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Wilsdruffer Tageblatt : 30.12.1933
- Erscheinungsdatum
- 1933-12-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- Stadt Wilsdruff
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1782027106-193312301
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1782027106-19331230
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1782027106-19331230
- Sammlungen
- LDP: Bestände des Heimatmuseums der Stadt Wilsdruff und des Archivs der Stadt Wilsdruff
- Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungWilsdruffer Tageblatt
- Jahr1933
- Monat1933-12
- Tag1933-12-30
- Monat1933-12
- Jahr1933
- Titel
- Wilsdruffer Tageblatt : 30.12.1933
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ilSdrufter Tageblatt 4. Blatt Nr. 30K / Sonnabend, den 3Ü. Dez. 1933 Neujahr. Es scheidet nur ein Glockenschlag Vom alten Tag den neuen Tag, Bei mitternächtlichem Geläute Trennt sich das Gestern von dem Heute. Ein Hall, ein Klang — Vorbei! Es war! Und altes Jahr wird neues Jahr, Und bei dem letzten Glockenschwingen Denkt man: Was wird uns dieses bringen? Warum erst lange nachgedacht! Liegt alles doch in Schicksals Macht! Nur daß wir endlich lernen wollen, Wie wir es nicht mehr machen sollen Und dämmert nun die neue Zeit, Sie findet uns zum Glück bereit, Wenn wir nur treu zusammenstehen, Dann wird's schon geh'n, dann muß es gehen. Nichts ficht den wetterfesten Mann, Selbst wenn die Stürme toben, an, Und schlagen noch so hoch die Wellen, Sein Boot wird nicht im Sturm zerschellen. Das ist's, was wir mit ernstem Sinn Uns sagen bei des Jahrs Beginn: Zu aller Nutz, zu aller Frommen Durch Arbeit wieder vorwärtskommen! Was auch der neue Morgen bringt, Zusammenhalten unbedingt, Die einzelnen zu aller Wohle, Das sei des neuen Tags Parole! Es gibt ein unzerreißbar Band: Das deutsche Land, das Vaterland! In Leid und Freud und jeden Falles: Die Heimat, Deutschland über alles! So wünschen wir denn frei und froh, Es wäre so, es käme so! Glückauf! Es wird auf deutscher Erde.. Ein herrlich neuer Frühling werden! Nun nehmt zur Hand das volle Glas Und trinkt euch's zu und wünscht euch das, Schafft für das Volkswohl treu und fleißig — Prost Neujahr! Sieg-Heil Vierunddreißig! Lahresschluß. Röm. 11, 36: „Läßt uns dem Herrn danken. Denn von ihm und durch ihn und zu chm sind alle Dinges Las Jahr geht still zu Ende. Es ist ein schicksalreiches Jahr für uns Deutsche gewesen. Denn es hat uns die entscheidende Wendung gebracht. Zum erstenmal können wir zurückblicken mit dem Bewußtsein: es ist nicht mehr dauernd bergab gegangen, sondern es geht bergauf; es hat nicht mehr Zerfall und Zerstörung äußerer und innerster Werre, sondern Aufbau und Neuschöpfung ge bracht. Gewiß ist dieses Herumwerfen nicht ohne Er schütterungen und schwere, schmerzende Stöße möglich ge wesen. Aber wer will darüber klagen beim Rückblick auf das Große, das geschehen ist! Endlich sind wir wieder ein einiges Volk, wie wir es im August 1914 zum letztenmal gewesen sind. Einig auch im Werk der helfen den Liebe im Kampf gegen die Not und Kälte. Dafür wollen wir Gott danken. Denn von ihm und durch ihn sind auch diese Dinge. Auch zu ihm? Das ist