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Dresdner Nachrichten : 20.03.1932
- Erscheinungsdatum
- 1932-03-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id501434038-193203207
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id501434038-19320320
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-501434038-19320320
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungDresdner Nachrichten
- Jahr1932
- Monat1932-03
- Tag1932-03-20
- Monat1932-03
- Jahr1932
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- Dresdner Nachrichten : 20.03.1932
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. kV» sllÄrS Goethe iszr, gezeichnet von R. A. Gchwerdgeburth dorthin, wo auch das Menschliche seine Grenze findet im übermenschlichen und Unerforschlichen. Eine Welt« und Wesensschau, die so das einzeln« als Teil des Alls sieht, hat es nicht mit dem Heute und Morgen zu tun, sondern mit den immer wiederkehrenden, typischen, ewigen Nöten und Fragen; sie führt alles in seinen Grund und Ur grund und stellt es vor den Horizont des schlecht hin Unendlichen, der Natur, des Schicksals oder Gottes. Goethe selbst leugnete am wenigsten, daß auch sein eigenes Wollen und Handeln behaftet blieb mit Unvollkommenheit, Irrtum und Schuld. Er war vielmehr durchdrungen von der Erkenntnis, daß alles Menschliche der Gnade bedürfe und daß niemand sich selber sreisprechen könne. Daraus erwuchs seine große Demut und seine Ehrfurcht vor dem Gegebenen, dessen Sinn und Notwendig keit sich menschlichen Begriffen nicht restlos offen barte. Und dahin gehört das Bewußtsein, einer höchsten Instanz zu unterstehen und ihr verant wortlich zu sein für die Erfüllung des Zuerteilten und Empfangenen. Mit derartigen Hinweisen ist natürlich bis Größe und das Wesen Goethes nicht hinlänglich ver deutlicht, auch nicht die ungeheure Reichheit seines Lebens, das sich durch alle Stadien des Jung» und Mtseins vollenden konnte; und schließlich nicht sein Vermögen, Gedachtes, Gefühltes und Geschautes in Wort und Bild zu formen. Das ist unmöglich. Wer vielleicht ist das eine Nar geworden, daß MN mit zufälligen und befangenen Urteilen sich nicht zum Richter über Goethe aufwerfen darf, ja daß es unendlich schwer ist, ihm gerecht zu werden. Der Unterschied der Interessen wird immer zu ver schiedenen Ergebnissen führen, und nichts ist un fehlbar. Nur das ist sicher: keine Zeit kann seiner Größe etwas nehmen oder geben; ob sie von vielen oder wenigen erkannt wird —sie ist doch da. den die „Faust"-Dichtung weist und geht, der Weg des nor dischen Menschen durch die Welt der Leidenschaften und der Kultur; und das Zeugnis eines Strebens, das über Vor läufigem und Vergänglichem niemals das Ganze, Kosmische und Unbedingte vergaß. Selber erfüllt von dem überzeit lichen hat Goethe das Erlebte über alle Zufälligkeiten hinaus gehoben, könnte doch so sein, daß wir nicht nur von unserer Zeit aus Goethe zu kritisieren hätten, sondern auch von Goethe aus unsere Zeit. Und neben der Erwägung, ob Goethe uns in allem genügen kann, wäre die Frage möglich, ob wir vor ihm bestehen können. Schließlich und nicht zuletzt, ob die erwähnten Urteile und Maßstäbe überhaupt an das Wesentliche des Phänomens Goethe heranreichen. WaS bereutet uns Goethe? von Walter v. Molo, Vorstandsmitglied der Goethe-Gesellschaft ES ist in diesen Wochen, in denen mit un- übertrossener Energie aus jeder Druckerpresse heraus, von jeder Bühne und Tribüne herab Goethe gepriesen und durchleuchtet wird, sehr schwer, die Frage zu beantworten, was uns Goethe bedeutet und wie man ihn feiern soll. Goethes Stellung in unserer Zeit von vr. Christian Janentzlh, Proscssor an der Technischen Hochschule Dresden Man darf das Verhältnis unserer Zeit zu Goethe nicht beurteilen nach der Zahl der Gedenkfeiern. Oder doch nur in der Hinsicht, daß viele dieser Veranstaltungen nötig sind, um an Vergessenes zu erinnern und Verblichenes aufzufrischen. Denn daran ist kein Zweifel: wenn eine Zeit ihr Gepräge von der Mehrzahl der Leben den erhält, so lassen die Beziehungen der Gegen wart zu Goethe einiges zu wünschen übrig. Er fahrungen der höheren Schulen und Hoch schulen können diese Erscheinung nur bestätigen. Dabei ist offener Widerspruch sympathischer