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Lichtenstein-Callnberger Tageblatt : 05.02.1893
- Erscheinungsdatum
- 1893-02-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1776437853-189302051
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1776437853-18930205
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1776437853-18930205
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLichtenstein-Callnberger Tageblatt
- Jahr1893
- Monat1893-02
- Tag1893-02-05
- Monat1893-02
- Jahr1893
- Titel
- Lichtenstein-Callnberger Tageblatt : 05.02.1893
- Autor
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denn er machte, nachdem er die Damen mit Mützen schwenken begrüßt hatte, sogleich Kehrt, trabte mit seinen Hunden um die Wette neben dem Wagen her und griff so tapfer aus, daß es ihm gelang, recht zeitig vor dem Forsthause anzukommen, um den Damen beim Aussteigen behülflich zu sein. Als er Gabriele heraushob, war es ihr, als halte er sie eine Sekunde länger als nötig war in seinen Armen und drückte sie leise an sich, ehe er sie zu Boden setzte. Mit der Schnelligkeit des Blitzes tauchten ihre Augen in einander, dann wurden sie getrennt, und so sehr der junge Mann sich mühte, so sehn süchtig ihm Gabrielens Herz entgegenklopfte, es wollte sich für sie den ganzen Tag kein Augenblick seligen Alleinseins finden. Das HauS des Oberförsters Regler war ein liebe- und kinderreiches und Gabriele hatte seit ihrer Rückkehr von der Pension hier eine zweite Heimat gefun den. Der joviale Oberförster neckte sie, seine behäbige Frau ließ es sich angelegen sein, sie mütter lich zu verhätscheln, mit Mathilde hatte sie hunderter lei nichtige und doch wichtige Geheimnisse auszu tauschen, die jüngeren Kinder sahen in ihr einen Spielkameraden, mit dem sich vortrefflich laufen, springen und tollen ließ. Auch heute nahm die frohe Kinderschar, kaum daß Gabriele in dem ihr eingeräumten Giebelstübchen Hut und Mantel abgelegt hatte, den Gast in Be schlag, bei Tische und während des Nachmittags ward sie von ihnen in Atem gehalten, mußte das zahme Reh, die jungen Hunde, das Pomw und die Kanin chen sehen. Erst der früh hereinbrechende Abend befreite sie von ihren kleinen liebenswürdigen Drängern, nun nahm sie aber die Oberförsterin und Mathilde zum Plaudern in Beschlag und als der Oberförster aus dem Forste heimkehrte, wollte auch dieser seinen Teil an der Unterhaltung haben. Er war ein leidenschaftlicher Musikfreund, öffnete, kaum daß man vom Abendessen aufgestanden war, den Flügel und rief: „Heute kann ich meine richtige Jägerlust haben. Hole die Noten des „Freischütz", Mathilde, Du singst das Aennchen, Winterfeld den Max und Ga briele ist eine treffliche Agathe, das wissen wir". Der wackere Mann erhielt seinen Willen, Max zog durch die Wälder, durch die Auen, Mathilde gab schelmisch „Kommt ein schlanker Bursch gegangen" zum Besten und Gabriele ließ Agathens Nachtgesang ganz wie die Jägerbraut hinaus in den mondbe glänzten Forst klingen. Dann sang sie mit Winter feld das von Liebe und banger Sorge so innig durch wehte Duett und Mathilde ließ es sich nicht nehmen, mit einigen schelmischen Seitenblicken auf „den schmucken Freier" der Freundin den schönen grünen Jungfernkranz mit veilchenblauer Seide zu winden. Wieder trafen sich Gabrielens und Winterfelds Augen; heiß errötend wandte sie sich ab und war froh, ^als die Obcrförsterin mit einem Hinweis auf die vorgerückte Stunde der musikalischen Unterhaltung ein Ende machte und Hausgenossen und Gäste zu Bett kommandierte. Am anderen Morgen nach dem Frühstück legte sich eine tiefe Stille über das Forsthaus. Aus dem nahen Dorfe war der junge Lehrer gekommen, welcher die Kinder täglich mehrere Stunden in einem zur Schulstube eingerichteten Saal des Forsthauses unter richtete. Der Oberförster war mit den Jägerburschen und den Hunden nach einer Richtung des Waldes