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Zschopauer Tageblatt und Anzeiger : 23.07.1937
- Erscheinungsdatum
- 1937-07-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1780077211-193707237
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1780077211-19370723
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1780077211-19370723
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungZschopauer Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1937
- Monat1937-07
- Tag1937-07-23
- Monat1937-07
- Jahr1937
- Titel
- Zschopauer Tageblatt und Anzeiger : 23.07.1937
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«r. 1« Zschop««er FreU««, »e« LL S«lt 1»»» Kür den KeSeravend «nteryattungü^eilage des ZMopauer TagevlatteS Der König -er SWemcher V5N Paul Großkopf. Charles Courtney heißt der Mann, dem das eigenartige Geschäft nu International Building, Rockefeller Center, Nein ?jork, gehört. Auch wenn man Charles Courtney nicht kennt, sicht man in seinem Schloßspezialgcschäft, daß Schlosser sein Steckenpferd sind. Ta hängt zunächst von der Decke herab das Buch der Million Schlüssel, ein Buch in der Größe eines statt lichen Maunes. Seine Seiten bestehen aus großen Schlüsscl- drellern, aus denen die eine Million hängt, Schlüssel sür jeden erdenklichen Zweck, vom kompliziertesten Satesihlüsscl bis zum einfachen Ocffner einer harmlosen Schublade, alles fertig zum Berkau^ und Gebrauch. Mister Courtney b'ällcn in diesem Buch wie andere m ihrem Lieblingsroman. Das Gegenstück zu diesem Buch, dieser Sammlung der Schlüssel des 20. Jahrhunderts, und zugleich das Ungewöhn lichste in Courmcys Laden ist dü Ausstellung „Tas Schloß un Wandel der Jahrtausende" — ein Museum im Laden. An einer Seitcnwand des Gcutüns sind große Glaskästen angebracht, die Charles Courtneys Schätze bergen. Ta ist ein hölzernes Schloß ans der Pharaoncnzett, das im Wüstcnsandc Aegyptens gefunden Wurde. Mit dem gewundenen Schlüssel — ebenfalls aus Holz — läßt sich das Schloß heule noch össncn und schließen wie einst vor Jahrtausenden. , Das älteste Schloß der Welt. - ' ' Daneben hängt das äl cste geschichtlich bekannte Schloß der Welt. In Mesopotamien wurde dieses hölzerne Meisterwerk — wie das ägyptische eine Art Kastenschloß — gesunden. Zwei tausend Jahre ist ein Holzschloß alt, das zur Lebenszeit Christi in Jerusalem gebraucht wurde. Die Sammlung aller Schlösser aus dem Fcrncn O'tcn gehörte einst dem Zaren Nikolaus I., heule hängt sic in Courmcys Laden im Rockefeller Center in New?wrk. Tas Schloß der Schlafzimmeriür Iwans des Schreck lichen hat daneben Platz getundeu. In einem anderen Kasten sind scchsundachtzig Schlösser und Schlüssel m ichen, die einst über ein Mcnschcnschicksal entschieden. Ein russischer Schloßschmied fertigte sic in dcr hoffnungslosen Verlassenheit eines sibirischen Gefängnisses au und sandte sie an die Zarin Katharina I. Die Kaiserin mar so entzückt von der meisterhaften Arbeit, daß sie dem Schmied die Freiheit schenkte. So klein sind die Kunstwerke, daß man ihre Einzelheiten mit dem bloßen Ange kaum erkennen kann. Jahrtausende, Geschichte und Geschichten von Verzweiflung, Glück und Leid wittern um die Schlösser und Schlüssel in den Glaskästen des amerikanisch- modernen Geschäfts von Charles '">mrtney im Nockeseller Center. Kalte Schulter mr Gangster. Charles Courtney begann seine Laufbahn als Zehnjähriger. Mit einem Stück Draht öffnete er das Schloß der Speisekammer- tür, nm an die Marmeladentöpfe seiner Mutter zu gelangen. DaS war das einzige Mal, daß er seine Begabung zu unredlichen Zwecken ausnuhte. Im Weltkriege, als er in deutscher Gefangen schaft das gleiche, verhältnismäßig einfache Kunststück an der Küchentür des Gefangenenlagers verübte, war es ihm, wie er erzählt, mehr darum zu tun, den