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Wilsdruffer Tageblatt : 17.05.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-05-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192205178
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19220517
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19220517
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungWilsdruffer Tageblatt
- Jahr1922
- Monat1922-05
- Tag1922-05-17
- Monat1922-05
- Jahr1922
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 17.05.1922
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Genua, 15. Mai. Hier verlautet über die amerikanischen Bedingungen, daß von Amerika bereits eine Art Dementi wegen der Beteiligung im Haag erfolgt sei. Der Botschafter Child habe bereits eine sehr ernsthafte Unterredung mit Lloyd George ge habt. Es heißt ferner, datz Amerika die Bedingung stellen wolle, daß die Beratung der Russenfrage ganz von Anfang an begonnen werde. Amerika wolle verlangen, daß sowohl der deutsch-russische Vertrag wie auch die Verträge von Riga und alle anderen Sonderabkommen mit Rußland annulliert werden. Dafür sollen alle die an den Verträgen beteiligt gewesenen Mächte, also auch Deutschland, an den Beratungen im Haag teilnehmen. London, 15. Mai. Zu der Aufgabe Morgans im Unter- vusschuß der Reparationskommission heißt es in amerikanischen Kreisen, daß die Frage der Anleihe jedenfalls zur Folge haben werde, daß das ganze Reparationsproblem revidiert werden müße, um das Programm einer Anleihe praktisch aufzustellen. Dieses Programm könnte unmöglich fertiggestellt werden, so lange Deutschlands Verpflichtungen und die Art und Weise, wie sie es erfüllen müsfe, nicht endgültig festgestellt seien. AsckesMZrs EnkelmMN. Sensationen in einer Milliardärsfamilie. Die Enkelinnen des John D. Rockefellers, des noch immer reichsten Mannes der Welt, liefern d-er amerikani schen Gesellschaft seit einiger Zeit immer wieder ergiebigen Gesprächsstoff. Vor mehreren Wochen erfuhr man die er- schüiternbe Neuigkeit, daß sich Mathilde Mac Cormick, das älteste Kind der Tochter Rockefellers und seines Schwieger sohnes Mac Cormick, der ebenfalls Multimillionär ist, mit einem einfachen Züricher Reitlehrer, Herrn Max Ofer, ver lobt habe. Man vernahm, daß Vieser Verlobung heftige Zwistigkeiten im Schoß der Familie Rockefeller-Mac Cormick vorangegangen waren, da Vie Mutter sich der Verbindung mit dem Reitlehrer widersetzte, daß Groß papa Rockefeller vermittelnd eingreifen mußte, uns datz schließlich die sechzehnjährige Mathilde ihren Willen durch setzte, da nicht nur Rockefeller erklärte, daß Mathilde über ihr Alter hinaus geistig reif genug sei, um frei zu wählen, sondern auch der Vater, der sich von seiner Frau mittler weile hat scheiden lassen, die Partei seiner Tochter ergriff. Der Schweizer Aufenthalt, während dessen Mathilde Herrn Ofer kennen und lieben lernte, war durch die Krank heit der zweiten Tochter Mac Cormicks, Muriel, veranlaßt worden. Muriel Mac Cormick hatte wegen eines Lungen- leidens ein Jahr lang in einem Davoser Sanatorium zu gebracht und ist vor kurzem völlig geheilt nach Amerika zurückgekehrt. Und diese zweite Enkelin John D. Rocke fellers ist es, die jetzt das amerikanische Interesse für die Familie Rockefeller-Mac Cormick aufs neue entfärbt. Das jetzt fünfzehnjährige Mädchen hat nämlich die Bühnenlaufbahn gewählt und dieser Ta-ge in Chicago als Berufsschauspielerin debütiert. Es läßt sich denken, welch ein Ereignis es war, als die Enkelin des Krösus der neuen Welt und Tochter eines vielfachen Dollarmillionärs zum erstenmal auf den Brettern erschien. Die amerikanischen Blätter berichten hierüber in spaltenlangen Darstellungen und Schilderungen. Eine Enkelin Rockefellers Gattin eines Reitlehrers, die andere