in unsere Hände gegeben als Verantwortung. So gesellt sich zu dem Dank auch die Bitte: Herr, der du uns gesegnet hast und segnen willst, laß uns alles zum Besten dienen! Haben neben diesem Rückblick aus das gewaltige Ge schehen der letzten Zeit auch unsere Einzelschicksale noch ihr Recht der Rückschau? Ja, ganz gewiß. Vor Gott gibt es nicht groß und klein, er mißt nicht nach dem Um fang. Er ist nicht bloß unser Gott, er ist auch mein Gott, dein Gott und Vater. Auch was uns und unseren Lieben im alten Jahr widerfahren ist an Freude und Leid, auch davon heißt es: von ihm und zu ihm und durch ihn sind alle Dinge. Das ist ein erschreckend ernstes Wort im Blick auf erfahrenes Leid: von Gott? Aber es ist ein wahrhaft stärkendes Wort gerade im Leid: ist es von Gott, so ist es nicht sinnlos, sondern mit den Gedanken des Friedens uns gesandt; so ist es nicht zur Zerstörung, sondern zum Segen bestimmt: zum Aufbau! So blicken wir zurück ins alte Jahr: Ich danke dir, mein Gott, für alles! W'Mt zur MeMnk M Bon Affchard Euringer. Die privateren Schauer im Anblick der ungewohnten Jahrzahl, da wir zum ersten Mal sie erblicken, stehen nicht zur Erörterung. Cs mag dies Jahr unser Todesjahr sein, es mag dies Jahr an Schlägen und Segen auf uSser Haupt und unser Haus das Unerforschliche bereiten: dies steht nicht zur Er örterung. Was aber sehen wir für unser Volk an Verpflichtung vorgezeichnet? In vielem eines: das, was das scheidende Jahr begann, kraftvoll und reinlichst fortzuführen. Alle Sorge, alle Tatkraft will den Sieg der Revolution sichern, dertotalen Revolution. Es möchten zu viele sich leicht bescheiden. Es möchten zu viele müde werden oder zufrieden am Erreichten. Wir aber hungern und dürsten noch. Wir hungern mit den Hungernden und dürsten mit den Dürstenden. Wir hungern mit den Ob dachlosen, dürsten mit den Arbeitslosen. Nicht als ob wir zweifeln könnten, daß der gottgesandte Führer das Ueber- menschliche ermöglicht; aber tief erfüllt vom Wissen, daß ein Volk vom Brot allein auch dann nicht satt wird, wenn es Brot hat. Tief erfüllt von diesem Wissen, daß wir ausersehen sind, in der Sattheit vieler Völker unruhvoll vor Gott zu bleiben. Äciit Zurück ins Bürgerliche emsiger Geschäftigkeit, kein Zu rück in das Behagen eines Aufbaus an Erwerb und Sicher heiten bringt uns vorwärts um ein Jahr. Kein Zurück in Las Idyll des privaten Selbstgenusses lost uns je aus der Ver pflichtung. Ungeheuer war der Anlauf. Nun liegt es nicht den Bürgern ob, zu bestimmen, ob genug sei, was die Kämpfen- den, erkämpften. Dieses^aufgewühlte Boll, dem L« Führer Nicht, ehe es sie. erreicht sieht. Die deutsche Sehnsucht nach dem Reich läßt nicht deuteln an den Siegen, die noch nicht erfochten sind. Kein gesättigtes Interesse, kein Ehrgeiz, der sein Ziel erreicht hat, könnte je dem Volke ge nug tun. Es will Brot. Doch nicht nur Brot. Die Ge- rechtigkeit des Ganzen sucht es, die der Führer wahrwill. Dürstend nach Gerechtigkeit, glaubt das Volk an Gerechtigkeit, weil es an seinen Führer glaubt. Gerechtigkeit, wie vor der Welt, so vor allen deutschen Dingen, fordert Deutschland votz sich selbst. Dann zerbreche, was zerbricht, stürze, was noch stürzen muß! Der neue Glaube