Koch zu ärgern. Nach dem Kriege begann die große Zeit des Schlosser meisters Courtney. Er arbeitete unablässig an sich weiter, studierte alle Schloßsysteme, die es auf der Welt gibt, und war bald in dcr Lage, das komplizierteste Schloß ohne Schlüssel zu öffnen. In alle Länder der Welt wurde er gerufen, um schwere und schwerste Nüsse zu knacken. Seine Berühmtheit blieb natür lich auch der „unlauteren" Konkurrenz nicht verborgen. So er zählt er, daß eines Abends zwei elegant gekleidete Männer und eine mondäne Frau in seinem Laden erschienen und ihn mit vor- gehaltener Pistole auffordcrtcn, mit ihnen zu kommen unö einen Geldschrank zu öffnen. Er weigerte sich auch den schlimmsten Drohungen gegenüber und wurde dafür übel zugerichtet. Aber auch lustige Erlebnisse weiß er zu berichten. Einmal hielt ein Gefangenenanto dcr Polizei vor seinem Laden. Die Polizisten halten den Schlüssel verloren und konnten so ihrer Gefangenen nicht „habhaft" werden. Courtney „befreite" die Ge fangenen in kurzer Zeit aus ihrem vorläufigen Kerker und —, die Polizisten aus der Verlegenheit. Mit einem Löffel und einer Gabel, die schnell aus einem Restaurant herbeigeholt wurden, öffnete er bei einem Groß- fcucr >>as komplizierte Schloß zu einem Raum, in dem Spreng stoffe lagerten, so daß eine Explosion von unübersehbaren Folgen verhindert werden konnte. Ein Buch, das er über seine Kunst des Schloßöffnens schrieb, wurde von der Polizei für so gefährlich gehalten, daß sie die gesamte Auflage aufkaufte und bis auf wenige Exemplare vernichtete. Vierzig Minuten Grauen im Wrack der „Hampshire". Als im Jahre 1932 eine italienische Berqnngsgcscllschaft die Goldschätze aus dem gesunkenen Dampfer „Egypt" hob, wurde Courtney als Taucher zum Oeffnen der Safes verpflichtet. Dank seiner Arbeit gelang es, die Goldsummen aus den Safes za bergen. Sein furchtbarstes Erlebnis hatte er bei der Bergung der Schätze aus dem englischen Kreuzer „Hampshire", der in den ersten Kriegslagen mit Lord Kitchener an Bord bei den Orkney- Inseln sank. Nicht das war das Entsetzen, daß ihm und den anderen Tauchern in dem gesunkenen Schiff aufrecht im Wasser schwimmende Leichen entgegcngeisterten. Bei seinem letzten Vergungsgang wühlte ein Sturm den Meeresgrund auf. Ton nen von Schlamin schleuderten die Taucher gegen die Tresore, zertrümmerten ihre Lampen. Vierzig Minuten lang rang Court ney in dcr grausigen Finsternis im Schiffswrack mit dem Tode. Sein Tauchcranzug ging in Stücke. Nur durc' einen glücklichen Zufall gelangte er an die Oberfläche. In diesen vierzig Minuten wurde sein Haar schneeweiß, vicruudzwanzig Stunden lag er ohne Besinnung. Zwei Taucher mußten das'Unternehmen mit dem Tode bezcchlen. ,c der so - Zwei SW SM... Geschichte eines Zwischenfalles. Von Hans Aschenbrenner. Tas Salutschießcn dcr Kriegsschiffe unterliegt einem der kompliziertesten Gesetze, die man je un Namen der Höflichkeit ersonnen hat. Man muß, um dieses internationale Gesetz recht zu erfüllen, nicht nur wissen, wieviel Schüsse abzufeuern sm», sondern auch, wie sich die eigene Würde zu dem Rang dessen verhält, den man grüßen will. Und wer zuerst schießen muß. in welchem Grade der Annäherung man damit zu beginnen hat, welche Sicherungsmaßnahmen man treffen kann, um die etwa nöligen einundzwanzig Schüsse weder um den einundzwanzigsten versehentlich zu kürzen, noch mit einem zweiundzwanzigsten wie« der'alles zu verderben — alles dies sind fragen, für die ein Sett offizier fast so etwas wie eine Spezialbegadung gebraucht. Uebrigens gibt es auch Spezial-Salut-Geschutze, die zu nichts anderem da sind, als zum Salutschießen. Sie verfeuern Spezial-« Salut-Munition, die zwei besonderen Anforderungen gerecht werden muß. Sie darf keinen Schaden anrichten und sie muß', trotzdem knallen, als löse