Deutsche allgemeine Zeitung : 02.12.1854

2369 Noten und Unterhandlungen auSzufüllcn man die Hoffnung aufgcgebcn hat. Die Andern sehen in der eiligen Zuflucht des britischen Cabinets zum Par lament allerdings auch die Schwierigkeit der Verhältnisse, wie sie sich offen und deutlich durch die wachsende HcereSmacht der Russen in der Krim, durch den Widerstand Sewastopols und durch die unbedingte Nskhwcndig- kcit eines WinterscldzugS in Bessarabien, mit Einem Wort, durch den Um fang des Kampfes, in den sich die Westmächtc eingelassen haben, kundgcbcu, ohne verborgene Gefahren zu wittern, ohne dunkeln Vcrmuthungcn Naum zu geben, mit denen verschiedene politische Anzeichen eher im Widerspruch als im Einklang stehen. Die ruhiger Prüfenden im Publicum sehe» ganz einfach, daß man in England Geld und Leute dringend vonnöthcn habe, was sich hinreichend aus den Umständen ergibt, und da die Negierung auf der freien Insel zur Herbeischaffung dieser außerordentlichen HülfSmittel der Bewilligung von Seiten des Parlaments bedarf, so muß dieses begreiflicher weise vor der festgesetzten Zeit einberufcn werden. Diese einfache und ge wiß richtige Auffassung des Ereignisses jenseit deö Kanals machte sich sogar auf der Börse geltend. In gutunlcrrichtetcn Kreisen erzählt man sich, daß eS Lord Palmerston gewesen, der zu St.-Eloud den Ausspruch gcthan, es sei bei der jetzigen Lage der Dinge nichts Anderes zu thun, als mit Rüstungen im größten Maßstabe auf die Andeutungen zu antworten, die sich gleißnerisch von der Newa her an die Spree und Donau schleichen und de ren verborgenes Ziel jedem Schüler in der Politik einleuchten muß. Ferner wird in wohlunterrichteten Kreisen vielfach die Meinung ausgesprochen, daß dem britischen Parlament ein Gesetzentwurf vorgclegt werden würde, dem zufolge in Betracht der kritischen Lage der Dinge die Conscripkion zeitweilig auf der Insel in Aufnahme gebracht werde, da man mit der gewöhnlichen Werbungsmanier nicht ausreichen und Frankreich ebenso wenig allein das Blut für die Schlachtfelder hcrgeben als sich durch Subsidien absiudcn lassen könne. Dieser Antrag wurde jedenfalls zu einer Cabinctsfrage gemacht. Ferner wird behauptet, daß der Kaiser der Franzosen an die Königin Vic toria das Ersuchen gerichtet habe, daß sie Lord Palmerston mit dem Porte feuille dcS Aeußern und mit dem Vorsitz des Eabincts betrauen möge, da die reichen Erfahrungen und die Entschiedenheit des vorzüglichen Staatsmanns bei der jetzigen Verwickelung der Dinge die wesentlichsten Dienste leisten würde. Bei der Musterung, die zu Ehren des britischen Gastes abgchaltcn wurde amd zu der sich eine endlose Masse von Menschen aus allen Classen drängte, zeigte sich der Kaiser beflissen, dem Minister und Freund eine auffallende Aufmerksamkeit zu erweisen. Dec Lord war in Uniform zu Pferde. Das Volk empfing ihn, wo er vorbeikam, mit dem Zuruf: Es lebe Palmerston, es lebe England, cs lebe die Königin Victoria! L Paris, 29. Nov. Es gibt kaum einen Diplomaten von einiger Fähigkeit und Bedeutung, der cs in Abrede stellt, daß der Uebcrgang Omer- Pascha's über den Pruth oder auch nur der Versuch, diesen zu bewerkstelli gen, eine entscheidende That sein würde, weil er der deutschen Politik eine ausgesprochene entschiedene Richtung anweist oder diese gar voraussetzt. Nun ist diese Bewegung der Türken in Verbindung mit 21,000 Franzosen, als deren Oberbefehlshaber der ungestüme Marschall Baraguay d'Hillicrs be zeichnet wird, außer Zweifel gesetzt. Der Kaiser kündigt diese „mächtige Diversion" in seinem Aufruf an die Armee in der Krim an. Die Anhän ger der rusnschcn Weltbefrciung wissen und sprechen cS aus, daß es in dem Fall für Oesterreich dreierlei Arten sich zu benehmen gäbe. Entweder es will neutral bleiben, dann muß es die Fürstenthümcr räumen und seine Zusage bre chen, daß cs den Rückgang der Russen über den Pruth mit bewaffneter Hand hindern cherde. Dies wird es, dies kann cs, dies darf cs nicht. Oder c- bleibt nicht neutral, um den Russen hülfreich