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Wilsdruffer Tageblatt : 07.11.1922
- Erscheinungsdatum
- 1922-11-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-192211076
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19221107
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19221107
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungWilsdruffer Tageblatt
- Jahr1922
- Monat1922-11
- Tag1922-11-07
- Monat1922-11
- Jahr1922
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 07.11.1922
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gemacht werden dürsten. Danebenher gehen die Beratun gen der neutralen Wührungssachverständigrn. Tiefe werden voraussichtlich binnen wenigen Tagen ihr (Gutachten fertiggestellt haben, und es versteht sich von -elbst, daß dieses von der deutschen Regierung bei der .Fertigstellung ihrer Vorschläge verwertet wird. Weiter verlautet, daß auch der englische Delegierte Bradbury seit seiner Anwesenheit in Berlin einen neuen Stabilisie- rungsplan für die Mark ausgearbeitet habe. Der belgische Delegierte Delacroix bemühe sich ebenfalls, seinen sehr positiven Plan zur Geltung zu bringen. Es seien noch einige Meinungsverschiedenheiten zu beseitigen, man hoffe aber, zu einem vollkommenen Einverständnis zu gelangen. Die Meinung des Reichswirtschaftsrats. Auch der Finanzpolitische und Wirtschaftspolitische Aus schuß des Reichswirtschaftsrates haben zur Währungsfragr ein Gutachten angenommen. Es umfaßt außer den oben darge legten Gedankengängen auch die Notwendigkeit erhöhter Pro duktion und wünscht die Mitwirkung der Rcichsbank bei der Stützungsaktion der Mark. Der Ausschuß empfiehlt ferner die Ausgabe eines wertbeständigen Anlagepapiers, das die natürlichen Bedürfnisse weitester Volksschichten nach Erhaltung ihrer Vermögenssubstanz befriedigt, sie vom Kaufen von Devisen abhält und dadurch die normale Spartätigkeit wieder ermöglicht. Es gehe nicht weiter au, einem Teile des Volkes jode Sicherung seiner Kaufkraft und seiner Wirtschasts- grundlage vorzuenthaltcn. Der Ausschuß hält es für erwägens wert, die Goldanleihe mit einer kursgesicherten Kredit aktion für Industrie, Gewerbe, Handel und Landwirtschaft zu verbinden. Für eine unfundierte Goldanleihe des Reiches würde der Ausschuß die Verantwortung ablehnen. poMsche Rundschau. Deutsches Reich. Erweiterung des Rapallo-Vertrages? Der Chef der russischen Handelsvertretung in Berlin ist aus Moskau nach Berlin zurückgekehrt. Von seiner Rückkehr erwartet man nunmehr den beschleunigten Fort gang der bereits schwebenden Verhandlungen mit deut schen und ausländischen Firmen über eine Reihe von Ver trägen in der Art des Vertrages mit dem Otto-Wolff- Konzern. Geltung der Devisenvcrordnung im Rheinland. Die Interalliierte Rheinlandkommission hat sich mit der sofortigen Anwendung der Verordnung gegen die Spekulation in ausländischen Zahlungsmitteln in den be setzten Gebieten einverstanden erklärt, mit dem üblichen Vorbehalt von Ausnahmen für ihre Mitglieder und die Besatzung. Dr. v. Kniüing Nachfolger Lerchenselds. Die Fraktion der Bayerischen Volkspartei einigte sich dahin, den früheren Staatsminister Dr. von Knilling als Nachfolger des Grafen Lerchenfeld in Vorschlag zu brin gen. Knilling gehört der Fraktion der Bayerischen Volks partei im Landtag an. Da die beiden andern Koalitions parteien keine Einwendungen gegen v. Knilling erhoben, scheint die Kabinettskrise beendet zu sein. Herr v. Knilling war der letzte bayerische Kultusminister vor der Revo lution. Aus In« und Ausland. Berlin. Die litauische Delegation für die dentsch- litauifchen Abrechnungs- und Wirtschaftsvcrhandlungcn ist in Berlin