sich eine 38er Panzersprenggranate aus einem Turmrohr. Moderne Salutgeschütze zählen automatisch die bereits gefeuerten Schöffe. Sie haben demnach alle Eigen-i schäften, die den Kommandanten der amerikanischen Fregatte „United States" im Jahre 1834 vor seinem Mißgeschick hatten bewahren können. Die „United States" lief damals in Toulon ein und schuldete diesem Hafen demnach einundzwanzig Schuß Salut für den französischen König in Paris. Man war an Bord der Fregatte auch durchaus guten Willens, sich dieser Ehrenpflicht brav zu entledigen, aber es stand ein Unstern über der ganzen Angelegen heit. Schon der Geoanke, daß man als Nordamerikaner mit den Franzosen auf gespanntem Fuße lebte — wie es damals der Fall war, weil Frankreich den Staaten Kriegsgelder schuldete — belastete die Stunde. Achtzehn Schuß waren draußen, da wurde es den Offizieren der „United States" bänglich um das Herz. Ter neunzehnte Schuß aber verwandelte ihre böse Ahnung in schreckhafte Gewißheit — man hatte scharfe Munition verfeuert! Natürlich wird gerade in einem solchen Falle auch etwas getroffen, wohingegen in einer Seeschlacht noch niemals auf je 19 Schuß ein Treffer zu verzeichnen war. Aber so ist das Leben .— mit seinem neunzehnten Salutschuß hatte der Amerikaner eine französische Fregatte mitten in die Kombüse erwischt. Die Suppe spritzte auf das Deck, vier Männer waren verwundet und leider zwei weitere tot. Der Kommandant der „United States" schickte sofort einen Offizier, um sein Bedauern auszudrückeu und 5000 Franken Entschädigung anzubieten. Der Offizier erzählte später, er habe gerade noch verhindern können, daß die Franzo sen auch ihrerseits scharf schaffen — und das Geld habe man zurückgewiesen. Damit hatte der Zwischenfall ein diplomatisches Borzeichen bekommen. Man verhandelte ein Jahr lang zwischen Paris und Washington. Die unerledigten Kriegsschulden machten die Lösung des Salutunglückes schwierig und das Salutungluck seinerseits erschwerte die Verhandlungen über die Kriegsschulden. Es gab Monate, in denen man keinen Schritt vorwärts kam und die Zeit mit Versicherungen füllte, daß Heide Fälle streng von einander getrennt behandelt werden sollten. Zuletzt bezahlten die Franzosen eine erste Nate ihrer Kriegsschuld und die Amerika- ner doppelte Pensionen für die Verunglückten. Außerdem über nahmen sie noch einen merkwürdigen Auftrag... Sre rüsteten in New York ein Kriegsschiff aus und gaben ihm für ein volles Jahr Proviant und Trinkwaffer mit. Dieses Schiff durchquerte den Atlantik und erschien nach dreimonatlicher Fahrt vor Toulon. Es fuhr einmal quer an der Hafeneinfahrt vorüber und feuerte dabei zwei Schuß Salut, die beiden fehlenden Schüsse von da mals. Dann dippte es seine Flagge und wendete wieder zur offenen See... — > > , ist uns jederzeit erwünscht und wir würden uns freuen, wenn uns allgemein interessierende Ereignisse, wie z. B. Jubiläen aller Art, auf dem schnellsten Wege mitgeteilt würden. UnentriMr... Erzählung von Wolfgang Fc Als Wedhorn heiratete, war er vierundzwcm^g Jahre alt und >eine Frau um wenige Monate jünger. Was in Wahrheit bedeutete, daß sie an Lebenserfahrung und an jener Weisheit, die nicht im Hirn, sondern im Blute liegt, ihrem eben angelrau ten Mann um mindestens fünf Jahre überlegen war. Er nannte sie Sanni, ein Wort, das er aus ihrem schönen, aber viel zu langen Namen Susanne gebildet halte. Und sie sagte Bnba zu ihm — während er eigentlich Peter hieß — und man sich! daraus schon, daß sie ihre Ehe anfingen, als wäre sie ein Spiel. Aber die Ehe ist kein Spiel. Fünf Jahre elwa waren sie verheiratet, und in diesen fünf Jahren war aus dein süßen Spiel ein bitterer Ernst geworden. Sie sagte schon seit langem Peter zu ihm und gab damit seiner Geburtsurkunde die Ehre, die ihr gebührte. Und