Ottendorfer Zeitung : 27.03.1914
- Erscheinungsdatum
- 1914-03-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1811457398-191403279
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1811457398-19140327
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1811457398-19140327
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungOttendorfer Zeitung
- Jahr1914
- Monat1914-03
- Tag1914-03-27
- Monat1914-03
- Jahr1914
-
-
-
-
-
-
-
-
- Titel
- Ottendorfer Zeitung : 27.03.1914
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Vie dlkterkrife. Noch ist in Irland alles ruhig, aber es muß damit gerechnet werden, daß die Ulster- frage jeden Tag zu einer nationalen Katastrovbe werden kann. Die militärischen Maßregeln werden in Irland wie in England mit Energie fortgesetzt, und die Mtsrleute stehen trotzig Gewehr bei Nuß, entschlossen, sich keinem Zwange zu fügen. Den Brennpunkt des Interesses bildet unverändert die Frage, ob die Disziplin der Armee und vielleicht auch der Flotte die Brobe des Aufgebots gegen die eigenen Landsleute bestehen wird. Die englische Regierung hat in den letzten Jahren nach und nach die Garnisonen in Irland verstärkt, und besonders im irischen Kriegslager Curragh sind große Truppen massen zusammengezogen. Aber Ulster, das angeblich 130000 Mann bewaffnet hat, fürchtet sich nicht, und es hat woh> auch nicht einmal Grund zu fürchten: denn die englischen Soldaten, allen voran ein Teil ihrer Offuiere, sind nicht entschlossen zum Kamvf. Denn eine beträchtliche Anzahl von diesen Offizieren weigerte ssch, nach Ulber zu marschieren, und die beabsichtigte Entsendung nach dort mußte aufgegeben werden. Satte doch sogar General Gough, als der Belehl zum Marsche nach Ulster von London eintraf, sofort seine Ent lassung gegeben. Noch schlimmer als solche Weigerung eines einzelnen Mannes erscheinen aber die Fälle von Meuterei, die sich in verschiedenen Kasernen ereignet haben, und die bekannt ge worden sind, obwohl die Behörden alles auf bieten, daß keine Nachrichten an die Öffent lichkeit gelangen. Zwei Kompagnien eines Infanterie-Regimentes in Belfast warfen ihre Gewehre fort und stieben meuterische Dro hungen aus, als sie Befehl erhielten, nach Ormiston, dem Schlosse des Obersten Chi- chersten, abzugehen, wo eben noch Ulsterftei- willige eingedrillt werden. Sie riefen: „Wir wollen hier keine Se'b'Verwaltung, wir dienen gegen Feinde des Königs und wollen keine Engländer niederschießen!" Die Kom pagnien wurden deshalb schleunigst nach einer abgelegenen Kaserne übergeführt, wo sie vor läufig eingeschloffen sind. Aber auch damit ist's noch nicht genug. Die Behörden müssen zugeben, daß aus dem Arsenal von Curragh etwa 100 000 Gewehre und Revolver mit dazugehöriger Munition verschwunden sind. Alles das lind Beweise des drohenden Zusammenbruchs der Disziplin im Heere. Die unionistischen Sonntagsblättec bemühen sich, den Zwist zu einem unheilbaren zu gestalten, ohne an die furchtbaren Folgen zu denken, die für England daraus erwachsen würden. Die Regierung geht inzwischen ent schlossen vor und die obersten Militärbehörden fahren in voller Übereinstimmung mit dem Kabinett in ihren Maßnahmen fort. Das Kriegsministerium erklärt allerdings, daß es sich nur um Vorsichtsmaßregeln zum Schutze von Depots, Waffen, Munition, Vorräten usw. handelt. Es sei nicht beabsichtigt, Truppen zu einem anderen Zwecke nach Ulster zu schicken. Es ist jedoch kein Zweifel darüber, daß mili tärische Maßregeln in größerem Umfange ge troffen werden, als zugegeben wird. Offenbar findet in England eine weit gehende Mobilmachung