19 • Das Einrichten von Schlafstellen zum Zwecke der Vermietung wird verboten in Hausflu ren, Vorsälen, Vorräumen von Aborten, Kellern, Dachböden und solchen Räumen, deren Benutzung zum dauernden Aufenthalt von Menschen gesundheitspolizeilich unzulässig erscheint. Es fällt uns heute schwer, den bedeutenden Fortschritt, den diese Festlegungen im Woh nungswesen der Stadt bewirken sollten, voll nachzuempfinden. Noch weniger ist vorstellbar, daß diese Wohnungsordnung nicht in vollem Maße in Kraft gesetzt werden konnte, weil. . . „die harten Notwendigkeiten des Lebens sich mächtiger (zeigten), als der Wille der Gesetzge ber " , d. h., die Uberbelegung der Wohnungen in der Stadt war so übermäßig und die realen Möglichkeiten, über den Bau erschwinglicher weiterer Wohnungen hier Abhilfe zu schaffen, waren so gering, daß diese Normative einfach nicht durchsetzbar waren. Es spricht für ein bemerkenswertes Maß von Naivität, wenn man beschloß, die Festlegungen zur Limitierung einer Maximalbelegung solange auszusetzen, . . . „bis mit dem weiteren Ausbau der Vorstädte die bestehende Wohnungsnot geschwunden sein würde“. 24 Gerade hier war aber die Wohnungsnot am größten. Allein die Proportion von Wohnungs größe und durchschnittlicher Haushaltgröße (in Pieschen in den neunziger Jahren 4,3 Perso nen/Haushalt) bedingte eine permanente Überbelegung. Um welches Maß verschlechterten sich aber die sozialen und hygienischen Bedingungen, wenn ein Arbeiterhaushalt sich gezwungen sah, einige Mark Nebeneinnahmen durch die Vermietung eines Zimmers oder wenigstens einer Bettstelle an einen Untermieter zu erlangen! In einer umfassenden Studie des Dresdener Statistischen Amtes von 1901 wird ausgewiesen, daß sage und schreibe 75,9 % aller Wohnungen in der Leipziger Vorstadt, Pieschen und Trachenberge, in denen solche Teilmie ter aufgenommen worden sind, gegen irgendeine Bestimmung der weiter vorn genannten Wohnungsordnung verstoßen 25 . Nur 50,05 % der Vermieter besitzen nach dieser Unterneh mung noch einen eigenen Schlafraum, der Grad der Überbelegung der Wohnungen wird dadurch unterstrichen, daß mehr als jede vierte Wohnung weniger als 10 m 3 und wenigstens 3,5 m" Bodenfläche je Person bot 26 . Auch über die soziale Struktur der Vermieter gibt es keinen Zweifel. 30,89 %, das ist die größte Gruppe aller Vermieter, sind Frauen. - Alleinstehende, wie man hinzufügen muß. Ihre besondere Lage wird deutlich, wenn man sich die Lohnrelationen dieser Zeit vergegenwärtigt. Unter den Bedingungen des Existenzminimums von 100,- Mark Einkommen je Monat ver dienten bei zehnstündiger Arbeitszeit - ein qualifizierter Schlosser oder Zimmermann zwischen 82 und 99 Mark, - ein angelernter Arbeiter etwa 76 Mark, - eine Arbeiterin 39 bis 52 Mark. 27 Selbst die drei Pieschener Lehrerinnen stehen gehaltlich bedeutend hinter dem Hausmeister der Schule zurück und werden sogar noch von dem „Hilfs-Expedienten“ des Gemeindeamtes übertroffen!“ 8 Weitere 45,1 % der Vermieter sind Arbeiter, niederes Geschäftspersonal sowie niedere Beamte von Post und Eisenbahn. Ein Brief des langjährigen Gemeindevorstehers Lemcke an die Königliche Amtshauptmann schaft Dresden-Neustadt vom 18. 5. 1888 macht die Wohnungsfrage in Pieschen sehr pla stisch. Wenn auch aus der Sicht eines Beamten mit einem Jahreseinkommen von über 5 000 Mark - einschließlich einer freien Wohnung für 500 Mark - geschrieben, läßt er doch wesent liche soziale Wirkungen der allgemeinen Wohnungsnot deutlich werden. In ihm heißt es: