02 Deutsche allgemeine Zeitung : 14.07.1851

Montag. Zweite Ausgabe. Abends 6 llhr. L1. Juli I8SI. EetPgig. Dit Zeitung «r. scheint täglich zwei »al und wird »utgegeben in L«tP,tG Lonnittag« I l Uhr, Abend« I Uhr; in Dresden Abend« S Uhr, Vormittag« 8 Uhr. Vrei« für bas Vierteljahr > Lhlr.; jede einzeln« Num mer l Ngr. Rr. 3S7. -— DtllWt MgmkMt Zeitung. »Wahrheit und Recht, Freiheit uud Gesetz!» Zu beziehen durch alle Post ämter de» In- und Ausland«», sowie durch die Arpebitionen in Leipzig (Ouerstraßc Nr. 8) und iv«««d«u (bei S. Höckner, Neustadt, An der Brücke, Nr. I). InstrtionNgetühr für dtn Raum einer Zeile 8 Ngr. Rußland und die Gegenwart, n. (Vgl. Nr. 350.) ----Zur rechten Stunde bringt der Verfasser deS Werks „Rußland und die Gegenwart" daS oft genannte — ob authentische, ob apokryphe, ist noch immer zweifelhaft — politische Testament Peter'S deS Großen in Erinnerung. „Fortwährende Kriegsübung der Nation, Friede nur so weit, als die Ergänzung der Armee und die Verbesserung der Finanzen ihn erheischen, dann immer wieder Krieg im Interesse der Vergrößerung und steigenden Wohlfahrt Rußlands; Betheiligung bei jeder Gelegenheit an irgend welchen Händeln Europas und Deutschlands zumal; Polens Theilung; fortwährende Absonderung Dänemarks von Schweden und Erhaltung der Eifersucht zwischen beiden Staaten; sorgfältige Unterhal tung deS Bündnisses mit Oesterreich, anscheinende Unterstützung seiner Pläne auf eine Herrschaft über Deutschland, aber unter der Hand gleich zeitige Erregung der Eifersucht der kleinen Fürsten dagegen; Uebung einer Art von Schutz über daS Land, als Vorbereitung künftiger Herr schaft (!); Anlockung der griechischen Glaubensgenossen in Ungarn, der Türkei, dem südlichen Polen und Erstrebung einer allgemeinen Herr schaft über alle Bekenner deS griechischen Glaubens"— daS waren die Rathschläge, welche angeblich Peter seinen Nachfolgern hinterließ, und die Gegenwart gibt Antwort auf die Frage, mit welcher Konsequenz, welchem Geschick und welchem Erfolge diese Rathschläge auögeführt wor den sind. Die Regierungsform, deren die Beherrscher Rußlands als deS Mit tels zur Verwirklichung so weitgreifender Plane nach außen sich bedien ten, war keine andere und konnte kaum eine andere sein als die der straffsten Concentration aller Staatsmacht in den Händen des absoluten Zaren. Peter selbst, Katharina, Paul, Alexander, Nikolaus — Alle verfolgten diesen Weg, wenn auch mit mehr oder minder Consequenz, unter mehr oder minder strenger Form. Wie dadurch auf den Gebieten der Gesetzgebung, Rechtspflege und Verwaltung jede Sicherheit und Stä tigkeit verloren gehe und an ihre Stelle ein allgemeines Chaos unge- meffenster, unberechenbarster Willkür trete — ein Zustand, der die Be dingungen seiner endlichen Selbstauslösung beinahe nothwendig in sich trägt und jedenfalls von dem Ideale eines auf konservativen Grund sätzen ruhenden StaatSwesenS himmelweit entfernt ist — wird man mit Interesse bei dem Verfasser nachlesen; ebenso wie die gleiche Willkür sich der StaatSkirche bemächtigt hat und wie auf diesem Boden ein zugleich altkirchliches und altnationales Sektenwesen gegen den neuen Herrschaftsbegriff und seine Aeußerungen reagirt. Unmittelbarer je doch müssen uns die Eapitel über Rußlands Finanzen und Heerwesen interesstren, weil in diesem der Nerv der russischen Staatsmacht, so fern sie sich nach außen, zunächst