von Truppen statt. Die Londoner Bahnhöfe sind mit Trainsoldaten und Gepäck ungefüllt, und Truppen, darunter Artillerie, marschieren durch die Vorstädte Londons. Es scheint, daß bereits eine mili tärische Depeschenzensur besteht. Ein Blatt will wissen, daß die Regierung beabsichtigt, ungefähr 200 Haftbefehle gegen die Führer der Ulsterrebellen zu erlassen. Die Verhaftungen sollen auf ein telegraphisches Schlüsselwort hin ausgelührt werden. Die Truppen würden alle strategischen Punkte in Ulster besetzen, um die Behörden bei der Ausführung der Verhaf tungen zu unterstützen. Natürlich rechnet die Regierung auch mit peinlichen Zwischenfällen, und sie trifft des halb Vorsorge für eine Parlamentsauflösung. Nach einem langen Kabinettsrat wurde be schlossen, Ministerpräsident Asguith solle den Unionisten (den Regierungsgegnern) den Vor schlag machen, das Parlament auizulösen und in den Neuwahlen den Wählern drei Gesetz vorschläge über die Selbstverwaltung Irlands, die Trennung von Kirche und Staat in Wales und die Abschaffung des Mehr stimmenrechts vorzulegen. Die Neuwahlen würden Ende Juni oder Anfang Juli vor sich gehen. Man sieht also, die englische Regierung ist in höchster Verlegenheit. Sie will mit Ge walt Beschlüsse durchsetzen, die die Mehrheit des Parlaments gutgeheißen, aber sie hat keine Macht, den Widerstand zu brechen, den sie findet, weil ihre Organe versagen. Man erinnert sich vielleicht, wie die gesamte Presse in England vom preußischen Zusammenbruch faselte, als einst in Berlin-Moabit Unruhen ausbrachen, denen eine Laterne und Fenster scheiben zum Opfer fielen. Der „Zusammen bruch" scheint jetzt in England offenbar zu werden, das sich weder seiner wildgewordenen 200 Wahlweiber, noch der Ulsterleute, die es zum Kampf herausfordern, erwehren kann. Dst Politische Aunctschau Deutschland. * Kaiser Wilhelm, der am Sonntag in Berlin der Einweihung der neuen König lichen Bibliothek beiwohnte, hat seine Korfureise angetreten. Der Monarch be gab sich zunächst nach Wien, wo er mit dem greisen Kaiser Franz I os eph zusammen traf. Von Wien aus reiste der Kaiser nach Venedig, wo eine Zusammenkunft mit dem König von Italien stattfand. "Der Präsident der französischen Republik und die französische Re gierung haben durch den Botschafter Cambon dem Kaiser ihre Anteilnahme an dem freudigen Ereignis in Braunschweig ausdrücken lassen. "Zu der jetzt beendeten deutsch-russi schen Preksehde wird halbamtlich ge schrieben: „Für das Verhältnis unter den Großmächten ist es nützlich, daß die heftige Fehde zwischen deutschen und russischen Zei tungen nachgelassen hat. Beide Regierungen sind einig darin, wertvolle Interessen ihrer Reiche nicht durch nationalistische Erregungen gefährden zu lassen. Besondere Anlässe zu einer Trübung ihrer freundlichen Beziehungen liegen nicht vor. Die noch unerledigten Zwischenfälle (Verhaftung von Personen unter Spionageverdacht) werden nach ben Grund sätzen des geltenden Rechts Leizulegen sein." * Die Veröffentlichung neuer Dienstbestim mungen für den Waffengebrauch des Militärs in Preußen und in den Reichs landen steht unmittelbar bevor. Nach dem Vorbild von 1899 scheint das Ergebnis langer sorgfältiger Erwägungen aller in Frage kom menden Dienst- und Amtsstellen in einem Kronbefehl festgelegt werden zu sollen. * Der schon seit längerer Zeit geplante Wiederzusammenschluß der anti semitischen Parteien ist jetzt erfolgt. Auf Veranlassung der Vorstände der deutsch sozialen Partei und der deutschen Reform partei versammelten sich gegen 200 Vertrauens männer beider Richtungen im