eingetroffen. Hannover. Die Welfenpartei hat den Gedanken einer Abstimmung über ein freies Hannover zurückgestellt bis zu einem Zeitpunkt, an dem die deutschen Interessen es erlauben, eine solche Abstimmung vorzunehmen. . Konstantinopel. Die militärische Räumung Ostthra. ziens ip» vouig vurchgesuyn. Die letzten griechischen Truppen überschritten die Maritza. Warschau. General Haller ist zum Militär diktator für Ostgalizien ernannt worden. Er hat sein Amt, das die ge samte Zivil- und Militärgewalt in seiner Hand vereinigt, bereits angetreten. Melilla. Eine spanische Abteilung wurde in der Nähe der Stellung von Tizzi-Azza plötzlich von einer starken Gruppe von Veni-Uriagel angegriffen. Nach hartnäckigem verlust reichem Kampfe hat sie sich auf ihre rückwärts gelegenen Stellungen znrückziehen müssen. Manila. Der philippinische Senat hat einstimmig eine Entschließung angenommen, in der der Kongreß der Vereinigten Staaten ersucht wird, zu gestalten, daß eine konstituierende Ver sammlung der Philippinen einberufen werde, die über die Bildung einer unabhängigen Philippinischen Re publik zu beschließen hätte. Ein Seuischer.proieft. Die Deutschen verlassen die Internationale Arbeitskonferenz. Gens, 4. November. Die Konferenz schloß unter ziemlicher Erregung, da die deutschen Vertreter vor dem Ende der Tagung in ernsten Worten Verwahrung einlegten gegen die andau ernde Abweisung ihres Verlangens, die deutsche Sprache auf der Konferenz zuzulassen. Im Namen der Deutschen sprach der Arbeitnehmervertreter, Reichsminister a. D. Wissest, indem er erklärte: „Wir werden auf der nächsten Konferenz Mittel und Wege finden, damit es den Vertretern eines Landes nicht mehr im Reisefieber des Auseinandergehens der Versammlung un möglich gemacht wird, Fragen zu besprechen, die im Interesse der Sache liegen. Auch ich weiß nicht, ob ich im nächsten Jahre wieder hier stehen werde, aber das weiß ich und das muß ich erklären, daß ein Gefühl tiefster Erbitterung und tiefsten Schmerzes die Herzen von Millionen Arbeitern erfassen wird, wenn ich ihnen erzählen werde, daß es ihrem Vertreter hier nicht möglich war, ihre Interessen zum Ausdruck zu bringen. Der Präsident der Konferenz hatte mir mittelbar versprochen, daß ich hier zu Worte kommen würde, und das hat die Konferenz unmöglich gemacht; aber auch ein Volk, das so tief gestürzt ist wiedasdeutsche.dasfounsäglich verarmt ist wie wir, hat das Recht, den Kopf hoch zu tragen und den Glauben andie Zukunft nicht zu ver lieren." Diese mit großer Eindringlichkeit und Erregung ge sprochenen Worte lösten einen sichtbar starken Eindruck aus, und ein Teil der Versammlung sowie der Präsident brachen in Beifallsklatschen aus. Wissell kehrte an seinen Platz zurück, um die französische Übersetzung seiner Rede abzuwarteu. Dann erhob sich die gesamte deutsche Abord nung, Arbeitnehmervertreter, Arbeit geber Vertreter, Regierungsvertreter und Beiräte, und verließ geschlossendenSaal. Die vierte Internationale Arbeitskonferenz wurde dann nach mehreren Schlußreden in Abwesenheit der Deutschen geschlossen. Bemerkenswert waren noch die Worte des Präsidenten des Internationalen Arbeitsamts, Albert Thomas, der u. a. sagte: „Haben die Frie- densunierhändler von Versailles vielleicht neuen Wein in alte Schläuche gefüllt? Wir brauchen neue. Ich schließe mit den Worten eines Dichters: Man kann große Dinge nur von denen erwarten, die Tempel der Vergangenheit verbrennen, nm neue zu erbauen." Nah und Fern. O Einstellung des Kraftwagenverkehrs in Sachsen. Die staatlichen Kraftwagenlinien Sachsens stellen den Betrieb ein, da die Unkosten so gewachsen sind, daß für Personen beförderung ein Kilometertarif von über 200 