gegen uns kehrt, berührt und bloS- gelegt wird. Das Finanzwesen Rußlands charakteristrt der Verfasser in folgenden Sätzen: „In seinem materiellen Leben noch aus dem Ro hesten herausarbeitend, einer zusammengreifenden Organisation in seiner Innern Verwaltung entbehrend, in allen seinen officiellen Bewegungen auf die unberechenbaren Gebote deS höchsten Willens gewiesen, in den cul- turlichen Entwickelungen seiner Unterthanen das Barbarenthum mit dem höchsten Raffinement der Uebercultnr vereinend, in den Stammvölkern keine selbständige Fortgestaltung der Nationalcultur zulassend, die geisti gen und industriellen Errungenschaften Europas leihend, dennoch schon in der ersten Anwendung wieder umformend und beschränkend, bei sei nen äußern Beziehungen zu pecuniairen Anstrengungen der übertrieben sten Art genöthigt, in jeder Hinsicht auf die kostspieligen Mittel der ma teriellen Gewalt gestellt, dabei im äußern Glanze ein wichtigstes Attri but seiner Würde erkennend, so sehen wir den russischen Staat. Seine finanziellen Bedürfnisse müssen also alle Summen übersteigen, welche die Staatengeschichte der bekannten Welt bisher gekannt hat." Freilich, meint der Verfasser, möge nicht alles Das wirklich geleistet werden, was offirielle oder officlöse Documente als geschaffen oder gefördert bezeichnen. Immerhin sei das Bestehen eines solchen Finanzsystems, welches sich (trotz eines jährlichen ordentlichen Deficitö von mehren hundert Mill. R>S., wie es der Verfasser berechnet) durch strenge Einhaltung seiner Verpflichtun gen nach außen auSzeichne, ein wunderbares Schauspiel. DaS haupt sächlichste Geheimniß dieses von Cancrin zuerst begründeten Systems (denn vor ihm war Rußland ein immer mit dem Bankrott kämpfender Staat) glaubt der Verfasser in der fast gänzlichen Vernichtung deS Pri- vatcreditS zu Gunsten des StaatScreditS und in einer ungemessenen Aus beutung dieses letztem im Innern deS Ungeheuern Reichs zu finden. Nicht allein in der Form von selbstgeschaffenem Papiergeld findet diese Benutzung deS StaatScreditS statt, sondern mehr noch durch Verwen dung der in den verschiedenen Crcditanstalten (Bank, Hypothekenkasse, Handelsbank) zusammenfließenden Gelder für Staatözwecke. Statt diese Gelder nach der ursprünglichen und angeblichen Bestimmung der ge nannten Anstalten, den Interessen deS Ackerbaus, des Handels, der In dustrie zugute kommen zu lassen, bedient man sich ihrer wenigstens zum großen Theil und bei vorkommenden Verlegenheiten unbeschränkt, um den Bedürfnissen der laufenden Verwaltung abzuhelfen. Daher ent springen dann Maßregeln, wie die plötzliche Zurückhaltung aller bis her der Industrie geleisteten Unterstützungen vor einigen Jahren, die plötzliche Kündigung aller Staatöhypotheken infolge deS nur zweimo natlichen Kriegs in Ungarn, Maßregel», welche alle nationalökono mischen Verhältnisse des StaatS natürlich aufs tiefste erschüttern und dadurch, als Preis der augenblicklichen Abhülfe finanzieller Verlegenhei ten, eine unausbleibliche Erschöpfung aller Quellen des StaatScreditS früher oder später zur Folge haben mußten. Ohnehin sind diese volköwirth-- schaftlichen Zustände Rußlands von Haus auS gekünstelte und der natürlichen nachhaltigen Grundlage entbehrende. Statt den ungeheuernBodenreichthum des Landes auszubenten und durch gute Transport- und Communica- tionsmittel dessen Verwerthung zu sichern, hat man auf