zu sein, dem Westen den Krieg erklärend. Eine entfernte Voraussetzung dieser Art macht selbst den sanguinisch sten Nussenfreund lächeln. Nur der dritte Fall ist möglich: Verbleiben in den Donaufürstenthümern, verbunden mit den Westmächten gegen Rußland, vcrbundcn mit ganz Deutschland, keine einzige Macht, keine große und keine kleine und keine mittlere ausgenommen, wie die Zugeständnisse Preußens an alle Foderungen Oesterreichs beweisen. Wie sehr sich die moskowitische Partei sträubt, ihre Hoffnung auf Preußen aufzugcben, beweist der Umstand, daß <» in ihr Leute gibt, welche behaupten, Preußen werde im Fall eines Siegs der Russen über das türkisch-französische Heer und ihres Rückgangs über den Pruth, diesen keineswegs als einen Angriff auf Oesterreich anschcn. „Der kleinste deutsche Staat", hörte ich einen deutschen Diplomaten laut und nachdrücklich in einer auserlesenen Gesellschaft anssprechen, „welcher sich entschlösse, im Verein mit den Westmächten gegen Rußland ins Feld zu zie hen, müßte ganz Deutschland mit zu dem heiligen Kreuzzuge der Civilisa- lion fortreißen, geschweige denn Oesterreich, welches Schutz bietet, weil cs in diesem Fall zu unglaublicher Uebcrmacht erstarkt. Preußen wird nichts aufzufassen, nichts scharfsinnig zu unterscheiden, sondern nur loszuschlagen übrigblciben, wenn Oesterreichs Kanonen einmal gegen Rußland donnern." — Was ich Ihnen von den immer eifriger betriebenen Rüstungen ange ben zu können glaube, ist zunächst, daß die Regierung beschlossen hat, 20 Bataillone Chasseurs zu bilden. Diejenigen Zöglinge zu St.-Cyr, welche hinlängliche militärische Ausbildung erlangt haben, werden als Offiziere in die verschiedenen neuen Regimenter verthcilt. Wenn die Allianz mit Oester reich definitiv abgeschlossen sein wird, wäre es nicht unmöglich, daß selbst die Garnison zu Rom nach dcm Orient geschickt würde. — Lord Pal merston ist heute abgcreist. — Ein Dccrct im Moniteur verbietet die Ausfuhr von Mehl und Körnerfrüchten bis zum 31. Juli 1856. — Der Papst hat ein allgemeines Gebet an die Jungfrau Maria zur Bekehrung der schiSmatischen Griechen ausgeschrieben. Großbritannien» -j-London, 28. Nov. Eine Beilage zur London Gazette enthält die in der gestrigen GehcimrachSsitzung erlassene königliche Proclamation, welche das bis zum 12. Dec. prorogirte Parlament „aus verschiedenen gewich- tigcn und dringenden Gründen" auf den 12 Dec. zur „Erledigung meh rer dringenden und wichtigen Geschäfte" zusammcnruft- Mil Ausnahme dieser molivircndcn Worte ist daS Actcnstück in der üblichen Form abgefaßt. Man glaubt allgemein, daß das Parlament nach etwa achttägiger Sitzung sich über Weihnachten und Neujahr vertagen wird. Das seht eine sehr summarische Erledigung ungeheuer wichtiger Geschäfte voraus, denn cs ist kein Gcheimniß, daß cs sich nicht blos um die Erwcitcrung des Milizdicn- stes, sondern ebenso sehr um die Herbeischaffung von Geldmitteln handelt, und zwar unterliegt es keinem Zweifel, daß die Negierung eine Anleihe vorzuschlagen denkt. Da sie damit nur, wenn auch etwas spät, dcr öffent lichen Meinung entgegcnkommt, so dürfte dieses „höchst dringende Geschäft" des Parlaments niät lange aufhalten. In der finanziellen wie in man cher andern den Krieg betreffenden Frage hat die Opposition offenbar Recht behalten, aber sie wird sich die bittern Vorwürfe, welche sie für Lord Aber deen und Hrn. Gladstone bereit hat, aus Rücksicht für den Drang der Zeit hoffentlich für den Januar aufsparen, und insofern mag das Peeliten- blatt dreist behaupten, daß die Minister dem Beginn dcr Session furchtlos cntgegcnsehen. An Interpellationen wegen dcr Beziehungen zu Oesterreich wird cs selbst in den ersten paar Scssionstagcu kaum fehlen, und wir zwei feln nicht, daß die Negierung mit hoffnungsreichen Erklärungen gerüstet ist; kcincnfalls wird sie die Anfragen wegen Oesterreich im Tone der Times beantworten, denn keins der andern Regierungsblätter hat sich in diesem Punkt so weit wie sic den Ansichten der Opposition