Reichstags gebäude zu Berlin. In längeren Beratungen, die zuerst getrennt, dann gemeinsam abgehalten wurden, ward der Zusammenschluß unter dem Namen deutschvölkische Partei be schlossen. Erster Vorsitzender der neuen Partei wurde der bisherige Vorsitzende der deutsch sozialen Partei, der frühere Reichstaasabge- ordnete Lattmann, stellvertretender Vorsitzender Reichstagsabgeordneter Werner (Hersfeld). Frankreich. "Die Untersuchung in derRochette- Affäre, in die auch die ehemaligen Minister Caillaux und Monis verwickelt sind, geht nur langsam vorwärts. Schon jetzt aber hat man den Eindruck, daß auch die parlamentarische Untersuchungskommission, an bereu Spitze der Sozialistenführer James steht, das Dunkel, das über die Angeleaenheit gebreitet ist, kaum erhellen wird. Selbst die Mitglieder der Kom mission, ja, sogar die Feinde Caillaux' sind der Überzeugung, daß alle Anschuldigungen gegen diesen sich als hinfällig zeigen.—Frau Caillaux' Tat erscheint darum, obwohl sie ein Menschen leben vernichtete, vielen! jetzt in milderem Lichte. Amerika. "Der Schleier, der über dem Geheimnis der letzten Schlacht zwischen den mexika ¬ nischen Regierungstruvven und den Rebellen lag, ist nun gelüftet. Wie amt lich gemeldet wird, sind die ersteren geschlagen worden. — Vielleicht hat dieser Mißerfolg dazu beigetragen, den Präsidenten Huerta nachgiebiger zu machen. Jedenfalls bat er erneut die Verhandlungen mit den Sendboten des Präsidenten Wilson ausgenommen, und es scheint Aussicht vorhanden zu sein, daß es nunmehr zu einer Verständigung kommt. Oeutscber Aerckstag. (Original-Bericht.! Berlin. 24. März. Obzwar das wie immer am letzten Wochen tage wenig besetzte Haus nicht allzu große Arbeitslust zeigte, zog sich heute die Tagung durch allerlei Kleinkram ziemlich lange hin. Vor Eintritt in die Tagesordnung verlas Präsident Dr. Kämpf ein Danktelegramm bes Kaisers für den Glückwunsch des Hauses zur Geburt bes braunschweigischen Erbprinzen. Ohne Debatte nahm das Haus das Etatnot gesetz an. Dann wurde die Beratung des Etats zu Ende geführt. Staatssekretär Dr. Solf bat — allerdings vergeblich —, die von den zwei Millionen für die Schutztruppe abgestrichenen 200 000 wieder einzustellen, denn jede Verminderung der Truppe oder Verwendung zu Polizeidiensten könnte für die Entwicklung des Landes un heilvoll werden. Das Hans folgte aber den verneinen den Worten des Abg. Lebebour (soz.). Eine Reibe von Resolutionen sand da gegen Annahme. Nach kurzen Bemerkungen ber Abgg. Wald st ein (Fortschr.), Graf Westarp (kons.), Ledebour (soz.), Erz berger (Zentr.) und Keinath (nat.-Ijb.) wurde ein Gesetzentwurf in erster Lesung er ledigt, der bei kolonialen Bahnbauten die Anlieger, vor allem aber die Konzessions- aesellschaften zu den Kosten heranziehen will. Auch der Nachtrag zum Etat der Schutzgebiete wurde angenommen. Nunmehr folgte die Beratung von Petitionen. Eine Petition der Bäckerinnung „Ger mania" bat um Schutz gegen den Boy ott und T-rror der sozialdemokratischen Arbeiter schaft. In dreiviertelstündigen Ausführungen bestritt Abg. Brey (soz.) diesen Vorwurf, worauf Abg. Irl (Zentr.) Überweisung als Material beantragte: dem stimmten die Abgg. Giesberts (Zentr.) und v. Gräfe (kons.) zu. Nach nochmaligen Bemerkungen der Abgg. Brey und Giesberts schlug der Präsident vor, die Abstimmung in der nächsten Woche vorzu- nehmen. Dem Reichstage lagam Montag derGesetzent- wurf über die Verlegung der deutsch-russischen Landesgrenze vom Memelstrom bis zum Pissek vor. Es werden dadurch seit langer Zeit schwebende lästige Streitfragen und Zweifel über die