Schauspielerin, das hat man sich selbst im Lande der unbegrenzten Möglichkeiten nicht träumen lassen, und wenn die Welt darüber nicht aus den Fugen geht, so mutz sie Loch noch ein bißchen fester gebaut sein, als man es sich nach dem furchtbaren Weickrt^s hätte träumen lassem Nah und Fern. O Unterricht in niederdeutscher Sprache. Der Schleswig- Holsteinische Provinziallandtag hat aus Antrag der Ge schäftsstelle des Niederdeutschen Bundes in Hamburg 24 000 Mark zur Aufrechterhaltung des akademischen Unterrichts in niederdeutscher Sprache, Literatur und Volks kunde bereitgestellt. O Ein Neclamheft — fünf Mark! Der Wandel der Zeiten wird zuweilen an einer Kleinigkeit deutlicher er- „Wem nie durch Liede Leid gescheh.. Roman von Erich Friesen. 47s (Nachdruck verboten.) „Ja, Sigrid, ja — ich verspreche es Dir heilig. Ich will Dir ähnlich werden, Sigrid! Das soll meiste Le bensaufgabe sein!" Wieder lag die Sterbende ein Weilchen still da. Plötzlich flüsterte sie ganz leise: „Es wird so dunkel — ganz dunkel um mich her — aber — ich leide nicht — o nein, ich bin sehr glücklich! Und jetzt — jetzt ist es cruch wieder hell und licht! Lich, ich möchte — Win fried noch einmal sehen!" Nach wenig Sekunden schon stand Holm neben seiner Frau an dem Sterbelager. „Nimm Lichs Sand in die Deine, Winfried!" flüsterte Sigrid. „Sie wirb Dir fortan — eine gute Gattin sein — sie hat es mir versprochen!. Ich nenne Dich — mit dem schwesterlichen „Du". Fegt, angesichts des Todes — schadet es keinem mehr! Lebt Wohl — Ihr Lieben! Grüßt Walterchen! Ich habe Euch Drei lieb — sehr lieb! Ha, das Licht wird größer — und immer großer — es umstrahlt mich ganz — es hüllt mich ein — es —" Glückseliges Lächeln verklärte die edlen, bleichen Züge. Dec Atem wurde schwächer; der Pulsschlag stockte Der Engel des Todes schritt mit seinen grauen Fit tichen durch Sigrid Arnoldsens Gemach. XXIII. Eingehüllt in Weiße Spitzenwolken, inmitten duften der Blumen und knospendem Grün, lag Sigrid Arnold- sen auf der Bahre — die schönen Züge selbst im Tode noch verklärt von glückseligem Lächeln, gleich einem schlafenden Engel. Tiefernst, tränenlos stand Winfried Holm vor diesem überirdischen Bild. Der Schmerz um die Tote hatte sein ganzes Inneres aufgewühlt. Sein Antlitz schien starr und hart, gleichsam wie versteinert. Behutsam, als fürchtete er, die Schlummernde zu stö ren, legte er ein Sträußchen Immergrün auf ihre Brust. Dann ging er hastig zum offenen Fenster; die linde Abendluft kühlte seine heiße Stirn. Noch ein letzter wehmutsvoller Blick nach der stillen, Weißen Gestalt — und er verließ müden Schrittes das Eterbezimmer. Im Salon nebenan saß Frau Giesecke mit verweinten Augen, auf ihrem Schoß Walter, der nach Klein-Kinder- art lachte und jauchzte. „Wo ist Felicie?" fragte Winfried, sich gewaltsam be herrschend. „Ich war fast den ganzen Tag fort, um alles Nötige zu besorgen. LH möchte sie sprechen." kennbar als an großen Dingen. .So teilt jetzt der Verlag Philipp Reclam jun. in Leipzig mit, daß seit dem 1. April jede Nummer der Reclamschen Universal-Bibliothek ge heftet 5 Mark kostet. Einst kaufte mau die Heftchen be kanntlich für 20 Pfennige! Q Eine Königin als Filmregisseur. Die Königin Maria von Rumänien, die von jeher viel von sich reden machte, will unter die Filmregisseure gehen. Wie sich der „Matin" melden läßt, wird sie in nächster Zeit zu längerem Aufettt- halt in den Vereinigten Staaten eintreffen, um im Atelier einer Filmgesellschaft Vie Aufnahme zu einem Film zu leiten, Vessen Reinertrag den rumänischen Kriegsverletzten zugutekommen soll. O Gerhart-Hauptmann-Festspiele finden vom 8. bis 21. August V. Js. in Breslau statt. An der Gesamtdarstellung des Lebenswerkes des Dichters sollen die ersten Künstler und Spielleiter der deutschen Bühnen Mitwirken. Ein