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Erzgebirgischer Volksfreund : 03.01.1926
- Erscheinungsdatum
- 1926-01-03
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1735709689-192601031
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1735709689-19260103
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1735709689-19260103
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungErzgebirgischer Volksfreund
- Jahr1926
- Monat1926-01
- Tag1926-01-03
- Monat1926-01
- Jahr1926
- Titel
- Erzgebirgischer Volksfreund : 03.01.1926
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Nr. t. S. Sanuar 1S26. Grzgebirgifcher Dolkssreun- Verlag L. M. Gärtner, Aue. 2. Beiblatt. Oerlttche Angelegenheiten. Januar. Unter Glockenklang und Iubelschvei, — . und heilswünschen ist man ins neue Jahr eingezogcn. ,^.u frohes neues Jahr! Ein glückliches Neujahr! Prosit Neujahr!" so schallts wohl auch noch in den ersten Tagen. Noch sichen wir ju Anfang Januar im Bann der schicksalsvoichen „heiligen zwölf Nächte" oder der „Zwölften", die vom 24. Dezember bis »um 6. Januar reichen, und abergläubische Genriiter haben ein Auge auf Sonne und Wetter. Denn nach alten Sprächen sind Sonnenschein und Wetterstand in dies«: Tagen vorbedeutend fllr das ganze Jahr. Scheint die Sonne am Neujahrstage, so gibt es eine gute Viehweide, hingegen aber Teuerung an Korir und Wein. Anr 2. Januar kündet sie viel Fische und wilde Bögel, am 3. bedeutet der Sonnenschein den Kaufleuten glückliche Handelsschaften, am 4. zeigt die Sonne gefährliche kewitter an, und scheint sie mir 6. Januar, so bringt das Jahr Krieg und Blutvergießen. Wenigstens weiß ein alter Kalen der solches zu melden. Wie das Wetter in diesen Tagen sich »erhält, so wird cs in den folgenden Monaten sein, mrd zwar kr der Art, daß immer sechs Stunden die Witterung des vier ten Monats anzeigen. Die Wetterpropheten, die ihre Wissenschaft aus diesen ivauerneregeln ziehen, finden also hierin bereits die erste frohe Hoffnung auf den kommeirden Frühling. Diese Hoffnung wird gestärkt und genährt durch die Wahrnehmung, »aß um das letzte Drittel des Januar die ersten Anfänge neuen Lebens in der Natur sich regen. „Fabian Sebastian läßt den Saft in die Bäume gähn", so lautet anr 20. Januar die Losung. Sebastian ist auch der Schirmer und Patron der Schützengilde, die sich nach ihm auch Bruderschaft des heiligen Sebastian in katholischen Gegenden nennt, und sämtliche Schützen oder Sankt-Sebastians-Brüder feiern das Fest ihres Schutzpatrons, dessen Bildnis sie ans ihren Fahnen führen. Liner der Hauptwettertage als der erste Tag der Hoffnung auf den kommenden Lenz ist seit alter Zeit der 25. Januar, im Kalender „Paulibekehrung" genannt. Vielleicht wurde air ihm in alter Zeit ein Volksfest zu Ehren einer Frühlings gottheit gefeiert, denn in Ost- und Westgreußen gilt er noch hier und dort als heilig, und jegliche Haus- und Feldarbeit ist verpönt. Die erwartete Hoffnung auf wärmere Zeit drückt in vielen Gegenden Deutschlands den Volksspruch aus: „Pauli Bekehr kommt der Storch wieder her." Die Gänse beginnen sich zu paaren: „Pauli Bekehr Gans gib dein Ei her." Mit Pauli Bekehrung wächst die Pflanze