an den Ausgleich äk-cht nicht Halt vor Interessen. Rein und sauber wie der Staat will die deutsche Wirtschaft sein. Rein und sauber wie die Wirtschaft will das deutsche Leben sein. Für Profitier ist kein Platz mehr. Für Perfide ist kein Raum mehr. Für Eigensüchtlinge und Streber und kleine Tyrannen ist nicht Raum mehr. Für Doppel züngige und Getarnte, für Bierbankpropheten und Ohren bläser ist kein Platz mehr. Wir lassen uns den großen Aufbruch nicht zerdeuteln von Doktoren, nicht vermiesen von Aestheten, nicht „regulieren" von Konzernen, nicht von Schiebern „kontrollieren". Das sanfte Säuseln schöner Geister tut dem Volke nicht genug. Der Ruhm und Glanz der „Prominenten" tut dem Volke nicht ge nug. Das Geschäft der „Nationalen" tut dem Volke nicht genug. Völkisch werden will das Volk, seit es seinen Führer lieb hat. So wie er will Deutschland werden. So ist alles echte Volk. Die Gerechtigkeit des Ganzen ist die Sehnsucht der Nation: aller echten Sozialisten. Sie opfern — gerne — für das Ganze. Aber ungern für ein Bruchteil, das dem Ganzen nicht zugut kommt, was es sich auch selbst zugut tut. Nicht die Leistung von Privaten, die das Volk noch yeure MM tum^ert, kiwm die Revolution, nein, das Opfer für die Ganzheit. Das Soziale, sagen sie, das verstehe sich oon selbst. Es verstand sich nicht von selbst. Einst haben wir es fast ge meint, heimkehrend vom Opferted . r Millionen von Gefalle nen. Heute wissen wir, ein Sozialismus muß die Egoisten zügeln, sonst regieren Asoziale. Das Nationale, lagen sic, das verstehe sich von selbst. Einst haben wir es fast gemeint, aufbrechend zum Opferlod der Millionen Todberei.er. Heut wissen wir, ein Nationa lismus muß die Weltverbrüderer zügeln, sonst manschen Internationale Volk um Volk in ihren Brei. Revolution, so sagen sie, die verstehe sich von selbst. Einst haben wir es fast gemeint, eingekapselt in die Verteidi gung unserer Sehnsüchte und Träume. Heute wissen wir, daß Träumer noch nicht Revolutionäre völkischer Erhebung sind. Nicht mit Kleister und Papier, mit Gedichten und Ro manen und Tragödien allein wird ein Volk emporgerissen, sondern auch durch Mannestat. Nicht die „Stillen" »ur „im Lande", die Geräusch und „Zeit" verachten, machen Revolution, sondern doch Wohl auch die Männer, die nicht ekelt vor den „Massen" und den Faustkämpsen des Geistes. Lassen wir uns nicht beschwichtigen! Halten wir uns an den Anspruch unseres Führers, ein Jahrhundert zu erfüllen, eine Welt, mit unserm Atem! Unerreichbar weit gesteckt hat der Führer seinen Plan. Langer Atem will am Werk sein! Für zu zeugende Geschlechter setzte er uns in Bewegung. Und Bewegung steht nicht still, sondern sie bricht Bahn und Weg. Dieser Aufbruch will ein Marsch sein in Jahrhundert um Jahrhundert. Was erreicht ist, wird Etappe; vor uns, fernes ruft das Ziel. 1934. Dieses Jahr wie jedes Jahr wird ei« Markstein sein t.m Weae. HilMdr siir M Mischen SM. Der Neichssportführer hat unter dem 25. Oktober einen „Hilfsfonds für den Deutschen Sport" errichtet in der Hoff nung, daß alle diejenigen, die bisher in hochherziger Weiss den deutschen Turn- und Sportverbänden Mittel zur Ver fügung stellten, in vielleicht noch verstärktem Maße