Aus ruf, der von führenden Persönlichkeiten des geistigen, po litischen und wirtschaftlichen Deutschlands unterzeichnet ist, soll demnächst veröffentlicht werden. Hauptmann vollendet am 15. November d. Js sein 60. Lebensjahr. Vermischtes. Neue deutsche Zeitungen in Rußland Die Sowjet« regierung war seit jeher bemüht, eine möglichst rege Agi tationstätigkeit unter den Deutschen in Rußland zu ent falten. Seit Jahren erscheinen verschiedene deutsche Zei tungen als sowjetamtliche Organe. So z. B. in Moskau „Die Note Fahne", in Omsk „Der Dorfrat", in Marxstadt an der Wolga (früher Katharinenstavt) eine Zeitschrift „Die Fackel" usw. Neuerdings sind in Charkow zu den alten deutschen Zeitungen verschiedene neue hinzugekom men. „Die neue Zeit" erscheint als Zentralorgan der deutschen Sektionen in der Ukraine. Eine andere Zeitung beißt „Der Kolonist", Ort der Herausgabe ist Baku; dieses Blatt soll hauptsächlich unter den Deutschen in Grüsten, in Aserbeidshan und im Dongebiet verbreitet werden. In Moskau soll in kurzer Zeit ein von der Deutschen Ab teilung der Nationalen Minderheiten herausgegebenes Blatt erscheinen. Es ist als Zentralorgan für alle Deut schen in Rußland gedacht und wird populärwissenschaft liche Abhandlungen über Politik, Volksausklärung, Schule, Kultur, Kunst, Wissenschaft, Technik, Landwirtschaft und Wirtschaftsleben in den deutschen Kolonien bringen. L Neue Erfolge der drahtlosen Telepyome. Die Zuver lässigkeit der radiotelephonischen Übertragung wurde kürz lich auss neue durch ein Gespräch zwischen New Canaan (100 Kilometer von Newyork) und dem Kreuzer „America", der sich in einer Entfernung von 640 Kilometern aus der Fahrt befand, bewiesen. Es wurde von New Canaan aus sowohl mit dem Kapitän wie mit verschiedenen Passa gieren des Schiffes gesprochen. Die Verbindung wurde in der gewöhnlichen Form hergestellt: der Mann in New Canaan nahm einfach den Hörer von der Gabel und ver langte Vie Verbindung mit dem Schiff, geirau als ob er die Nummer eines Fernsprechteilnehmers in der Stadt ver langt hätte. Die Gegenprobe wurde mit nicht geringerem Erfolge von einem Redakteur des „Newhork Herald" ge macht, der von Bord des Schiffes aus Vie Redaktion seines Blattes in Newyork anrief, um dem am Apparat befind lichen Stenographen einen Bericht über die Abenteuer einiger ehemaliger amerikanischer Soldaten, die sich an Bord der „America" befanden und in der spanischen Frem denlegion gegen Vie Maurenffn Marokko gekämpft hatten, zu diktieren. Das Diktat dauerte eine halbe Stunde. Alle Nowyorker Zeitungen haben diesen radiotelephonischen Be richt ab gedruckt. L Dte Kriegserklärung der Hausfrauen. Ein lustiger Krieg ist in der kleinen westfälischen Stadt B. entbrannt. In dem dortigen Lokalblatt veröffentlichten dieser Tage die Waschfrauen folgende Anzeige: „Wegen täglicher Teuerung sehen wir uns gezwungen, unseren Tariflohn auf 50 Mar? und Kost pro Tag festzusetzen. Die vereinigten Waschfrauen von B." Tags darauf erschien in demselben Blatt folgende Gegenanzeige: „Wegen täglicher Teuerung sehen wir uns gezwungen, unsere Wäsche selbst zu waschen. Die vereinigten Hausfrauen von B." Man darf neugierig sein, wie sich die Waschfrauen zu dieser Eröffnung de» Feindseligkeiten seitens der Hausfrauen stellen werden. Ans Stadt und Land. G» «»drUl »dk txrol-r »«ü»«, Wilsdruff, am 16. Mai. — Wilsdruff um eine Stunde voraus. Unsere Morgenglocke ertönte heute ausnahmsweise bereits um 5 Uhr statt 6 lldr. Da eine Aenderung in der Läutezeit nicht bekannt gegeben war, so dürfte wohl der betreffende Lauter sich bei Stellung der Uhr oder deS Weckers versehen haben. Viele Einwohner, dis gewöhnt sind, bei diesem Läuten auf zustehen, waren hierdurch eine Stunde früher auf den Beinen. Jedenfalls bei dem herrlichen Morgen nur zum Vortest; sagt