fest im Erdreich, die Saat beginnt sich zu bestocke:,. Die Wurzeln empfangen reichlichere Nahrung aus dem Erdboden. So hat denn mit dem Ende Les Januar der Winter seine Hauptkraft verloren und er tritt all mählich seinen Rückzug an. * Der Kimmel im Januar. Die Sonne erhebt sich im Januar zwar zunächst nur langsam wieder zum Himmelsäquator, sie betritt am 20. das Zeichen des Wassermannes, aber die günstige Verteilung der „Zeitgleichung" läßt uns das Längerwerdcn der Tage durch Verspätung des Sonnenunterganges besonders deutlich em pfinden. Wir bemerken, daß der Sonnenaufgang sich nur etwa um eine halbe Stunde, dagegen der Sonnenuntergang um über dreiviertel Stunden verschiebt. Am 14. Januar er- eignet sich eine vollständige Sonnenfinsternis, die aber bei uns nicht sichtbar ist. Der Fixsternhimmel enthält das schönste aller Sternbilder, den Orion. Die VerbiiGungslinie der drei GUrtelsterne nach Südosten führt auf den hellsten Stern des Himmels, auf Sirius. Das östlich vom Orion stehende Einhorn fällt zunächst nicht auf. Leicht einzuprägen ist dagegen der rote Hauptstern des Stieres, in dessen Nähe der Mond mn 24. steht, die Zwillinge Castor und Pollux und der Fuhrmann mit dem Hellen Hauptstern Ca pella. Der Mond zeigt uns zu Jahresanfang seine noch fast voll beleuchtete Scheibe, am 7. haben wir letztes Viertel, am 14. Neumond, am 20. erstes Viertel und schließlich am 28. Vollmond. Die Zusammenkünfte des Mondes mit den Großen Planeten ereignen sich mr folgenden Tagen: Mit Saturn am 10., mit Mars am 11., mit Merkur am 12., mit Jupiter am 14. und mit Venus am 16. Venus strahlt zwar zu Anfang des Jahres noch über drei Stunden als Abendstcrn, doch nimmt die Dauer ihrer Sichtbarkeit schnell ab. Am 7. erreicht sie ihren größten Glanz. Ende des Monats kann sie infolge ihrer hohen nörd lichen Breite trotz Sonnennähe noch unerwartet lange ver folgt werden. Jupiter verschwindet allmählich in der Abenddämmerung. Am 26. wird er von der Sonne eingeholt. Am Morgenhimmel ist Saturn im Sternbild der Wage und Mars im Skorpion und Schlangenträger zu sehen. Merkur, zunächst im Schlangenträger und Schützen, ver schwindet Mitte des Monats in der Morgendämmerung. * Die Jagd im Januar. Nach dem neuen sächsischen Jagdgesetz ist im Monat Januar die Jagd noch offen auf männliches und weibliches Not- und Damwild und dessen Kälber, auf männliches Muffelwild, auf Marder, Biber, Dachse und Wildkatzen, sowie auf Fasanenhähne, Wald schnepfen, Bekassinen, Wildenten und alle sonstigen jagdbaren Bach-, Wasser- und Sumpfvögel und auf alle Tagcsraubvögel mit Ausnahme der Habichte und Sperber. Die Hasenjagd ist noch offen bis 15. Januar. Außerdem sind immer jagdbar, weil sic kxinen Jagdschutz genießen, das Schwarzwild, die Wildkaninchen, die Fischottern, Füchse, Iltisse, Eichhörnchen, Wiesel, ferner die Wildschweine, Wildgänse. Kormorans, Säger, Habichte, Sperber, Würger. Krähen, Naben, Dohlen, Elstern, Häher rind Wildtauben. Dagegen dürfen in Sachsen bis auf weiteres überhaupt nicht geschossen werden: die Auer-, Birk- und Haselhennen, die Trappen, Kiebitze, Wachtelkönige und Ziemer, sowie die Uhus, die Turm- und die Wanderfalken. Breitenbrunn, 