den neuen Hilsssonds zum Ziel ihrer Gebfreudigkeit machen werden. Um die Leistungsfähigkeit des Hilfsfonds weiter zu stärken, ist wei ter angeordnet worden: Bei allen gegen Eintrittsgeld besuchten Veranstaltungen der Turn- und Sportvereine wird von jedem Besucher eine zusätzliche Abgabe, die ungefähr des Eintrittsgeldes aus machen soll, erhoben, der sogenannte „Sportgrvschen". Wie weiter unten noch erklärt wird, handelt es sich hier jedoch nicht um eine einfache Spende, sondern eine Art „Kapitalsan lage".-Die dem „Hilfsfonds für den Deutschen Sport" zuflis- szcnden Sportgroschen kommen ausschließlich der deutschen Sport- und Turnbewegung zugute, so z. B. bei der Einrichtung von Trainingskursen für die Vorbereitung zu den Olympischen Spielen. Aus Sportgroschen wird eine Hilfskasse eingerichtet, die bei schweren Unfällen helfend einspringt; aus SporL- groschen wird eine einheitliche Haftpflichtversicherung finan ziert, die, besonders bei Wettkämpfen, Vereine, Verbände und Lehrer von der ihnen bisher obliegenden Sorge und Verant wortung befreien soll. Sportgrvschen werden überall dort hel fend eingreifen, wo infolge der uneigennützigen Betätigung für unsere Ziele, ohne eigene Schuld des Betroffenen, Not ent standen ist; Sportgrvschen für den deutschen Sport überall dort, wo sie wirklich gebraucht werden! Der Sportgrvschen ist aber, wie schon bemerkt, auch eine Kapitalsanlage: Die Be sucher von Veranstaltungen erhalten für jeden gezahlten Sport- das Herz. Karl Lassen die Kammertür auf. Sind das noch immer tanzende Kreise vom überhellen Schneelicht vor den Augen, oder flackert dort wirklich ein Feuer im Herd? — Er wischt sich mit der Hand über die Stirne. Und dort, mit dem Rücken ihm zugewendet, — steht dort nicht eine Frau am Herd, schmal, von wohlbekannter Gestalt und wie erstarrt mitten m einem aelcbäftiaen Griff nach dem Teegeschirr?, — Schläft lärmend die Wende des Jahres anzuzeigen. Der Morgen ist herrlich wie am Anfang aller Zeiten. Fluten vielfach widergespiegelten Lichtes stoßen herein, als Lassen das Fenster öffnet. Der Atem dampft ihm silbern vom Mund. Alle Grate draußen tragen flimmernde Licht säume und blenden ihn. Man muß die Augen schließen. Der erquickende Frost reinigt den verschlafenen Kopf und das Herz. Ein wemg trunken von diesem Morgen klinkt Karl Lassen die Kammertür auf. Sind das noch immer tanzende Kreise vom überhellen Schneelicht vor den Augen, er noch, und ist dies alles immer'noch der Traum, der ihrt vier Jahre lang bedrängte? Dann sinken Karl Lassen die Hände langsam und schlaff herab; so lehnt er am Türpfosten. Und Ellen dort am Herd, die sich nach seinem Anruf sehnt, wagt nicht, sich umzuwenden. Mitten zwischen ihnen scheint in der Dämmerung des Raumes die Ewigkeit stillzustehen, zagend, ob sie Glück oder Unglück werden soll. Da kann es Karl Lassen nicht mehr ertragen: Hastig drückt er die Tür auf und läuft in den Morgen hinaus. Ellen läßt den Kopf sinken. Dann deckt sie den Tisch; jede ihrer Bewegungen ist aufgestaut und verzögert durch eine Welle von Angst und Scham. Sie weiß nichts Besseres zu tun: Sie nimmt zwei der geblümten Tassen vom Wandbrett, zwei Teller, spült sie und setzt sie trocken gerieben