Grenzlinie beseitigt. Auster der Zustimmung des preußischen Landtages ist bie Genehmigung des Reiches deshalb erforderlich, weil durch diese Regulierung der preussisch-russischen Grenze natürlich die Reichsgrenzs mit verändert wird. Preußen verliert durch dieses Gesetz etwa drei Hektar Bodenfläche, ein Ausgleich soll aber bei den nächstjährigen Verhandlungen über die Grenze von der Ostsee bis zum Memelstrom gesucht werden. Die Vorlage wurde in erster und Zweiter Lesung ohne jede Erörterung angenommen. In dritter Beratung fand das Gesetz über die Folgen der Verhinderung wechsel- und scheckrechtlicher Handlungen im Auslands eben so rasche Erledigung, und in zweiter das Etatsnotgesetz, und zwar mit dem berechtigten Zusatze, Last einer Reihe von Beamten die neugeftalteten Bezüge schon vom 1. April ab ausgezahlt werden sollen. Eine längere Erörterung knüpfte sich erst an den Nachtragsetat wegen der Winterfeldschen Grundstücksgeschäfte. Resolutionen der Bud- getkommission forderten die Prüfung des Regressanfpruches des Reiches, daß Tauschgeschäfte über Grundstücke — es handelt sich um den Tausch des Grundstücks des Kriegsministeriums mit dem Bankdirektor v. Winterfeld — staatsrechtlich ebenso be handelt werden wie Kaufgeschäfte. Es wird ferner ein Reichswirtschaftsgesetz verlangt. Tu teig! 24j Roman von Reinhold Ortmann. fForUctzmi«.» Das arme so viel geängstigte Wesen da draußen, das wankend irgend einem vielleicht noch fernen Ziele zustrebte, mochte eine Unglück liche und Hilfsbedürftige sein, die seinen Bei stand vielleicht dankbar angenommen hätte. Aber weil er sie eine Sekunde lang für Eva Lindholm gehalten, fühlte Helmut jetzt beinahe etwas wie Haß gegen sie und verfolgte sie, ohne sich von seinem Platze zu rühren, mit einem finsteren, erbarmungslosen Blick. Für einen Augenblick, da der Lichtschein eines erhellten Schaufensters auf sie fiel, sah er, daß sie ein kurzes, pelzbesetztes Jackett und einen Rock von jener grauen Farbe anhatte, wie sie für diesen Winter besonders in der Mode war. Dann gewahrte er nur noch, wie sie nach einem kurzen Verweilen der Ermattung oder der Unentschlossenheit in die nach dem Flusse hinabführende Seilergasse einbog. Und als wäre es ihm mit einemmal unerträglich geworden, hier zu sitzen, sprang er fast im nämlichen Augenblick auf, um seine Zeche zu berichtigen und eilig das Lokal zu ver lassen. Sein Heimweg führte ihn in dis der Seiler gasse entgegengesetzte Richtung, und er sah das Mädchen nicht wieder. Aber die Erinne rung an die zarte Gestalt in dem knappen Pelziäckchen ließ ihn nicht wieder los, auch als er längst in der Stille seines Studierzimmers saß und sich mit dem Aufgebot seiner ganzen Energie bemühte, seinen Geist in den ver wickelten Gedankengana des philosophischen Werkes zu zwingen, das er aufs Geratewohl aus dem Bücherschrank gegriffen hatte. Es mußte schon nahe an neun Uhr sein, als ihm eines der Mädchen meldete, es sei eine Dame da, die den Herrn Doktor dringend sprechen wollte. Helmut befahl, sie herbei zuführen und sah eine vermummte, weibliche Gestalt in einem langen, karrierten Radmantel, wie ihn hier in der Stadt die Dienstmädchen zu tragen pflegten, über die Schwelle treten. Von ihrem Gesicht war in der Umhüllung überhaupt nichts zu sehen als ein paar auf fallend große Augen, deren seltsames Glitzern den jungen Arzt auf die Vermutung brachte, daß die Frau nicht gekommen sei, ihn an ein Krankenbett zu rufen, sondern daß er in ihr selbst die Patientin vor sich habe. Es befremdete ihn, daß sie ohne Gruß neben der Tür sieben blieb, und mit der