Mark aufge stellt werden müßte. Schon die letzte Erhöhung der Tarife hatte eine so starke Verminderung des Verkehrs ge bracht, daß der Betrieb erhebliche Zuschüsse erforderte. O Rückgabe astronomischer Instrumente. Durch die Ver mittlung des Deutschen Roten Kreuzes wird eine grobe Anzahl sehr wertvoller astronomischer Instrumente, die den Sternwarten in Hamburg-Bergedorf, Potsdam, München usw. gehören, von Odessa nach Deutschland zurückgeführt. Es handelt sich um Instrumente, die mit der deutschen Sonnenfinsternisexpedition kurz vor Ausbruch des Krieges nach der Krim gesandt wurden, und die dann in Odessa geblieben waren. O 15 Mart die Zeitungsnummcr. Im Einzelverkauj .lostet von jetzt ab jede Nummer der größeren Berliner Blätter 15 Mark. Die Preiserhöhung ist eine Folge des wieder außerordentlich erhöhten Papierpreises. O Ein neuer Sieg der Frauenbewegung. In der ost preußischen Gemeinde Kuppen im Kreise Mohrungen ist die Witwe Olschewski als Nachtwächter gewählt und be stätigt worden. Sie ist, wie man versichert, der erste weib liche Nachtwächter in Deutschland. Hoffentlich steht die Witwe Olschewski im Kampf mit etwaigen Einbrechern „ihren Mann"! O Der Fußballspieler als Nobelprejsanwkrter. Der dänische Professor Niels Bohr, der vor Jahren einer der besten Fußballspieler Dänemarks war und an vielen inter nationalen Kämpfen erfolgreich teilgenommen hat, hat, wie man aus Kopenhagen berichtet, große Aussicht, den dies jährigen Nobelpreis für Physik zu bekommen. O Pocken in London. In mehreren Stadtteilen Lon- » dons wird seit einigen Tagen der Ausbruch von Pocken beobachtet. Bisher sind 29 Fälle verzeichnet worden, von denen jedoch keiner tödlich verlief. Es ist bisher nicht ge lungen, dem Ausgangspunkte der Seuche auf die Spur zu kommen. * Berliner Viehmarkt vom 4. November 1922. Auftrieb: 4977 Rinder, 1050 Kälber, 1088 Schafe, 6392 Schweine, 62 Ziegen. Preise: Ochsen 11000-19000, Bullen 10000 bis 16 000, Kühe 7500—19 000, Kälber 13 000—W 000, Schafe, Stall mastschafe 8000—21000, Weidemastschafe 17000—25 000, Schweine 23000—40 000. Marklverlauf: Bei Rindern ruhig, bei Kälbern glatt, bei Schafen in fetter Ware glatt, sonst ruhig, aus gesuchte Rinder und Kälber über Notiz, bei Schweinen langsam bei geringer Kauflust. * Berliner Produktenbörse vom 4. November 1922. (Nicht amtlich.) Weizen 11700—11500, Roggen 10 500-10300, Hafer 11600—11400, Sommergerste 10600 Mark für 50 Kilogramm. Weizenmehl 31 000—33 000, Roggenmehl 26 000—29 000 Mark für 100 Kilogramm. Drahtgepr. Weizen- und Roggenstroh 2900—3000, drahtgepr. Haferstroh 2900—3000, bindfadengepr. Weizen- und Roggenstroh 2800—2900, geb. Roggenlangstroh 2900—3000, loses und gebündeltes Krmnmstroh 2700—2800, Häcksel 3100—.3200, handelsübliches Heu 1550—1650, gutes Heu 1650—1750, Raps 17000—17 500, Rapskuchen 7500—7900, Kokoskuchen 8100—8500, Viktoriaerbsen 19000-21000, kleine Erbsen 18000—19000 Mark für je 50 Kilogramm. Melasss- futter: Torf 4000, Weizenkleie 5900, Biertreber 5900, Treber 5400, Haferschalen 5300, Haferkleie 5000, Strohmehl 4800, Palm kernschrot 6600 Mark für 50 Kiloaramm einschl. Verpackung. Alles ab Verladestation. Nossener Produktenbörse am 3. November 1922. Weizen 10 500 —11000. Roggen 9500 —10 000. Sommergerste 10 000 — 10 500. Wintergerste 9500—10 000. Haser, neu 10 500—11000. Weizenmehl, Kaiserauszug 16 500, 70"/» 16 200. Roggenmehl 75"/» 14 000, 85"/» 13500. Roggenkleie, inländ. 