auf den Tisch. Dann holt sie das Brot hervor, die Butter und den Kuchen. Den muß sie nun zerteilen; aber das Messer wird ihr zu schwer: Karl ist zurückgekommen! Ob — er sich nicht setzen wolle? — Wie viel Kraft das armselige Wort kostet! Ihre Hände sind nicht ganz sicher, als sie ihm Tee eingießt. Dann wartet sie stehend binter der bäuerisch bemalten Stuhl« lehne, die ihr als Stütze oient. Wie eine Magd steht sie dort, gewärtig, daß man sie gehen heißt. Als ihr Karl die ver- krampften Fmger davon löst, stöhnt sie leise aus, so, als empfinde sie große Schmerzen dabei. Das verbietet ihm, die Arme um sie zu schließen. Haltsuchend irren seine Augen von ihrer Gestalt, die von tiefer Erregung geschüttelt wird, zum Tisch zurück. Da steht noch immer der Festtagskuchen unzerteilt. Eindringlich betrachtet er ihn. Seine Form und fein Duft sind ihm so bekannt. Schon als Kind hat er Kuchen von genau derselben Art am Neujahrsmoraen gegessen. „Hat Dir die Mutter diesen Kuchen mitgegeben?" — Ja, sagt sie leise, sie sei bei ihr gewesen. Langes Schweigen lastet wieder zwischen ihnen, während seine Augen auf dem Scheitel seiner Frau ruben, der tief nach vorne gesenkt ist. Dann zerschneidet er den Kuchen mit entschlossener Feierlichkeit und reicht ein Stück des duftenden Gebäcks auf ihren Teller hinüber. Sie wagt noch nicht, es anzurühren. Ehe sie das tun darf, mutz sie noch etwas sagen. Karl Lassen schießt es heiß zum Herzen; Er müsse ihr dies Wort, um das sie sich so fürchterlich quält» ersparen. Aber er ist zu langsam, zu schwerfällig. „Ich wollte nur, ich Da ist es zuviel für ihre Kraft... Sie sind nun nicht mehr ganz so jung wie vor vier Jahren. Jetzt zum Beispiel weiß der Mann keine andre Zärtlichkeit, als seiner Frau die Hand über den Tisch ent gegen zu reichen; und sie ist noch zu scheu, um ihr Gesicht hineinzulegen. Dann essen sie zusammen von dem Kuchen der Mutter. Ja, das tun sie mit Eifer und feierlicher Wichtig keit. Ellens Mund zittert freilich immer noch ein wenig, wenn sie ein Stückchen davon zwischen die Lippen führt. Aber als sie dann nebeneinander zu Tal fahren, rst es doch, als stürzten sie gemeinsam in dre Unendlichkeit eines einzigen, unfaßbar reinen Lichtes. Meck in cker Kette cker Zeit SkiM von Ernst Flessa. Die Arme hinter dem Kopf verschränkt lag Karl Lasse, einsam in der Kammer der verschneiten Skrhütte. Draußer flimmerte die Helle der frostklaren Neujahrsnacht. Ein wenh davon filterten die wunderlich geformten Eisblumen auf den niedrigen Fenster zu dem Wachenden herein. Das verzaubern die unruhigen Gedanken, die ihm trotz der Müdigkeit ft den Gliedern den Schlaf vorenthielten. Cs war verfehlt, dii Stätte einer einst köstlichen Vergangenheit aufzusuchen. Dn Mutter hatte ihn gebeten, den letzten Abend des Jahres be ihr zu verbringen, ach, sie tat immer noch ein wenig freudij und geheimnisvoll, wenn sich ein Jahr wendete. War es viel leicht ihr hohes Alter, daß sie sich wieder so gut darauf vev stand, stille Feste zu feiern? — Jetzt tat es ihm leid, das er ihren schüchtern vorgebrachten Wunsch nicht erfüllt hatte Vielleicht hätte ihm ihre abgeklärte Heiterkeit, vor der ei sich manchmal ein wenig schämte, über die