als selbstzufriedene Gleichgültigkeit und mutiger als das unkritische Tcilnehmen an der konventionellen Hochachtung für „unfern" Goethe. Wir müssen die Tatsache, daß Goethe nicht gesichertes Allgemeingut des deutschen Volkes ist, konstatieren, und wir müssen die Gründe dieses Faktums zu verstehen und zu würdigen suchen, wenn wir etwas ändern und bessern wollen. Die kulturelle Lage unserer Tage wird nicht mit Unrecht als eine Situation der Krisis bezeich net und hat die Merkmale kritischer Zustände: Spannung, Erregung und Gefahr. Darum sucht sie notwendigerweise nach Mitteln, die eine schnelle Änderung und Entscheidung herbcizustthren ver mögen. Ausschlaggebend ist das in diesen, Moment Brauchbare, wertvoll das aktuell zu Verwertende. Wozu aber kann das Gewesene, überlieferte dann dienen; mag es auch den Bedürfnissen früherer Zeiten entsprochen haben? Und welche Hilse soll uns von Goethe kommen? Hat man uns nicht übergenug von ihm und seiner klassischen Geltung erzählt, ohne die Not und das Bedroht sein im mindesten fernhalten zu können? Sollen wir uns bei Goethe Rat holen in unserer sozialen und politischen Bedrängnis; bei Goethe, der diese Sorgen von sich wies als etwas die „ruhige Bildung" Störendes? Derartige Fragen werden heute immer wieder laut, vor allem bei der akademischen Jugend, und es wäre töricht, sie zu überhören oder ihnen jedwede Berechtigung abzustrciten. Einmal ist auch das Genie in gewissen, Grade zeitgebunden, und nicht jedes Werk Goethes hat, in allen Teilen, Anspruch auf Unvergänglichkeit. Fenier ist nicht alles gut, schön und bewundernswert, weil er es getan und gesagt hat. Götzendienst paßt weder zu ihm noch zn uns. Und schließlich hat man so lange das Bild des Olympiers Goethe gezeigt, daß der Eindruck des Kühlen, Ungerührten, Mar mornen entstand und sich erhielt; neben der Vor stellung des Egozentrischen, ja Selbstsüchtigen. Scheu anstatt Liebe, Fremdjein anstatt Ver trauen waren die notwendigen Folgen. — DaS sind Dinge, die sich nicht einfach zur Seite schieben lassen. Man muß sogar noch mehr zugcben; die Gcsamterscheinung Goethe hat Eigenschaften und Züge, die, psychologisch ge sehen, heute zum Widerspruch reizen müssen. Zu seiner Kunst gehört die plastische Geschlossenheit, klare Linien führung, ausgewogene Architektonik, ein Vermögen der Gestaltung und Formung, das mit den Dingen wirklich fertig zu werde» scheint; und diese Rundheit, Gegen ständlichkeit und Beherrschung muß in unruhigen, gärenden Zeiten als inadäquat empfunden werden. Zumal ja das alles untremlbaristvottGoethcsbcwußterVerkündungdcsklassischcn HumanitätsidcalS und der griechisch-südlichen Geistcsart; An sichten, die sich mit dcrmodernen Vorliebe für das Nordische und seine rassischen Eigenwerte ebenfalls nicht vertragen wollen. Hier handelt cs sich nicht nur um Gegensätze des Stils, sondern um die Verschiedenheit von Lcbcnsanschauungen, und das ist immerhin beachtlich. Auch deswegen, weil damit eine neue Bewertung der Kunst und des Ästhetischen über haupt zusammcnhängt, die sich — in Parallele mit russischen Beispielen — heute durchzusetzen sucht. Mau schätzt vielfach den Stoss höher als die Form, man will nicht reine, sondern zweckbetonte Kunst, nicht Jdccnserne, sondern Lebensnähe; und der Beifall gilt der Tendenz eines Werkes oder der politischen Überzeugung seines Schöpfers. — Eine derartige Aktualität hat Goethe wiederum nicht auszuweifen, und selbst zu seinen Lebzeiten konnte man eine tiefere Teilnahme an den politischen, sogar an den nationalen Ereignissen bei ihn» vermissen. Es ist nicht schwer, ihn darum zu tadeln; obwohl das nationale Gefühl und der deutsche Gedanke damals, auch in dem Verhalten der Fürsten, Diplomaten und Länder, noch keine allgemeine und eindeutige Verbindlichkeit be saßen. Aber die aus der Gegenwart geborenen Forderungen werden damit nicht befriedigt. Wenn inan ans diese Weise die vielfach bekundeten Wider stände und Vorwürfe gegen Goethe zu verstehen und zu er klären versucht, so heißt nun allerdings ableiten noch lange nicht billigen. Auch diese Tatsache läßt sich begründen. ES Der Patriot und Staatsmann Freiherr vom Stein hat einmal zu Arndt und andern Nationalgesinnten über Goethes Abneigung gegen das Politische