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Frankenberger Tageblatt, Bezirks-Anzeiger : 25.08.1915
- Erscheinungsdatum
- 1915-08-25
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1786999250-191508250
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1786999250-19150825
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1786999250-19150825
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungFrankenberger Tageblatt, Bezirks-Anzeiger
- Jahr1915
- Monat1915-08
- Tag1915-08-25
- Monat1915-08
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— 407 — Lie Front im Olten Von Dr. Ludwig Ganghofer. 3. August 1915. Lie Kämpfe am Rarem. In englischen Zeitungen stand zu lesen: Die deutsche Offen sive in Polen ist zum Stehen gekommen l Ein Körnchen Wahr heit ist daran. Es hat sich nur der englische Berichterstatter im Ausdruck vergriffen. Unsere Offensive in Russisch-Pole» kam nicht zum Stehen, aber doch ein bißchen zum Sitzen; denn am 24. Juli, als Pultusk und Rozan von unseren Feldgrauen genommen waren, vergönnte man den Tapferen eine halbstün dige Rast, bevor es wieder vorwärts ging. Wie weit wir in zwischen gekommen find, das habe ich gestern gesehen. Ich mußte hinter Pultusk etwa zwanzig Kilometer fahren, um unsere Linien wieder etnzuholen, und will nun erzählen, wie der Still stand ausfieht, dm ich beobachtete. Eine liebenswürdige und fruchtbare Landschaft wellt fich gegen Warschau hin. Manchmal ein niedergebranntes Dorf, dann wieder ein unversehrtes, in dem die Einwohner geblieben find. Wundervolle Wälder durchschneiden in langen Zügen das Achrenland, große Rinderherden weiden, unsere Soldaten find fleißig bei der Feldarbeit, und die kleinen, gleichmäßigen Kugelbäume der Alleen stehen wie zierliches Spielzeug überall in der Ferne. Neben der Straße gewahre ich ein mit rührender Pietät geziertes Friedhöfchen unserer Helden. Ein aus weißen Birken- ästen geschränkter Zaun umschließt das geheiligte Flcckletn Erde, die Kreuze find sorgfältig gezimmert und mit hübschen In schriften versehen, und drei sächsische Sanitätsleute find liebevoll damit beschäftigt, die fünf Doppelgräber mit weißen Stein rabatten einzufaffen und mit blühenden Blumenstöcken zu be pflanzen. »Keine Trauer, ihr lieben Brüder! Vorwärts, über mein Grab hinüber!" In einem Kiefernwäldchen hat fich eine Kolonie von Ob dachlosen aus Nastelsk nnd den umliegenden Dörfern eingemietet. Auch hier noch Raffenunterschied! Die Strohhütten der Polen stehm getrennt von den Reifigschlupfen der Juden. Männer, Frauen, Mädchen, sehr viele Kinder, abgerackerte Pferdchen, ein paar Kühe, gackernde Hennen, schnatternde Gänse und Enten, Schweine bei den Polm, Ziegen bei dm Juden, Wagen und Karrm, Geschirr und Gerümpel rauchende Feuerstätten, Schlaf und Arbeit, Kleidungsstücke und Bettzeug, zerrissene Wäsche und seidene Strümpfe, schillernde Kaftane und Spitzenhemden — alles ist farbig und kunterbunt durcheinander gewirrt zu einem ebenso fesselnden wie erschütternden Bilde der Kriegsnot. Aber viel Trauer ist nicht zu sehen: manchmal der Ausdruck stumpfer Müdigkeit in einem alten Gesichte, doch gleich daneben ein heiteres Mädchenlachen und freundliches Kinderspiel. Ein schöner Wald hat streichelnde Hände, und das Vergessen ist immer eine flinkere Sache als das Erleben. Gastliche Nachmittagsstunden bei den Stabsoffizieren einer sächsischen Brigade. Die nette Gemütlichkeit muß nur mit einigen Unzen Blut bezahlt werden. Eine schreckliche Erfindung der Natur: diese polnischen Flöhe! Sie find am Hellen Tage so emsig wie in den Nächten. Nach zwei Stunden sah ich aus wie ein Masernkranker. Zu meinem Tröste zeigte mir der Kommandeur der Brigade seine rotgetüpfelten LazaruSarme. Solche Pein ertragen und lachen dazu — so find die Unseren, ob hoher Offizier oder gemeiner Mann! Mit linder Sonnenstimmung beginnt ein feiner Abend zu leuchten. Die Rauchsäule eines großen Brandes, der in der Richtung gegen Warschau lodert, steht wie eine phantastische Graugestalt hinter dem südlichen Horizont. Auf den Feldern steigen die Lerchen in den Goldschein der Sonne, von überall hört man ihre trillernde Sommerfreude. Fern donnern die deutschen Granaten, die als Dokumente unseres Stillstandes auf Georgtewsk heruntersausen, auf die an der Weichsel liegende Zwillingssestung