Einsamkeit diese! Abends hinweggeholfen, in die er sich nun durch seine Eigew Willigkeit nur um so tiefer verfangen hat. Und von Elle, hätte sie bestimmt nicht gesprochen; gewiß nicht. Dazu WM sie viel zu fein. Wahrscheinlich hätte sie ihm Punsch vov gesetzt, der nach einem alten Familienrezept gebraut war „Ja, Mutter; so ist das nun..." — „Ich finde, Du siehf prächtig aus; Du mußt ein Geheimnis besitzen, das Dir hilf! die Zeit umzukehreu!" — Er kannte diese tröstlich einsilbige« Festtagsgespräche, bei denen einem so warm werden kann Vielleicht wäre noch von seinen Plänen die Rede geweser und von seinen Arbeiten. Die Rücksicht auf die Mutter ent schuldigte dann die kleine Unehrlichkeit, mit der man du Wichtigkeit dieser Dinge übertrieb. Unter dem Vordach draußen staken seine Skier im Schnee Zwei blaue Streifen, ihre Schatten, rückten im Mondlicht uw endlich langsam über die Fensterbreite. In ihrer Schneespul bis hier herauf liefen ihm nun die schweren Gedanken nach Wie gut und sicher sie ihren Weg fanden! „Vor vier Jahren^ mahnten sie unablässig. Oder war es erst gestern? — Nur gut, vor vier Jahren hatte er den Silversterabend mit Eller hier oben verbracht, und die festliche Pracht ihrer junger Ehe verzauberte diese Stunden in der einsamen Bergwelt zr Toren ernes unabsehbaren, glücklichen Weges. Ellen war ers! neunzehn Jahre alt, als er sie damals heiratete. Warum hatte er erst jetzt Zeit gefunden, so lange darüber nachzw denken? — Wie, die Schattenbänder der Skier hatten schor den jenseitigen Fensterrand erreicht? Schlafen! Und morgen in klarer, kalter Tageshelle einen neuen, weiten Weg versuchen! Und doch, es ist so schwer, über den einfältigen Äurchen- glauben Herr zu werden, der in verlockenden W-lle?. immer wieder heranflutet: Es könnte die Tür aufgehcw, und Ellen käme zu ihm zurück. Wie unselig jung war "sic in das Aben teuer mit dem fremden Mann hm InE^'nuelt! War es denn so unüberwindlich weit bis zu der Erkenntnis, daß eS damals an ihm lag, sie zu halten, zu stützen, anstatt sie in schroffer Selbstsucht und voller Wüten über die ihm wider fahrene Kränkung beleidigt preiszugeben? Es hätte damals vielleicht genügt, ihr die Hand zu bieten: ihre Liebe wäre gerettet gewesen. Welche Möglichkeit, ihre Liebe durch solch schmerzliche Probe zu vertiefen! Muß man vier Jahre elend sein, um einzusehen, daß sie solcher Selbstüberwindung wert war? — Lange schon war der Mond über den Schneegipfeln weitergewanoert; längst schon leuchtete das Fenster wieder schattenlos, als Karl Lassen späten Schlaf fand. Einmal glaubte er zu vernehmen, daß draußen jemand die Türe ge öffnet hatte und sich in der Kammer nebenan zur Ruhe be gab. Vermutlich war es nur wieder das unwahrscheinlichste aller Märchen, das ihm auch noch in den Traum gefolgt war; und kam wirklich jemand, so brauchte man seinethalben den lang gesuchten Schlaf nicht ein zweites Mal zu verscheuchen. Die Hütte gehörte einem Sportklub, nicht ihm allein. Viel leicht kam ein verspäteter, einsamer Gast gleich ihm herauf, der rücksichtsvoll genug war, ihn nicht mit seiner Ankunft und mit der vermeintlichen Verpflichtung zu behelligen, ihm
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