5500. Weizenkleie, grob 5500. Maiskörner 12 000. Maisschrot 12 500. Kartoffeln 500—550. Wiesenheu 1500. Preßstroh 1900. Gebundstroh 1700. (Die Preise gelten für 50 Kilogramm für auf Lager genommene Waren!) — Nossener Wochenmarktbericht vom 3. November 1922. Frische Landbutter '/--Pfund-Stück 300—350 frische Landeier Stück 18—20 Meißner Getreidepreise am 4. November 1922. Weizen 10 800—11200*, Roggen 9600—10 000*, Wintergerste 9600 10 000*, Sommergerste 9800—10 200*, Hafer 10 000 bis 10 800*, Raps, trocken 14 500—11800*, Mais 11 500 bis 11800**, Rotklee 75000—90000**, Trockenfchnitzel 6300**, Kleie 6400**, Kartoffeln 600*. Stimmung: Fest. Eier 35 Butter 350 ab Hof. Die mit * bezeichneten Preise sind Er zeugerpreise, die mit ** Handelspreise. Edith Bürkners Liebe. 29) Roman von Fr. Lehne. „Mutter schläft," teilte Edith u-mn flüsternd mit, „vielleicht habe ich euch unnütz geängstigt; aber ich war so ängstlich geworden und Mutter hatte doch auch nach euch gefragt —" „Es ist gut, daß wir da sind," sagte Thankmar, „ich hatte sowieso genug." Edith hatte es sich lange überlegt, ob sie ihrem Vater und Thankmar von dem Besuche der Mutter bei Hildebrandts etwas sagen sollte, war aber zu dem Ent schluß gekommen, daß dies für alle Fälle besser sei. Deshalb erzählte sie es und meinte, daß wahrscheinlich die dort gehabte große Aufregung der Mutter gescha det habe. „Konntest du denn das nicht verhindern, Edith?" fragte Thankmar, der wie ein gereizter Löwe im Zim mer herumging. „Du weißt doch, wie ich darüber denke." „Ich habe doch von ihrer Absicht nicht das ge ringste gemerkt, Thankmar. Ich war nicht zu Hause, als Mutter fortging, und gesagt hat sie mir nichts; sonst hätte ick sie schon zurückgehalten, dessen kannst du sicher sein! Die Sorge um dich drückt sie fast zu Bo den. Wo nur das Geld zu deinem Studium herneh- men?" „Für das erste Semester wäre gesorgt; das habe ich selbst —" „Wenn Mutter nur sonst noch eine Sicherheit dei netwegen Hütt ! Ich überlegte schon, ob ich es Frau Herbst sage, dir doch soviel Interesse für dich zeigt?" „Laß mich nur machen, Schwesterchen! Ich habe schon daran gedacht, mich wegen des Sootnerstipen- diums an den Oberbürgermeister zu wenden, der dar über zu bestimmen hat. Seine Söhne haben auch den Genuß davon, und warum sollte ich nicht?" „Und ich kann dir auch Geld geben, sobald ich eine Stellckng habe." Er drückte ihre Hand. „Ich weiß, Dita, du guter Mensch —" Edith schlief mit ihrer Mutter in einem Zimmer. Sie hatte eine sehr unruhige Nacht. Die Mutter be kam Herzbeklemmungen und Atemnot, und das junge Mädchen versuchte alles Mögliche, die Angstzustände zu lindern. Geaen Morgen verfiel die Kranke in einen unru higen Schlummer. Zum Aufstehen war sie aber zu schwach. Herr Bürkner war zum Arzt gelaufen, der beim Anblick der Leidenden ein bedenkliches Gefickt machte. „Die größte Schonung und Ruhe, vor allem leine Ausregung — sie mun aoer oocy eme große Aufregung ? gehabt haben?" Fragend sah er das junge Mädchen an. „Ja, Herr Doktor! Sie hatte eine große Aufre gung — ohne unser Wissen, so daß wir sie nicht da- vor hatten bewahren können. Ist Gefahr vorhanden?" Angstvoll fragend ruhten ihre Augen auf dem Ge- i sicht des Arztes, der die Achseln zuckle. „Bei diesem Zustand immer! Also nochmals größte Vorsicht. Ich komme gegen Abend noch einmal mit vor," sagte er, ehe er ging. 11. Es war um die Mittagsstunde, als Thankmar von seinem Gang zurückkehrte, das Herz voller Freude, da seine Bitte ein geneigtes Ohr gefunden hatte. Mit sorgenvollem Gesicht trat ihm Edith entgegen, die Augen vom Weinen gerötet. „Mit der Mutter steht es schlimm," berichtete sie mit leiser Stimme, „sie hat vorhin einen Anfall von noch nicht dagewesener Heftigkeit gehabt. Sie hat schon ein paarmal nach dir gefragt. Vater ist eben wieder zum Arzt gegangen." Der frohe Mut des Jünglings schwand. Flüsternd erzählte Thankmar von der günstigen Aufnahme, die