gegangen, Wilhelm Winterfeld hatte mit seinen unzertrennlichen Begleitern, den beiden gelben Hühnerhunden einen andern Weg eingeschlagen. Eine Zeit lang hatte Mathilde und Gabriele, jede mit einer Handarbeit beschäftigt, im großen Wohnzimmer plaudernd gesessen, als aber die Mit tagsstunde herannahte, steckte die Oberförsterin den Kopf zur Thür hinein und sagte lackend: „Ich kann Euch nicht helfen, Mädchen, für eine Stunde muß ich Euch in Eurer wichtigen Unterhalt ung stören; ich brauche Mathilde in der Küche. „Komm mit, Gabriele!" bat die Letztere. „Nichts da!" gebot die Mutter, „daß Du mir über dem Plaudern den Braten verbrennen ließest; auch wäre es bei dem Wetter eine wahre Sünde, den Gast in die Küche zu sperren. Hole Deinen Hut, liebes Kind, und gehe eine Stunde in den Wald. Verirren kannst Du Dich ja nicht." Gabriele folgte dem Rate und verlor sich in einem der vom Försterhause strahlenförmig in den Wald verlaufenden Pfade. Es war ein köstlicher Tag. Der Morgennebel lag noch in schweren, in der Sonne funkelnden und glitzernden Tropfen auf dem duftenden Nadelholz, der Fuß versank in dem den Waldboten bedeckenden dürren Laub, die gelich teten Bäume verstatteten den warmen, aber nicht mehr sengenden Sonnenstrahlen ungehindert Durchgang und besaßen doch noch Blätter genug, um eine wunderbare Farbenpracht zu entfalten. Die gefiederten Sänger waren fortgezogen, aber dem Walde fehlte es doch nicht an seinen Stimmen; man vernahm das Rascheln eines vorbeihuschenden Rehes, Hase und Eichhorn machten ihre Sprünge, wilde Tauben und Spatzen flogen auf. Gabriele schritt weiter und weiter, pflückte hier ein seltsam geformtes Farrenkraut, dort eine Erika, fand Ebereschen, fand noch eine blaue Campanula und bückte sich plötzlich mit einem Ausrufe des Ent zückens nieder. An einem besonders geschützten, sonnen beschienenen* Plätzchen entdeckte sie etwas Seltenes: rote, duftende Erdbeeren, welche hier eine verspätete oder eine zweite Ernte boten. Sie ließ sich nieder, die köstlichen Früchte zu pflücken, um ihren Schatz frohlockend zu tragen. Plötzlich richtete sie sich auf und lauschte; ihr Ohr glaubte Fußtritte zu vernehmen, deren Schall ihr Herz höher klopfen ließ. Unwillkürlich strich sie das Haar unter dem Hute glatt und ließ das hochaufge schürzte Kleid herunter. Noch ehe sie damit zu Stande war, belehrte sie der Ausruf: „Fräulein Gabriele!" darüber, daß auch sie bereits entdeckt sei. Sie wandte sich um, mit ausgestreckter Hand kam ihr Wilhelm Winterfeld entgegen. „Fräulein Gabriele!" wiederholte er und sah sich um, als traue er seinen Augen nicht. „Sie hier im Walde?" „O, ich bin wohl schon eine Stunde hier", ant wortete sie sröhlich, „es ist gar zu köstlich und schauen Sie nur, welches Wunder ich hier entdeckt habe, reife Walderdbeeren im November." Sie deutete auf die Früchte, von denen sie einige in einem großen Wegeblatte gesammelt hatte, während andere noch ungepflückt standen. „Mir begiebt sich ein noch weit größeres Wun der", entgegnete er, ihre Hand festhaltend, „ich finde Sie im Walde ganz allein." „Ei, halten Sie mich für so furchtsam, oder wimmelt es im Walde von reißenden Tieren oder Räubern ?" versetzte sie, ihre Verlegenheit unter einem Scherze verbergend, denn sein klares, offenes Auge ruhte mit einem Ausdruck auf ihr, der seinen Worten eine ganz bestimmte Deutung gab. „Sie wissen, daß das ärgste Raubtier, daß sich in unserm Walde sehen läßt, ein Fuchs ist", ent gegnete er lachend, „und die Räuber, über die ich mich zu beklagen habe, wohnen im Forsthause". „Sie wollen mich ängstlich machen?" „Gern thüt' ich's, wenn ich dadurch nur etwas erreichte. Die Räuber, welche ich meine, sind gute Leute und sind nicht einmal im Unrecht; es ist die Familie Regler." — „Was rauben denn die?" „Sie, Gabriele; man raubt Sie mir; über vieruvdzwanzig Stunden sind Sie jetzt im Forst hause und dies ist die erste