künstliche Weise eine Treibhausindustrie geschaffen, die dem Ackerbau die nöthigen Ar beitskräfte entzieht, die bei dem Mangel geistiger und politischer Frei heit doch zu keiner eigentlichen Blüte gedeihen kann, daher die Hülfe deS StaatS fortwährend in Anspruch nimmt und endlich auf einzelnen Punkten des im Ganzen so schwach bevölkerten Kaiserreichs eine Massen bevölkerung und ein Proletariat erzeugt, welche dessen Zukunft bedrohen. Der Verfasser resumirt seine Betrachtungen über das russische Finanz wesen in dem Ausspruch: „ES will mit Gewaltmitteln Zustände erzwingen, deren naturnothwendige Bedingungen es verweigert, mit deren unnatür licher, ephemerer Heranfbeschwörung eS seiner Zukunft die Lebenswurzeln abbindet, mit deren ausschließlicher Verordnung für die augenblicklichen Griffe der absolutistischen Politik daS Lebensmark ihrer eigenen Macht, Dauer und Festigung auf das tiefste beschädigt wird. — Jede finanzielle nationalökonomische Reform, wie sie auch gestaltet sein möge, setzt voraus, daß die Entwickelung des absolutistischen PrincipS nach allen seinen Consequenzen aufgegeben werde. In der Verfolgung aller Con sequenzen deS absoluten AutokratiSmus erblickt dagegen die gouvernemen- tale Politik Rußlands Aufgabe. Hier klafft ein unlöslicher Widerspruch zwischen dem materiellen und dem politischen StaatSleben." Der Ver fasser führt ein schlagendes Beispiel dafür an. Als ein Vorschlag wegen Errichtung einer Nationalbank zu Mobilistrung deS GrundeigenthumS den Beifall des Kaisers zu finden schien, sprach Kankrin im Minister- rathe: „Die Grundbesitzer, die Handeswelt und der Schatz werden sich ohne Zweifel ganz wohl dabei befinden; nur werden Ew. Majestät in einem Jahrzehnd über kein Rußland mehr gebieten; eS wird ein ganz anderer Staat geworden sein." Und der Resormplan ward zu den Acten gelegt. Deutschland. ^Berlin, 12. Juli. Das „Publicum" fand sich nicht wenig über rascht, als eS heute früh in der Voß'schen und Spener'schen Zeitung las, daß die im „Publicum" umlaufenden Gerüchte von einer Ministerkri- siS ohne alle Begründung seien, denn das Publicum wußte weder von derartigen Gerüchten noch von einer Ministerkrisis überhaupt. Hierzu kommen nun noch ähnliche Mittheilnngen auswärtiger Blätter; der Mag deburger Correspondent weiß sogar von dem Rücktritte des Hrn. v. Man teuffel und von der Zusammensetzung des neuen Cabinets zu erzählen. Ausfallend ist es, daß gerade einige reactionaire Blätter par oxooilsnos diese Nachrichten bringen, un^ so auffallender, als diese Mittheilungen, wenn sie auch nur im entferntesten einige Begründung hätten, vorläufig noch verschwiegen würden. Daß, wie behauptet wird, diese Mittheilun gen von Schreibern der Kreuzzeitung auögehen, um durch dieselben die Agitationen dieses BlattS und seiner Partei zu befördern, ist nicht an zunehmen. Dieser Mittel, die noch obendrein gänzlich unnütz sind, be darf weder die Kreuzzeitung noch ihre Partei. Und weshalb sollte auch plötzlich eine Ministerkristö entstanden sein, und worin sollte sie ihre Be gründung haben? Etwa in den bekannten Rescripten deS Ministers deS Innern? Man mußte mit denselben einverstanden sein, denn wäre man eö nicht gewesen, so würde es sich mit Rücksicht auf die Wichtigkeit der Sache um eine Principienfrage gehandelt haben, die sofort den Rücktritt entweder des einen oder des andern zur Folge hätte haben müssen. Oder