welches Anlass zu einer Monographie geben würde, nicht weiter ausführen. Der Gesanglehrer also kann die unentwickelte Stimme entwickeln, aber wo kein Talent, da bringt er keines hin! Das übersah Schmitt in seltsamer Verblendung! — Ich gehe noch weiter und meine, dass es mit der heute von allen Seiten empfohlenen sog. „Bildung des Geschmackes und Vortrages“ eine missliche Sache ist. Es ist schlimm, wenn der Lehrer überhaupt in die Lage kommt, hiervon reden zu müssen, im besten Falle bleibt solch anerzogener „Geschmack“ und „Vortrag“ etwas Künstliches, denn: „wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen.“ Dagegen kann der Lehrer Hindernisse hinwegräumen, die etwa einem natür lichen Vortrage entgegenstellen. Lässt er z. B. beige gebene einfache Hebungen ständig singen, so wird jenes unausstehliche Seufzen, Drücken und Ziehen bei jedem Tone, welches so vielen Anfängern anstatt seelischen Ausdrucks dient, bald aufhören. Ein paar Stunden für kräftige, kurze Töne auf la verwendet, thun hier oft Wunder, wenn ich aus eigener Erfahrung sprechen darf. — Man gehe also rein praktisch vor, von der Nützlichkeit einer theoretischen Vorstellung über das Geschmacklose einer so süsslichen Vor tragsart habe ich mich nie überzeugen können, das Pre digen ist ganz vergeblich! Die Lehrer früherer Epoche hielten üble Angewohn heiten, wie Gaumenton u. a. für Naturfehler; jetzt kurirt jeder darauf los, um derlei abzugewöhnen! — Beinahe jedoch möchte man sich zur alten Ansicht zurückwenden, wenn man erlebt hat, dass Sänger, denen mit unsäglicher Mühe in Jahren ihr Gaumen-, Nasen-, Zahnton oder Anderes fortkurirt war, abermals nach Jahren ganz genau in ihrer alten Manier sangen. Nur liegt der Fehler freilich nicht, wie man früher annahm, in der physischen Natur des Organs, sondern vielmehr in der geistigen Natur des Sängers: im Gehirn sitzen die Musikanten! Ich halte sogar das Stottern der meisten Stotterer für nervöse Angewohnheit, für einen Gehirn-, nicht Stimmfehler, wodurch allein die Erschei nung erklärlich, dass beim Singen nicht gestottert wird. — Es gilt hier eben mehr noch, wie in anderen Dingen das „naturam expellas furca, tarnen iterum redibit.“ Plüddemann, Sing-Uebungen. 3