Suche löschen...
Sächsische Elbzeitung : 22.05.1917
- Erscheinungsdatum
- 1917-05-22
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1787841065-191705225
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1787841065-19170522
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1787841065-19170522
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungSächsische Elbzeitung
- Jahr1917
- Monat1917-05
- Tag1917-05-22
- Monat1917-05
- Jahr1917
- Titel
- Sächsische Elbzeitung : 22.05.1917
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
AnterhaltungsblattM Sächsischen Elbzeitung M Nr. 61 Dienstag, den 22. Mai 1817 M Dunkle Pfade. K» Roman von Reinhold Grtmann. t. Kapitel. Bernhard Rüthling zündete sich eine von den schweren Havanna-Zigarren an, die er, allen ärztlichen Verboten zum Trotz, den ganzen Tag hindurch zu rauchen pflegte. Dann griff er nach der Mappe mit den für die Wendpost bestimmten Briefen, die einer seiner Buchhalter zur Unter schrift neben ihn auf den Schreibtisch gelegt hatte. Mit raschem und doch scharfem BliS, dem kein fehlender I-Punkt und kein überflüssiges Komma entging, überflog er die einzelnen Blatter und setzte mit energischem Feder zug seinen Namen unter jedes von ihnen. Plump und markig, wie diese Unterschrift aussah, wirkte auch die vierschrötige, stiernackige Gestalt deS etwa fünfzigjährigen Bankiers. Der kurze, dicke Hals verschwand beinahe ganz in dem weißen Hemdkragen. Sein bis auf einen schmalen, schon ergrauten Bartstreifen an den Wangm glattrasiertes Gesicht, dessen lebhaftes Rot eine ausgeprägte Vorliebe für die Freuden der Tafel vermuten ließ, erschien mit seinen scharfen, bestimmten Zügen, seinem massiven Kinn und seinen klaren, ernst blickenden Augen als der rechte Typus einer charakteristischen Kaufmanns-Physio gnomie. Und man brauchte nicht eben ein Menschenkenner zu sein, um von Bernhard Rüthlings äußerer Erscheinung schon auf den ersten Blick den Eindruck zu empfangen, daß sie Lie eines nüchternen, praktischen, zielbewußten Mannes sei. Wohl ein halbes Dutzend der zahlreichen Briefe schon hatte er der Mappe entnommen, als es plötzlich wie ein Ausdruck leichten Erstaunens sein Antlitz überflog. Denn mit einem neuen Griff hatte er da einen Gegenstand zu tage gefördert, dessen Anwesenheit in einem für geschäft liche Korrespondenzen bestimmten Umschläge ihn wohl einigermaßen befremden durste. Es war ein zierlicher, schmaler Briefumschlag, der nicht nur die zarte Farbe des blauen Flieders hatte, son dern auch den süßen Dust dieser Frühlingsblüte ausströmte — Besonderheiten, welche den Geschästspapieren des Bank hauses Bernhard Rüthlings sonst durchaus nicht eigentüm lich waren. Die gepreßte Siegelmarke, die Lazu bestimmt war, den Verschluß der Klappe zu bilden, zeigte vielsagend zwei von einem goldenen Pfeil durchbohrte, blutrote Herzen. Die Vorderseite aber trug in einer etwas flüch tigen und unregelmäßigen Handschrist die Adresse: „Herrn Günter Wolfradt." Und darunter: „Durch Güte zu bestellen.' Bernhard Rüthling drehte das Billett ein paarmal zwischen den Fingern, und als er wahrnahm, daß die Siegelmarke ihrem Zweck nur sehr unvollkommen genügte, so daß sich der Brief ohne jede Gewaltanwendung oder Verletzung öffnen ließ, beging er ohne viele Bedenklich keiten die Indiskretion, die Klappe aufzubiegen und Las zusammengefaltete Blättchen aus dem Umschläge zu ziehen. Die Schriftzüge waren hier noch launenhafter und flüchtiger als auf der Adresse. Man sah es ihnen an, Nachdruck verboten.) daß die Briefschreiberin nicht gewöhnt war, eine sonder