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Dresdner Journal : 19.08.1880
- Erscheinungsdatum
- 1880-08-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-188008192
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-18800819
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-18800819
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungDresdner Journal
- Jahr1880
- Monat1880-08
- Tag1880-08-19
- Monat1880-08
- Jahr1880
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- Dresdner Journal : 19.08.1880
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O1S2 Donnerstag, den 19. August. 1880 ^rti-b- . . l» H jLUrUod: 4 H»r>r üv?s. L>o»«1a« Hummern: 10 ?s L»„«r>uUd ä« äeutsekso Neicke» tritt ?o»t- uoä 8tempvlrw»ctiIitK dioru. In»«r»t«oprel8er ^tlr a«Q U»um «o«r ^»piOtsoeo ?etitroilv so kl. Votvr „Lios«»aät" äis 2eil« bv kl. Lr»et>»l»«> r D^UoU mit XamiLkws dsr 8ovo- vnU keiert»^» Absucl» lilr Neu tolzenäso DresdnerÄMriml. tn^<»r»t<>n«»ii»km<> »n,«iirt!,r Lsipitz: Lra»<i»tetter, OoiuiiiisüioiiLr ävs Orv-ällvr ^ouroitk; - Nsrlia Viill l.«ip»tx S»,«I -vr«,l»o?r»»Ilkllrt N ; //aa«e»-t«n L ko§ker,' Sirlm Viso-SsmkurU- ?r»^-I^>p»>U-kr»iikkU5t ». » Hüiieli«ll: /kl«-/ A/o««,' >«rlm:SHnict.Lr«w«L.H'e^l»tte,' Lr«»I»u: I>. Üü»»u; vkioiLit»: /^r. ktXAt; kr»n^sllrl ». H.: F ^aeAeF»etiv u. 6. //errma««- »cke linclillonäluos; SörM»: tt. LlMrr, S»»»»v«r: 0. Lc/iu»-/,,,- ?»rt» L-rUL-rnuUctm-t » M. Stutt^iut! Dauüe »c S»wdiu^: F Fct Lt«n«r. Verantwortliche Redaction: Oberredacteur Rudolf Günther in Dresden. Nvrausxvdvrr XSnis-I. L»psäitioo 6e» Drsstioer ^ourvlU«, »resäen, XvivtrerstraL«« Ho. SO. Amtlicher Theil. Dretde«, 17. August. St. Königliche Majestät hat dem zeitherigen OrtSrichter Karl Gottfried Töpfer in Dorfhain da« allgemeine Ehrenzeichen zu verleihen allergnädigft geruht. Nichtamtlicher Theil. u e b e r s i ch t. Telegraphische Nachrichten. ZeitungSschan. (Wiener Abendpost. Daily News. New Tanton News. Hamburger Correspondent.) LageSgeschichte. (Berlin. Weimar. Wien. Brüssel. Rom. Moskau. Bukarest.) Zur orientalischen Krage. Die topographische Karte des Königreichs Sachsen. Dresdner Nachrichten. Proviazialnachrichtea. (Chemnitz. Werdau. Stoll berg. Pirna.) Vermischte-. Statistik und Lolk-wirthschaft. EingesandteS. Keuilleton. LageSkalmder. Inserate. Beilage. Telegraphische WittrrungSderrchte. Börseanachrichteu. Inserate. Telegraphische Nachrichten. Wien, DirnStag, 17. August, AbendS. (Tel. d. Boh.) Die Verhandlungen wegen des Handels vertrages mit Serbien find, wie die „Presse" mel det, abgebrochen worden. Der hiesige Wafferstand der Donau erreichte bereits 4VV Centimeter, obwohl der Regen seit gestern aufgehört hat. Ein Telegramm aus Korueuburg von heute AbeudS 8 Uhr meldet, daß die Donau dort aus getreten ist. Die DonaubampfschifffahrtSgesellschaft »eigt an, daß auf Anordnung der obrrösterreichischen Statthalterei die Passagierfahrten zwischen Wien und Linz bis auf Weiteres eingestellt werden mußten. London, DievStag, 17. August, AbendS. (W. T. B.) In der heutigen Sitzung deS Unterhauses erklärte der Staatssekretär für Indien, Marquis v. Hartington, bezüglich deS Budgets für Indien, daß sich em Deficit von 7 005 VW Pfd. Sterl, er gebe; in dem gegenwärtigen Finanzjahre seien nur 3SVV VVV Pfd. Sterl, zu decken. Dazu sei keine specielle Anleihe erforderlich: eS werde beabsichtigt, die Tratten auf Indien zu reducire« und die in dische Regierung zu ermächtigen, die für Bauten genehmigte Anleihe von 2 5VV vvv Pfd. Sterl, zur Deckung deS DrficitS zu verwenden; er hoffe, daß keine weiteren Kosten für den Krieg in Afghani stan sich Herausstellen