2. Jan. Am 11. Dezember war, wie im E. V. mitgeteilt, einem Einwohner in Halbemeile aus seiner im ersten Stock gelegenen Schlafstube ein größerer Geldbetrag gestohlen worden. Jetzt konnte der Dieb in Buchholz festgenom- mcn werden. Er stammt aus der Tschechoslowakei und ist be reits mehrere Male wegen Diebstahls vorbestraft. * * * Oederan. Aus noch unaufgeklärter Ursache explo dierte in der Chcmnischen Bleicherei von Max Schuster ein Kochkessel. Durch den ungeheuren Druck wurde ein Teil des Fabrikdaches zertrümmert; sämtliche Fenster Les betref fenden Raumes zersprangen. Menschen sind nicht zu Schicken gekommen. " Leipzig. Der elfjährige Waisenknabe Kruschwitz aus Leipzig stürzte auf der Strecke Torgau—Eilenburg aus dem fahrenden Zuge. Mit schweren Kopf- und Beinverletzungen wurde der Knabe in ein Krankeichaus gebracht. Er hatte sich gegen eine Tür gelehnt, die plötzlich aufging. Kirchen-Nachrichten für Sonntag nach Neujahr, den 3. Januar 1926. (Fortsetzm^z ans der Freitag-Nummer.) Aue-St. N'rolai. Sonntag n. Neujahr, 3. 1., norm. 9 Uhr: Predigt gottcsdienst (1. Petri 4,12—19): L. 11 Uhr: Kindergottcsdicnst M Oc. Stachln. 142 Uhr: Ingcudgottcsdienst 1. Bezirk: L. Abend» >48 Uhr: Jungfrau cnvcrcln. 8 Uhr: Iungmännerverein: Lichtbild- nbend: Reineke Fuchs. — Montag, abends 7 Uhr: Weihnachtsabend des Kindcrgottesdienst A im Schützcnhanssaale. — Dienstag, abends 8 Uhr: Iungmännerverein: Bibelbesprcchstunde. 8 Uhr: Taboavevsm. — Mittwoch, ü. 1., Epiphamasfost: Kollekte f. d. Aeußere Mission. Vorm. 9 Uhr: Fcstgottcsdienst (Jes. 6V, 1—6): Oe. Abends 8 Uhr: Pfadfinderstunde. — Donnerstag, abends 8 Uhr: Frauenabend des Fraueuvcrems: Weihnachtsabend. Vortrag von Frau Pfr. Stange, Dresden. 8 Uhr: Lhvistl. Verein junger Männer. In der Schule zu Auerham m e r abends 8 Uhr: Bibelstunde: H. — Freitag, abends 8 Uhr: Vorbereitung für Kinberg B.: L. 8 Uhr: Männer verein: Lol. 3, 23. Nöm. 12, 1—8. Mfsion, daheim und draußen, ein Glanz vom Epiphanicnstern. — Sonnabend, abends 6 Uhr: Schülcr-Bibelkreis. Grünhain. Vorm. 9 Uhr: Gottesdienst. — Mittwoch, 6. Januar, Er» scheinnngsfest. Vorm. 9 Uhr: Gottesdienst. Die nächste Biüelstund« (und Konfirmandenstunde) findet Mittwoch in 8 Tagen, also am 13. Januar statt, der nächste Iungfrauenvcrein am 14. Januar. Oberpfannenstiel. Vonn. 9 Uhr: Lesogottesdienst. — Mittwoch, 6. 1., Erschein-ungsfest, vorm. 9 Uhr: Lesogottesdienst; bei bemale Kantor Brause. Lauter. Vorm. 9 Uhr: Hauptgottcsdienst m. Predigt: Schmidt. 11 Uhr: Kinbcrgottcsdicnst: Patzki. Abends 8 Uhr: Jünglingsvevein. — Montag u. Dienstag, abends 8 Uhr: Versammlung ües Jnngfrauen- vereins. — Mittwoch, den 6. Ian., Epiph.-Fest, vorm. 9 Uhr: Hauptgottcsdienst mit Festprcdigt: Patzki. Kollekte für Aeußere Mission. Abends 8 Uhr: Abcndgottcsdienst mit anschließender hl. Abcndmahlsscier: Schmidt. — Donnerstag, 7. 1., abends 8 Uhr: Bibclkrois. — Freitag, 8. Ian., abends 8)4 Uhr: Docke veitungs- stunde für die Kindergottesdiensthelferschaft. — Sonnabend, 9. 