontane oder wie )ed«r, der an der Menschenbeobachtung seine Lebensfreude be sitzt, ist er unermüdlich in seinem Suchen nach immer neuen Varietäten und Spielarten dieser Gattungen, unermüdlich auch in dem Bestreben, sie anschaulich wiederzuaeben. Seine zahlreichen Amtmänner gleichen sich nicht viel mehr als Fontanes Gärtner oder Pastoren: im Stimmklang, in der Geste sind für den Schauspieler Anhaltspunkte, aus denen er ein neues Menschenbild zu gestalten vermag. Damit sott nun freilich nicht gesagt werden, daß Iffland ein großer Psychologe sei. Leine Menschen kenntnis bleibt immer — Schauspielcrpsychologie; welche Geste in einem bestimmten Moment eine Figur macht, ist die Hauptsache: die dahinterlicgende Gemütsbewegung mag im Groben bleiben. Es sind daher auch immer wieder dieselben Momente, die zur Aufdeckung des inneren Menschen — oder, von der Bühne aus angesehen, zur Entfaltung der wirkungsvollen Gebärde führen: wobei wir doch auch wieder an Fontane und seine simpeln Erlebnisse er innern dürften. Hier aber kommt der schwächste Punkt bei Iffland zum Vorschein. Es sind wirklich fast immer direkte oder indirekte Geldangelegenheiten, die die Handlung in Bewegung und die Personen in Aufregung versetzen: Anstellung, Aussteuer, Erbschaft, Geschaftsunterncymung. Sie sind nicht etwa im Sinne der Geldmythologie Balzacs aufgeiaht, noch weniger sind sic Symptome einer realistischen An erkennung der ungeheuren Macht des Geldes, obwohl ihre bloße Erwähnung und Behandlung für solchen sozialen Naturalismus eine Vorstufe wurde, sondern es fallen Iffland wirklich kaum andere Dinge ein, di« für sein Bürgertum wichtige Erregungen verursachen könnten. Dabei ist doch gerade er durch und durch für dies Bürgertum gesinnt, das der junkerliche Kotzobue im Grunde doch verachtet. Der kleine Mann hat bei Iffland immer recht gegen den uni formierten oder mit der Macht des Geldsackes und der Konnexionen ausacstattcten höheren Beamten oder Junker oder höfischen Intriganten. Innerlich imponiert ihm freilich die soziale Oberstufe doch ge waltig, und die Mademoiselle Tochter eines reichen Mannes erweist den einfachen Leuten eine große Ehre mit den Worten: „Ich weiß den Ehrenplatz neben guten Menschen zu schätzen . . ." Aber die Natur lebt für ihn doch eigentlich nur bei den kleinen Bürgern und Bauern: und die Schlußmoral der bekehrten Verirrten — er bekehrt noch lieber, als er bestraft — lautet: „Die vergifteten Spielwerke der Eitelkeit lasse ich zurück und trete ein zum Dienst der treuen, heiligen Natur." Wie für Anzengruber der Bauer, so ist für Iffland der Bürger „reine Natur", frei vom beengenden Zwang der Kon- venienz — der Bürger dieses steifen, zeremoniellen Zeitalters! Und zu dieser Natürlichkeit gehört auch der Respekt vor dem Gelbe, die Angst vor dein ge reizten Könner, die Ohnmacht gegenüber der ge lernten Intrige. In der Tat, woher hätte diesem Bürgertum ein stärkerer Antrieb zu eigener Be hauptung und zu höheren Idealen kommen können? Nur eben — das Theater wenigstens sollte noch von andern Idealen wissen. Nicht daß er immerfort vom Gelde redet — daß er dem Publikum zuliebe immer davon spricht, ist das Bedenkliche, das den Zorn der Romantiker herausfordern mutzte. Doch eben dieses Verständnis für das Publikum hat auch den Theaterdircktor Iffland zu einem „Vorläufer" geinaHt. Er gründete sein Re pertoire auf die eigenen Stücke, denn sie entsprachen ja feinem eigenen Bedürfnis nach Natürlichkeit am meisten. Aber er wußte doch auch, was Schiller be deutete; er verstand die Bedeutung des Pathos ja auch aus dem eigenen Bedürfnis! Das Berliner Hoftheater wurde durch ihn, nach den tüchtigen Vor arbeiten I. Engels, eigentlich begründet; aber wenn der Verfaffer der „Mimik" das Hauptgewicht auf di« Gebärdensprache gelegt hatte, wurde für Iffland das gesprochene Wort wieder die Hauptsache — und das ist und bleibt doch wohl die gesündeste Auffassung! So hat Heinrich Laube das Burgtheater zu einer Vorbedingung für das realistische Gcgenwartsdrama erzogen; und es wäre wohl der Mühe wert, zu untersuchen, welchen Einfluß der Biihnenstil des alten Berlin auf die dichterische Produktion aus- geübl bat. Hätte Hebbel je die „Maria Magdalena", Otto Ludwig den „Erbförster" auf die Bühne ge bracht, wenn der Thcaterstil von Weimar die deut schen Schauspieler noch in seinem allmächtigen Bann gehalten hätte? Jsfland war kein großer Mann und gewiß kein großer Dichter. Ein großer Schauspieler mag er schon eher gewesen sein. Das wichtigste war doch, daß er sich auch in der gefährlichen Stelle des Hof- theaterintendantcn mit Ehren beharwtete, ohne in napoleonischer Zeit seine gutdcutsche Gesinnung, ohne vorher oder nachher seinen bürgerlichen Jdealismu« zu verleugnen. Mit Recht hat man ihm nach gerühmt, nach Ekhof habe niemand für di« Hebung des bürgerlichen Ansehens der Schauspieler mehr ge tan als er; schon deshalb, weil der Dichter wie der Direktor Iffland immer dem Schauspieler dienstbar geblieben ist. Iffland war der Regisseur, der die Probe zu dem großen realistischen Theaterspiel Deutschlands in der zweiten Hälfte de» 19. Jahr hunderts geleitet hat!
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