doch das Sprichwort Morgenstunde hat Gold im Munde. — Die neugegriindete Landwirtschaftliche Haus- haltungsschule für junge Mädchen wurde gestern mittag */, 12 Uhr im mit Blattgrün geschmückten Saale des Gast hofs „Weißer Adler" durch einen Festakt feierlich eröffnet. Außer den 44 Schülerinnen nebst deren Eltern wohnten der Feier bei die Herren Geheimrat Dr. Andrä Braunsdorf und Dr. König vom Landeskutturrat, Amtshauptmann Dr. Sievert-Meißen, Bürgermeister Dr. Kronfeld, Frln. Pfeiffer vom Verband der landwirtschaftlichen Hausfrauenvereine und die Mitglieder des Verwaltungsrates der neuen Schule. Nach dem allgemeinen Geianze „Lobe den Herren" begrüßte Herr Geheimrat Dr. Andrä in seiner Eigenschaft als Vor sitzender des Kreisvereins und stellv. Vorsitzender des Landes kulturrates die Erschienenen und warf in längerer Rede einen Blick zurück in die Vergangenheit. Wurde die erste landwirtschaftliche Schule im Kreisvereinsbezirk Dresden im Jahre 1900 in Freiberg eröffnet, so sei die Wilsdruffer hmte die 1l„ sieben für Männer und vier für Mädchen. Sei auch die Gründung in Wilsdruff mit großen Schwierig keiten verknüpft gewesen, da der Landeskuliurrat gewisse Bedingungen stellen mußte, so habe er umso mehr aufrichtige Bewunderung und herzlichen Dank für die Männer des Verwaltungsrates, die nach monatelangen Mühen der Schwierigkeiten Herr geworden. Mir dem Wunsche, daß alle an die Schule geknüpften Hoffnungen und Erwartungen sich erfüllen möchten, schloß Herr Geheimrat Dr. Andrä seine Ausführungen. Namens der Stadt Wilsdruff über brachte der neu ins Leben getretenen Schule Herr Bürger meister Dr. Kronfeld die besten Glückwünsche in der Hoffnung, daß sie dazu beitragen möge, dis gemeinsamen Interessen Wilsdruffs und der Landwirtschaft und die gegen seitigen Beziehungen noch freundschaftlicher zu gestalten, als sie bisher schon sind. Herr Amtshauptmann Dr. Sievert feierte den rührigen Geist, der in der hiesigen Landwirt schaft immer geherrscht habe und noch herrsche und in der neuen Schule eine neue Blüte gezeitigt habe. Wenn dies Beispiel noch mehr als bisher Nachahmung im Lande finde, dann würde es mit dazu beitragen, das Ziel zu erreichen, daS stchdie Landwirtschaft gesteckt habe: Ernährung des deutschen Volkes von der eigenen Schölle. In dieser Zuversicht rufe er den Landwirten und Landfrauen, der Schule und ihren Schülerinnen ein herzliches, aufrichtiges Heil und Segen zu, Glückauf zu frohgemuter Arbeit. — Frln. Pfeiffer überbrachte Grüße und Wünsche des Ver bandes der landwirtschaftlichen Hausfrauenvereine und be grüßte besonders, daß die praktische Betätigung in den landwirtschaftlichen Nebenbetrieben mit in den Lehrplan ausgenommen worden sei. Herr Rittergutspächter Böhme- Kiipphausen sprach für den Landwirtschaftlichen Verein zu Wilsdruff. Er betonte, daß die Landwirtschaftliche Schule für junge Mädchen in Wilsdruff als di« erste ihrer Art anzusprechen sei, denn der erste Anstoß hierzu und die ersten Vorarbeiten seien von hier aus erfolgt. Es sei die heranreifende Saat, die in langen Jahren der Ehrenvor» „Ich weiß nicht. Ich habe sie seit vieren ^runoen nicht gesehen. Vielleicht dort —und dis alte Dame deu tete scheu nach dem Nebenzimmer. Winfried schüttelte den Kopf. Er hatte schon überaN nach seiner Frau gesucht. Was mochte ihr unruhiger Geist wieder ausgebrütet haben! Da eilte hastig Anna Herbst mit einem Brief. „Bem Frau Holm," sagte sie ängstlich. „Von meiner Frau?" Wann gab sie Ihnen den Brief?" „Vor ungefähr drei Stunden. Ich sollte ihn nur Herrn Holm persönlich einhändigen. Unö da Sie bis vor kurzem fort waren —" „Ist meine Frau zu Hause?" „Nein, Herr Holm, Frau Holm ging gleich, nachdem sie mir den Brief gegeben hatte, fort und ist bis jetzt noch nicht zurückgekehrt" „Es ist gut, Anna. Sie können