1., abends 6 Uhr: Uebungsstundc des Posaunenmissionschors im Jugendheim. Schönheide. Vorm. 9 Uhr: Predigtgottcsbienst: Pfr. Wagner-Eiben stock. Nach dem Gottesdienst Beichte u. heil. Abendmahl: Pfr. Männ chen. Iungfrauenvcrein: Montag, den 4. Ian., abends 148 Uhr: Versammlung. — Mittwoch, 6. Ian., Erscheinungsfcst, abends 7 Uhr: Prodigtgottesdicnst, anschl. Beichte u. heil. Abendmahl: Pfr. Männchen. Nach dem Gottesdienst Sammlung für die Aeußere Mission. Methodistenkirche, Evang. Freikirche, Schwarzenberg. Sonntag, vorm. 9 Uhr: Gottesdienst, Pred. Dietze; 1-411 Uhr: Sonntagsschule; abends 7 Uhr: Hauptgottesdienst, Pred. Dietze. — Mittwoch, abends 8)4 Uhr: Bibel- nnd Gebetstunde. Jedermann herzlich willkommen. Mcthodistenkirchc, Evang. Freikirche, Antonsthai. Sonntag, vorm. 1-10 Uhr: Gottesdienst; nachm. >43 Uhr: Hauptgottesdienst. Jeder mann ist herzlich willkommen. Advcntgenicinde Schneeberg, Stickerei-Fachschule, Ringstraße. Sonn abend vorm. 9—11 Uhr: Gottesdienst. — Sonntag abend 6 Uhr: Vortrag. Zeder willkommen. Aaytistcngemeinde Schneeberg, Mühlberg 631 b. Vorm. 9 Uhr: Bibel- stunde. >411 Uhr: Sonntagsschule. Nachm. 4 Uhr: Predigtgottes- dicnst. Jedermann herzlich willkommen. Die da frei find. Roman von Henriette von Meerheimb. Nackchruck verboten. (39. Fortsetzung.) Mir scheint, der Schlüssel zu der geheimen Macht, mit Ler der Doktor alle regiert, ist Lie Arbeit, zu Ler er sie ermuntert, indem er irgendein Interesse bei ihnen weckt. Auch ich bin den ganzen Tag beschäftigt. Trotzdem könnte ich mich für eine Stunde losmachen und dich besuchen, liebste Käthe, obgleich es von der Artilleriestraße bis zu Eurer Gartenwohnung in der Uhlandstraße ein entsetzliches Ende ist — aber ich fürchte mich vor dem Besuch bei Euch. All der alte Jammer um mein ver lorenes Glück rüttelt wieder an meinen: Herzen, wenn ich nur an Deinen kleinen Salon mit den vielen Bildern, Decken, Blumen, Tassen in der Kommode und Kleidern in der Kiste denke . . . Du schreibst zwar: „Du triffst Henri sicher nicht bei mir. Er ist in Rom und ich weiß gar nicht, wann er zurückkommt." Aber ich fürchte nicht nur ein Zusammentreffen, ich fürchte so gar ein Erinnern; ein Aufreißen alter Wunden. Schon mei nes Vaters wegen. Sein Gesicht verfinstert sich, wenn ich nur von Weimar oder der Vergangenheit überhaupt anfange. Das sind alles wunde oder tote Punkte zwischen uns. Ich wollte unser Haus zum Verkauf oder Vermieten annonzieren, aber der Doktor riet ab. „Erhalten Sie sich dieses kleine Paradies. Vielleicht kön nen wir drei, Ihr Vater, Sie und ich, diesen Sommer einige Wochen dort znbringen." In seinen Augen lag ein weicher, bittender Blick. Ich weiß, was diese harten, stahlblauen Augen von mir erbitten, und will es doch nicht wissen. Einige Tage später. Ich wollte den Brief, der fast zum Buche geworden ist, abschicken, aber ich kam nicht dazu. Tagelang hat er unvoll, endet auf ineinem Schreibtisch gelegen. Heute füg« ich noch die letzten schmerzlichen Ereignisse hinzu. Am Nachmittag wurde ich zu meinem Vater gerufen, dessen Befinden sich in letzter Zeit verschlechtert hatte. Er saß, mit Kissen gestützt, in seinem Bett. Eine merkwürdige Veränderung war mit ihm vorgegangen. Sein Gesicht sah verfallen und wachsgelb aus. Als er meinen Schritt hörte, wandte er den Kopf, mit dem mir so wohlbekannten, horchenden Ausdruck, zur Seite. Der Schimmer