würden; was indessen den Beitrag England- zu druselben angehe, so müsse die Regierung die Feststellung der gesammten Ko sten deS Krieget in Afghanistan abwarten. Konstantinopel, Mittwoch, 18. August. (Tel. d. Dresdn. Journ.) Die europäische Reformcommis- fion uahm gestern den Entwurf eines Reglements für die europäischen Provinzen der Türkei ein stimmig an. Derselbe wird Montag unterzeichnet. Die französischen und englischen Commiffare legten in Korm eines einfachen Wunsche- ein Reglement für Albanien vor. DreSdeu, 18. August. Die russisch-chinesische Differenz tritt in den letzten Tagen wieder etwas stärker in den Vordergrund. Die Darstellungen über die Vorgänge im Kuldfchagebiet kommen fämmtlich entweder aus russischer, oder aus englischer Quelle. Beide Staaten sind aber in Mittel und Ostasien Rivalen; e- ist daher selbstverständlich, daß wir Darstellungen der Sachlage begegnen, welche nicht nur wenig mit einander übereinstimmen, sondern sogar einander vielfach widersprechen. Eine bezügliche Correspondenz aus St. Petersburg vom 13. d. enthält die neueste „Wiener Abendpost". Nach diesem Bericht verfolgt Rußland im Kuldfchagebiet nur friedliche Ziele. Es hat keine andere Absicht, als seine dort ansässigen Unterthanen vor der Rache der Chinesen, welche sich des Territoriums zu bemächtigen im Begriffe stehen, zu beschützen. „Rußland", heißt es in dem erwähnten Schreiben, »hat nicht die Absicht, feine mittelasiatischen Besitzungen noch mehr auszudehnen. Es zieht vor, mit den chinesischen Nachbarn in gutem Einvernehmen zu leben. Andererseits hat Rußland die Pflicht, seine neuen Unterthanen, welche unter seinem Schutze in Ruhe und Frieden leben, vor der unmenschlichen Rache der Chinesen zu schützen, um so mehr, als in dem kürzlich von den Soldaten des Bogdikan zurückeroberten Kaschgarien fast die ganze muhamedanische Bevölkerung in grausamster Weise niedergemetzelt wurde. Dies be wog Rußland, im Vertrage von Livadia sich einen Theil deS JligebieteS zu reserviren, um daselbst alle Die jenigen anzusiedeln, welche nicht chinesische Unterthanen werden wollen. Es hat bereits die Einwanderung zahlreicher Tarantschen und Dunganen aus den Ge bieten, welche man in Livadia an China abtreten wollte, stattgefunden. Bestürzt über ihr Schicksal, falls man das Land den Chinesen abtreten wollte, haben sie fest erklärt, sich gegen dieselben bis auf den letzten Mann vertheidigen zu wollen. Außerdem rst aber das kleine Stück deS JligebieteS, welches Rußland sich re- servirt hat, von strategischer Wichtigkeit; es ist wie ein Keil in die russischen Besitzungen eingeschoben, und können von dort aus nicht allein Semiretschmsk und überhaupt das ganze russische Turkestan, sondern auch Südsibirien bedroht werden. Dieses Gebiet mit der mehr als 80000 Einwohner zählenden Hauptstadt Kuldscha muß daher unter allen Umständen bei Ruß land verbleiben." Die Correspondenz des Wiener halb amtlichen Blattes ist insofern wichtig, als sie die russi schen Ansprüche auf Kuldscha offen zugiebt. Dieselbe enthält außerdem die Mittheilung, daß der japanesische Botschafter in St. Petersburg, Fürst Janagiwari, „weit sympathischer" ausgenommen wurde, als Marquis Tseng, der, nachdem seine Mission beendet und die weiteren Verhandlungen in Peking geführt werden fallen, demnächst St. Pelersburg wieder verlassen wird. Wahrscheinlich werde der jetzt in St. Petersburg be findliche Gesandte am Hofe zu Peking, Staatsrath Bützow, den Befehl erhalten, sich auf seinen Posten zu begeben und die Wünsche der chinesischen Regierung anzuhören. Darüber könne aber noch viel Wasser in die Newa fließen. — Die in diesem Schreiben