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Der sächsische Erzähler : 20.05.1928
- Erscheinungsdatum
- 1928-05-20
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1735715891-192805200
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1735715891-19280520
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1735715891-19280520
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungDer sächsische Erzähler
- Jahr1928
- Monat1928-05
- Tag1928-05-20
- Monat1928-05
- Jahr1928
- Titel
- Der sächsische Erzähler : 20.05.1928
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-TTÄSÄ-L^TSTUV. L > T T ! 8^ äP M Kammer. Im Hausflur werkte Hermine mit einem Eifer, der dem Alten auffiel. Sie hatte Wannen herbeigeschafft, trug eben einen Korb mit Wäsche die Treppe herab, kom» mandierte dabei die Magd, wies auch sofort auf Bertel, das dem Großvater nachlaufen wollte, in die Stube zurück: „Mach dich rein, schnell, und lauf uns nicht im Wege her um!" Der Alte deutete sich diese Hast nicht anders, als die Schwiegertochter wolle voraus gutmachen an Arbeit, was sie durch die Teilnahme am Begräbnis einbüßen würde. Und er fühlte eine leise Entspannung in sich. Die „jungen Leute" waren doch wohl inne geworden, daß sie sich an Sei deln versündigt hatten! Er wünschte sehnlicyi«, daß sie es ihm bestätigten. Dann wollte er gern ihre Unfreundlichkei ten ertragen, wollte nur eine böse Laune, nicht Haß und Feindseligkeit darin erblicken, daß er in den letzten Tagen kein gutes Wort von ihnen vernommen und fast nur Spei sen vorgesetzt bekommen hatte, von denen sie genau wuß ten, daß er sie nicht vertrug. Zärtlichkeit, „Getue", wünschte er sich nicht von ihnen. Rauheit und Kargheit nahm er ihnen nicht übel, er war sich bewußt, daß auch sein Wesen diese Züge hatte, und eigentlich mißtraute er jedem, der sie nicht besaß. Aber oft genug war das Verhalten der Schwiegertochter niederträchtig gewesen, und der Sohn batte es geduldet, sogar verteidigt! Er wollte alles verges sen, wenn sie ihm doch nur heute ein Zeichen warmer Menschlichkeit gäben! Er nahm den „Stein der Weisen" vor und begann zu lesen. Aber das Kreischen der Sägen, die hartes Holz schnitten, und die lauten Geräusche im Hause peinigten ihn. Zwar war es noch Zeit. Wenn die „jungen Leute" in einer Stunde weggingen, kamen sie noch gut zurecht. Die hatten sich auch schnell angezogen, also konnten sie jetzt noch ihre Arbeit verrichten. Und doch wartete der Alte immer ungeduldiger, daß sie sie abbrachen. Sie würden sonst noch vergessen, was sie vorhatten. Oder hatten sie es gar nicht bestimmt vor? Wenn sie nun nicht zum Begräbnis kamen! Wenn sie kein Zeichen der Einsicht, der Reue gaben? Nein, er wollte nicht die Hoffnung töten, er wollte sich nicht in Zorn und Angst hineingrübelnl Er wollte warten! Aber in der Kammer war es kalt. Es fror ihn an Hände und Füße, so steif wurden seine Finger, daß er kaum noch die Blätter des Heftes umwenden konnte. Sollte er aber wie der hinuntergehen? Hermine im Wege Herumlaufen, sie reizen? Ja nicht, dann könnte sie ihm einen Possen spie len wollen und daheim bleiben. Es blieb ihm nichts ande res übrig: er mußte sich schon auf den Weg zum Begräbnis machen. Er zog den Ueberzieher an, setzte den Zylinder auf und ging hinunter. Hermine, wie sie ihn wahrnahm, drehte ihm den Rücken und bückte sich über die Wanne. Ob er sie fragte? Ob er sie aufforderte? Nein, sie mußten tun, was sie selbst für richtig hielten. Sie mußten ihre Ge sinnung heute offenbaren! So verließ er schnell und ohne Gruß das Haus. Wie er am Sägeschuppen vorüberschritt, entging es ihm nicht, daß Robert, der ihm zugekehrt stand, sich wandte und mit der Schmiege verleaen spielte. Mochte erl Vielleicht wartete er nur, bis der Vater aus dem Hofe war, um nachher sich für das Begräbnis fertig zu machen: wollte er nicht mit ihm zusammengehn. Mochte er, auch das konnte der Alte ihm verzeihen. Das nannte er höch stens Tückschen, und das ging vorüber, das war Laune. Er wollte ja nicht empfindlich sein, wollte nichts ernster nehmen, als es war, wollte den Frieden nicht untergraben. Heute früh waren ihm die Worte wieder eingefallen, die fein Weib auf dem Totenbette gesprochen, und die Bibel worte, die sie ihm bezeichnet hatte. Und er hatte sich vor genommen, sie zu befolgen. Er wollte versöhnlich sein. Was konnte es ihn ärgern, wenn Robert und Hermine nicht n seiner Gesellschaft gehen wollten! Wenn es sie nur rieb, an dem Toten gutzumtchen, was sie am Lebenden ge- ündigt hatten! Wenn sie nur des Mitleids und der Reue ähig waren, dann steckte wohl nicht der Teufel in ihnen wie den Sechsen, die ihren Vater unter die Erde gebracht hatten! Denn das grausige Ende des guten Seidel hatte den Aumüller erschreckt, und seine Seele