genähert. Scheint doch selbst Daily News entweder den Ereignissen oder dem diplomatischen Geschick deS Cabincts einen außerordentlichen Triumph vindicircn zu wollen, und versichert, Oesterreich wünsche jetzt endlich nichts sehnlicher als eine Schuß- und Trutzallianz mit England und Frankreich. Es befinde sich vollkommen in der Gewalt der Alliirten, welche ihm ihre eigenen Bedingungen vorschrciben könnten, und die es daher ermahnt, nicht „zu dclicat" zu sein! Einiges Aufsehen dürfte es endlich erregen, daß die Times (dcm Moniteur zum Trotz) der Nachricht von dcr beschlossenen Absendung eines französischen Armcecorps nach der Donau keinen Glauben schenkt. „Zwei französische Armcedivifionen", sagt die Times, „wären eine schätzcnswerthc Verstärkung der belagernden Armee in dcr Krim; in Bess arabien dagegen wären 20,000 Mann Franzosen, ohne bessere Unter stützung als die Omer-Pascha ihnen gewähren kann, ohnmächtig oder dcr Vernichtung prcisgcgebcn. Omcr-Pascha's Armee ist nicht mehr, was sie vorigen Winter war, wo sie durch ihre Tapferkeit das osmanische Reich buchstäblich vom Untergang rettete; sie ist eingcschmolzen und verkümmert. Eine Armee muff Woche für Woche durch Nachrekrutirung verstärkt wer den; aber dcr türkischen hat cs außer diesen nothwcndigen Ergänzungen an Sold, Kleidung und Lebensmitteln gefehlt. Einer großen Anstrengung gegen den gemeinsamen Feind halten wir sie jetzt für unfähig. Doch ir gendeine Kriegsdcmonstration am Pruth ist unerläßlich, um Oesterreich aus seiner zweideutigen Stellung zu drangen." Was die Unterzeichnung des Zu satzartikels zum österreichisch-preußischen Vertrag betrifft, so will dir Times gern zugeben, daß die zu diesem Zweck gepflogenen Unterhandlungen gerade nicht Rußland günstig waren, aber doch komme man damit nicht vom Fleck, und mit unverhohlenem Widerwillen gesteht sie, sich von der Art und Weise abwcndcu zu müssen, mit dcr die demschen Mächte mit ten in einer Zeit großer Ereignisse eine diesen angemessene Rolle zu spie- len dcnkcn. „Die österreichische Besetzung der Donaufürstenthümer", schließt sie, „hat die KriegSflammc an dcr Donau erstickt, damit sie nur desto wilder in der Krim entbrenne, und besser wäre cs, daß der Brand da, wo cr zuerst anSbrach, frci«i Spielraum hätte, als einen Moment durch die anomale Intervention einer Macht unterdrückt würde, die weder Freund noch Feind ist." Das Commando des Admirals Dundas im Schwarzen Meere ist zu Ende, wie wir mit ziemlicher Gewißheit melden können, und cr dürfte sich mit seinem Flaggenschiff Britannia bald auf den Heimweg nach Eng land machen. Wahrscheinlich bringt cr die Vcngcancc von 8-1 und den Bcllerophon von 78 Kanonen mit nach Hause und werden dieselben durch die mächtigen Schraubenlinienschiffe Algiers und Hannibal von je 90 Ge schützen wirksam ersetzt werden. Da das Commando eines jeden britischen Admirals im Auslände vorschriftmäßig blos drei Jahre lang dauert, und da diese Frist sür Viceadmiral Dundas jetzt abläuft, erscheint seine Abbe rufung regelrecht und ist es auch, obwol alle Welt andererseits weiß, daß die Negierung ihm das Commando im Schwarzen und Mittelmecre auf eine weitere Reihe von Jahren bewilligt hätte, wären die Erwartungen, welche man von ihm hegte, erfüllt worden. Sein Nachfolger im Com mando wird Sir Edmund Lyons, der biSjetzt factisch alle Operationen dcr Flotte geleitet hat, und sein bisheriges Flaggcnschiff, der Agamemnon, kommt wahrscheinlich unter den Oberbefehl von Capitän Th. PaSley. Wenn es sich bestätigt, woran nach so vielen vorliegenden Zeugnissen kaum mehr zu zweifeln ist, daß dcr russische Soldat den Befehl (?) erhalten hat, die verwundeten Engländer und Franzosen niederzustechen, so werden die Alliirten keineswegs darum Gleiches mit Gleichem vergelten. Die alliirten Generale haben, wie eS hier heißt, dem Fürsten Msntfchikow zu wissen gcthan, daß, wenn cr diesen Schandthatcn nicht steuern sollte, jeder russische Stabsoffizier, der in Gefangenschaft geräth, ohne weitere« gehängt wird.