eines Lächelns ging über seine geliebten Züge. Ich kniete neben seinen: Bett nieder. Der Doktor saß an der anderen Seite und hielt die Hand des Kranken. An dem Ausdruck seines Gesichtes sah ich, daß mein Vater einen zweiten Nervenschlag erlitten haben mußte und daß sein Leben in Gefahr sei. „Helsen Sie uns!" bat ich leise, indem ich meine Lippen auf die kalten, bewegungslosen Finger des Kranken Rückte. Doktor Hardt ruckte die Achseln, als wenn sagen wollte' „Den: Tode gegenüber ist meine Kunst machtlos." „Monika, was wird aus Monika, wenn ich sterbe?" stöhnte mein Vater. „Kind, versprich mir. . ." Was folgen sollte, weiß ich nicht. Denn Doktor Hardt legte seine Hand auf die unruhig zuckenden Finger des Ster benden. „Ich verspreche Ihnen, für Monika zu sorgen, Herr Pro fessor," sagte er mit Nackdruck. „Wenn sie meine Bitte er hört, ist sie in wenigen Wochen meine Frau. Sie brauchen sich über das Geschick Ihrer Tochter nicht zu beunruhigen. Ich liebe Monika schon lange." lieber die mvitgcöffneten, blicklosen Augen des Kranken sanken die schweren Lider. „Dank . . . Dank . . ." stammelte er. Seine Hand tastete nach meiner, wie wenn er sie mit der des Doktors vereinigen wollte. Ich zuckte zurück. Hardt bemerkte es und nahm meine widerstrebende Hand. „Hier, Herr Professor, sind meine und Monikas Hände." Ein glücklicher Ausdruck glitt über meines Vaters ge quältes Gesicht. Ich verbarg stöhnend Len Kopf ::: dem Kissen. Wie in: Traum hörte ich Hardt reden. Was erzählte er nur alles von dem vielen Geld, das er Lurch das Sanatorium verdiene. — Welch schönes Leben er mir damit verschaffen könne. Das Haus in Weimar wolle er für mich kaufen. Dort würden wir den Sommer verleben und eine Aus stellung oer sämtlichen Bilder des Professors veranlassen. Mein Vater bemühte sich, aufzupasscn, aber ich merkte nur zu wohl, daß es ihm schwer wurde. Aus weiter Ferne schien er seine Gedanken heranzuholen. Mit Grauen empfand ich es, Laß sich eine Kluft zwischen uns auftat. Der Sterbende, der vor der Ewigkeit stand, hatte nichts mehr mit den Lebenden zu schaffen, die mit allen Fä den noch hier auf Erden wurzelten. Kein Laut, kein Abschiedswort kam mehr von seinen Lippen. Das namenlose körperliche Elend ließ sein Herz, das so fest an mir, seinem einzigen Kinde, gehangen hatte, matt und gleichgiltig schlage::. Der Doktor beugte sich über ihn. „Der Herzschlag setzt aus, ich muß eine Kampfcrein- spritzung machen." Aber ich stieß seine Hand zurück. „Nein, lassen Sie ihn in Frieden sterben." Gegen Mitternacht verlor mein Vater das Bewußtsein und fing an zu röcheln. Eine lange, fürchterliche Nacht, der ein noch fürchter licherer Tag folgte. Beängstigungen, schweres Atmen, Erbre- chen traten ein. „Monika . . . versorgt . . . meine Bilder . . ." Das war das letzte Aufflackern. Der Sprache beraubt, seufzte er nur noch tief, oder schrie erschütternd auf. Einige Minuten vor fünf Uhr nachmittags tat er den letz ten Atemzug. Draußen ging gerade die Sonne unter. Er hat sie nicht mehr gesehen. Jetzt zittert der rosa Schein über das bleiche Duldcrgcsicht mit den blinden Augen. Der Doktor drückte die gebrochenen Lider zu. Ich vermochte cs nicht. Ich lag