zu Tage tretende Auffassung ist eine durchaus objective und giebt zu Beunruhigungen keine Veranlassung. Sub- jectiver und pessimistischer sind die Darstellungen der englischen Blätter; namentlich meinen die „Daily News", eine Collision zwischen Rußland und China sei näher, als man erwartet habe. „ES scheinen wenig Gründe vorhanden zu sein, zu zweifeln, daß China und Rußland einer Collision näher sind, als man erwartet hatte. Es ist jetzt klar, daß die Dinge feit Jahren langfam, aber sicher in einer Richtung sich entwickelt haben, und daß der Kampf, welcher in den 3 letzten Jahren vorausgefehen wurde, jetzt empfindlich näher gerückt ist, als es je der Fall war. So lange Jakub Beg lebte, bestand eine Scheide wand zwischen beiden Reichen, aber seit dem Tode deS kräftigen alten Häuptlings hat sich die Entfernung zwischen den beiden Mächten vermindert, welche nach der Obermacht in Mittelasien streben." Die „Daily News" legen Werth auf die Kriegsrüstungen Chinas, welche sie den kriegerischen Plänen Rußlands gegen über für nothwendig erachten. „Vor einigen Monaten hatte China eine Armee von 50000 Mann mitKrupp'- fchen Kanonen und vielen Hilfsmitteln der modernen westlichen Kriegskunst in Kaschgarien. Auch hat die chine sische Regierung, wie wir schon bemerkten, einen weisen Schritt gethan, indem sie sich einen Feldherrn, wie Gordon Pascha, gesichert hat, und die Russen werden finden, daß ihre Arbeit keine so leichte ist, wie sie erwartet hatten." — Ueber den erwähnten Gordon Pascha und seine Auf gabe machen die „New-Canton News" folgende nähere Mittheilungen: „Wir können annehmen, daß er in China in einer von zwei Eigenschaften thätig fein wird: entweder als Leiter der neuen militärischen Organisation der chinesischen Landarmee, oder als Mi- litärattachv der britischen Legation in Peking, um so verwendet zu werden, wie es Sir Arnold Kembal in Kleinasien war. Oberst Gordon's Ruhm ist weltbe kannt, und wir brauchen seine in China geleisteten Dienste nicht in Erinnerung zu bringen. Doch dürfen wir sagen, daß es bekannt ist, daß er sehr seltene und specielle Eigenschaften besitzt, so z. B. ein außerordent liches organisatorisches Talent, eine ungewöhnliche taktische und strategische Geschicklichkeit und eine her vorragende Befähigung, die Operationen sowohl eines Offensiv-, als eines Defensivkriegs auszuführen. Alles ist jetzt bereit für den Obersten Gordon, wenn er mit der nöthigen Vollmacht betraut wird. Tüchtige Män ner, welche rasch zu verläßlichen Soldaten ausgebildet werden können, sind zu Hunderttausenden zu finden. Waffen kann man sich in Fülle verschaffen; Geld wird in Ueberfluß zuströmen, und es besteht schon eine rohe militärische Organisation, welche erweitert und benutzt werden kann.... Wenn Oberst Gordon die Ausgabe übernehmen soll, bedarf er einer ausgedehnten Voll macht und darf nur dem Rathe der höchsten Offiziere verantwortlich sein. Ebenso Capitän Gignel, welcher die Leitung der chinesischen Marine übernommen hat und hervorragende Fähigkeiten für seinen Posten be sitzt. Wenn diese beiden Männer das nölhige Ver trauen erlangen, so wird China binnen einigen Mo naten in der Lage sein, den russischen Angriffen zu widerstehen." — Ueber die Wehrkraft Chinas bringt soeben der „Hamburger Correspondent" ein gehende Mittheuungen. Nach diesem Blatt hätte China m den letzten Jahren in der Umgestaltung seines Mi litärwesens, seiner Arsenale u. s. w. .Vorzügliches ge leistet. In Tient sin wurde eine Torpedoschule etablirt, deren Zöglinge vorzüglich einexercirt sind. In Fu-tschau ist eine Schiffswerft« errichtet worden, welche dadurch besonders interessant