gesagt: „Wir können ihn da freilich nicht loben, aber er ist doch zu groß." Daraus läßt sich vieles lernen, auch die Bescheidung vor dem eigentlich Bedeutenden; und auf den Sinn für das Große kommt alles an. Prüfen wir uns doch einmal sachlich, was wir groß nennen und unter Größe verstehen. Vielleicht das Prominente und die Prominenten; wobei die geistige Rangordnung die ge ringste Nolle spielt. Vielleicht die Menschen mit „Führer qualitäten"; wofür das Hcrrschcnwollen meistens wichtiger ist als das Hcrrschenkönnen. Tas alles ist mehr oder weniger vom Zufall abhängig und betrifft Vorübergehendes, und seine Schätzung und Überschätzung beruht aus einem Mangel an Unterscheidungsvermögen für das heute und für das imn»er Wichtige. Tagesfragen sind nicht notwendig Lebens fragen, und Zeitbedingtes ist nicht unbedingt entscheidend. Darin aber liegt das wesentliche Merkmal der Größe, daß sie überzeitliches verwirklicht, und das gehört wesentlich zu der Größe Goethes, daß er überzeitliches gestaltet hat und damit über den Zeiten steht. Ihn aus das jeweils Aktuelle sestlegen zu wollen, ist deshalb so unsinnig wie unmöglich. Mit einem Genie kam» man nicht jede»» Augenblick gemeinsame Sache machen, obwohl es voi» Menschlichkeiten nicht frei ist; und das Tiefste läßt sich nicht popularisieren. Zudem aber muß man das kennen, was man beurteilt und ablehnt, auch Goethe; und damit ist es bei seinen Kritikern manchmal schlecht bestellt. Sonst würde man wissen, daß die Vorstellung von dem Olympier falsch ist, daß Form und Maß und Beherrschung in Goethes Leben und Schaffen das Ergebnis schwerer und bitterer Kämpfe sind; daß seine Worte und Gestalten beladen sind mit den Erfahrungen und Leiden eines Menschen, der entsagen und verzweifeln lernte. Jhin war die Problematik und Tragik des Daseins nicht fremd; oft allzu nahe. Und sei»» Griechentum bedeutet nicht ästhe tisches Verweile,» in, Vergangenen, sondern Antrieb zu un ablässiger Bildung und Steigerung; und am Ende stand das Ziel des wahrhaft ethifchen MenfchentumS. DaS jst der Weg, Bor allem als Lebendiger und für die Lebendigen. — Ge wiß gibt es unendlich viele Goethe-Themen, auf seinen Spuren und hinter ihm drein, aber jedes Theina dieser Art kann keinen Begriff von der Bedeutung Goethes geben. Man kann nicht in einer knappen Stunde oder in 12V Zeilen von Weltsystemen sprechen, vom Schicksal des Prometheus. Ma»» kommt nichtzum innersten Kern Goethes. Es ist der große, ja tragische Fehler in der Einstellung der lebenden Generationen zu Goethe, daß sie ihn alle in einzelnen seiner Werke und Erlebnisse erfahren wollen. Gewiß kann solches Bemtthen literarischen Genuß bereiten und die Goethe-Themen, wie sie jetzt in der Luft herumschwirren, haben ein historisches Interesse. Aber alles das berührt das ungeheuer lebendige, ungeheuer wichtig^ Verhältnis Goethes zu unserer Gegenwart nicht. Man muß den ganzen Menschen Goethe, »nai» muß das ganze Werk Goethes, nicht nur das sogenannte Hauptwerk, genau kennen und durchforscht haben. Dann erst darf, dann muß man von Goethe sprechen. Es gibt niemals ein Zurück. Wer in» Sinne Goethes leben will, muß ganz in seiner eigenen Zeit leben. Ji» seiner unbegrenzte», Erlebnisfähigleit der kämpferischen Natur, in der Polarität seines Wesens, die ihn unter Glück und Schmer zen zwischen den großen Rätseln und Gegensätzen dieser Welt hin und her trieb, war Goethe immer nur eines: Wahrheits sucher. Die fanatische Gründlichkeit in des Wortes Ur-Sinn, diese Gründlichkeit, man könnte sagen Abgründlichkeit, die sich bei ihm bis in Pedanterie auf Aktendeckeln auswirkte, sein Wahrheitssuchen gibt seinem Werk und Leben Bedeutung. Und da wohl kein anderes Volk so heiß und rücksichtslos auch gegen sich selbst in allen Höhen und Tiefen sucht — ja nur zu leben vermag im dauernden Suchen und Untersuchen und Fragen, so ist Goethe das Symbol desdeutschenMens chenfchlecht« hin — ein Vorbild, das heute mehr denn je seine Geltung hat. Goethe kann unsere Gegenwart erhellen, er kann uns zu einer besseren Zukunst verhelfen, denn sein Licht erreicht uns noch. Wir müssen nur Eines wissen: „DaS Ewige ver ändert fich nicht, aber aüe» Vergängliche,'!
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