gehen." Winfried öffnete den Umschlag und las folgende, in festen, klaren Schriftzügen hmgeworfenen Zeilen: „Lieber Winfried! Ich versprach der teuren Entschlafenen, Dir fortan eine gute Gattin zu sein, und ich werde dies Verspre chen halten. — Von heute ab beginne ich ein neues Leben. Ich will ihr ähnlich werden — wahr, offen, uneigennützig, wie sie es war. Ich weiß jetzt, daß ich bisher nicht auf dem rechten Wege gewesen bin, daß ich durch meine Leidenschaftlichkeit, meinen Mangel an Selbstbeherrschung, mein übereiltes Handeln gro ßes Unglück über uns alle gebracht habe. Aber das soll anders werden. Wenn Du diese Zeilen liest, bin ich bereits wieder auf dem Weg nach dem Gefängnis. Ich selbst liefere mich bei der nächsten Polizeistation aus. Vielleicht wird meine Strafzeit verlängert — ich weiß es nicht. Aber was auch eintreten mag, ich werde es geduldig tragen — ich habe es Sigrid versprochen. Und wenn ich dann später zurückkehre, ich, Lie ent lassene Strafgefangene, und Du mich dann noch für wert hälft, mich bei Dir aufzunehmen — so schwöre ich Dir fest und heilig: ich werde Dir eine gute Frau und Walter eins gute Mutter sein. Lebe wohl! Deine tief und von Herzen bereuende Felicie." Ans der Pvlizeistation in der Rheinstraße meldete sich gegen fiins Uhr nachmittags eine junge Frauens person. — „Was wünschen Sie?" herrschte der wachshabende Polizist sie an. „Ich wünsche nach dem Frau-engefangnis transpor tiert zu werden, von wo ich vor zwei Tagen entfloh." „Und Sie liefern sich selbst wieder aus? Haben Sie Lie Freikcit ickou satt?" „Fa, rcy habe sie satt. Bitte, schaffen Sie mich nach dem Gefängnis — sobald wie möglich!" — Bereits eine Stunde später hatte sich das große Ge- sängnistor hinter Felicie wieder geschlossen. Bleich, aber vollkommen ruhig trat sie vor den Ge fängnisdirektor. „Sie wissen, daß Ihre Strafe verschärft werden muß, Gefangene Holm?" „Ich vermute es. Ich werde jede wir auferlcgte Strafe geduldig tragen. Sie werden keine Mühe mehr mit mir haben, Herr Direktor." „Also gut. Robinson, führen Sie Lie Gefangene Holm in ihre ehemalige Zelle Nr. 301." „Noch ein Wort, Herr Direktor!" „Nun?" „Ist Ella Mensing noch am Leben?" „Nein. Sir erlag vorgestern, gleich nach Ihrer Flucht, einem Blutstnrz," Felicie ließ den Kopf auf die Brust sinken. Dann folgte sie festen Schrittes der Wärterin in die Zelle. xixiv. Beinahe zehn Monate waren vergangen, seit Felicie Holm sich nach ihrer Flucht freiwillig dem Gefängnis wieder ausgeliefert hatte. Ein besonders schöner, klarer Maientag blaute über den rosigen Rheingestaden. Hell lachte die Lebensspen derin Sonne vom wolkenlosen Himmel herab ans Feld und Flur. Alles ringsum Knospen, Sprießen, Grünen, Blühen — ein Jnbclhymnus der nach langem Winter schlaf zu neuem Leben erwachten Natur. Durch die schmale, düstere Straße, die zum Frauen gefängnis führt, kam ein Auto dahergerattert und hielt in einiger Entfernung von dem hohen Eisentor. Eine hohe, kräftige Männergestalt sprang vom Tritt brett, hob einen kleinen, etwa einjährigen Knaben Herans und bedeutete dem Chauffeur zu warten. Mit dem Kinde auf dem Arm, schritt der Mann langsam vorwärts, die Augen fest ans das eiserne Tor gerichtet. Jetzt öffnete sich das Tor. Eine zierliche, schlanke Frauengestalt trat heraus, um nicht mehr hincinzu- gshen. Die Leidenszeit hatte ein End-e. Der Mann ließ das Kind von seinem Arm gleiten unö stellte es ans den Boden. Der Kleine wuchzte Helt ans und patschte mit Len beiden Grsibchenhändchen vor Wonne zusammen. Seine großen blauen Augen strahlten. Lustig flatterte das lange, blonde Lockengeringel im Frühlingsw'nL Dir zierliche Frauengestalt dort hinten am Eisen; tor st^nd einige Sekunden wie unschlüssig und blickte sich suchend um.
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