auf den Knien vor Lein Bett nnd weinte, als solle meine ganze Seele sich in Tränen auflösen . . . Ich würde ihn gern :mch Weimar bringen, meinen gelieb ten Toten, und ihn dort auf Len: stillen Kirchhof, nicht weit von der tannenumrauschten Fürstengruft, beisetzen. Viele Rosen sollten sein Kreuz umziehen und Veilchen würde ich über den Hügel streuen. Er liebte die Blumen, die Sonne, die grün dämmernde Stille . . . Aber cs geht nicht. Er wird auf einen: Berliner Kirch hof bestattet werden, an den: die Eisenbahnen in unablässiger Eile vorbeirasen. Nicht einmal die Toten genießen in der ewig hetzenden, lärmenden Weltstadt ungestörte Ruhe. Freilich, er hört nichts mehr davon. Nichts stört seinen tiefen, traumlose:: Schlaf. Heute kann ich nicht anders den ken als: läge ich doch neben ihm und schliefe auch so sanft und fest, während draußen die Sonne scheint und Lie Menschen kalt und gleichgiltig aneinander vorbcihasten! Behalte mich lieb, Käthe — ich bin so einsam geworden. Deine Monika. XIII. Der Sommer ging zu Ende. Müde schlich er sich fort. Septembersonnc! In mattem Maugrün spannte sich der Himmel über Berlin. Alles Licht war gedämpft. Die Schat ten hatten einen silbernen Ton. Das Laub Ler Linden wurde bereits gelb, das der Buchen flammend rot. Auf den Rasen plätzen der Anlagen glänzten Lie Astern in sanften: Violett und müdem Blau. Blasse Rosen senkten in wehmütige:» Sterben ihre Kelche erdenwärts. Die goldenen Fächer der Kastanien tanzten in der mild bewegten Luft. In dem schlan ken Ahornbaum vor dem Sanatorium schattierten die gezack ten Blätter vom lichtem Orange bis zum dunkelsten Braun rot. Monika saß, in tiefe Trauer gekleidet, au: Fenster und sah auf die Straße hinunter. Ein plötzlicher Auflauf entstand. Ein mageres, abgetriebenes Pferd vor einen: hoch mit schwe ren Steinen beladenen Wagen war hingefallen; nicht ausge glitten, sondern vor Schwäche zufammengebrochen. Unfähig, sich wieder zu erheben, blieb das arme Tier, trotz der grau samen Peitschenhiebe, auf den: Fahrüamm liegen. Der Ver kehr stockte. Die elektrischen Dahnen klingelten wie rasend. Fluchen, Schreie, klatschende Peitschenhiebe drangen herauf. Monika wandte sich angewidcrt ab. Sie drückte die Hände vor die Augen, um nichts mehr zu sehen und zu hören von all den: Häßlichen um sie her. Eine lähmende Unlust, eine niedcr- ziehende Traurigkeit beherrschte sie seit den: Tode des Vaters. Ihr Leben schien ihr jetzt, seines Mittelpunktes beraubt, keinen Sinn und Zweck mehr zu haben. Mechanisch verrichtete sie ihre Arbeit in: Sanatorium. Vergebens suchte Doktor Hardt sie aufzurichten, aber jedes seiner Worte tat ihr weh, wie die Berührung einer schmerzhaften Wunde. Sie hätte an: liebsten auch keinen Beileidsbesuch der Patienten des Sa natoriums angenommen, nicht auf die vielen Kondolenzbrief« aus Weimar geantwortet. Das waren ja alles nur Worte, leere Morte. Nirgends ein Verstehe::, ein Begreifen ihrer herzzerschneidende:: Verzweiflung. Denn aus all den teil- nehmcicken Reden glaubte sie deutlich hcrauszuhören, daß jeder den Tod des Professors wie eine Erlösung für sie ansah. (Fortsetzung folgt.)
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