geworden ist, weil auf derselben alle größeren Kriegsschiffe nach modernster Bauart, welche China besitzt, mit Ausnahme derjenigen, welche in England angekaust wurden, gebaut worden sind. Dieses große, theure Unternehmen wurde von Ting- Futai ins Leben gerufen, und zwar vorzugsweise mit Hilfe des Lieutenants Vasseaux von der französischen Marine, dem späteren Zollhausverwalter von Hankow und Ningpo, der während der Taipingrebellion die Tcuppenabtheilung befehligte, welche man unter dem Namen „französisches Contingent" kannte. Das ganze Etablissement stand unter der Leitung von französischen Beamten, mit Ausnahme der Kanonengießerei, die Eng ländern auvertraut worden war. Aus dem Dock, welches nur für Schiffsbau benutzt wird, sind nicht weniger als 27 Kriegsschiffe, darunter einige sehr formidable, hervorgegangen. Mit Ausnahme der Corvette „Iange- wu" und der Kanonenboote Nr. 6, 7 und 8, welche Maschinen haben, die in Schottland, nach dem Modell, wie sie in englischen Kriegsschiffen zur Verwendung kommen, fabricirt wurden, find nur Niederdruck-, auf rechtstehende Maschinen emgeführt worden. Zehn dieser Maschinen sind in Frankreich gebaut worden, theil- von der Societo Forges in Lyon, theilS von der So- ciets maritime in Marseille, sie sind aber fämmtlich in Fu-tschau montirt worden. Die Dampfkessel sind dagegen ohne Ausnahme von Chinesen angefertigt wor den. Die ganze Schiffsbauanstalt stand, wie erwähnt, unter Leitung französischer Beamten, welche den Bau von 18 Schiffen überwachten Dann — es war im Jahre 1876 — waren die chinesischen Techniker so weit ausgebildet, daß sie die Franzosen entbehren konn ten, und diese wurden denn auch prompt entlassen. Die alsdann fertiggestellten neuen Schiffe sind ganz und gar aus chinesischen Händen hervorgegangen. Be» einer kriegerischen Action würde vorzugsweise auf und mit Kiefer in Fu-tschau erbauten Flotte zu rech nen sein. Der Artikel führt 27 Panzerschiffe aus, darunter Corvetten mit 6 und 10 Geschützen. Insbesondere werden die Kanonenboote gerühmt. Die Kanonenboote tragen Schonertakelage und sind mit je einer 35-Tonnenkanone bewaffnet, welche aber durch Verbesserungen, welche Armstrong in ihrer Construction eingeführt hat, dieselben Dienste thun, wie die 38- Tonnengeschütze älterer Construction. Diese- 35-Ton- nenprojectil fliegt mit einer DurchschnittSgefchwindigkeit von 1925 Fuß und erfordert eine Ladung von 235 Pfund Pulver. ES ist sogar noch wirksamer, wie das ältere 38-Tonnenprojectil, denn es hat eine um ein Fünftel größere Durchschlagskraft. Wenn man das italienische Kriegsschiff „Duilio" mit feinem 100-Ton- nen - Armstronggeschütz und das britische Schiff „De vastation" mit seinem 80 - Tonnengeschütz ausnimmt, dann haben zur Zeit die Chinesen die schwersten Ka nonen schwimmend. Ihr charakteristische- Gepräge er halten diese Boote durch die große, auf zwei mächtigen Laffetten am Bug ruhende Kanone, die vermittelst hy draulischer Maschinen bewegt wird und zu ihrer Be dienung nur 5 Mann erfordert. Der Capitän steht in einer bombenfesten Cabine, in welcher er die Ka nonen richtet und abfeuert, das Boot steuert und feine Fahrgeschwindigkeit regelt und das Alles vermit telst eines leichten Druckes mit der Hand. Außer die ser schweren Kanone am Bug stehen noch 2 Zwölf- psünderhinterlader, von Armstrong geliefert, am Stern, sowie auch noch eine Gatlingkanone. Alle Boote sind von Stahl und in 4 verticale, wasserdichte Ab- theilungen geschieden. Ein unter dem Wasserspiegel liegendes horizontales Deck schützt das Magazin. Offiziere, Maschinisten und Mannschaften sind ohne Ausnahme Chinesen. Die Capitäne sind auf