45 Günter Jäckel „Rettung von Tyrannenketten“. Literatur in Dresden zwischen 1763 und 1800"' Die Literaturverhältnisse in der Hauptstadt des Kurfürstentums Sachsen sind im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts weniger markant als in anderen Kulturzentren des römisch-deutschen Kai serreiches und deshalb auch schwerer zu verallgemeinern. Aufklärung, Sturm und Drang, Klassik hatten in der vom Krieg schwer heimgesuchten Festungsstadt als Epochenbegriffe nur wenig Bedeutung. Christian Gottfried Körner lebte „in einer Wüste der Geister“ 1 ; Friedrich Schiller hatte hier Freunde gefunden, aber keine Mäzene, die allein seine literarische Existenz hätten sichern können. Erst am Ende des Jahrhunderts, im Sommer 1798, versammelte sich in der Stadt wohnung und im Pillnitzer Landgut des Hofsekretärs Ludwig Emanuel Ernst, Schwager der Brü der Schlegel, ein bedeutender Kreis der Frühromantiker 2 . Löste er sich zwar auch bald wieder auf, zumal nach dem Tode des Novalis und mit der Trennung August Wilhelms und Caroline Schlegels, so kam ihm gleichwohl eine zentrale Stellung im Geistesleben der Zeit zu 3 . Darf man um 1790/94 von einer Literatur der Revolutionszeit sprechen und dabei an Flugschrif ten, Pamphlete und das Wirken Georg Friedrich Rebmanns denken? Oder war es von 1763 bis 1806 eher eine Literatur der Zwischenkriegszeit, bestimmt durch Friedrich II. von Preußen und Napoleon? In diesen Jahren der Ruhelosigkeit wurde im Diskurs der europäischen Aufklärung das Wort vom „ewigen Frieden“ leidenschaftlich erörtert 4 ; mehr noch traf wohl die Einsicht des Thomas Hobbes zu, daß Krieg „nicht nur während der Schlachten oder Kampfhandlungen, son dern während eines Zeitraumes, in dem der Wille zum Kampf genügend bekannt ist“, bestehe 5 . - Dresden hatte diesen Willen zum Kampf nachhaltig erfahren. Jene Zerstörungen zwischen dem 10. November 1758 und dem 19. /20. Juli 1760 markierten faktisch und zeichenhaft das Ende des Augusteischen Barock. Doch schon wenigstens seit dem Tode Johann Ulrich von Königs gab es hier keine repräsentative Literatur des höfischen Barock mehr. Nun war auch Christian Ludwig Liscow verstummt und verwiesen; Gottlieb Wilhelm Rabeners Manuskripte bei der Beschießung verbrannt. Johann Christoph Gottsched hatte hier nie rechten Einfluß gehabt 7 ; er war fast verges sen. Vergessen war auch Caroline Friederike Neuber, zuletzt seine Widersacherin, die am 30. No vember 1760 in Laubegast im Elend starb, während noch einmal preußische Truppen gegen Dres den vorrückten 8 . Eine Literatur der Übergangszeit und der Unentschiedenheiten, so will es scheinen. Das dem Dreißigjährigen Krieg vergleichbare Elend von Stadt und Umland schuf keine ireneische Poesie wie im schlesischen Barock des Martin Opitz oder Andreas Gryphius; die dokumentarischen Texte 9 übertreffen an Eindringlichkeit die poetischen Klagen 10 . Die Topoi der alten Hofdichtung wurden fortgeführt in einer Literatur der Konformität, die kaum beachtet wurde. Eine Fülle von Huldigungsgedichten, gereimten Petitionen, Fürstenlob finden sich „ihrer Nettigkeit wegen“ oder weil sie so „uneben“ nicht sind, in Hasches „Magazin der Sächsischen Geschichte“ 11 oder in