NORDSEEMENSCHEN $ Vor hundert Jahren selbst noch Zeuge der letzten gewaltigen Einbrüche der Nordsee in die damals schwach gedeichten Küstenländer, schreibt 1845 ein Schriftsteller über „die Lebens- und Leidensgeschichte der Frie sen“. Sein Name ist verweht, aber seine herzbewegende Sprache klingt weiter: „Die Geschichte der Wasserfluthen ist ein großer Theil unserer Lebenszeit. Sie stellt uns dar, wie dem Volke der Friesen, Deutsch lands Ehrenvolke, das so harten Kampf mit Gott gekämpfet, nach und nach die See den geliebten Boden hier genommen, dort zertrüm mert. Wie es vorgebaut und nachgemiihet, fortgelebt und fortgelitten Jahrtausende, nimmer müde, nimmer sicher, nimmer fertig unter Strom und Sturm, Eis und Wogen, ewig bedroht, ewig verfolgt, von Morgen und von Abend. Wie es seine Erde mit den Menschen verloren im Abgrunde der See. Wie sie hinabgesunken lebendig oder in den Todtenhügeln schon ruhend, die Freunde des Vaterlandes alle, deren Art man nicht mehr kennt. Wi£ es Gott geschlagen, ohne zu murren, ohne zu fliehen von der Mutterbrust, der schrecklichen und doch heiß geliebten. Wie es geklebt und festgeh alten an dem mächtigen Wesen: Heimath. Wie es einerseits mit seinen eigenen Elementen, dem allmächtigsten, gekämpfet hat, während andererseits mit ge krönten Häuptern und deren Knechten, welche kamen von Mittag und von Morgen und von Mitternacht, um dieses eigenthümliche Volk zu vertilgen. Aber von politischer Macht kann es nimmer vertilget werden, so zäh ist der echte Geist der Friesen. Erst wenn das Meer alle Niederungen an seinen Rändern verschlungen, hat dies Ge schlecht ein Ende.“