der Fu-tschaudivlsion vollständig theoretisch und praktisch ausgebildet worden. Der größte Theil dieser Kano- nendootflottille rst gegenwärtig in Tient-sin stationirt, wo jeden Tag Manöver und Schießübungen stattfin den. Alle diese kleinen Schiffe haben unter Befehl englifcher Offiziere die Reise von England unter Dampf mit bestem Erfolge zurückgelegt. In der Bai von Biscaya wurden sie von einem heftigen Sturm be fallen und gerade bei dieser Gelegenheit haben sie ge zeigt, daß diese Klasse Boote zu Actionen auf hoher See unbedenklich verwandt werden können. Es würde vermessen sein, voraussagen zu wollen, welche Rolle die chinesische Flotte in einem Krieg mit europäischen Mächten spielen wird; aber die Behauptung darf man doch dreist wagen, daß das Blumenreich nicht mehr fo leicht wie in den Jahren 1860 und 1861 besiegt werden kann. Tagesgeschichte. * Berlin, 17. August. Se. Majestät der Kaiser wohnte am Sonntag mit Ihrer Majestät der Kai Feuilleton. Nedigirt von Otto Banck. Lon unsern Ahnen. (Schluß zu Nr. 191.) So war also die letzte Ursache der Völkerwande rung die durch ackerbauende Seßhaftigkeit herbeige- fthrte Uebervölkerung in Germanien und zu deren Vermeidung die Wiederaufnahme uralter Gewöhnung. Zu dieser neuen Grundauffassung von Ursachen und Wesen der Völkerwanderung bin ich durch eine Fülle in einander greifender, sich gegenfeitig bestätigen der Wahrnehmungen geführt worden. Nur Eine Er wägung unter den mannichfaltigen, welche fämmtlich zu dem gleichen Ergebnisse drängten, soll hier hervor- gehoben werden. Fast 7 Jahrhunderte lieben zwischen der ersten germanischen Wanderung, der krmbrischen, und der letzten, der longobardischen; mit kurzen Pausen find diese Jahr hunderte au-gefüllt durch ununterbrochene- Anfluthen der Germanen in der Richtung von Osten nach Westen, von Norden nach Süden gegen die furchtbar überlegene römische Waffen- und Culturmacht. Geradezu grauenhaft sind die Menschenverluste, welche die nackten, schlecht bewaffneten Barbaren alle diese Jahrhunderte hindurch immer und immer wieder erlitten an Erschlagenen und in die Sklaverei oder in die Arena geschleppten Gefangenen, der nur al- Eolo- nisten verpflanzten zu gefchweigen. Rau muß sich doch uun die Frage vorlegen, welcher Grund kann es gewefen fein, der, in der That wie eine Elementargewalt, wie eine Naturkraft, diese Menschen — und zwar nicht nur die Männer des Krieges, auch Weiber, Kinder, Greise mit Knechten, Mägden, Heerden und Habe auf Wagen und Karren, das heißt wirklich wandernde Völker, nicht raubfahrende Krieger — immer und immer wieder von Neuem gegen die römifchen Grenzen und die mörderischen Waffen der Legionen trieb, in den mit Sicherheit vorauszusagenden Untergang? ES genügt durchaus nicht zur Erklärung dieser Erscheinung, auf die Freude der Germanen am Kampfe, Krieg, Abenteuer, Raub und Beute zu verweisen, etwa unter Berufung auf die Freuden Walhallas, welche den den Bluttod gestorbenen Helden winkten. Niemand wird germanisches Heldenthum höher anschlagen als ich, aber dieser Zug des Nationalcharakter- reicht doch nur aus, kühne Wegefahrten der Männer, nicht con- stanten Andrang ganzer Völker zu erklären. Durchaus nicht bestreite ich, daß zahlreiche Streif züge, Raubfahrten, Einfälle und andere Erscheinungen deS fast niemals ruhenden Grenzkrieges auf jene Lust an Kampf und Beutefahrt zurück zu führen sind. Diese kleinen Unternehmungen gingen recht eigentlich, ob zwar natürlich nicht allein, von den Gefolgschaften aus. Aber diese kleinen Unternehmungen, nur auf Raub und baldige Heimkehr gerichtet, sind eben nicht die großen Bewegungen, deren Gesammtheit wir „Völker wanderung nennen. Nicht Muthwille, Abenteuerlust hat ganze Völker oder doch Völkenheile in Hundert taufenden von Köpfen bewogen, die Heimath zu ver laffen, in oft zielloser, selten zielsicherer Wanderung, die zugleich ein Krieg war und die Existenz der ganzen wandernden Masse auf- Spiel fetzte. Nur zwingende Noth kann Jahrhunderte lang die treibende Kraft ge wesen fein, und zwar eine constant wirkende Noth. Dadurch sind Elementarereignisse, Deichbruch, Ueber- fchwemmung, auch Seuchen und Mißwachs, die ja vereinzelt, nach Sage und Geschichte, gewirkt haben — als regelmäßige Ursache ausgeschlossen. Der Druck anderer Völker von Osten her — der Ost- auf die Westgermanen, der Slawen auf die Ost germanen, der Hunnen zuletzt auf Slawen und Ger manen soll keineswegs ausgeschlossen sein bei der Auf stellung der zu Grunde liegenden Ursachen, insbesondere mittelbar hat dieser Druck mitgewirkt, sofern er dem AuS- breitungstrieb die Richtung nach Nordosten versperrte. Aber dieser äußere Druck hat nicht den Ausbreitungstrieb erzeugt, er hat ihn nur verstärkt und nach Süden und Westen gedrängt. Die innere jahrhundertlang stetig wirkende, manchmal gesteigerte, manchmal wieder schwächer wirkende Ursache ist vielmehr in derselben Thatsache zu suchen, welche auch in anderen Erschei nungen zu Tage tritt: nämlich in der erstaunlich, trotz der kolossalsten Menschenverluste unerschöpflich immer stärker anschwellenden Volksmenge der Germanen. Mit Grauen haben scharfblickende Römer diese un erschöpfliche Naturgewalt betrachtet; sie mochten ahnen, daß hierin, in dieser elementar wirkenden Kraft die letzte Entscheidung des jahrhundertelangen Ringen- zwischen Rom und den Germanen lag. In Rom wird seit Augustus durch künstliche StaatSeinwirkung Ver mehrung der Ehen und der Kinder angestrebt — ohne Erfolg im Großen; bei den Germanen erzeugt feit dem Uebergang zu seßhaftem Ackerbau da- keusche und ge sunde Naturvolk so viele Menschen, daß die alten Sitze nicht au-reichen, daß die stärkste Gewalt, der Selbst erhaltungstrieb gegenüber Hunger und Noth, jahrhun dertelang ungezählte Wanderer zur Ausbreitung ge waltsam zwingt: dieser „höher» Gewalt" — nicht in mystisch««, sondern in höchst realistischem Sinne, ist zuletzt bereit- da- von innen heraus germanisirte West reich Roms erlegen. Sehr nahe liegt der Einwand: eine viel größere Menge Menschen als die Germanen deS 3. bis 5. Jahrhunderts findet heute in dem da maligen Germanengebiete ausreichende Nahrung: wie kann man da von Uebervölkerung sprechen? Hierauf ist zu erwidern: die Germanen jener Jahr hunderte hatten für eine Volkswirthfchaft in Urpro duktion — vor Allem in Ackerbau, Handwerk, Fabri kation und Handel, wie sie heute in dem fraglichen Ländergebiet blühen — weder Fähigkeit, noch Willen, noch objective Möglichkeit. ES kann sich dabei im Wesentlichen nur um den Ackerbau handeln. Ein Ackerbau, der an Intensität und Zweckmäßigkeit deS Betriebes mit dem modernen, ja auch nur mit dem mittelalterlichen irgend verglichen werden könnte, war den Germanen unbekannt und un möglich. Die immer noch sehr starke Bedeutung der Vieh zucht für den Lebensunterhalt erheischte für jeden Gau höchst ausgedehnte Wohn-, d. h. Weideplätze im Ver- hältniß zur Kopfzahl; die Art der Ansiedlung, die der Gemeinde- und StaatSversaffung zu Grunde lag, ver trug das Zusammendrängen auf enge Räume durch aus nicht. Diefe höchst ausgedehnten Gebiete waren zum größten Therl Grenzwald, Allmende, Weide, Wiese und zu sehr geringem Theil Ackerland. Die Zunahme der Bevölkerung bewirkte nun allerdings allmählich
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