von Warschau. Und hoch in den Lüften, zwischen Glanz und Helle, schnurrt die Maschine eines deutschen Fliegers. Ueber den Lehrenfeldern ist in der Sonnenwärme ein welliges Zittern. Zwischen grünen Bäumen lugt die weiße Kirche von Blendostowo heraus. Ihre Fevster find zersplittert vom Luftdruck der Granaten, die Mauer ist durchsiebt von Schrapnellschüssen. Ich höre schönes, rauschende« Orgelspiel.» Ein altes deutsches Lied, kunstvoll und mit Innigkeit gespielt! Ein Schulmeister aus Dresden erweist da seine Barbarennatur! Und sieben oder acht von seinen sächsischen Kameraden fitzen lauschend zwischen dem Splitterschutt des Kirchenschiffes. Durch ein großes Granatenloch funkelt die goldene Abendhelle an die graue, klingende Dämmerung heran. Und ferner Kanonen donner mischt in das Orgelspiel dm tiefsten von allen Bässen. Die noch^haltene"Hälfte"des"Dorfes"ist nur von Feld grauen bewohnt. Hinter den Häusem und Gärten sieht man die Schützengräben der Reserven. Die andere Hälfte des Dorfes ist eine tote Gaffe von Brandstätten. In langer Zeile find alle Obstbäume verkohlt oder braun gedörrt. An dm schwarzen Zweigm hängen in großer Menge die zusammen geschrumpften , Aepfel und Birnen. Kosakenindustrie und Abzugsarbeit der Ruffen vom 26. Juli. Wer spricht davon in der Wett? Jede Greuel unserer Feinde wird als belanglose Selbstver ständlichkeit hingenommen. Klaglos trauern die von fliegender Asche umwehten Brandstätten, und neben ihnen rauscht das schöne Orgelgebet eines deutschen Soldaten. Durch den Obstgarten eines Gutes, das dem russischen VernichtungSwahnfinn entronnen, steige ich zu einem Hügel empor, der mir weiten Ausblick über das Gefechtsgelände des Abends verspricht. Zwischen den Scheunen sehen die berittenen StabSmannschasten, Husaren, deren schwarze Lanzenfähnchen dm weißen Totenkopf tragen. Unter einem Apfelbaum kritzelt ein Feldgrauer ein Briefchen an die Seinen. Hinter dem Garten sehe ich hundert Erdlöcher und niedere Strohhüttchen, mit dm Reserven, die den Befehl zum Angriff erwarten. Im Gold des Abmds stimmt das Grau der Uniformen mit den leuchten den Strohtönen warm zusammen. Gesunde braune Gesichter, gemütliches Schwatzen, heiteres Lachen, kein Gedanke an dm Tod, nur Glaube an den Erfolg. Ich steige zum Hügel hinauf. Links das Pfarrhaus. Es ist die Befehlsstelle des Brigade, stabes. Die Offiziere find versammelt, die Arbeit hat schon begonnen, immer höre ich das Lütüh der Telephone und die meldenden Stimmen. Rechts eine kleine Kirche. Und von hier ein weiter Ausblick. Vor mir ein Schützengraben, zwei andere liegen weiter draußm im Feldgelände, das fich hinunter- senkt in ein mit Gärtm und Häuschen dichtbesetztes Bachtal. Drüben aus der Hügelkante und vor einem Waldsaum gewahre ich zwei feste russische Stellungen. 7 Uhr abends. Hinter uns ein kurzer Hall. Dann fährt ein Ton durch die Luft, ähnlich dem Klingen eines Stahlseile». Die Granate schlägt mitten in die vorgeschobene Stellung des Feinde». Schuß auf Schuß, jeder ein Treffer. Kaum hat die Beschießung begonnen, da flammt au» dem Bachtal, in da» kein deutscher Schuß gefallen ist, da» große Flugfeuer eine» brennenden Hauses empor. Schwefelstrategie des Feindes! Die Flamme wächst mit rasender Schnelligkeit und wirst ihre zün denden Funken aus andere Dächer. Entlang dem feindlichen Graben schlägt Granate um Granate ein; und herüben, auf unserer Seite, blitzen überall die Bajonette aus den Aehren heraus. Die kriegerische Arbeit, die da ge leistet wird, bekommt durch ihre exakte Gleichmäßigkeit etwas Ruhiges, fast etwas Friedliches. Inmitten dieses dröhnenden AbendsriedenS fängt irgendwo eine große Herde von Gänsen heftig zu schnattern an. Aus einem nahen Schützengraben hör ich ein vielstimmiges Lachen — die braven Feldgrauen denke» wohl bei dem intensiven Gansgeschnatter an dir dustende Bratpfanne? Ich sehe über dem Ackerboden Hunderte von verhüllten Helmspitzen, sehe Köpse, die sich hin und her br- wegrn, sehe sonnrnbestrahlte Gesichter und Gewehrläufe, die auf- und niedrrtauchen. Immer lebhafter wird das Sausen der Lüste, und dunkel zeichnet sich rin Hohrs Krruz in drn lruchtendrn Abrndhimmrl — eS ist rin großes Vätrrchen von winzigrn Kindrrn, ihm zu Füßrn huscheln sich virlr klrine
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