Minute, wo ich mit Ihnen plaudern kann." „Wir sind ja gestern stundenlang beieinander gewesen, haben sogar Duette gesungen." „Unter den Augen des Herrn und der Frau Oberförster! Wie kommt es, daßSie jetzt allein sind ?" „Alle Welt ist beschäftigt; die Herren im Forst, die Kinder in der Schule, die Oberförsterin und Mathilde in der Küche; mich als die allein Müßige hat man spazieren geschickt. JstJhr Tagewerk schon vollbracht?" „Noch nicht, aber ein gütiges Ungefähr, nein mein Herz hat mich diesen Weg geführt; lassen Sie mich die Gunst des Zufalles nützen und Ihnen Ge sellschaft leisten". Gabriele warf einen Blick auf die an ihrem Gürtel hängende kleine goldene Uhr und sagte: „Es ist spät, viel später als ich dachte; wir müssen uns beeilen, zum Mittagsessen heimzukehren". „Es wird damit heute nicht so pünktlich werden", antwortete Winterfeld zuversichtlich; der Oberförster ist drüben im Eichenschlaqe beschäftigt, ich wollte soeben auch noch zu ihm hinüber". „Und jetzt?" „Bleibe ich, wo ich bin", versetzte er und sein hübsches, offenes Gesicht nahm einen Ausdruck der Keckheit an, der ihm sehr gut stand, „ich bin ja Vo lontär, das heißt doch so viel wie einer, der thun kann, was er will, und lassen kann, was er nicht will". „Eine hübsche Auslegung!" „Ich bediene mich heute ihrer zum ersten Male, aber Not kennt kein Gebot; ich habe Ihnen so viel zu sagen, Fräulein Gabriele, wer weiß, ob sich während Ihres Aufenthaltes hier noch einmal eine solche Gelegenheit findet, und wenn Sie wieder kommen, bin ich nicht mehr hier". „Sie wollen fort?" fragte sie und es wollte ihn bedünken, als ob die kleine Hand, die er auf seinen Arm gelegt hatte, während er mit ihr einen schmalen Waldweg entlang schritt, leicht zusatzimen- zuckte und das liebliche Gesicht unter dem breit randigen Hute um einen Schein blässer ward. ,'Die Zeit, welche ich hier zubringen sollte, ist abgelaufen; meine Eltern erwarten mich zum Weih nachtsfeste in der Heimat; mit dem Studieren ist's jetzt vorbei, ich soll nun probieren, was ich kann". „Sie sind eigentlich Landwirt?" „Landwirt, Jurist, Reserve-Offizier und Forst mann, alles in einer Person", sagte er, sich in die Brust werfend, mit gutmütiger Selbst-Ironie, „ich könnte mich, nach den Leistungen, die Sie gestern abend gehört haben, auch Sänger nennen; die Sie gestern abend gehört haben, auch Sänger nennen; alles fürs Haus. Mein Vater hat auf seinen Gütern in Westpreußen ein großes Wald-Areal, das soll jetzt meiner Leitung unterstellt werden". „Ich bekomme Respekt vor Ihnen — Herr Winterfeld". „O, Fräulein Gabriele, ist das alles?" fragte er in einem gleichzeitig so drolligen und so warmen Tone, daß bei ihr Lachen und Rührung um die Herrschaft kämpften. „O nein, ich habe auch aufrichtige Freundschaft für Sie." „Weiter nichts!" seufzte er. Sie errötete und schwieg. „Gabriele!" rief er stehen bleibend und ihre beiden Hände ergreifend, „ich bin ein grader, ein facher Mensch, viele Worte kann ich nicht machen; Sie wissen auch ohne Worte, was ich Ihnen sagen will. Ich verlange auch von Ihnen keine langat migen Versicherungen, sehen wir uns in die Augen!" Er beugte sich zu ihr nieder, schaute ihr unter den Hut und was er da sah, schien ihm die be- glückendste Antwort auf seine Frage zu sein. Er legte den Arm um ihre Schultern, zog die sanft Widerstrebende an sich und flüsterte: „Darf ich meinen Eltern schreiben, darf ich —" „Gabriele! Gabriele!" tönte es laut durch den Wald. „Gabriele, Gabriele, wo bist Du?" Erschrocken fuhren die beiden jungen Leute aus einander; sie hatten Mathildens Stimme erkannt. „Zwischen Lipp' und Kelchesrand", murmelte Winterfeld, „verwünschte Störung". Das Helle Kleid der Oberförstersfrau schimmerte bereits durch die Bäume, nach wenigen Sekunden stand sie neben dem Paar. „Endlich finde ich Dich!" sagte sie, keuchend vom schnellen Laufen, „ich habe mich beinahe heiser