Peter Wed- Horn selbst wicdcr fand seit geraumer Zeit, daß dcr Name Su sanne kcincswcgs zu lang oder zu schwer auszusprcchcn war. Nur daß er so schön und einschmeichelnd und klangvoll war, wie er ihm einst erschien, das fand er nicht. Susanne? Mein Gott, ein Mädchenname wie jeder andere auch, nicht schöner, nicht häß licher. Seine Frau hätte ebenso gut Marie heißen können oder Grete oder sonstwie — es hätte ihm nichts ausgemacht. In diesem Augenblick, wirklich erst jetzt, beginnt unsere Geschichte... Wenn Peter oder Susanne sich einmal, ganz allein, die Frage oorgclcgt hätten, wieso sie sich in einer verhältnismäßig kurzen Frist so sehr auseinander leben konnten, sie wären um eine Antwort verlegen gewesen. Sie hätten Wohl auch daun noch jeder dem anderen die Schuld an den traurig veränderten Dingcu zngeschobcn. Peter besonders, mit einem Hang zu Be quemlichkeit, Ruhe uud Frieden, fühlt-- sich schlecht behandelt. Er dachte manchmal daran, dieses Verhältnis zu lösen, aber er schob diesen Gedanken immer wieder von sich fort. Denn jcdcS- mal, w nn er fest entschlossen war, Ernst zu machen, kam die Erinnerung an die ersten Monate ihres Zusammenseins, und diese Erinnerung machte ihn sclnvach. „War sie nicht einmal sanft?" fragte er sich. „Waren nicht Sanftmut, Güte, Nachsicht und Zärtlichkeit einst ihre schönsten Tugenden? Und jetzt ist sic hart und ungcrccht, nervös ist sie und kalt und gleichgültig heinahe in allem, was mich anhclangt." Er wollte wicdcr die törichte, die mitleidige, zärtliche uud sanfte Susanne von einst zur Frau haben, eine, zu dcr man Sanni sagen konnte, ohne vor sich selbst erröten zu müssen. Bei einer solchen Ueberzeugung kam ihm ein Einfall, und er war überzeugt, daß eS ein guter, ein glänzender Einfall sei. Er hatte irgendetwas gelesen von der nahen Verwandtschaft zwischen Mitleid und Liebe. Und weil er ein etwas weichlicher. leicht verletzbarer Mensch war, mit einem allzu empfindlichen Herzen und etwas zu geringem Stolz, vom Leben nie richtig ge beutelt und hin und her gezerrt, und nicht gestählt im Feuer des Kampfes und des Widerstandes, so war es ihm durchaus recht, über den Umweg des Mitleids die Liebe Susannes wiederzu- erlangen. Er benutzte eine leichte Erkältung als Vorwand, einen Arzt aufzusuchen, oer ihm noch von der Schulzeit her befreundet war. Und er schüttete ihm sein Herz aus, als wäre er nicht Arzt, son dern Seelsorger. Der Arzt, Becker hieß er, hörte sich die Ergüsse seines früheren Klassenkameraden an. Er lächelte dabei, unauf fällig, und es war einige Verachtung in diesem Lächeln. Peter merkte es nickt — er war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um es zu merken. Er kam mit sehr konkreten Vorschlägen. Doktor Becker wollte nicht recht ran, es verstieß gegen seine Berufsehre, was der andere von ihm verlange. Aber jzgnn siegte doch seine Gutmütigkeit, und er nickte... Als Peter nach Hause kam, begrüßte er seine Frau nur kurz und setzte sich an den Schreibtisch. Kramte alte Briefschaften hervor, begann sie Blatt für Blatt sorgfältig durchzulesen, dies und jenes zu zerreißen uns in den Papierkorb zu werfen, anderes sorgsam zu ordnen und zu stapeln. Seine Frau beobachtete dieses Tun mit Mißtrauen und leise wachsender Unruhe. Schließlich konnte sic ihre Neugier nicht mehr zähmen. „Warst du beim Arzt?" wollte sie wissen. Peter nickte nur, ohne sich in seiner Beschäftigung stören zu lassen. „Und was sagte er?" bohrte die Frau weiter. „Ach", erwiderte Peter mit betont gleichgültigem, völlig un bewegtem Gesicht. „Alles in Ordnung soweit." Und er zuckte mit den Achseln, als handle es sich um eine Belanglosigkeit. Aber gerade diese zur Schau getragene Gleichgültigkeit bei einem Menschen, der gemeinhin auch kleine körperliche Leiden immer sehr ernst nahm, brachte