30 Hans Joachim Neidhardt Carl Gustav Carus - Lebenskunst und Lebens gleichnis „Wieviele Menschen gewahren wir nicht, die das Kunstwerk ihres Lebens verderben oder unvollkommen ausführen, weil sie nicht zu unterscheiden vermögen, was das ihnen wahrhaft Gemäße sei und was nicht!“ Carl Gustav Carus Der Lebensbegriff nimmt eine zentrale Stellung im Denken von Carus ein. Dem Geheimnis des Lebens galt das wissenschaftliche Interesse des Arztes und Forschers von früher Jugend an. Doch soll hier nicht von Biologie die Rede sein. Vielmehr richten wir unseren Blick von den objektiven Befunden des Phänomens nach Innen, dorthin, wo nach Auffassung der Romantiker das Eigent liche geschieht. Es geht nicht um Leben als biologischer Ablauf, sondern als individuelles Schick sal. Dieses beherrschende Thema aller Philosophien und Religionen hat Carus immer wieder reflektierend überdacht und als Maler allegorisierend dargestellt. Während er als Künstler dabei zeitweise den Auffassungen der romantischen Ästhetik zuneigte, ist sein Begriff vom Leben in praxi eindeutig durch sein großes Vorbild Goethe, mithin von klassischem Geiste geprägt. Tatsächlich verbinden sich in Carus’ Denken die nach der Theorie zwar getrennten, heute immer mehr in ihrer Wechselwirkung, ihrem aufeinander Bezogensein erkannten geistigen Welten von Klassik und Romantik. Paul Ferdinand Schmidt spricht daher in seinem Carus-Aufsatz mit Recht von der „Doppelgestalt seines Wesens“. 1 Solche Doppelgestalt zeigt auch das künstlerische Werk, das sich zwischen den Polen romantischer Allegorik und realistischer Schilderung entwickelt hat. Lebens- und Todesallegorien Wenn wir auch heute - und nicht erst heute - die aus lebendiger Anschauung heraus entstandenen Arbeiten wegen ihrer frisch zupackenden malerischen Unmittelbarkeit höher schätzen, so hat doch auch jene andere, schmale Werkgruppe symbolhafter Bilder ihren Platz in seinem Oeuvre und in der Malerei der Dresdner Romantik. Sie stehen freilich mehr oder weniger unter dem Ein fluß seines Freundes und Lehrers Caspar David Friedrich. Doch sollten wir nicht vergessen, daß Carus die romantische-Bildsprache benutzte, um durchaus eigene Vorstellungen und Erlebnisse in ihr auszudrücken. Immer dann, wenn es ihn drängte, Gedankliches oder emotional Bewegen des in einem Bilde zu verarbeiten, bediente er sich der romantischen Symbolik, denn - wie Philipp Otto Runge sagt - „Die Elemente (der Kunst d. V.) sind in uns, und aus unserem Innersten also soll und muß alles wieder hervorgehen ... so dringt der Mensch seine eigenen Gefühle den Gegenständen um sich her auf, und dadurch erlangt Alles Bedeutung und Sprache.“ 2 In solchem Sinne hat sich Carus noch vor seiner Bekanntschaft mit Friedrich erstmals nach dem Tode seines dreijährigen Knaben Ernst-Albert im Jahre 1816 künstlerisch ausgesprochen. Damals