seine Bitte gefunden. „Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen," schloß er, „wäre ich nur schon gestern dort gewesen!" „Ja, wärest du," seufzte die Schwester. „Da wäre uns manches erspart geblieben! Doch nun komm zur Mutter!" Auf den Fußspitzen gehend, betrat Thankmar das Krankenzimmer. Er erschrak heftig über die Veränderung, die seit heute morgen in dem Aussehen seiner Mutter eingetre ten war. Die tief in ihren Höhlen liegenden Augen schauten ihn so unnatürlich groß an, und um den Mund und die Nasenflügel lag ein Zug, der das Gesicht selt sam scharf und verfallen aussehen ließ. Bang, von tiefer Sorge erfaßt, griff er nach der wachsbleichen Hand, die unruhig auf dem Deckbett um herglitt. „Thankmar, mein Junge, wo warst du?" fragte Frau Bürkner leise, und ein Strahl von Liebe brach aus ihren Augen beim Anblick des Sohnes, der so ju- j gendfrisch vor ihr stand. Er setzte sich vorsichtig auf den Rand des Bettes 8 und streichelte zärtlich die Hand der Mutter. Mit er- s zwungen heilerer, sorgloser Stimme sagte er: „Ich war wegen des Sootnerstipendiums — du weißt doch, von dem ich immer sprach — beim Ober bürgermeister. Und denke dir, das ist mir ganz sicher. Nun kann ich Mit frohem Mute in die Zukunft blicken, meine Wege sind geebnet, und ich kann arbeiten, ler nen!' . „Ist vas auch wahr, mem Junge?" Ungläubig schaute ihn die Mutter an, die das Ge- hörte gar nicht fassen konnte. „So gewiß ich hier bei dir bin, Mütterchen," sagte er zuversichtlich, „kannst dich drauf verlaffen! Ich habe nichts auszustehen, wenn ich das Stipendium bekomme! Ich kann Nachhilfestunden geben und werde mich um eine Famulusstelle bemühen." „Und die Hälfte meines Gehaltes soll er auch ha ben. Ich kann doch das Geld gar nicht verbrauchen!' kiel Edith ein. „Ihr meine lieben Kinveri Nun ist aues gm, da ich weitz, daß du studieren kannst, mein Junge!" er widerte Frau Bürkner mit einem glücklichen Ausdruck im Gesicht. „Edith ist ja die Stelle bei Thomas und Wagner so gut wie sicher; in den nächsten Tagen be kommt sie endgültigen Bescheid. Nun kann ich ruhig von hinnen gehen —" „Aber wie kannst du so sprechen, Mütterchen, das darfst du doch nicht! Nein, du sollst dich noch über deinen Herrn Doktorsohn freuen, und mein erster Pa tient bist du! Paß auf, die paar Jahre vergehen schnell; im Nu ist die Zeit hin und bis dahin pflegst und ruhst du dich schön, nicht wahr?" Er redete zärtlich auf sie ein, mit Mühe seine Tränen zurückhaltend. Mit beglücktem Lächeln schloß Frau Bürkner die Augen; sie hörte es ja so gern, wenn ihr großer Junge sprach! Sie war so selig, daß er sein Ziel erreichen konnte. Nun hatte sie keinen Wunsch mehr — sie fühlte, ihre Zeit war abgelaufen, das arme Herz wollte nicht mehr! Der Arzt kam. Er sah, daß seine Kunst hier zu Ende war. Durch eine Kampfereinspritzung regte die Herztätigkeit wie der etwas an. Aber es war doch nur eine kurze Frist, und er bereitete Herrn Bürkner auf das Unvermeidliche vor. In tiefster Erschütterung nahm dieser die nieder schmetternde Kunde entgegen, und die Kinder konnten es nicht fassen, daß sie die geliebte Mutter nun doch verlieren sollten! Sanft schlief Frau Bürkner gegen Abend für im mer ein. Ihre Familie wich in den letzten Stunden nicht mehr von ihrem Lager und in den Augen der sterben den Frau lag so viel Liebe und Trauer, daß alle lies ergriffen waren. — — — Auf Edith ruhte die ganze Last der Besorgungen. Sie nahm dem gebrochenen Vater ab, was sie nur konnte. Sie mußte sich betäuben und sich zwingen, daß über den Schmerz und den Tod der geliebten Mutter nickt der Groll aeaen die Verwandten wuchs.
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