liche Sorgfalt auf ihre Korrespondenzen zu verwenden. Die Zeilen waren schief, die Endbuchstaben der Worte meist nur angedeutet, und nicht ein einziges U-Häkchen stand an der richtigen Stelle. Bernhard Rüthling runzelte die Stirn und las: „Teuerster Freund! Mitten in der Nacht noch setze ich mich nieder, um , Ihnen zu schreiben. Es ist Ler unwiderstehliche Drang - des Herzens, der mich dazu nötigt. Denn, ich bin entzückt s und begeistert. Dies neue Lied, das »sie mir gestern abend übergeben haben, ist ja noch hundertmal reizender » wie die beiden, mit denen ich einen so großen Erfolg er zielt habe. Ich bin gewiß, daß es das Publikum Hin reißen muß, besonders, wenn Sie mir ein wenig behilflich sein wollen, es einzustudieren. Sie sind ein gottbegnadeter Künstler, mein Freund, ein wirkliches Geniel Und ich bin stolz darauf, daß Sie mich in der Widmung, die ich erst beim Nachhausekommen gelesen habe, Ihre Muse nennen. Ach, wenn ich es doch wirklich sein dürste! — Es wäre das höchste Glück, das ich mir zu erträumen vermöchte. Wer darf ich es denn hoffen? Sind Sie nicht mit starken Banden gefesselt? Und wird das Be wußtsein Ihres wahren, Ihres göttlichen Berufes Ihnen Kraft verleihen, sich aus der Enge der Verhältnisse, die Sie jetzt gefangen halten, emporzuschwingen in jene höheren Sphären, in Lenen man nichts mehr weiß von spießbürgerlicher Beschränktheit und engherzigen Vor urteilen? Ich wage nicht, dem Papier alles anzuvertrauen, was unter dem Eindruck Ihrer herrlichen Schöpfung meine Seele bewegt. Vielleicht werde ich es Ihnen sagen, wenn wir uns heute abend Wiedersehen. Denn Sie müssen in die Vorstellung kommen und müssen mir nachher noch auf - ein Stündchen die Freude Ihrer Gesellschaft vergönnen. - Sie darum zu bitten, ist der Zweck dieser Zeilen, Lie Ihr * Freund Heinitz Ihnen morgen übergeben soll. Der gute t Mensch ist ja immer so gern bereit, den Boten zwischen uns zu machen. Gute Nacht, mein Freund! Werden Sie in Ihren Träumen ein bescheidenes Plätzchen vergönnen Ihrer Nora Martini?' Bernhard Rüthling griff nach dem Hörrohr Les vor ihm liegenden Tischtelephons, und nachdem er das Zeichen gegeben hatte, sprach er hinein: „Herr Heinitz soll sich sofort zu mir bemühen! — Ist Herr Wolfradt noch im Kontor? — Nicht? — Wann ist er denn gegangen? — Wie sagen Sie: schon vor einer Stunde? — Es ist gut! — Schluß!' Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück und wandte das Gesicht, das seinen strengsten und ernstesten Ausdruck an genommen hatte, Ler gepolsterten Tür zu, die das Privat- kabmett des Chefs mit Lem Haupttontor des Bankhauses verband. Nur ein paar Sekunden noch, dann ging sie ge räuschlos auf, und der Gerufene trat ein, ein schlanker, sorgfältig gekleideter Herr von vielleicht fünfundzwanzig Jahren. Er hatte ein hübsches, regelmäßiges Gesicht, das nur ein wenig zu bleich und übernächtigt aussah. Sein lockiges, dunkles Haar verriet die kunstgeübte Hand des Friseurs, und eS war kein Zweifel, daß Herr Heinitz selbst sich stür einen sehr schönen Mann ansah. „Sie wünschten, Herr Rüthling?' Der Bankier deutete auf den vor ihm liegenden, fliederfarbigen Brief: „Ich habe zwischen der Geschästskorrespondenz etwas gefunden, das zwar nicht dahin gehört, mich aber nichts destoweniger lebhaft interessiert. Wollen Sie mir vielleicht erklären, Herr Heinitz, wie dieser Brief in die Postmappe geraten konnte?' Der Gefragte zeigte sich sehr bestürzt. „Ich bitte um Verzeihung, Herr Rüthling! Ich weiß selbst nicht — ein unbegreifliches Versehen — ich hatte Las Billett aus der Tasche