nach Dir geschrieen". „Verzeihe", entschuldigte sich Gabriele, noch in holder Verwirrung, „ich habe mich von dem köst lichen Wetter zuweit verlocken lassen und Eure Mit tagsstunde versäumt". „Das ist's nicht, aber es ist ein Telegramm für Dich gekommen, ein reitender Bote brachte es von der Station; es steht „Sehr eilig" darauf". Sie reichte Gabriele das Telegramm, das sie bis dahin mit der Hand auf dem Rücken verborgen hatte. Bleich, mit zitternden Händen öffnete das junge Mädchen das Blatt, überflog dessen Inhalt und stieß einen Schrei aus. „Was ist geschehen?" „Mein Vater! Mein Vater!" stieß Gabriele hervor. „Ist das Telegramm von ihm?" „Nein, von Tante Lina. „Komm sogleich zurück, Dein Vater bedarf Deiner!" steht darin. O, es muß ihm ein Unglück zugestoßen sein! Er ist gewiß sehr schwerkrank, vielleicht schon —" Die Zunge sträubte sich, das Entsetzliche auszusprechen. „Sie dürfen nicht sogleich das Aergste fürchten!" beruhigte sie Winterfeld. „Tante Linas Uebertreibungen kennst Du doch; Dein Vater muß vielleicht schnell verreisen oder sonst dergleichen". „Dann hätte er selbst telegraphiert; nein, nein, es ist ein Unglück geschehen!" schluchzte das junge Mädchen, trotzdem hatte sie bereits die ihr eigene Besonnenheit wiedergewonnen. „Ich muß sogleich fort", sagte sie, „bitte, Herr Winterfeld, gehen Sie voraus und sorgen Sie, daß angespannt wird, wenn wir keine Minute verlieren, kann ich den nächsten Zug noch erreichen". Winterfeld gehorchte der Weisung, die beiden Mädchen folgten ihm mit beflügelten Schritten; das ganze Forsthaus geriet in Aufruhr, aber in un glaublich schneller Zeit stand der Wagen vor der Thür und Gabriele war reisefertig. Heute ließ es sich Winterfeld nicht nehmen, sie zu begleiten: er schwang sich zum Kutscher auf den Bock, während Mathilde neben der Freundin in dem zweisitzigen Wagen Platz nahm. Das Wetter war heute noch wärmer und sonniger als am vorigen Tage, aber Gabriele schien es, als hülle ein grauer Nebelschleier die ganze Landschaft ein; eine furcht bare Angst lag auf ihrer Brust und erstickte die süßen Blütenkeime, welche die unterbrochene Unter redung mit Wilhelm Winterfeld hervorgelockt hatte. Mathilde und Winterfeld wären gern mit ihr bis zur Residenz gefahren, sie lehnte aber dieses An erbieten mit Entschiedenheit ab. Tante LinaS Tele gramm klang so rätselhaft; wer konnte sagen, was geschehen und ob dem Vater nicht die Gegenwart fremder Personen im höchsten Grade störend sei. Wieder dachte sie an ihre Wahrnehmung, daß Schwarzenberg eine geheimnisvolle Macht auf den Vater ausübe und brachte ihre schleunige Rückberuf ung damit in Verbindung. Sie verwarf derartige Mutmaßungen zwar sogleich wieder als Ausgeburten einer krankhaft erregten Phantasie, dennoch blieb sie dabei, daß sie allein reisen müsse. Wilhelm Winter feld sollte nicht unter dem düsteren Gewölk eines von ihr vorauscmpfundenen Unheils das Haus ihres Vaters zum ersten Male betreten. „Ich komme morgen, meine Gabriele", flüsterte er ihr zu, während er sie in das Koupee hob. Noch ein warmer, inniger Händedruck und der Schnellzug, der nur wenige Minuten Aufenhalt gehabt hatte, brauste von dannen. Gabriele vernahm wieder und wieder diese Ver heißung, während sie mit eiskalten Händen und fieberhaft pochenden Schläfen durch die sich bereits niedersenkende Dämmerung des Novemberabends fuhr, und sie klangen ihr wie ferner Glockenton dem Ohre eines im finsteren Walde verirrten Wanderers. Was auch über sie Hereinbrechen mochte, da war ein Herz, an dem sie rasten, ein starker Arm, auf den sie sich stützen durste. Winterfeld hatte gesprochen, jetzt durfte sie dem Vater die Liebe bekennen, die sie seit dem ersten Zusammentreffen mit dem jungen Manne im Herzen trug. (Fortsetzung folgt.) Redaktion, Druck und Verlag von Carl Matthes in Ltchtenstetn (Markt 179).
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