5 Karlheinz Blaschke Kursachsen im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts Solange es Hauptstädte gibt, äußert sich in ihnen die gesellschaftliche Leistung ihrer Länder. Sie ziehen stets gewisse Überschüsse des Sozialprodukts an sich, in ihnen werden wirtschaftliche und schöpferische Kräfte aus dem ganzen Lande konzentriert, um zur SSlbstdarstellung, zur Reprä sentation eines Herrschers zu dienen und seinen Ruhm zu erhöhen. Die sagenhafte Schönheit von Ninive und der Glanz des augusteischen Dresden beruhen auf der gleichen Tatsache, daß die In haber unumschränkter Herrschergewalt über alle Möglichkeiten eines Landes verfügen, um sich mit einer alles überstrahlenden Haupt- und Residenzstadt zu umgeben. Das ganze Land wird dem Aufblühen der Hauptstadt dienstbar gemacht. Dresden hat als Haupt- und Residenzstadt des Kurfürstentums Sachsen von dieser allgemeingültigen Tatsache seinen Nutzen gehabt. Wer die Kulturgeschichte dieser Stadt darstellen will, kann daher nicht an der Frage Vorbeigehen, in wel chem Zustand sich das Land befand, dessen kulturelle Leistungsfähigkeit in der Hauptstadt ihren sichtbaren Ausdruck fand. Der allgemeine Zustand Kursachsen befand sich im Jahre 1763 auf einem Tiefpunkt seiner Geschichte. Während des gan zen Siebenjährigen Krieges war es einer der Hauptkriegsschauplätze und obendrein fast ständig der gezielten Ausplünderung durch Preußen ausgesetzt gewesen. Im letzten Friedensjahr 1755 wurden in diesem Lande 1 695 026 Einwohner gezählt. Von 1756 bis 1763 starben 120 000 Men schen mehr, als es nach dem Durchschnitt der vorangegangenen Jahre hätte der Fall sein müssen, im gleichen Zeitraum wurden 20 000 Kinder weniger geboren, so daß mit einem Verlust von 140 000 Einwohnern oder 8 % der gesamten Einwohnerschaft zu rechnen ist. 1 Wieviele Men schen außerdem ausgewandert sind, läßt sich überhaupt nicht feststellen. Als am 15. Februar 1763 der Friede von Hubertusburg geschlossen wurde, war das Land erschöpft, viele Ortschaften waren verwüstet, die Gemeinden tief verschuldet und der allgemeine Wohlstand vernichtet. Nach Friedrichs des Großen eigenen Schätzungen hat Preußen durch Steuern und Brandschatzungen 50 Millionen Taler aus dem besetzten Kursachsen herausgepreßt. Die Höhe derjenigen Summe, die von den verbündeten Österreichern eingetrieben wurde, ist nicht bekannt, insgesamt muß aber wohl von einer Summe von etwa 70 Millionen Talern ausgegangen werden, die in barem Gelde von der sächsischen Wirtschaft für die Finanzierung des Krieges aufgebracht werden mußte. Die Staatsschuld war auf 40 Millionen Taler angewachsen, was die schlimme Folge hatte, daß dieser Staat kaum noch öffentlichen Kredit genoß. 2 Die beiden wichtigsten Städte des Landes, Dresden und Leipzig, waren je auf ihre Weise schwer getroffen. Der Leipziger Handel war in starkem Maße gestört, wirtschaftliche Aktivitäten waren aus der Stadt abgewandert, viele für das Wirtschaftsleben wichtige Kräfte waren weggezogen. In