hebte. Sie würden schon nachkommen, beschwichtigt« er sich und war bemüht, an andere Dinge zu denken. Am Lager platz entlang schreitend, prüfte er, was es hier noch zu tun gab. Sobald der Schnee verschwunden wäre, wollte er die Pfähle für den Zaun einschlagen. Freude hatte er über die Wassermauer. Ihre Errschtung hatte manchen Tropfen Schweiß gekostet, aber sie sah gut aus und schützte den Platz vor Ueberschwemmung. Ja, diesen Platz mit der schönen Mauer und nachher noch den lagernden Holzmassen dar- auf sollte man auf dem Bilde der Aumühle sehen! fiel's ihm ein. Sollte etwa der Komödienspieler wieder einmal ins Dorf kommen, da wollte er ihm den Auftrag geben, eine neue Ansicht zu malen, die zeigte, welchen Aufschwung die Mühle genommen hatte! Das Bild seines Lebenswerkes! Das Bild im Stübel hatte er stets mit Freude und Stolz betrachtet, es war nun schon überholt, historisch geworden, es blieb eine teure Erinnerung, neben der das Bild der Gegenwart sich strahlend abhobl Wie er sich nun mit dem künftigen Betriebe der Sägemühle beschäftigte, kam er auch wieder auf das» was er vor einigen Tagen Robert schon nahegelegt hatte: es mußte ein Gehilfe her ! Seidel konnte es ja nun nicht mehr sein, also ein Fremder, am besten dann ein gelernter Schneidemüller. Wahrscheinlich brauchte man außer diesem noch einen Knecht: denn die Mühle nahm nachher sicherlich immer zwei Kräfte in Anspruch, und die Felder sollten ja behalten und weiter bewirtschaftet werden. Er, der Alte, werde deswegen nicht müßig zu gehen brauchen. Es war aber nun hohe Zeit, sich nach Ge sinde umzusehen. Wenn man es nicht zu Neujahr einstel- len konnte, hatte man später Mühe, Leute zu finden. Dies mußte er demnächst wieder zur Sprache bringen. Nun würde Robert wohl einem guten Rate zugänglich sein. Um sein und der Mühle Glück handelte es sich ja. Der Alte ging auf einem weichen Schneeteppich. Es war ganz still im Grunde. Kaum daß einmal ein Vogel über den Weg flatterte. Da wurde der Müller in seinen Gedan ken nicht gestört. Wie er aber nun ins D^lf eintrat, be merkte er gleich schwarze Gestalten. Da verdüs'erte sich im Nu sein Gesicht. Er ging ja zum Begräbnis des ulten guün Seidel! Je näher er der Kirche kam, oesto mehr Begräbnisleute bemerkte er. Manche trugen Kränze. Er hatte ans Besor gen eines Kranzes nicht gedacht. Das ärgerte ihn jetzt! Konnte denn nicht das Minel einen für mich mir bestellen?! brummte er. Aber nein, verbesserte er sich, das hätte ich ihr schon sagen müssen. Und wenn sie einen bringen, da iit's auch gut. Der gilt für alle. Vielleicht haben sie auch keinen binden lassen, weil ich beim Tode der alten Wolfen zu ver stehen gab, daß ich nicht viel davon halte, einen Menschen erst dann mit Reden und Blumen zu bedenken, wenn er sich doch nicht mehr darüber freuen kann. Der Kranz macht's nicht. Ich hab' ihn vergessen und mein's doch ehrlich und's geht mir nahe. Das will ich gern auch von ihnen glauben, wenn sie nur kommen! Er wurde auf dem Kirchhof angesprochen vom Urban bauer und seiner Frau, von der „Büttnern", deren Mann zum Mitgehn nicht zu bewegen gewesen war, und von an dern. Sie redeten alle nicht viel, die Frauen weinten, so bald sie Seideln nannten, die Männer sahen finster drein. Dem alten Aumüller war's lieb, daß er auf diese Weise auch die Worte sparen konnte. Er dankte dem Urbanbauer nicht für die Frage nach dem Ergehn der „jungen Leute". „Ich wüßte nicht, über was sie zu klagen hätten!" antwortete er. Die Bäuerin fragte: „Jst's Minel nicht da?" Da sah sich der Müller um, forschte nach allen Seiten. „Ich seh nicht, aber ich denke doch." Er ging weg, an eine Stelle, wo er keine Nahbekannten bemerkte. Ob sie schon da ist? dachte er. Ob sie mit Saupes kommen will? Doch auch von denen sah er nichts. Es sollte ihn auch wundern, wenn diese Ge rechten zur Beerdigung eines Selbstmörders erschienen! Roberts große Gestalt würde er doch gleich entdecken. Nun, es kamen noch immer Leute. Geduld! Aber als der Geist- liche seine Rede begann, war von den „jungen Leuten" noch keins eingetroffen. Die einzelnen Verspäteten konnte der Müller von seinem Platze aus sich nähern setzen. Weder Robert noch Hermine kamenl „Also nicht!" knurrte er. Die Leute in der Nähe drehten sich nach ihm um. Er blitzte sie mit seinen rotgeränderten Aeuglein an, kaute und zitterte. Sie waren alle bewegt von Schnkerz und Zorn, da fiel es ihnen nicht auf. Er aber fühlte die Erde unter seinen Fü ßen wanken. In seinem Inneren wühlte und brannte es. Das Schluchzen um ihn herum klang ihm wie das Weh klagen und Hilferufen einer ungeheuren Menge, das Seuf zen des ganzen Geschlechts der Alte«! unter der Unmenschlich test der Kinder. (Fortsetzung folgt.) ittgart
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