die Frau aus der Fassung. „Er vcrbirgt mir etwas", dachte sie und verbrachte eine Nacht voller Angst und Sorge. Mit einem Male war alles fortgewischt und ausgelöscht, was sich in dcr letzten Zeit entfremdend und ver bitternd zwischen sie und Peter geschoben hatte. Und die schöne Zeit ihrer ersten leidenschaftlichen Liebe schlug ernst und mah nend, aus dem Dunkel des Gewesenen heraus, ihre Märchen- augcn auf. Sehr früh am andern Morgen war sie bei Doktor Becker. „Sagen Sie mir, was meinem Mann fehlt", verlangte sie und ein unterdrücktes Schluchzen saß ihr in der Kehle. Dcr Arzt wand sich hin und her wie ein Regenwurm zwischen den Fingern eines Kindes. „Liebe, gnädige Frau", fing er an, und dann redete er wie einer, der die Aufgahe hat, die Hinterbliebenen eines Verstorbenen zu trösten. Er sagte nichts Gewisses, aber er war geschickt genug, durchblicken zu lassen, daß es mit Peter nicht zum besten stünde. „Auch daS Wissen eines ArrteS ist natürlich Stückwerk", meinte er zum Schluß. ..und i» mancher meiner Patienten, den ich vom Tobe gezeichnet wähnte, hat noch Monate, ja Jahre vergnügt und fröhlich gelebt." Vom Tode gezeichnet! Das Wort saß. Schluchzend ging die Frau nach Hause. „Vom Tode gezeichnet", bohrte es in ihr. Und das Bewußtsein, daß Peter — ahnungslos — einer nahen, dunklen und unentrinnbaren Katastrophe entgegentaumelte, machte sie schwach. „Ich darf aher nicht schwach werden", nahm sie sich vor. „Er ahnt nicht, was ihm droht, und von mir soll er es nie er fahren. Ich will gut fein zu ihm, ich will alles wieder gut machen, was ich je versäumt habe. Ich bin schlecht gewesen und hart, sehr selbstsüchtig bin ich gewesen und ungerecht. Nun soll alles anders werden. Er soll wissen, daß jemand neben ihm ist, der ihn liebt, der nie aufgehört hat, ihn zu lieben. Wenn es auch manchmal nicht so aussah." Es wurde wirklich anders. Es wurde eine herrliche Zeit — fast schöner als die am Beginn ihres gemeinsamen Lebens. Su sanne überbot sich in Liebesbeweisen, in Teilnahme, Zärtlichkeit und unermüdlicher Sorge. Gerührt, ergriffen beinahe, nahm Peter von dieser erstaunlichen Wandlung Kenntnis. Er war glücklich, nie vordem war er so glücklich gewesen. Er wurde ver wöhnt, jeden Wunsch las ihm Susanne von den Augen, nie kam es zu lauten Auseinandersetzungen, immer gab sie ihm recht, auch dort, wo er selbst sich eingestand, im Unrecht zu sein. Und er war im übrigen entschlossen, ihr später einmal, bei guter Gelegenheit, alles zu erzählen. Diese Gelegenheit kam nie. Denn an einem Vormittag, an einem heiteren, sonnigen Vormittag des Frühlings brachte man ihn in einem Auto nach Hause. Er hatte ein verkrampftes Gesicht, röchelte ein bißchen und seine Augen, die einen glasigen Glanz hatten, blickten irr. „Er ist Plötzlich am Schreibtisch umgesunken", wurde Su sanne mit zögernden schönen Worten berichtet. „Und dann spie er Blut." Als, zehn Minuten später, Doktor Becker neben Peters Bett stand, war schon alles vorbei. Susanne, gefaßt, verstand nicht, wieso der Arzt seine Haltung so ganz verloren hatte, sie iu grenzenlosem Entsetzen anstarrte. Totenblaß war sein Antlitz, und dabei wußte er doch, daß es so kommen mußte, über kurz oder lang. Er vor allem wußte es... „Er muß ihn 'hr gern gehabt haben", dachte die Frau und betupfte ihre tränenfeuchten Augen mit dem Taschentuch. Ganz friedlich schaute der Tote nun aus, dem der Arzt die Augen schon zugedruckt hatte — sie konnte ihn anschauen, ohne Reue, mit Liebe und Trauer. Und ohne Verachtung! Denn er war ja nicht mehr da», gekommen, zu erzählen. Und von dem Schicksal, dem man nicht entgegen gehen und dem man nicht ausweichen kann, das mcm aber auch nicht heraussorderu darf... von dielem Schicksal ahnt« sie nichts!
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