genommen, um es Herrn Wolfradt zu übergeben. Später hatte ich es vergessen, und so muß es sich wohl unbemerkt zwischen die Brief schaften geschoben haben.' „Sie machen also den postiUoa L'amour für meinen Neffen? Darf ich fragen, ob Sie dies angenehme und ehrenvolle Geschäft schon lange betteiben?" „Oh, Herr Rüthling, ich möchte doch bitten. Die Dame, von der dieser Brief herrührt, ist zufällig meine Nachbarin. Uud es wäre sehr unhöflich gewesen, ihr Lie kleine Gefälligkeit abzuschlagen, als sie mich um die Be sorgung ersuchte." „Aber es war doch wohl nicht das erste Mal, daß Sie ihr und meinem Neffen solche Gefälligkeit zu erweisen gedachten? Die Dame spricht ja mit Ausdrücken lebhafter Anerkennung von Ihrer Bereitwilligkeit in dieser Hinsicht." „Ah, Sie haben den Brief gelesen?" „Ich habe mir diese Freiheit genommen, da er ja so gut wie offen war. Und ich werde mich dem Adressaten gegenüber deshalb schon zu verantworten wissen. Von Ihnen, Herr Heinitz, aber möchte ich mir einige nähere Auskünfte über die Person dieses Fräulein Nora Martini erbitten. Da sie, wie Sie sagen, Ihre Nachbarin ist, find Sie doch wahrscheinlich orientiert. Eine Dame vom Theater, nicht wahr?" „Nicht eigentlich vom Theater, HerrRüthling", erwiderte zögernd der Gefragte, dessen blasses Gesicht eine starke Ver legenheit spiegelte. „Man könnte sie eher eine Konzert sängerin nennen." „So! In dem Briefe ist doch aber von einer Vorstellung die Rede. Wo sollte denn die stattfinden?" „Im „Gefilde der Seligen", dem bekannten Kabarett, von dem Herr Rüthling doch wohl schon gehört haben werden." „Nein!" sagte der Bankier scharf. „Um Kunst stätten dieser Gattung pflege ich mich nicht zu kümmern. Mein Neffe aber scheint um so lebhaftere Beziehungen zu ihnen zu unterhalten. Es werden sogar Lieder von ihm gesungen?" „Verzeihung, es ist mir so peinlich, davon zu sprechen. Herr Wolfradt wünschte ja, daß Sie nichts erfahren sollten." „Das will ich wohl glauben. Wer Sie sehen, daß ich es nun doch schon weiß. Seit wann ungefähr pflegt er denn den heimlichen Verkehr mit diesen — diesen, diesen Leuten?" Der Buchhalter schlug ganz verzweifelt die Augen zur Zimmerdecke empor. „Seit einigen Wochen. Wer ich versichere Ihnen, Herr Rüthling, es find durchweg anständige, geachtete Künstler und —' „Und dies Fräulein Nora Martini, das solche Briefe schreibt, ist die anständigste unter ihnen, nicht wahr?" unterbrach ihn der andere mit schneidendem Hohn. „Geben Sie sich keine Mühe, Herr Heinitz!" Ich bin nachgerade lange genug auf der Welt, um zu wissen, was man von Künstlern und Künstlerinnen dieses Schlages zu halten hat. Da Sie nun aber heute Ihre Mission so schlecht ausgeführt und die Übergabe des Briefes versäumt haben — glauben Sie, daß mein Neffe die „Gefilde der Seligen" trotzdem auch heute aufsuchen werde?" „Ich vermute, daß er es tun wird, Herr Rüthling." .Nun wohl, so mache ich Ihnen zur Pflicht, heute abend jeder Begegnung mit ihm auszuweichen und ihm wenn Sie dennoch mit ihm Zusammentreffen sollten, kein Wort von unserer Unterredung mitzuteilen. Es kostet Sie Ihre Stellung, wenn Sie meinem Wunsche nicht ganz buch stäblich Rechnung tragen." Heinitz verbeugte sich stumm. Sein Prinzipal schob den fliederfarbigen Brief in die Brusttasche und wandte sich dann noch einmal Lem Buchhalter zu. „Lassen Sie mich übrigens die Gelegenheit benutzen, Ihnen zu sagen, daß ich neuerdings auch in anderer Hin sicht nicht sehr zufrieden mit Ihnen bin. Ihre Briefe find vielfach von einer Nachlässigkeit, die ich bei einem meiner Angestellten auf die