ruhigen Freundlichkeit, die er immer seinen Kranken gegenüber hatte, fragte er nach ihrem Begehr. Da kam es in hastigem Geflüster aus der Vermummung hervor: „Verschließen Sie die Tür, Helmut, daß niemand uns überrascht! Ich wäre verloren, wenn Ihre Mutter etwas von meinem Hier sein bemerkte." In höchster Bestürzung war er emporge fahren. „Fanny? — Sie? — Um des Himmels willen, was ist geschehen?" „Verschließen Sie dis Tür!" beharrte sie, „ich vergehe sonst vor Angst, daß man mich hier bei Ihnen findet." Er leistete ihrem Verlangen Folge und schob den Rieael vor. Und als fühlte sie sich nun mit einem Male völlig sicher, riß Fanny das dicke, flockige Tuch herab, das ihren Kopf verhüllt hatte, und löste mit raschen Griffen die ihre Brust beengenden Knöpfe des häß lichen Mantels. „Ach. Gott sei Dank ! — Ich glaubte fast zu ersticken. Was. geschehen ist? — Sie wissen es also nicht? — Eva hält sich nicht bei Ihnen versteckt? — Sie ist nicht hier ge wesen? — Und sie hat Ihnen auch nicht ge schrieben?« Vergessend, daß er ein Weib vor sich habe, packte Helmut mit dem Griff des Entsetzens ihr Handgelenk. „Was sagen Sie da? — Eva ist fort? — Entflohen? — Bei ihrer Schwäche? — Und ganz allein?" „Sie muß den Verstand verloren haben, die Unglückselige! O, daß ich sie doch nie mals hätte über meine Schwelle kommen lassen!" „Seit wann ist sie fort? — Wann haben Sie ihre Abwesenheit zuerst bemerkt?" „Vor einer halben Stunde, als Lettow der Verabredung gemäß kam, um ihr persönlich den Verlobungsring an den Finger zu stecken. Es hatte nach der gestrigen Abrede schon am Mittag geschehen sollen, aber unter dem Vor wande, daß sie noch ein paar Stunden schlafen wolle, hatte Eva um Aufschub bis zum Abend gebeten. Als ich um fünf Uhr an ihre Zimmertür klopfte, war sie noch da und gab mir auf meine Frage nach ihrem Befinden eine ganz heiter klingende Antwort. Bald nachher muß sie sich entfernt haben: aber niemand hat gesehen, wie sie das Haus verließ." Gleich den ersten Redner, Abg. Stücklen (soz.), mußte der Präsident mehrfach zur Mäßigung mahnen. Er meinte, die Militärverwaltung habe absichtlich versucht, das Budgetrecht des Reichstags auszuschalten. Der Chef des Militärkabinetts habe versucht, sich eine luxu riöse Wohnung auf bedenklichen Umwegen zu verschaffen. Milder in der Form, doch sachlich klar sprachen ihre Bedenken aus die Abgg. Schiffer (nat.-lib.) und Gothein (fortschr. Vp.). Staatssekretär Kühn erklärte, das Reichsschatzamt habe das Tauschgeschäft für zulässig gehalten ohne Zustimmung des Reichs tages. Der Kriegsminister habe keine Verletzung des Budgetrechts des Reichstags beabsichtigt. Es wäre zu bedauern, wenn durch diesen Vorfall das Vertrauen des Reichstags zur Regierung erschüttert würde. Auf die Ausführungen der Abgg. Lede bour (soz.) und Dove (fortschr. Vp.) er widerte der Staatssekretär, daß die Finanzverwaltung auf dem Standpunkt stehe, nur dann die Genehmigung einzuholen, wenn das Tauschgeschäft in zwei Kaufgeschäfte auf gelöst werbe. Kriegsminister v. Falkenhayn be merkte, da das Militärkabinett durch die Ver« mssung nicht ihm, dem Kriegsminister, unter stellt sei, könne er auch keine Verantwortung dafür übernehmen. An der Aussvrache be« teiligten sich noch die Abgg. Goth ein (fortfchr. Vp.), L e d eb our (soz.), Dr. Spahn (Ztr.), v. Bieberstein (kons.), Stück len (soz.). Dann folgte die Annahme der Resolutionen und die Festsetzung der Bestimmung, daß der Reichstag über die Verwendung des Hauses mit zu entscheiden habe. Damit war der Nachtragsetat entgültig verabschiedet. Bei der Abstimmung erregte es lebhaftes Aufsehen, daß zum erstenmal die Sozialdemokraten für einen Etat stimmten. Bei dem nun folgenden Etat des Reichs schatzamtes geriet Abg. Stolle (soz.) in starke Gefahr, daß ihm das Wort entzogen wurde, denn trotz mehrfachen Rufens „zur Sache" besprach er dauernd das System der Einfubrscheine und andere Agrarfragen, trat dann aber von der Tribüne ab. Abg. Prinz Sch önaich-Carolath (nat.-lib.) forderte Erhöhung der Veteranen beihilfen. Generalmajor v. Langenman^ führte aus, daß Maßnahmen getroffen seien, um Härten zu mildern. In besonderen Fällen würden Beihilfen aus dem kaiserlichen Dispo sitionsfonds bewilligt. Für die Veteranen traten ferner die Abgg. Baumann (Zentr.), Rupp-Baden (kons.), Behrens (wirtsch. Vgg.) und Bruckhofs (fortfchr. Vp.) ein. Staatssekretär Kühn betonte, daß bei Ge währung der Veteranendeihilfen weder nach dem Einkommen, noch nach der politischen Ge sinnung gefragt würde. Abg. Dr. Südekum (soz.) kritisierte, daß häufig wohlhabende Veteranen die Beihilfe bekämen, arme dagegen noch immer nicht. Abg. Dr. Arendt (Reichsp.) bedauerte, daß der Vorredner versucht habe, diese Frage vom Parteistanvpunft aus zu behandeln. Jedenfalls aber müsse der Reichstag dis Ehrenschuld an die Kriegsteilnehmer einlösen. Eine Resolution der Budgetkommisston, die vermehrte Veteranenbeihilfe verlangt, wurde angenommen. Abg. Dr. Arendt (Reichsp.) verlangte dann eine künstlerische Gestaltung und vermehrte Ausprägung der Denkmünzen. Zum hundertsten Geburtstage Bismarcks sollte eine besondere Denkmünze geprägt werden. Darauf vertäute sich das Saus. Von unct fern Hinrichtung des Giftmörders Hopf. Giitmörder Hopf ist im Hof des Gefängnisses zu Frankfurt-Preungesheim hingerichtet wor den. Sopf wurde wegen Giftmordes an seinen nächsten Verwandten am 8. Januar zum Tode und mehrjähriger Zuchthausstrafe verurteilt. Er hat keine Revision eingelegt und das Urteil wurde vor einigen Tagen bestätigt. „Und sie hat nichts zurückgelassen? Keinen Brief? Keine Andeutung darüber, wohin sie sich zu wenden beabsichtige?" „Nichts! — Sie hat aych nichts mitge nommen als die Kleider, die sie auf dem Leibe trägt — nicht einmal ihre Reisetasche und ihr Portemonnaie." Helmut drückte beide Fäuste gegen die Schläfen. „Barmherziger Gott — wenn sie es doch ' gewesen wäre! Wenn ich sie mit einem Zu ruf und mit wenig Schritten hätte erreichen können!.— Wissen Sie, welche Kleidung Ihre Schwester anhatte? Trug sie ein kurzes, mit Pelzwerk eingefaßtes Jäckchen und einen grauen, fußfreien Rock?" „Ja — ia —! Sie haben sie also gesehen? — O, sprechen Sie, wo — wo ? — Dann ist ja noch Hoffnung, daß wir sie finden." Aber Helmut schüttelte den Kopf und starrte mit verzweifeltem Blick vor sich hin. „Nein, es ist keine Hoffnung mehr — denn der Weg, auf dem ich sie vor einer langen Zeit, vor mehr als anderthalb Stunden vielleicht, gesehen habe, war der Weg zum Flusse." Fanny fuhr zusammen: aber fast im näm lichen Moment schon hatte sie das Grauen wieder abgeschüttelt, das seine Worte in ihr heroorgerufen. „Was Sie da vermuten, ist eine grundlose Befürchtung. Eva ist eine viel zu schwache Natur, als daß sie jemals den Mut aufbrächte, sich das Leben zu nehmen. Ich bin ganz sicher, daß sie ziellos umherirrt und daß man sie aufgreifen wird, bevor ihr ein Leid ge schehen ist. — Aber was beabsichtigen Sie
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Keine Volltexte in der Vorschau-Ansicht.
- Einzelseitenansicht
- Ansicht nach links drehen Ansicht nach rechts drehen Drehung zurücksetzen
- Ansicht vergrößern Ansicht verkleinern Vollansicht