Dauer nicht dulden kann. Wenn es die „Gefilde der Seligen" sind, Lie etwa auch Ihnen im Kopfe spuken, so kann ich Ihnen nur raten, entweder ganz und gar in diese verlockende Gegend überzustedeln oder aber ihr ein für allemal zu gunsten einer gewissenhaften Pflichterfüllung den Rücken zu kehren. Für Leute mit derartigen Liebhabereien ist bei mir kein Platz. Wollen Sie sich das gefälligst merken!" Eine kurze, verabschiedende Handbewegung, und Herr Georg Heinitz schlüpfte durch die Tür, die sich lautloS hinter ihm schloß. Solange der Buchhalter ihm gegenüber gestanden hatte, waren Haltung und Redeweise des Bankiers die eines ruhigen, völlig beherrschten Mannes gewesen. Nun aber sprang er auf und begann mit starken Schritten in seinem mäßig großen Arbeitszimmer auf und nieder zu gehen. Der Vorfall mußte ihn doch sehr nahe berührt haben, denn das lebhafte Rot seines breiten Gesichtes war noch um eine Schattierung dunkler geworden, und die Falte zwischen seinen Augenbrauen hatte sich zusehends vertieft. Er schien mit sich selbst zurate zu gehen, und nach Verlauf einiger Minuten mußte er zu einem bestimmten Entschluß ge kommen sein, denn er trat wieder an Len Tisch und sprach in das Telephon: „Herr Francke! — Wenn Sie nicht gerade sehr stark beschäftigt find, möchte ich bitten! — Sie find eben beim Kassenabschluß? — Gut — gut! — Machen Sie nur den erst fertig. Meine Angelegenheit ist so wichtig nicht. Ich werde inzwischen auf eine Viertelstunde in meine Privat wohnung hinübergehen." Durch eine Tapetentür, die man erst bei schärferem Hinsehen gewahr werden konnte, verlieb er Las Privat kontor. Sie führte in einen schmalen, halbdunklen Gang, an dessen Ende sich ebenfalls eine kleine Tür befand, eben breit genug, um einem Manne von Bernhard RüthlingS mächtigem Körperbau Durchlaß zu gewähren. Ein geräumiges, von drei Flammen des Kronleuchters erhelltes Wohnzimmer tat sich vor ihm auf. Es trug in seiner Einrichtung das Gepräge gediegener Wohlhabenheit, wenn auch nirgends ein besonders vornehmer und erlesener Geschmack zutage trat. Die Bilder an den Wänden, die wenigen hier und da verteilten Kunstgegenstände, die Vor hänge und Teppiche — alles ließ erkennen, daß die Be wohner von der mächtigen Bewegung der letzten Jahre, die eine neue Formenwelt geschaffen und neue Schönheitsideale aufgestellt hatte, nicht berührt worden waren. An dem runden Tisch unter dem Kronleuchter saß bei einer Handarbeit ein junges Mädchen. Sie mußte sehr hoch gewachsen sein, etwas zu hoch vielleicht für die Schmal heit ihrer Schultern und Lie Kleinheit des zierlich auf einem langen, schlanken Halse ruhenden, von dicken, braunen Flechten umrahmten Kopfes. Wenn es auch sicherlich Über treibung gewesen wäre, sie schön zu nennen, so war Leo: Eindruck ihrer Erscheinung doch der einer anmutigen und fesselnden Frauengestalt. Das feine, längliche Gesicht hatte kotz einer gewissen Unregelmäßigkeit der Züge etwas Zartes und Durchgeistigtes, wie es bei einem zwanzig jährigen Mädchen nicht eben häufig ist. Und Lie dunklen Augen hatten jenen müden, verschleierten Blick, Ler sich den Männern von jeher als besonders gefährlich erwiesen hat. Es waren Augen, wie Lie Maler sie ihren Sphinx- gestalten zu geben lieben — Rätselaugen, die verträumt und versonnen in eine unbestimmte Ferne zu blicken scheinen und hinter deren halbverschlossenen Lidern man doch in jedem Moment heiße, leidenschaftliche Gluten auf lodern zu sehen erwartet. (Fortsetzung folgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Nächste Seite
10 Seiten weiter
Letzte Seite